Geschrieben am 14. April 2012 von für Crimemag

Rosa Ribas/Sabine Hofmann: Arbeitsjournal (VI)

„Dieses Kapitel gehört mir!“ –  Zu zweit schreiben/ escribir a cuatro manos

Wie machen es die anderen?

Als wir angefangen haben, zu schreiben, haben wir natürlich den einen oder anderen Blick nach rechts und links geworfen. Wie schreibt man zu zweit?

Die Möglichkeiten sind zahlreich:

Der eine denkt sich eine Geschichte aus und entwickelt die Handlung, der andere denkt sich die Personen aus und schreibt die einzelnen Kapitel. So haben es die Franzosen Pierre Boileau und Thomas Narcejac gemacht.

Man teilt den Text auf: Der eine schreibt die ungeraden, die andere die geraden Kapitel. Für dieses strikt formalistische Verfahren haben sich die Schweden Maj Sjöwall und Per Wahllöö  entschieden. Maj Sjöwall erzählte vor einigen Jahren in ihrem Vortrag auf der BCNegra, den Barceloneser Krimitagen, davon.

Oder man schreibt gleichzeitig, in einem Affenzahn und mit vagen Absprachen, wie es Pierre Souvestre und Marcel Allain machten, als sie vor gut hundert Jahren ihre Fantomas-Roman schrieben und veröffentlichten.

Wie haben wir es gemacht?

Wir wollten beide alles machen: planen, schreiben, überarbeiten. Also haben wir – gut organisiert wie wir sind – mit dem ersten Schritt angefangen. Wir haben uns die Handlung gemeinsam ausgedacht: Wer? Wen? Warum?  – und so weiter.

Und vielleicht noch wichtiger: Wozu führt ein Mord? Zu Ermittlungen, natürlich. Darüber hinaus bringt er Unruhe. Personen reagieren darauf, ihre Handlungen bringen wieder andere Handlungen ins Rollen. Dominosteine, die nacheinander kippen. Entsprechend mussten wir ein Gefüge entwerfen, dessen Elemente infolge des Mordes ihre Bewegungsrichtung ändern, manche stärker, andere schwächer.

Schließlich dann das Ende: Was wird gelöst? Was kann nicht gelöst werden, weil die Welt des Romans so ist, wie sie ist? Was muss unbedingt gelöst werden, damit der  Kriminalroman noch ein Kriminalroman ist?

Danach gelangten wir an einen kritischen Punkt: Was wir uns am Reißbrett ausgedacht hatten, musste auch beim Schreiben noch halten. Der wunderbarste Plan, der viele Stunden Diskussion, viele Kilo Konzeptpapier und viele Liter Kaffee gekostet hat, kann sich in seine Einzelteile auflösen, wenn es tatsächlich ans Schreiben geht. Sei es, weil er schlichtweg nicht funktioniert, sei es, weil beim Schreiben neue und bessere Ideen auftauchen.

Was haben wir in diesen Fällen gemacht? Wer die einschlägigen Handbücher über interkulturelle Kommunikation und unterschiedliche Arbeitsstile kennt, wer vielleicht auch nur über einige solide Vorurteile in dieser Hinsicht verfügt, wird sagen: „Die Deutsche beharrt auf dem Plan, denn ein Plan ist ein Plan und hat viel Mühe gekostet. Die Spanierin fängt an zu improvisieren, denn der beste Plan ist immer derjenige, der einem gerade eingefallen ist.”

Aber nein. So einfach liegen die Dinge natürlich nicht. Wer sich in eine bestimmte Idee verliebt hat, wer sie mit Zähnen und Klauen verteidigt hat – das behalten wir für uns. Jedes Kapitel hat in dieser Hinsicht seine eigene Geschichte. Manchmal mussten wir auch nach vielen Umwegen wieder zu unserer ursprünglichen Idee zurückkehren, weil die neue, so wundervolle und großartige Idee sich als Rohrkrepierer erwies.

Falls also irgendjemand geglaubt haben sollte, dass es den perfekten, a priori entwickelten Schreibplan gibt, dem man einfach nur folgen muss, dem kann man nur erwidern: Irrtum. Glücklicherweise. Das Gegenteil wäre vermutlich sterbenslangweilig. Denn wer will schon etwas schreiben, das er längst kennt?

Wer schreibt was?

Wir haben die Kapitel unter uns aufgeteilt, sodass jede eine Zeitlang unabhängig von der anderen daran arbeiten konnte. Das mag daran liegen, dass wir an zwei weit voneinander entfernt liegenden Orten leben und uns nicht jeden Tag über die gro­ßen und kleinen Fragen unseres Schreibprojekts austauschen können.

Unsere Geschichte wird aus den Blickwinkeln verschiedener Protagonisten erzählt, die in unregelmäßigem Abstand in den einzelnen Kapiteln zu Wort kommen. Jede von uns hat zwei oder drei Figuren mit ihren jeweiligen Perspektiven und damit die entsprechenden Kapitel übernommen. Ungefähr in der Mitte des Romans haben wir für ein Kapitel die Protagonisten getauscht. Aus Neugierde, aus Lust am Wechsel, aber auch um zu sehen, wie die Figuren funktionieren.

Einige der Kapitel ließen sich nicht ohne Weiteres verteilen, weil beide Protagonistinnen darin vorkommen oder keine von beiden. Unter diesen gab es welche, die wir beide sehr mochten – weil eine unserer besten Ideen darin erscheint, weil das Szenarium uns beiden gefiel, weil dort eine Nebenfigur auftritt, die wir besonders geliebt oder gehasst haben. Manchmal haben wir verhandelt. In einem Fall führten auch harte Verhandlungen zu keinem Ergebnis. Wir mussten also losen. (Der geneigte Leser, die geneigte Leserin dürfen, sobald der Roman erschienen ist, gerne raten, um welches Kapitel es sich handelt.)

Rosa Ribas/Sabine Hofmann

Für das Titel-Foto haben wir Gustavo Pérez-Rodríguez Terminel zu danken.

Wer mehr über Autorenduos wissen möchte, kann hier weiterlesen. Michel Lafon y Benoît Peeters (2006): Nous est un autre. Paris: Flammarion.

Zur Homepage von Rosa Ribas. Zur spanischen Fassung: Illegir en cas d’incendi.

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