Geschrieben am 3. Februar 2019 von für Crimemag, CrimeMag Februar 2019

Tomás Bárbulo „Versammlung der Toten“

Ein Coup unter schlechtem Stern

Von Iris Tscharf

Spanien ächzt unter einer Wirtschaftskrise und nicht nur der Fischhändler Víctor, genannt Chiquitín, quält sich mit den Finanzen, sondern auch seine Kumpels Yunque, Chato und Guapo suchen nach Einkommensmöglichkeiten. Da kommt das Angebot zu einem Bankraub in Marrakesch gerade recht. Dort findet bald ein Treffen der Juwelierhändler statt und der geplante Coup hört sich fast zu einfach an. Das wäre nämlich ihr Anteil an dem sechs Millionen-Euro-Coup. Wenn alles nach Plan liefe …

Es klingt alles total easy: Ein Trip in Begleitung der Freundinnen nach Marrakesch, kurz durch die Kanalisation waten, eine Wand einreißen und am Ende sind Guapo und seine Kumpels um funkelnde zwei Millionen Euro schwere Diamanten reicher.

Zu einfach, ahnt der Leser gleich am Anfang. Und behält Recht. Denn das Debüt des spanischen Journalisten Tomás Bárbulo ist mehr als ein unterhaltsamer Caper-Krimi, endet er doch mit einem ernsten Hintergrundthema.

Aber spulen wir zurück. Spanien in der Wirtschaftskrise. Mittendrin vier Männer, die sich arbeitslos oder als Fischhändler mit Schulden bei ominösen Kreditgebern durchs Leben schlagen.

Das Angebot des undurchsichtigen angeblichen Juweliers Jean-Baptiste klingt zu verlockend für die vier, so dass sie den Coup nicht ausschlagen können. Schnell verdiente Kröten, denkt Guapo, inklusive bezahltem Marokko-Urlaub und `ner Tour durchs Land mit dem Kleinbus.

Gemeinsam mit einem Mann, der von allen „der Sahraui“ genannt wird und nicht nur die Sprache, sondern auch die Gegend und Menschen in und um Marrakesch kennt, machen sich die vier Männer gemeinsam mit ihren Freundinnen als Touristen getarnt auf, ihrem Leben eine neue Wende zu geben.

Eine Wende ist der Trip wirklich. Nur anders als geplant, denn alles läuft aus dem Ruder.

Die ulkigen Namen – Winzling, Plattnase, Amboss und Hübscher bedeuten die Spitznamen Chiquitín, Chato, Yunque und Guapo im Deutschen – täuschen nicht über den ernsten Hintergrund hinweg, denn die vier sind keine Unschuldslämmer. Der eine zockt Menschen mit überteuerten Anzahlungen auf Enzyklopädien ab, der andere wird wegen Mordes gesucht – ein bunter Haufen aus Möchtegern-Ganoven.

Guapo ist der Kopf der Bande, derjenige der die Jobs beschafft und die Coups plant. Der wortkarge Sahraui soll die vier jungen Spanier und die drei Freundinnen begleiten. Er kennt die Sprache, die Leute, die Gegend. Guapos Freundin bleibt hochschwanger in Spanien zurück und doch mittendrin im Raubgeschehen, denn der Auftraggeber will sich mit ihr absichern.

Also machen sich Guapo und seine Bande als Touristen getarnt auf nach Tangar, wo die erste selbsteingebrockte Unregelmäßigkeit ihres Plans für Hindernisse sorgt.

In Marrakesch angekommen, lässt schon der Ort, an dem die Bank steht, Böses erahnen: „Djemaa el Fna“ heißt der Marktplatz, der früher als Hinrichtungsstätte diente und übersetzt so viel wie „Versammlung der Toten“ bedeutet. Doch die Jungs sind nicht die hellsten ihrer Sorte, ahnen nichts, freuen sich auf Reichtum und haben mit dem eingeschlagenen Weg durch die Kanalisation ihrem Leben tatsächlich eine Kehrtwende gegeben. Wenn auch anders als geplant.

Tomás Bárbulo ist in Sidi Ifni aufgewachsen, das bis 1969 eine spanische Enklave war und dann Marokko zugeteilt wurde. Er gilt als Spezialist für Maghreb und Westsahara und bringt dieses Wissen um Land und Leute ganz nebenbei dem Leser näher. Dazu gehört auch ein Bild der Frauen, die in der Geschichte nur als Beiwerk dienen. Frauen als Tarnung für die Touristengruppe, die am Pool liegen und ihre Männer mit Eifersucht nerven. In Marrakesch gibt es überhaupt nur Touristinnen, die Einheimischen auf den Marktplätzen, in den Straßen sind alle männlich. Das Bild mag altmodisch sein, lässt die Geschichte aber glaubwürdiger wirken.

Am Ende kommt ein ernstes Thema hinzu, der Hintergrund des Raubzuges. Und der gibt der Geschichte bei der thematischen Einschätzung des Buches eine Wendung: Denn nach der Enttarnung bleibt nicht nur ein unterhaltsamer Krimi zurück, sondern einer, der zeigt, was Wirtschaftskrisen mit radikalen Islamismus gemeinsam haben können.

Rückblickend auf das Gelesene hat die Geschichte dann mehr Gewicht, liegt bleischwer in den Händen, bleibt mit Gänsehaut beim Leser zurück. Nach den letzten Seiten wirken einige Szenen des Buches viel bedrohlicher als zuvor.

„Versammlung der Toten“ ist eine unterhaltsame Räubergeschichte mit aktuellem Hintergrund, ein ironischer Blick auf Krisen und ihre möglichen Folgen und die Enttarnung der Nutznießer. Ein Krimi der Täuschung. Gerne mehr davon.

Tomás Bárbulo: Versammlung der Toten (La asembla de los muertos, 2017). Aus dem Spanischen von Carsten Regling. Suhrkamp Verlag, Berlin 2018. 397 Seiten, 14,95 Euro.

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