Geschrieben am 16. Oktober 2018 von für Crimemag, CrimeMag Oktober 2018

Story von Rob Alef: Wir wissen alles über Sie!

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Wir wissen alles über Sie!

Von Rob Alef

 

(1)

Rrring, Rrring!

„Hallo, hier Schlinke.“

„Es ist besser, Sie kooperieren, Frau Schlinke. Wir wissen alles über Sie.“

„Alles über mich? Das ist ja wunderbar. Können Sie mir sagen, wo meine Brille ist? Ich habe sie verlegt.“

„Ihre Brille…Augenblick…Das ist die Kamera Drohne 2…Ihre Brille ist in der Küche. Unter der Zeitung.“

„Vielen, vielen Dank. Ich löse gerade das Kreuzworträtsel. Haben Sie einen Moment Zeit?“

„Ja, sicher, aber vorher hätte ich noch einige…“

„Wissen Sie, wie die Hauptstadt von Bolivien heißt? Ich habe da ein S als ersten Buchstaben, aber eigentlich dachte ich, es ist La Paz. S aus vier senkrecht: Grautier mit vier Buchstaben.“

„Die Hauptstadt von Bolivien, kein Problem. Da muss ich nur gerade mal in mein CIA World Factbook schauen. (murmelt): Bayern…Belgien…Bolivien. Da haben wir’s ja schon. Die Hauptstadt von Bolivien heißt Sucre. La Paz ist nämlich bloß der Regierungssitz.“

„Du meine Güte, was Sie alles wissen.“

„Im Englischen nennt man uns nicht umsonst Intelligence.“

„Können Sie das buchstabieren?“

„Was, Intelligence?“

„Nein, Sucre.“

„Kein Problem: Sierra.“

„Nein, Sucre.“

„Sierra ist das Wort für S im internationalen Funkalphabet.“

„Wie ulkig. Ich sage immer ‚Sabine‘.“

„Wollen Sie nun, dass ich buchstabiere?“

„Seien Sie doch nicht gleich eingeschnappt. Ich bin ganz Ohr.“

(sehr langsam):“Sierra – Uniform – Charlie – Romeo – Echo.“

„Echo?“

„Ja, Echo.“

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„Das ist die Leitung. Die ist schon sehr alt. Mehr als 40 Jahre wohne ich nun schon hier.“

„41 Jahre, 11 Monate und 17 Tage, um genau zu sein.“

„Unglaublich. Ich bin beeindruckt. Von welcher Einrichtung sind Sie denn? Von der Telekom?“

(knapp): „Wir stellen hier die Fragen.“

„Wissen Sie vielleicht auch noch, wer vor sieben Jahren meinen Hund überfahren hat?“

„Sie meinen Fluffy, den Zwergschnauzer. Als Sie auf dem Karwendelweg mit ihm Gassi waren. 19. Mai 2011 um 17.04 Uhr.“

„Es war ein Donnerstag. Ich war so traurig. Und jeden Tag frage ich mich, wer es war. Der Täter wurde nie gefunden. Er trug eine Sonnenbrille und fuhr in einer dunklen Limousine. Viel zu schnell.“

„Ja, ich weiß, Karwendelweg ist Tempo 30-Zone. Frau Schlinke, das tut mir jetzt wirklich sehr leid, aber ich muss Ihnen sagen: Das war einer von unseren Leuten.“

„Das ist ja unerhört. Kriege ich denn wenigstens Schadenersatz für meinen Fluffy?“

„Nein. Bei Undercover-Aufträgen gibt es keinen Schadenersatz. Stellen Sie sich mal vor, James Bond müsste Schadenersatz zahlen für das, was er alles kaputt macht. Das kostet mehr als der ganze Film.“

„Auch wieder richtig.“

„Ich kenne den Kollegen, ein guter Mann. Sehr umsichtig eigentlich. Hat nie ein Kind überfahren. Ich wünschte, das könnte man von allen hier im Haus sagen. Er hat einen kleinen Glashund von Svaroski auf dem Schreibtisch stehen.“

„Oh, wie süß!“

„Damals hatte er zu viel um die Ohren: Die Scheidung, das Sorgerecht und diese monatelange, zermürbende Jagd nach einem abgetauchten Gefährder. Menschenleben standen auf dem Spiel. Naja, nach dem Zwischenfall mit dem Kö… mit ihrem vierbeinigen Freund ist er jetzt im Innendienst.“

„Mein armer Fluffy.“

„Was ich eigentlich von Ihnen wissen wollte, Frau Schlinke: Bei Ihnen sollen bärtige Männer ein- und ausgehen.“

„Hihi, bei mir? Sie machen Witze. Nicht einer, leider. Seit mein Fluffy tot ist, lebe ich ganz allein.“

br3„Keine bärtigen Männer, das notiere ich so. Aufgrund unserer sehr strengen Regeln zum Gender Mainstreaming muss ich Ihnen auch die nächste Frage stellen: Gehen bei Ihnen bärtige Frauen ein und aus?“

„Bitte was? Bärtige Frauen? Wir sind doch nicht beim Zirkus.“

 „Vielen Dank. Jetzt muss ich noch Ihre persönliche Daten abgleichen. Sie heißen Rosemarie Schlinke, geboren am 23. Oktober 1952 in Limburg an der Lahn.“

„So ist es.“

„Sie wohnen im Spessartweg 7 in 12205 Berlin.“

„Das ist korrekt.“

„Und ihre Telefonnummer ist die 030-86 14 45 68.“

„86.“

„Was?“

„86 am Ende. Telefon 030-86 1445 86. Das wird dauernd verwechselt.“

„Frau Schlinke, dieses Telefonat hat nie stattgefunden.“

„Heißt das ich muss Sucre wieder aus dem Kreuzworträtsel streichen?“

„Nein, das nicht. Aber erzählen Sie das mit Fluffy bitte nicht weiter.“

„Für die nationale Sicherheit müssen wir alle Opfer bringen. Diesmal hat es Fluffy getroffen.“

Klick!

 

 

(2)

Läut, Läut!

„Hallo?“

(geleiert):“Falls Sie Frau Beate Schlunke sind und die Telefonnummer 030-86 14 45 68 haben, könnte es sein, dass wir alles über Sie wissen.“

„Das kann jeder sagen.“

„Bei Ihnen sollen bärtige Männer ein- und ausgehen.“

„Ich mache das alles nur für mein Kind.“

„Sie meinen Ihren Sohn Felix, 17 Jahre alt, Linkshänder, Mittlerer Schulabschluss mit der Note 2,3.“

br4„Felix hat einen großen Traum. Er möchte einen Barber Shop eröffnen. Und da muss er natürlich für die Friseurprüfung trainieren. Und da buchen wir uns immer ein paar Probanden auf www.baertige-maenner.de. Der Umlaut wird zweimal ausgeschrieben.“ 

„Ach so, die bärtigen Männer sind also…?“

„Bartmodelle, genau. Was wollen Sie überhaupt von mir? Doch hoffentlich nichts verkaufen. Sie klingen so frustriert, als würden Sie Ihr ganzes Leben schon in einem Call-Center arbeiten.“

„Nein, kein Callcenter.“

 „Haben Sie schon mal daran gedacht, sich beruflich zu verändern?“

(seufzt): „Wir stellen hier die Fragen.“

(munter): „Wissen Sie, ich bin Coach. Ich mache professionelle Berufsberatung. Wir finden bestimmt etwas für Sie. Felix wollte zum Beispiel ursprünglich ein Nachhilfestudio eröffnen. Er ist mathematisch sehr begabt. Eine Domain hatte er er auch schon: www.minus-minus-mal-minus-minus-minus-gibt-minus-plus.de. Das konnte ich ihm zum Glück ausreden. Was machen Sie denn, wenn Sie nicht in einem Call-Center arbeiten?“

„Ich bin…ich arbeite in einer Agentur.“

„Das klingt ja toll. Kreativ sein. Jeden Tag draußen bei den Kunden. Zufriedene Gesichter, ab und zu ein Lächeln.“

„Es wäre toll. Aber seit sieben Jahren bin ich im Innendienst.“

„Was ist denn passiert?“

„Ich habe einen kleinen Hund überfahren. Ich wollte es wirklich nicht, aber da war er plötzlich. Mitten auf der Straße. Aus dem Nichts. Und dann nur noch eine blutige zuckende Masse mit zwei großen schwarzen Knopfaugen.“

„Und seitdem machen Sie sich Vorwürfe?“

br6„Ja, sicher. Ich liebe Hunde. Ich habe einen kleinen Glashund von Svarovski auf dem Schreibtisch stehen.“

„Oh, wie süß! Ist Ihnen schon mal der Gedanke gekommen, dass das Frauchen nicht richtig aufgepasst hat auf den Hund?“

(plötzlich misstrauisch): „Woher wissen Sie, dass es ein Frauchen war?“

„Herrchen sind natürlich mitgemeint.“

„Der Gedanke ist mir noch nie gekommen. Aber es stimmt, wenn das Frauchen aufgepasst hätte, könnte der kleine Hund heute noch am Leben sein. Das stimmt. Es lag gar nicht daran, dass ich mit 80 Stundenkilometern durch eine eng beparkte verkehrsberuhigte Straße gefahren bin. Es lag nicht an mir. Ich bin gar nicht schuld. Hahaa!“

„Wovon haben Sie geträumt, als Sie ein Kind waren? Was haben Sie gerne gemacht?“

„Ich habe gerne mit Knete gespielt.“

„Und was haben Sie geknetet?“

„Kleine Hunde. Meistens eigentlich kleine Hunde. Braun und gelb und blau. Und die schwarzen Knopfaugen habe ich immer extra gerollt.“

„Da habe ich eine gute Nachricht für Sie: Das Tierheim in Rahnsdorf sucht einen tierlieben Hundefänger. Ich kenne zufällig die Leiterin, Frau Behrens recht gut. Wenn Sie wollen, kündige ich Ihre schriftliche Bewerbung noch heute an. Wie heißen Sie denn?“

„Ich…äh…also, das dürfen Sie aber niemandem weitererzählen. Außer Frau Behrens. Ich bin Äidschnt Schall. Emmerich Schall. Und mein Kollege heißt Gregor von Rauch. Äidschnt Schall und Äidschnt Rauch. Falls es im Tierheim noch eine zweite Stelle gibt.“

„Stellen Sie sich vor: Bald schon werden Sie wieder draußen sein.“

„Ja!“

„Sie werden mit 80 Stundenkilometern einem Mastino hinterher düsen, der eingeschläfert werden muss.“

„Jaa!“

„Sie können in wildfremden Badewannen mit halb ausgewachsenen Alligatoren ringen.“

„Ist das geil, Frau Schlunke! Heute ist der glücklichste Tag in meinem Leben, seit dem…“

„Seit dem 19. Mai 2011?“

„Woher wissen Sie das?“

„Der 20. Mai ist mitgemeint.“

coverBerlinNoir_350„Ach so, also dann…“

Klick!

 

„Ahmed!“

„Ja, Commandante Memsahib Schlunke.“

„Das Semtex ist da. Ruf Colonel Schlinke an. Wir fahren in den Baumarkt.“

 

Originaltext für die Lesebühne Brauseboys in Berlin-Wedding, vorgetragen am 13. September 2018.

Rob Alef lebt in Pankow. Zuletzt erschien von ihm die Kurzgeschichte Dog Tag Afternoon in der von Thomas Wörtche herausgegebenen Anthologie Berlin Noir (CulturBooks, Hamburg 2018).

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