
Anders als in der TV-Welt
Zu Tom Ots „Kommissar Mozart – es muss nicht immer Mord sein“
Im österreichischen Graz und Wien lehrt ein in Hamburg und Peking ausgebildeter Mediziner die Kunst der Akupunktur: Nadeln an die richtige Stelle zu setzten, um den Patienten Heilung zu verschaffen. Jetzt hat der chinesisch-maoistisch geschulte Mediziner Tom Ots, 74, seinen ersten Kriminalroman geschrieben – überraschenderweise kommt ein außerparlamentarisch sozialisiertes Senioren-Trio bei seinem Banken-Raubzug ganz ohne Mord und Totschlag aus. Kann das gut gehen? In einer landesüblichen Melange zwischen Stammtisch und Sozialkritik offeriert der Autor und sein Kommissar Mozart eine unterhaltsame, wenn auch nicht ganz schmerzfreie Lektüre nach Karl Valentin: „Gar nicht krank ist auch nicht gesund.“
Wenn das richtige Leben die eigentlich spannenden Krimis schreibt, so hat das Werk einen starken Mitbewerber. Die wahre Geschichte der drei ehemaligen, steckbrieflich gesuchten Mitglieder der Roten Armee Fraktion (RAF), die trotz einem Dutzend Überfälle auf Geldtransporter und Supermärkte immer wieder den hochgerüsteten Ermittler von Bundeskriminalamt und Verfassungsschutz entkommen, ist an Überraschung und Tragik kaum zu überbieten. Im Rentner-Outfit dringen sie am helllichten Tag – und schon weit vor Corona voll maskiert- bevorzugt in regionale Supermärkte, knacken Geldtransporter und bedienen sich aus den immer noch mit echtem Bargeld gut gefüllten Kassen. Dann fahren sie mit gemieteten oder gestohlenen Transporter unter dem Augen von Tatzeugen die Beute als eine Art Selbst – Aufstocker von Hartz IV davon, bevor die Polizei eintrifft. Traurige Nachhut einer revolutionären Bewegung Es könnte der Verdacht aufkommen die Sicherheitsbehörden wollen sie gar nicht dingest machen, so zerstört sich der auf revolutionärer Jugend aufgebaute RAF-Mythos selbst.
Ots kriminelles Personal ist alles andere als traurig oder mittellos. Nach dem raffinierten Überfall auf die „Bank für Graz und Umland“ und der verwirrenden Flucht von echten Tätern und mutmaßlich falschen Geiseln von drei maskierten Männern stößt der Grazer Ermittler namens Mozart über den Abgleich eines Zahnabdrucks in einem zurück gelassenen Apfel auf einen mutmaßlichen Tatbeteiligten. Er macht sich auf zu diesem Dr. Georgis am bayerischen Chiemsee, der einiges zu erzählen hat. Er will als Geißel bei dem Banküberfalls dabei gewesen sein und bei Todesandrohung von den Tätern zum Schweigen verpflichtet worden sein. Jetzt wolle er reden. Eine forensische Auswertung der Videoaufzeichnungen der beteiligten Bankräuber in Monteurskleidung mit Schimpansenmasken widerlegt den Anfangsverdacht, dass auch eine Frau beteiligt gewesen sein. Allerdings zeigt die DNA-Untersuchung des angebissenen Apfels in einer aufgefundenen Täterkleidung, dass Georgis am Tatort war. Die Frage ist nur ob als Geisel oder Täter. Das Trio forderte einen Fluchtwagen mit einer Million Euro in ummarkierten, kleinen Scheinen gegen das Leben von einem Dutzend Geiseln aus der Bank, die brav auf dem Boden liegen.

Doch statt Graz über die leicht zu sichernden Ausfallstrassen Richtung Slowenien oder Deutschland zügig zu verlassen, parkten die Täter das Fluchtauto in der nahen Tiefgarage des führenden Kaufhauses, entledigten sich der Verkleidung und Affenmasken und mischten sich unter die Shoppenden am verkaufsoffenen Abend. Weg war das Geld. Da gerade ein wichtiges Polizeifest mit viel alkoholischen Getränken große Kräfte band (Der Polizeipräsident: „Wieviel Polizisten haben wir überhaupt, die noch fahren können?“) und das Mobile Einsatzkommando der Alpenrepublik zu spät eintrifft, läuft die Fahndung nur schleppend an.

Den drei lebenslustigen Senioren in der Alpenrepublik, allesamt aus der Mediziner-Zunft, arbeiten dagegen nach einem präzisen Plan. Und sie sind erfolgreich mit ihrem Raubzug. Aus dem gemeinsamen Engagement in einer der vielfältigen sogenannten K-Gruppen an der Freien Universität in den Sechzigern in Berlin und den „Revolutionären Zellen“ sind drei respektable Mediziner Biographien geworden. Der eine, Dr. Ende (Alles Ärzte ohne Vornamen), hat seine „Ordination“ heute in einer der besseren Wohnviertel von Graz. In seinem Arbeitszimmer hängt ein Rollbild aus dem alte China. Gegenüber dem Grazer Kommissar mit dem Namen Mozart erzählt er freimütig über seine Studienzeit. „Eine jugendliche Begeisterung, der Wunsch nach einem besseren Leben. Nicht unbedingt besser im Sinne von Wohlstand, sondern von Offenheit, Menschlichkeit, Freiheit, Gleichheit, Frieden“, sagt Ende. In seiner großbürgerlichen Studentenbude in Berlins hing ein Plakat, das den großen Vorsitzenden Mao Zedong mit wehendem Rock am Strand zeigte. „Mao auf Sylt“, wurde es in der WG genannt.
Wie die Alt-Maoisten mit Doktortitel heute über ihren Helden denken wird auch ungeschminkt ausgesprochen in den Dialogen mit dem Kommissar, der in einer ihm ganz fremden Welt seine Ermittlungen führen muss: „Mein Kommunismus stand für Freiheit und nicht für Bespitzelung und letztlich Unterdrückung, sagt Alt-Kader Ende, „sie haben sich alle zu Diktaturen entwickelt. Sie haben alle eine Sicherheits- und Geheimpolizei aufgebaut, die in westlichen Ländern ihresgleichen sucht“. Und auch sein früherer Genosse Dr. Georgis für den zwar „ohne die Achtundsechziger viele gute Dinge nicht passiert“ wären – Vergangenheitsbewältigung, keine Grünen, Klimawandel-Debatte – zieht ein ernüchterndes Resümee: „Und meine ehemaligen Vorbilder, die Chinesen, was machen die? Kaufen sich hier und da ein, vor allen bei den Armen also in Afrika. Doch die haben nichts davon, die Chinesen beuten die Bodenschätze aus. Und wenn sie eine Fabrik aufbauen, arbeiten da nur Chinesen.“

Die Außerparlamentarische Opposition (APO) im Berlin der maoistischen Studenten war dagegen die Plattform ganz verschiedener Gruppen. Gewohnt haben die „Genossen“ in dem damals etwas heruntergekommen großbürgerlichen Charlottenburg. Nach den ellenlangen Sitzungen zur Weltrevolution in den Räumlichkeiten der Evangelischen Studentengemeinde ging es Nächtens an den Savigny-Platz zu Pizza, Bier und Rauchen.
Mit dabei war auch der Jungmediziner Georgis, der auch vor dem Spießertum der eigenen Familie und um dem dem Bundeswehr-Dienst zu entkommen in die damals zwischen Ost und West geteilte Stadt Berlin mit Sonderstatus zog. Das studentischen Weltbild war fest gefügt zwischen den „hässlichen Amerikanern“ im Vietnamkrieg und einen „Kapitalismus, der zu Faschismus führt“. Der bayerische Mediziner engagierte sich für eine Art „Urkommunismus, wie man ihn auch im Christum findet.“ In den damaligen Stadtteilen des so hoch geschätzten Proletariats wie „Kreuzberg oder Wedding“ eröffneten die linken Medizinstudenten sogenannte „Gesundheitsläden.“ All das erfährt der staunende Kommissar Mozart auf seiner erfolglosen Suche nach den Tätern des Banküberfalls.
Der Dritte im Bund ist ein Mediziner in Wien, ein Dr. Hart. Den hatte der deutsche Verfassungsschutz, hinsichtlich der Alt-Revolutionäre offenbar gut sortiert, auf Anfrage von Ermittler Mozart als 68er-Verbindung zu Georgis im Computer. Alle drei damaligen Genossen waren nach eigenen Angaben und zur Tatzeit des Bank-Überfalls auch in Graz bei einem wissenschaftlichen Kongress in der Steiermark anwesend. Doch statt auf die nahe liegenden Fragen des Kommissars einzugehen überzieht ihn der ungemein redefreudige Doktor in einem ungebremsten Wortschwall mit Stammtisch-Weisheiten: warum die westlichen und insbesondere die österreichische Gesellschaft zu Scheitern verurteilt ist; wieso der Gemeinsinn verloren gegangen ist; warum Migranten, (nur in den Parlamenten nicht) überall eingesickert sind bis zu künstliche Löcher in den Jeans, die kein Bewohner im Herstellerland Bangladesch freiwillig in der Hose tragen würde; eine Jugend, die nur noch „von Gags“ auf dem Bildschirm ihrer smartphones zehrt und zu guter letzt Tatoos, deren Menge mit dem Klimawandel steige, da bei wärmeren Sommern mehr Haut gezeigt werde.
So erfährt Kommissar Mozart in diesem Krimi sehr viel über die grantigen Einlassungen des Senioren-Trios und die Weltlage, aber wenig, das ihm eine Lösung des Falls näher bringen würde. Er bleibt dabei etwas blass mit seinen Fragen nach einer Tatbeteiligung am Banküberfall. Geständnisse werden nicht frei Haus geliefert. Auch wenn der Autor Ots offenbar große Sympathie mit dem amerikanischen Serien-Helden Colombo („Mozambo“) zu erkennen gibt, dessen naiv erscheinendes Herangehen an verzwickte Fälle doch meist offenbar geschickte Fassade ist um Täter in Sicherheit zu wiegen. Und dann kommt am Schluss die alles entscheidende Frage, so nebenbei, mit der die Beweise für das Verbrechen von dem Täter frei Haus geliefert werden. Abführen.
Kommissar Mozart agiert so ganz anders, als es in der TV-Welt zwischen Tatort oder Notruf Hafenkante zugeht. Das abendliche Wohnzimmer-Gemetzel mit den vielen Mordopfern, Blut und Tatortreinigern der deutschen Standard-Unterhaltsware war,so Ots, auch ein Grund mal einen Krimi ohne Leichen zu schreiben. Hinzu kommen die genauen Beobachtungen der landestypischen Bewegungsabläufe im Ländervergleich. US-Ermittler führen ihre temporeichen, knappen Dialoge meist beim ebenfalls schnellen Gehen oder besser Laufen durch verwinkelte Gänge. „Deswegen sind die meisten Kriminalen in amerikanischen Filmen auch schlank“. Selbst das Essen wird als fast-food zwischendurch notfalls aus einer braunen Tüte nebenbei erledigt. Die Cops haben keine Zeit.
Bei den deutschen TV-Ermittler dagegen „wird das Essen nur ab und zu durch die Arbeit unterbrochen“. Zudem sei in der Nachbarschaft von deutschen Polizeiwachen eine hohe Dichte an Imbiss-Buden zu verzeichnen. „Meistens essen sie Würstl oder sonst irgendwas Giftiges vom nächsten Kiosk“, urteilt der Ernährungs-medizinisch geschulte Polizeikritiker. Und als filmisches Versatzstück für fast jede Krimiserie empfiehlt er den häufig präsentierte Beginn einer neuen Ermittlung als Versatzstück zu produzieren. „Wie oft wird ein deutscher Kommissar durch das Telefon aus dem jungeselligen oder eheschlafzimmerlichen Schlaf gerissen?“ Dann tastet er „missgelaunt nach dem Telefon“ und muffelt los. „Manch ein Fernsehzuschauer reißt es automatisch zurück, es könnte ja der Mundgeruch aus dem Fernseher herüberwehen.“

Bei Ots wird der Kommissar Mozart zu guter Letzt in den innersten Zirkel der überlebenden 68er eingeführt. Der Banküberfall bleibt unaufgeklärt. Irgendwann dämmert ihm und auch dem Leser, dass der Bankraub in Graz einer moderne Form der Wohltätigkeit dienen soll. Eine heutige Kinderärztin und ehemalige Mitgenossen aus dem Berliner Zirkel der maoistischen Bankräuber bringt es auf den Punkt: „Als wir merkten, dass wir mal Großes vorgehabt hatten“, sagt die nach eigenen Bekunden „enttäuschte Ex-Marxistin“ Dr. Köhler, „kam spontan die Idee auf, etwas Soziales und Verrücktes zu tun“. Und warum dann ausgerechnet Graz? „Na ja, die Lehmanns waren schon Pleite“ und „wollen Sie in einem amerikanischen Gefängnis sitzen?“
Wie bei Robin Wood oder dem Hamburger Piraten Störtebeker soll mit dem schönen Geld den Schwachen der Gesellschaft geholfen werden. In diesen Fall zum Aufbau eines Hospiz für todkranke Kinder in Hamburg. Der Gesundheitssenator der Hansestadt hatte zuvor dem örtlichen Initiator versprochen zu dem aufgebrachten Betrag noch einmal die selbe Summe drauf zu legen. So fließen mehrere Millionen in das Projekt und Kommissar Mozart vergisst ganz seine eigentliche Aufgabe en Bank-Überfall zu lösen.
Wohl wenig wahrscheinlich in der wirklichen Welt der Polizei.
Auf dies Frage, ob er mit dem Komponisten Wolfgang Amadeus verwandt sei ist Mozarts mäßig witzige Standardantwort: „Ja, aber nicht mit den Kugeln.“
Da kann allerdings so nicht stimmen, da die letzten direkte Nachkommen des Komponisten, zwei Söhne Carl Thomas und Franz-Xaver, Endes des 18.Jahrhunderts kinderlos verstarben
Krimis ohne Tote sind halt eine literarische Herausforderung.
Sebastian Knauer
Tom Ots: Kommissar Mozart. Es muss nicht immer Mord sein. Kiener-Verlag, München 2021. 255 Seiten, 18 Euro.