Geschrieben am 1. April 2019 von für Crimemag, CrimeMag April 2019

Robert Brack skizziert Victor Headley

„Dead fe not´ing“

Nachwort zu Victor Headleys „Exce$$“ – von Robert Brack

„Damals habe ich immer mit einer 9mm-Pistole unterm Kopfkissen geschlafen – für alle Fälle“, erzählt Victor Headley. Damals, das war, bevor er Schriftsteller wurde, bevor er im jamaikanischen Knast landete, wo er seinen ersten Roman beginnen konnte: „Sie konnten mir nichts nachweisen. Also mußten sie mich nach ein paar Monaten wieder rauslassen. Inzwischen liegen diese schlechten Zeiten hinter mir.“ Mit seinem ersten Roman „YaRDiE“ wurde der Kleinganove zum engagierten Autor – und der orientierungslose Underdog zum Rasta, der sich um die Zukunft seines Volkes sorgt. Ein bißchen erinnert das an Bob Marley, der vom „Schweißer“ (wie sich die jamaikanischen Zuhälter nannten) zum spirituellen Botschafter des Rastafari wurde. Doch Victor Headley ist kein Prediger. Ihm geht es zunächst einmal darum, das zerstörerischen Leben mit Pistole und Crack-Pfeife zu schildern: „Ich beschreibe die Dinge nur, wie sie sind.“ Hart und kompromißlos, ohne Wehleidigkeiten und verlogenen Pathos.

Seine Bücher werden gelesen, verschlungen von Leuten, die sich darin wiedererkennen. Das unterscheidet den Schriftsteller Victor Headley von seinen gebildeten Kollegen wie Caryl Phillips, Ben Okri und Mike Phillips. Die sind ihm vielleicht stilistisch überlegen, aber ihnen fehlt die Authentizität: „Diese Schwarzen faseln auf höchstem Niveau über uns, aber sie leben nicht direkt neben einem Crack-House oder sind Alleinerziehende. Sie gehen nach Hause zu ihren weißen Lebensgefährten in der Vorstadt und haben keine Ahnung von dem, was hier los ist.“ Kein Wunder, daß es nicht den feingesponnenen Kunstwerken, sondern dem rohen, anti-literarischen Erstlingsroman von Victor Headley vergönnt war, zum Bestseller zu werden.

Der Yardie als Erfolgsautor: Nun fährt er, wie einst Bob Marley in Kingston, einen BMW. Statussymbole sind wichtige in der Welt der jamaikanischen Einwanderer. Headleys Protagonist D. sucht sich einen Mercedes aus, nachdem er als Drogendealer in London in kurzer Zeit reich geworden ist. Man fährt deutsch, spricht den jamaikanischen Patois-Slang, kifft sich die Birne zu, betet die Sound-System-DJs an und behandelt Frauen wie den letzten Dreck – so sieht das Leben in der Gangster-Subkultur im von sozialen Spannungen geplagten südlichen London aus, von dem Headley in mittlerweile drei Romanen berichtet.

Nicht mal die Metropolitan Police kannte diese Szene besonders gut. Weshalb Headleys Debüt-Roman kurzerhand zur Schulungslektüre der Londoner Polizei avancierte. „YaRDiE“ verkaufte sich in kürzester Zeit über 12.000mal obwohl das Buch zunächst gar nicht im regulären Buchhandel zu bekommen war. Es erschien in dem kleinen Verlag X Press, der eigens zur Publikation von Literatur schwarzer Einwanderer ins Leben gerufen wurde. Steve Pope und Dotun Adebayo, die Verlagsgründer, haben die ersten Exemplare in Brixton von einer umgedrehten Mülltonne aus an Passanten verkauft. „YaRDiE“ wurde ein Hit, ohne daß mehr Werbung gemacht wurde außer Flugblattverteilen und Plakatekleben in den Schallplatten- und Friseurläden von Brixton und Ladbroke Grove. Dann kaufte Pan Books die Taschenbuchrechte, und inzwischen hat sich die BBC die Filmrechte gesichert, um einen TV-Thriller daraus zu machen.

Auch wenn Headley sich dessen vielleicht nicht bewußt war, als er die Geschichte schrieb: Mit „YaRDiE“ steht er in der Tradition schwarzer Ghettoschreiber, die es bislang hauptsächlich in den USA gab. Am bekanntesten wurde der Afroamerikaner Donald Goines, der ebenfalls im Knast zu schreiben begann und zwei Jahrzehnte nach seinem gewaltsamen Tod (neben dem legendären Iceberg Slim) der meistgelesene schwarze US-Autor ist, vor allem in den Gefängnisbibliotheken. Victor Headley ist ein ähnliches Phänomen. Seine Geschichten werden von denen gelesen, die darin vorkommen. So etwas passiert in der Literatur selten genug. Im Fall der jamaikanischen Einwanderer liegt es sicherlich auch daran, daß ausgerechnet das vermeintlich antiquierte Medium Buch ihnen die Möglichkeit bietet, sich ihre Geschichte in ihrer eigenen Sprache erzählen zu lassen.

Ein Weißer steht da natürlich vor einem Problem. In Headleys Romanen sind sämtliche Dialoge in Patois gehalten. Wie diese Sprache funktioniert beschreibt der Übersetzer Jürgen Bürger im Vorwort zur deutschen Ausgabe von „YaRDiE“ (rororo-thriller 3159): „Man nimmt sich die Freiheit, mit Worten (aus politics wird politricks) und Vokalen zu spielen (vor allem das ‚a‘ scheint es den Jamaikanern angetan zu haben – aus man wird mon aus einem garden ein gyarden oder gar ein gordon, aus einem can ein cyan usw.) und Buchstaben munter auszutauschen (so wird aus little schnell likkle).“ – Siehe auch nebenan das komplette Vorwort von Jürgen Bürger und das erste Kapitel von „Yardie“ in dieser CrimeMag-Ausgabe – d. Red.

Die normalen Erzählpassagen sind allerdings in gängiger Umgangssprache gehalten, sonst wäre die Geschichte für Außenstehende wohl kaum lesbar. In der deutschen Übersetzung ist es Jürgen Bürger gelungen, die absurde, aber irgendwie doch logische Grammatik des Patois in eine Art proletarische Kunstsprache zu übertragen. Das wirkt auf den unbedarften Leser im ersten Moment ziemlich grotesk, hat aber Methode. Man gewöhnt sich an diesen deutschen Kunstdialekt ebenso schnell wie an die Originaldialoge, die dem Engländer genauso seltsam vorkommen müssen. Und so wird aus: „Too many youths dead fe not’ing. Is like dem cyan wait fe kill someone. Any lickle t’ing, dem lick shot“ ganz konsequent: „Zu viele Jugendliche stäabn füa nichts. Als ob sies ganich eawatn könntn, iagendwen umzulegn. Füa jede Kleinigkait weadn sie easchossn.“ Der Leser muß sich nur an den Rhythmus gewöhnen, dann liest es sich wie von selbst.

In temporeichen Szenen erzählt „YaRDiE“ auf knapp 190 Seiten, wie einfach es ist, vom Drogenkurier zum Ghettoboss zu avancieren, wenn man es clever genug anstellt. Mit einem Päckchen Kokain im Koffer kommt D. in England an, mogelt sich mit falschem Paß an den Beamten der Einwanderungsbehörde vorbei, wird von den „Soldaten“ des Ghettobosses in Empfang genommen und entwischt ihnen samt Rauschgift, um seinen eigenen Laden aufzumachen.

Was dann geschieht, ist nur konsequent, denn D. hat sich einen wirkungsvollen Plan zurechtgelegt: Er schart eine Gang um sich, erobert nach und nach das Territorium von Blue, seinem Feind und Konkurrenten, bis nach dem Durchspielen aller archaischen Rituale – vom drohenden Herumfuchteln mit der Uzi bis zur Vergewaltigung der Freundin des Widersachers – endlich jene Katastrophe naht, auf die alle Gangster-Dramen zwansläufig zusteuern müssen: der totale Bandenkrieg mit vielen sinnlosen Toten auf allen Seiten.

Doch „YaRDiE“ ist nicht irgendeine Gangsterstory mit durchsichtiger Dramaturgie. Wirklich spannend wird diese Geschichte durch ihre vielen authentischen Details: die Sprache, die genaue Darstellung der Dumpfheit der jamaikanischen Machos und der traurigen Situation der geschwängerten und verlassenen Frauen, das Porträt eines weisen Rastas, die Orientierungslosigkeit der Raggamuffins und so weiter. Das alles verbindet sich im Rahmen dieser logischerweise wenig sensiblen Gangster novel zum geschlossenen Bild einer Subkultur, deren Regelwerk kein Außenstehender durchschauen kann.

In seinem zweiten Buch konzentriert Headley sich auf die Stärken seines Erstlings und bemüht sich banale Wiederholungen im Aufbau der Story zu vermeiden: „Mein Verleger“, so der Autor, „wollte eine Art ‚Yardie 2‘, aber ‚Exce$$‘ führt von der Straße in die Häuser. Ich habe es den schwarzen Frauen gewidmet. Natürlich kann ich nicht wirklich wie eine Frau denken, aber ich versuche, mich in sie hineinzuversetzen. Die Frauen sind die Grundlage jeder Kultur. Die schwarze Kultur ist besonders matriarchalisch.“ Nachdem er für seinen Erstling 15 Monate gebraucht hatte und er nach dem Erfolg mehr und mehr von den Medien in Beschlag genommen wurde, entschloß sich Victor Headley, ausgestattet mit einem Vorschuß seines Verlegers, zur Flucht nach Jamaica, um die Fortsetzung der Geschichte von D. in Angriff zu nehmen. Wieder zurück, verschanzte er sich in einem Landhaus in den Midlands und beendete das Manuskript.

„Exce$$“ setzt ein, als D. von seinem jamaikanischen Exil zurück nach London kommt, betrachtet den kriminellen Yardie-Underground jedoch mit anderen Augen. Nun kommen subkulturelle Formen und Rituale zum Zug, deren positive Energie im ersten Buch nur am Rande zu spüren waren. Headleys Anliegen ist, dieser positiven Energie der anglo-karibischen Kultur, die sich beispielsweise bei den „Soundclash“-Parties oder der Spiritualität der Rastas äußert, der Destruktion der Drogen-Szene entgegenzustellen: „Es geht mir darum, klarzumachen, daß wir unheimlich viel menschliches Potential unnötigerweise verschleudern. Die anderen denken, daß wir geborene Kriminelle sind. Das stimmt nicht.“

Nicht nur thematisch, sondern auch in der Erzählstruktur vermeidet Headley eine Wiederholung. „Exce$$“ ist wesentlich differenzierter angelegt. Nicht Action, sondern Charakterzeichnung und genaue Milieubeschreibungen stehen jetzt im Vordergrund. Aber die Lebendigkeit der Erzählung und der direkte, authentische Stil sind geblieben. Vom schreibenden Yardie hat Headley sich zum verantwortungsvollen Chronisten seiner Volksgruppe weiterentwickelt. Inzwischen sieht er es gar nicht mehr gerne, wenn man ein altes Foto von ihm, worauf er mit Pistole zu sehen ist, veröffentlicht. Er mag es nicht, daß man ihm Gewalt- und Drogenverherrlichung vorwirft. Mittlerweile macht er sich Sorgen über die Verwahrlosung bestimmter Londoner Stadtteile, wo jamaikanische Jugend-Gangs dabei sind, die Macht zu übernehmen. Manche Straßen, so fürchtet er, sind bereits zu „no-go-zones“ geworden, wo sich nicht einmal die Polizei mehr hintraut. Die Polizei dementiert: London wird nicht zu einem zweiten L.A. – aber die Zeitungen sind voll mit gegenteiligen Meldungen.

Auf Victor Headleys Bücher jedenfalls trifft zu, was man von guten Thrillern oder „Black novels“ erwarten darf: Sie werden vom Leben geschrieben, sie sind nicht „p.c.“, sondern wahr, sie führen den Leser mitten hinein ins Herz einer Gesellschaft, deren moralische Grundlagen sich auflösen. Aber, und das kommt hinzu, sie zeigen auch Auswege aus dem Elend: das Wiederfinden von „respect“ gegenüber anderen und bei sich selbst.

Robert Brack
– mit freundlicher Genehmigung des Autors. Der Text erschien 1995 als Nachwort zur deutschen Ausgabe von „Exzess“ (rororo Taschenbuch).
Robert Brack bei CrimeMag hier.

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