Geschrieben am 25. Februar 2012 von für Crimemag

Rosa Ribas/Sabine Hofmann: Arbeitsjournal (III)

Diario 3: Grau/Gris

– Welche Farbe hat die Nachkriegszeit? Wir sind uns sofort einig: Nachkriegszeiten sind grau. Das gilt für die deutsche ebenso wie für die spanische. Zwei Unterschiede springen allerdings sofort ins Auge: In Spanien ist die Nachkriegszeit die Zeit einer Diktatur. Und: Die spanische Nachkriegszeit dauert wesentlich länger, sie beginnt 1939 nach dem Bürgerkrieg und endet Mitte der 50er Jahre.

In dieser langen Zeitspanne verändert sich – langsam, langsam – die Schattierung. Sind in Spanien die 40er Jahre fast genauso schwarz wie die drei Jahre des Bürgerkrieges, sind die fünfziger Jahre eher  mausgrau: Die katastrophalen Hungersnöte sind vorbei, aber es gibt immer noch Hunger, Lebensmittelkarten und den Schwarzmarkt. Politische Unterdrückung und Angst sind allgegenwärtig und in der Presse erscheinen täglich die Listen mit den Namen der zum Tode Verurteilten.

Unser Roman spielt im Jahr 1952.  Wie kommt man auf den Zeitraum, in dem ein Kriminalroman spielen soll?

Wir blättern in unseren Heften. Dort haben wir verschiedene Szenarien notiert –  Berlin in den 20er Jahren, Barcelona oder Madrid  in den 30ern. Schließlich einigten wir uns auf Barcelona, 1952. Warum das Jahr 1952?

In diesem Jahr wird dort der Eucharistische Kongress gefeiert, das erste internationale Großereignis im franquistischen Spanien. Der kirchliche Kongress, zu dem katholische Würdenträger aus aller Welt einreisen, ist so eine Art erste internationale Anerkennung des Franko-Regimes, das nach dem 2. Weltkrieg außenpolitisch isoliert gewesen ist. Dass dieses pompöse Ereignis ausgerechnet in Barcelona gefeiert wird, ist innenpolitisch ein klares Signal. Es soll ganz Spanien verkünden, dass auch die katalanische Hauptstadt – während des Bürgerkriegs auf Seiten der Republik – endgültig und vollkommen unterworfen ist.

Die meisten werden den Text des Sprechers nicht verstehen können, aber die Bilder des Wochenschauberichts geben einen anschaulichen Eindruck der herrschenden Atmosphäre.

Für uns war der Kongress ein markantes Ereignis, in dem verschiedene Aspekte der Epoche – der omnipräsente erzkonservative Katholizismus, die aufgeblähte Propaganda, die Selbstbeweihräucherung des Regimes, aber auch die Öffnung nach außen –  gebündelt sind.

Darüber hinaus hat es uns die Farbe Grau angetan. Die 50er Jahre in Spanien sind eine seltsame Zeit, eine Zeit des Umbruchs und Starre zugleich. Es gibt die ersten Proteste gegen die schlechten Lebensbedingungen; 1951 boykottiert die Barceloneser Bevökerung die öffentlichen Verkehrsmittel, um sich gegen eine exorbitante Preiserhöhung zu wehren; der Boykott mündet in einen Generalstreik, mit dem die Menschen vor allem gegen die  erdrückenden wirtschaftlichen Verhältnisse – ständige Preissteigerungen bei sinkenden Löhnen –  protestieren. Die Falange, die faschistische Partei, verliert in den 50er Jahren an Einfluss, innerhalb des Regimes gibt es Spannungen und Richtungskämpfe. Im Verlauf des Jahrzehnts bildet Franko zwei Mal die Regierung um. Die Technokraten des Opus Dei erscheinen auf der politischen Bühne, sie treten für eine Liberalisierung der Wirtschaft ein –  neoliberale Modernisierer, die einen Büßergürtel unter dem Anzug tragen. Es ist eine Zeit der sozialen und politischen Konflikte, der Machenschaften und der Intrigen.

Vieles bleibt jedoch beim Alten: Franco hat nicht vor, die Macht abzugeben, von einer politischen oder sozialen Liberalisierung ist wenig zu spüren. Der Nationalkatholizismus liefert die offizielle moralische Doktrin, von Kanzeln, Rednerpulten und den Kathedern der Schulen und Universitäten wird sie gepredigt. Doch charakteristisch für die Zeit ist eine moralische Zweigleisigkeit, man geht von der Kirche ins Bordell oder von der Parteiversammlung ins Meublé. Bis in die Mitte der 50er Jahre sind Bordelle legal und staatlich reglementiert. Meublés hingegen sind Treffpunkte für heimliche Paare, legendär ist eines von ihnen: „La casita blanca“.

Graue Zeiten also, Zeiten der kleinen hässlichen Kompromisse, des Sich-Arrangierens, der Doppelmoral. Und bestimmt keine Zeit, in der das Gute strahlend über das Böse siegt und durch die Aufklärung eines Verbrechens die Gerechtigkeit und Ordnung wieder hergestellt wird. Auch nicht für einen kurzen, prekären Moment.

Sabine

Hier ist noch nicht einmal Platz für einen Privatdetektiv mit einer kaputten Leber, der sich am Ende der Geschichte, den Blick melancholisch auf die Korruptheit seiner Gesellschaft richtet, verhalten darüber freut, wenigstens für einen Augenblick  für zwei oder drei Personen für Gerechtigkeit gesorgt zu haben.

Ein weiterer Grund für die Wahl des Zeitraums – vielleicht sogar der gewichtigste – sind unsere Protagonistinnen. Wir wollten unsere Protagonisten nicht in der Gegenwart platzieren, wo ihre Nachforschungen und ihr alltägliches Leben wesentlich einfacher gewesen wären. Einfacher und auch, da vertrauter, langweiliger. Andererseits wollten wir nicht zu weit in die  Vergangenheit zurückgehen, denn damit hätten wir zwei Protagonistinnen bekommen, die als Frauen ihrer Zeit weit voraus waren.

Rosa

Ich hasse einen bestimmten Typ von „Frauenromane“, in denen völlig anachronistische weibliche Figuren agieren, die sich im Mittelalter oder im 18. Jahrhundert verhalten wie eine Frau des 20. oder 21. Jahrhunderts. Sie sind selbstverständlich klüger als jeder Mann, der in dem Roman vorkommt, von der moralischen Überlegenheit gar nicht zu reden.

Also die 50er Jahre. Der Bürgerkrieg und die Franco-Diktatur zerstörten das Leben und die Karriere vieler Frauen, die vor allem in den großen Städten angefangen hatten, in den Berufen zu arbeiten, die bis dato reine Männerdomänen gewesen waren. 1931, während der zweiten  Republik bekamen sie zum ersten Mal in Spanien das Wahlrecht.

Nach dem Krieg schickte das Regime die Frauen an den Herd zurück. Die Verbreitung der entsprechenden Ideologie erledigten Schule, Kirche und die Sección Femenina. An der Spitze dieser franquistischen Frauenorganisation stand Pilar Primo de Rivera, die Schwester des Falange-Gründers José Antonio Primo de Rivera. Für viele in Spanien wäre sie übrigens die ideale Frau für Adolf Hitler gewesen.

Das ist der Rahmen, in dem unsere Protagonistinnen agieren. Die eine ist Beatriz, deren akademische Karriere durch den Krieg beendet worden ist, die andere Chelo, deren journalistische Ambitionen sich nicht entfalten können. Beide haben ihre Strategien, sich eigene Handlungsspielräume zu eröffnen, allerdings stoßen sie dabei immer wieder auf enge Grenzen. Und als sie in ein Verbrechen verwickelt werden, kämpfen sie nur noch ums eigene Leben. In einer grauen Zeit.

Rosa Ribas und Sabine Hofmann

Zur Hompage von Rosa Ribas. Zur spanischen Fassung: Illegir en cas d’incendi.

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