Geschrieben am 20. März 2010 von für Crimemag, Porträts / Interviews

Uta-Maria Heim im Porträt

Psychologie der Gesellschaft

Fünfzehn Kriminalromane hat Uta-Maria Heim verfasst und dafür mehrere Preise erhalten: 1992 und 1994 den Deutschen Krimi-Preis, 1994 den Kunstpreis Berlin, 1998 ein Stipendium der Villa Massimo und 2000 den Friedrich-Glauser-Preis. Uta-Maria Heim ist 1963 im Schwarzwald geboren und lebt heute in Baden-Baden und Schorndorf. Neben der Schriftstellerei ist sie als Journalistin und Hörfunkautorin beim Südwestrundfunk tätig. Sie studierte in Freiburg/Br. und Stuttgart und schrieb für die Stuttgarter Zeitung wie „das Udole“, einer ihrer Protagonisten der Stuttgart-Trilogie. Vom umfangreichen Werk der Autorin sind von insgesamt 25 Büchern momentan noch 13 lieferbar, die anderen fast alle antiquarisch erhältlich. Elfriede Müller hat die Autorin, deren Kopfschuss-Kolumne für SiK gerade pausiert, kritisch-solidarisch porträtiert.

Obgleich Uta-Maria Heims Gesamtwerk sehr unterschiedlich ausfällt, was die Genres, die Themen, aber auch die Qualität angeht, so ziehen sich doch gemeinsame Figuren und Ereignisse wie ein Rhizom durch ihre Literatur, sodass beim Lesen der Eindruck entsteht, es handele sich um Fortsetzungsromane. Ihre Geschichten kommen immer wieder auf die Veränderungen Stuttgarts und das Leben einiger Akteure zurück, die manchmal ganz überraschend in einem Roman auftauchen, in dem sie scheinbar nichts zu suchen haben – wie die Polizistin und spätere Privatdetektivin Hermine.

Der Stoff, aus dem Heims Romane gemacht sind, sind die eigene berufliche Erfahrung, die bräsige schwäbische und badische Provinz, die Bundesrepublik der späten Siebziger-, aber vor allem der Achtzigerjahre, die nicht aufgearbeitete nationalsozialistische Vergangenheit und ganz zentral Stuttgart-Stammheim.

Das Rattenprinzip war Heims erster Krimi, der sogleich ein Erfolg wurde. Darauf aufbauend schrieb die Autorin 1992 Der harte Kern und 1993 Die Kakerlakenstadt mit dem gleichen Personal um die großartige proletarische Detektivin Claudi („Ich suche nach dem Mehrwert hinter den Überbauten“), die als Hausfrau und Mutter endet, und ihren Vater, den roten Karle, der meist maulfaul, aber keineswegs am Ende ist. Die drei Bände erschienen in der traditionsreichen, leider nicht mehr existierenden Krimireihe rororo Thriller. Der Gmeiner-Verlag, mittlerweile Heims Krimihausverlag, legte Das Rattenprinzip 2008 mit einem neuen Prolog der Autorin wieder auf. Der Roman thematisiert die Wende, nicht wie sie in Berlin, sondern im Schwarzwald und Stuttgart erlebt wurde. Dabei geht es um das Betriebssystem Kunst und seine allmählich fortschreitende Einverleibung durch die Wirtschaft. Dass Klassenbewusstsein zu Erkenntnis führen kann, legen Claudi und Karle nahe, denn „Detektive müssen Kommunisten sein“. Dass Erkenntnis in Zeiten der Wende aber nicht weit bringt, stellt wiederum der Journalist Udo Winterhalter fest und schlägt daraus sein eigenes Kapital.

Im zweiten Teil Der harte Kern werden Jugenderfahrungen in der Hausbesetzerszene kulturindustriell vermarktet. Heim verwendet hier ein häufiges Stilmittel: die zeitlich versetzte Parallelerzählung aus der Ich-Perspektive über den Drogentod eines Mitbesetzers. Die Auflösung des Plots geschieht am Anfang, wie bei allen guten Noirs spielt sie nur die zweite Geige. Der dritte Teil Die Kakerlakenstadt ist ein Antigermanistenroman über Paul Celan und Ingeborg Bachmann, der zwischen Paris und Stuttgart spielt, voller philosophisch-literarischer Referenzen steckt und Léo Malet eine Hommage erweist. Es geht um Büchersterben – der Nachlass von Paul Celan und Ingeborg Bachmann zerfällt in einem atemberaubenden Tempo –, eine Einführung in Celans Gedichte, die Nazis und die RAF und darüber, was beide miteinander zu tun haben.

Wespennest

Wespennest. Der Sieg des Rattenprinzips erschien 2009 und erzählt klassisch marxistisch Das Rattenprinzip neu als Wiederholung und Farce. Die NS-Vergangenheit, die RAF, die Todesnacht in Stammheim und die Verbindungen zwischen RAF und Stasi, ein Altersheim mit altersradikalen Insassen, eine unerwartete literarische Karriere, die „das  Udole“ endgültig auf die andere Seite der Barrikade verbannt und zu seinem Tod führt, fügen sich zu einer Farce, die immer noch mehr Verschwörungen an den Tag bringt. Die burlesken Wendungen des Personals sind überzogen, sollen wohl nicht überzeugen, sondern polemisch amüsieren. Der Geist Gudrun Ensslins in Kuba und die Wiedergeburt einer korrupten Kulturfunktionärin als Wespe im Garten des roten Karle lassen den Roman zur Comedy werden, der politisch Gebildete zum Lachen bringt, die Themen dabei aber entpolitisiert: „Wo die Geschichte aus ist, bleiben nur noch die Geschichten.“

Der Tod der fünfzehnjährigen Petra Clauss spukt in einigen Romanen von Uta-Maria Heim herum. Im Fokus steht er in dem 2007 erschienenen Totschweigen und wird in dem brandneuen Totenkuss (Februar 2010) zu Ende gebracht. In Totschweigen wird die Geschichte auf zwei Zeitebenen erzählt, 1984 und 2004. Die nationalsozialistische Vergangenheit bildet den Hintergrund des Plots. SS-Mitglieder, die zu folternden Klassenlehrern werden, die Engstirnigkeit des Landlebens und seiner Tücken wird minutiös anhand kaputter Charaktere gezeichnet, deren gemeinsames Merkmal die Verdrängung von Vergangenheit ist. Weil Petras Mutter bis in die Nachkriegszeit hinein ihre  jüdische Herkunft verschweigt, kommt es zu familiären Verwicklungen, die wahrscheinlich zum Tod von Petra Clauss führen.

Auch bei Dreckskind von 2006 steht der Nationalsozialismus im Zentrum der Handlung. Es ist dieser Text, der am ehesten als aufklärerischer Heimatroman gelten kann, unter sparsamer Dosierung von Dialekt und genauer Schilderung des Wirkens der Landschaft auf die Menschen, die eines schwäbischen Fontane würdig wäre. Zur NS-Vergangenheit gesellen sich die aktuelle Barbarei des Jugoslawienkrieges und die Traumata des Exils. Die Aufklärung des Todes von Emil, dessen Ursachen in der Zwangsarbeit liegen, zeigt mal wieder, dass unaufgearbeitete Vergangenheit zu weiteren Verbrechen führt.

Realität

Heim ist immer da am stärksten, wo sie der Realität am nächsten kommt, selbst wenn sie auf Mainstream-Themen wie Kindsmord und Serienkiller zurückgreift. Der Roman Engelchens Ende von 1999 gehört zu ihren literarisch besten Texten. Der grausame Mord an einem achtjährigen Mädchen führt zum Hauptort der Verbrechen an Kindern: der Familie. Schnörkellos beschreibt Heim, wie die Psychologin Angelika Haupt den Mord aufdeckt. Dabei kommt sie im Vergleich zu ihren sonst mit viel Personal bestückten Texten mit wenigen Akteuren aus.

Ihr zweites Gesicht (2000) – der zweite Roman mit der Psychologin Angelika Haupt – dekonstruiert drehbuchartig den Kulturbetrieb am Beispiel der Villa Massimo, wo Heim eine Zeitlang als Stipendiatin weilte. Der dritte Roman mit dieser Hauptfigur Glücklich ist, wer nicht vergisst (2000) handelt von Demenz, der Aufarbeitung der NS-Vergangenheit und von Hölderlin. Dabei ist ein bisschen zu viel Zufall im Spiel, auch wenn die Psychologie des Tötens und Vergessens meisterhaft geschildert wird. Die Organistin Fanny Fehrenbacher übt Jahrzehnte später Rache an ihrem Bruder, ihrem Cousin und dem Altpfarrer, alle drei Nazis, die ihren jüdischen Freund 1942 aus seinem Versteck gezerrt und ins Vernichtungslager gebracht hatten.

Schwesterkuss

Schwesterkuss (2002) rechnet mit der Hausbesetzerbewegung ab. Auch hier wird in einem brennenden Haus gestorben, allerdings nicht aus Rache, sondern aus Fahrlässigkeit. Der Roman ist  die Geschichte einer verratenen Freundschaft zwischen drei Frauen auf der Flucht und eine desillusionierte Beschreibung des „Neuen Berlin“ nach der Wende. Die Figuren überzeugen nicht, sie könnten aus einer Vorabendserie kommen, genau aus der, in der Linda, die Schauspielerin, eine Hauptrolle spielt. Ruth sucht Ruth (2002), auch eine Geschichte des Jüdischen Kulturbundes, thematisiert den Überlebenden als bösen Helden zwischen New York und Berlin. Der gesellschaftliche Verfall Berlins unter der Naziherrschaft und der Plot um ein Nolde-Porträt wären Stoff genug gewesen und ohne die zahleichen durchgeknallten Zeitgenossen ausgekommen.

Die Widersacherin (1993) knüpft an Ingeborg Bachmann an und beschreibt das Ende einer Liebe und wieder einmal die Geschichte eines Dorfes im Schwarzwald, wobei die Heldin Freizeitberaterin für gelangweilte Zeitgenossen ist. Freya, die Protagonistin in Durchkommen (1996), sucht nach ihrem Lebenslauf statt nach einer Biografie und landet bei der zeitweise unerträglichen Suche in einem Weddinger Krankenhaus. Ihre Neurosen möchte man weder kennen noch haben. Und dass statt Spätkapitalismus und miesen Liebhabern einmal wieder die Achtundsechziger an allem schuld sein sollen, wirkt viel unglaubwürdiger als die Wut darüber, mit einer Promotion nicht mehr zur höheren Mittelschicht zu gehören.

Slapstick

Die ebenfalls bei rororo thriller erschienene Serie über die Detektivin Chris Lebrun ist Slapstick, auch wenn ernsthafte politische Themen verhandelt werden wie die Vereinigung, die Stasi und die Geschichte des Wüstenfuchs. Wenn Heim das Dorf zum Mikrokosmos der Gesellschaft erklärt, könnte die Beschreibung nicht bissiger ausfallen, auch Stuttgart barg nie mehr Grauen in sich als bei Heim, aber in Berlin – und mehr noch in den neuen Ländern – scheint die Autorin leider nicht ebenso zu Hause zu sein. Jedenfalls gerinnen ihr die Charaktere wie die Atmosphäre nur zu Karikaturen, die Nachwendezeit häufig zum Klischee.

Totenkuss birgt eine Zusammenfassung der anderen Bücher in sich und bringt die Polizisten Anita Wolkenstein und Tim Fehrle zur Geltung, die bisher im Vergleich zu Karle und Claudi eher Randfiguren waren. Die politische Desillusionierung schlägt der Autorin ein Schnäppchen, wenn  ihre Protagonistin Wolkenstein die RAF zur menschenverachtendsten politischen Formierung aller Zeiten erklärt. Man muss keine Sympathien für die RAF hegen, um das staatliche Gewaltmonopol und die unaufgearbeitete Nazivergangenheit – ein zentrales Thema von Heim – mitzudenken, wenn man den – politisch schwachsinnigen – bewaffneten Kampf in der Bundesrepublik literarisch verarbeitet.

Emanzipatorische Utopien und Literatur sind der „Überbau“, wie Claudi es nennen würde, von Heims Romanen. Die ersteren betrachtet sie als gescheitert und macht dies an ihren Protagonisten deutlich, die häufig aus einer linken Bewegung kommen, die allesamt schlecht bei Heim wegkommen. Schlecht nicht nur deshalb, weil sie gescheitert sind, sondern auch weil diejenigen, die mitgemacht haben, es nicht ernst meinten mit der Sache, sondern häufig nur ihren persönlichen Vorteil darin suchten oder ihre Neurosen auslebten. Der rote Karle dagegen, kein Jugendbewegter, ist ein Mensch aus einer anderen Zeit, dessen Lebensweisheiten in den besten von Heims Romanen unentbehrlich sind. Literarische Referenzen sind Trost, Thema, Spiegel und Vergleich – manchmal im Zentrum des Plots wie der Nachlass von Paul Celan und Ingeborg Bachmann in Kakerlakenstadt oder als Folie wie Hölderlin in Glücklich ist, wer nicht vergisst. Im Gegensatz zu den Utopien, denen Heim ihre Berechtigung abspricht, bleibt die Literatur ein Versprechen, um das es zu ringen lohnt.

Dieser Artikel stammt von unserer Partner-Site Europolar.

Elfriede Müller