Plötzlich ist mein Macchiato Asche
Textauszug, genauer: der Anfang von
Aidan Truhen: Fuck you yery much (The Price You Pay, 2018). Thriller. Aus dem Englischen von Andrea Stumpf und Sven Koch. Herausgegeben von Thomas Wörtche. Suhrkamp Verlag, Berlin 2018. Klappenbroschur, 349 Seiten, 14,95 Euro.
Das hier bin ich, bevor alles losgeht.
Ich bin es, der aus meiner Wohnung tritt und durch den Gang zum Lift geht und leise ein Liedchen vor sich hin singt. Nein, ich hab keine Ahnung, welches, falls wer fragt.
Und das hier bin ich im Aufzug, nur singe ich jetzt nicht mehr, weil: Fahrstuhlmusik reicht. Ich bin’s, der den Knopf drückt, in der Hand meine High-End-Schnabeltasse-to-go mit handgepflücktem biodynamischem Honig-Meersalz-Roibuschtee drin. Alles trallala, alles wie immer, mein normaler Tagesbeginn.
Auch der Aufzug macht ganz normal sein Ding mit dem Blink, sollen wir die Tür zumachen oder tun wir so, als stünde da noch dieser Fettberg in der Türöffnung, dem wir nicht den Arsch abzwicken wollen. Okay, dann respektieren wir heute mal seine persönliche Steißsphäre und drücken nicht auf den Türe-schließen-Knopf, sondern trödeln unnütz rum. Trödeldidelda trödeldideldum, aber gut. Alles ist gut. Sogar diese Fahrstuhlmusik ist nicht nur schrecklich. Jetzt macht die Tür auch klonk klonk, der Gespensterklops ist endlich weg, und wir rauschen nach unten. Achtzehn Stockwerke, und weil vormittags niemand das Gebäude verlässt, bin ich um diese Zeit meist allein und fahre nur mit mir und diesem südkalifornischen Nasenflöteninstrumentalcalypso bis ganz hinunter.
Ich bin’s also, der diesen handgepflückten biodynamischen Honig-Meersalz-Roibuschtee schlürft und dessen nussige Fülle und den dezenten Delphinspermageschmack genießt, als dieser Aufzug mit seinem Gepinge schon im nächsten Stockwerk hält. Und jetzt bin ich es, der dem Unerwarteten freudig entgegensieht und sich auf ein unverhofftes Glück einstellt.
Ping.
Sämtliche Cops dieses Scheißuniversums stehen auf der siebzehnten Etage herum, und dazu zwei Typen in Raumanzügen von der Spurensicherung. Und da ist Leo, mein Lieblingsbulle, was nur bedeuten kann, dass jemand gestorben ist. In meinem Haus. In meinem Haus, genau unter meiner Wohnung. In meinem Haus, genau unter meiner Wohnung und auf eine Art und Weise, wegen der sämtliche Cops dieses Scheißuniversums zuzüglich Leo angerückt sind, und das heißt, dass in meinem Haus genau unter meiner Wohnung der Tod gewaltsam und vorsätzlich herbeigeführt wurde. Das kann man natürlich nicht einfach ignorieren.
Die Bullen schauen mich an. Ich schaue zurück. Allerdings bin ich nicht im Geringsten schaulustig. Ich warte nur auf das Bye-Bye-Ping.
Einen Moment, bitte, Sir!
Okay, klar, Officer. Hi. Hallo, Leo.
Oh, Sir, Sie kennen diesen Mann, Sir?
Hi, Jack. Ja, Officer, ich kenne ihn.
Leo, was ist denn los?
Wohnt unter dir eine alte Lady namens Desdemona? Scheiße. Welche Desdemona?
Na, die so heißt.
Desdemona?
Genau die.
Didi?
Didi?
Die heißt Didi.
Sie ist tot.
Ja, das hab ich schon kapiert. Und zugegeben, ich fand sie schrecklich, aber nicht so schrecklich, dass man sie gleich umbringen müsste.
Hast du letzte Nacht irgendwas gehört, Jack? Nö.
Hm.
Waren die echt hinter Didi her?
Wer weiß das schon, Mann, aber sie haben sie definitiv erledigt.
Ich gucke Leo an. Leo guckt mich an. Ich: Ich komm nachher vorbei, Leo, zum Unterschreiben meiner Aussage. Leo sagt, er saugt sich schon was aus den Fingern. Jetzt guckt der Frischling neben ihm verdutzt, aber anscheinend machen wir nur Witzchen, tiefrabenschwarze Witzchen. Natürlich würde Leo so was nicht im Traum einfallen, und ich als rechtschaffener Bürger würde meinen Kumpel auch nie um so was bitten.
Bye-Bye-Ping.
Didi ist tot.
Die restliche Fahrt starre ich meine High-End-Schnabeltasse-to-go an. Unten lass ich sie in einer Aufzugecke stehen. Dieses Scheißdelphinsperma bringt mich jetzt nicht weiter.
Jetzt bin ich also hier und bestell mir einen Latte macchiato. Didi ist tot. Das ist traurig. Aber noch schlimmer ist: Es nervt. Sie war alt, und rein statistisch hatte sie nicht mehr lange, aber wie’s aussieht, wollte jemand nicht darauf warten. Warum? Wie ich schon zu Leo gesagt habe, war Didi eine ekelhafte Person, und sie hatte Spaß dran, ekelhaft zu sein. In der Stadt laufen jedoch Millionen solcher Leute rum, und eine erstaunlich große Zahl von denen kommt damit durch den Tag, ohne dass ihnen jemand die Rübe wegballert.
Die ganze Sache ist einfach ungut: Sie ist schlecht fürs Geschäft und schlecht für die Immobilienpreise, schlecht fürs Vertrauen in Polizei und Justiz, und all das führt zu blöden Fragen und Nachfragen. Dabei will ich doch einfach mein Leben leben und Geld verdienen, ganz normal halt – und Scheiße, wer braucht so einen Mist überhaupt? Deswegen will ich zu meiner Überraschung jetzt Kaffee. Den ersten Kaffee seit langer, langer Zeit.
Der Typ hinter der Bar heißt Mike. Er ist kein Barista, er arbeitet nur hinter der Bar, und nicht weil er’s authentisch findet oder weil er Kaffee liebt, sondern weil er ́78 jemand ins Knie geschossen hat und Stellenangebote für ihn danach eher rar wurden. Aber meinen Macchiato macht er, wie sich’s gehört, mit verschiedenen Schichten: Milch, Espresso, Schaum. Hell, dunkel, weiß.
Am Kaffee erkennt man den Menschen. Alles, was man über andere wissen muss, erfährt man durch den Kaffee, den sie trinken. Ich zum Beispiel trinke Macchiato. Warum? Weil er der schlichten Freude entspricht, nackt über ein Feld zu laufen. Weiß jemand, wer statistisch gesehen überdurchschnittlich oft bitteren Kaffee trinkt? Psychopathen. Es ist wissenschaftlich erwiesen, dass sie bittere Nahrungsmittel bevorzugen. Ich dagegen finde, Bitterkeit hat überhaupt keinen tieferen Sinn.
Nein, nein, kein Schokoladenpulver. Danke, Mike, aber es gibt auch Grenzen.
Ja, ich hab gesagt, er hat auf jemand geschossen. Ins Knie. Es war nicht in Reno, und wenn man bedenkt, wohin er gezielt hat, wollte er auch niemand sterben sehen. Er hat’s gemacht, um seinem Ärger über den Typen Luft zu machen, der ihm die Angel klauen wollte. Eine teure Angel, weil Mike damals der Lokalfernsehstar im Fliegenfischen war und sich von seinem ersten Gehalt eine erstklassige, superreduzierte Ausrüstung gekauft hatte. Danach hätte er einen Sponsorenvertrag kriegen sollen, aber dann kommt dieser Affenarsch und fuchtelt ihm mit einem Messer vor der Nase rum – na ja, nicht direkt vor der Nase, aber doch nah genug, dass Mike es nicht missverstehen konnte. Tja, und dann ging’s los.
Mike Sunby – das ist sein vollständiger Name – nahm dem anderen das Messer ab und warf es weg. Aber leider hat er’s nicht gut sein lassen, und weil er zufälligerweise eine 38er zur Hand hatte, hat er dem Typen die Kniescheiben amputiert. Der Richter meinte, dass scheißwütend sein nicht mehr unter Notwehr fällt.
Der Richter hat wirklich SCHEISSwütend gesagt, weil das ja in den 70ern war.
Danach landete Mike hinter der Bar und war kein richtiger Fernsehstar mehr, weil Fliegenfischen letztlich doch eher was für Kleinbürger ist und gar nicht mal so entspannt, jedenfalls was den Schusswaffengebrauch angeht.
Ich schlürfe an meinem Macchiato.
Sunby sagt: Das hat seit ’00 kein Mensch mehr bestellt. Na ja, Didi ist tot, sie wurde regelgerecht hingerichtet, da kann man schon mal eine Gedenkminute einlegen, und ich muss sowieso nachdenken. Aber das sag ich nicht zu Mike.
Stattdessen sage ich: Ich hab ja seit ’00 auch keinen Kaffee getrunken. Was aber gelogen ist. Ich hab seit ’01 keinen mehr getrunken. Zwischen ’94 und ’01 war ich Kaffeejunkie und hatte auch beruflich mit Kaffee zu tun. Ich habe international mit Kaffee gehandelt und ihn in allen Lebenslagen getrunken und nur mit Frauen geschlafen, die danach geschmeckt haben. Mein Parfüm roch nach Vetiver und schwarzem Kaffee, ich trug nur Kleidung in Kaffeetönen. Ich war der Herrscher über den Kaffee. Mich hat nur niemand Kaffeekönig genannt, weil damals jeder im Business einer war. Es gab so viele Kaffeekönige, dass es für ein Footballteam gereicht hätte. Für zwei Teams aus teigigen Büroärschen mit ersten Herzproblemen und unschönem Sexleben. Ich war der Kardinal. Nicht der Kaffeekardinal, das verstand sich von selbst. Man sagte nur, man hat einen Termin mit dem Kardinal oder der Kardinal hält das Zeug für den heißesten Scheiß – oder nur für Scheiß oder sonst was –, und die Leute wussten, wer gemeint war. Wenn sie irgendwas im Kaffeebusiness waren, dann wussten sie’s. Alle sogenannten Kaffeekönige haben mir den Kardinalsring geküsst.
Eines Herbsts war ich dann in London, und ein Freund rief von seinem Büro aus an und sagte: Kann es sein, dass gerade ein Flieger in mein Gebäude gerauscht ist?
Scheiße, was ist das denn für eine bescheuerte Frage?
Der Kerl antwortet: Wir wissen nicht, was los ist. Es heißt, wir sollen keine Aufzüge benutzen, aber wir sind ziemlich weit oben.
Nimm den verdammten Aufzug.
Aber das sollen wir doch nicht.
Nimm ihn. (Ich weiß nicht, warum ich Nimm ihn gesagt hab, aber ich hab’s. Entweder wusste ich schon, was kommt, oder ich war einfach zu dämlich zu wissen, dass man keine Aufzüge nehmen soll. Keine Ahnung. Aber ich hab gesagt: Nimm ihn.)
Was ist, wenn –
Nimm. Ihn.
… Okay. Okay, ich nehm ihn.
Der Idiot hat den Scheißaufzug natürlich nicht genommen. Ach, genug davon. Was danach los war? Abgesehen davon, dass ich eine ganze Woche geflennt habe und dann bis ́04 bei einem Analytiker auf der Couch lag, der mich irgendwann am liebsten mit Elektroschocks behandelt hätte? Das dumme Arschloch von Freund hat mir auf dem Weg die Treppe runter auch noch SMS geschrieben und als Letztes live getippt: Ich brenne. Was zum Teufel soll man mit dieser Info anfangen? Und warum simst man so was überhaupt? Fuck, Mann, was soll ich darauf antworten?
Hab dich lieb, mein Engel? Wird schon alles gut gehen? (Das wird es aber so was von nicht.) Du bist mein bester Freund? Das war er nicht. Er war nur ein Bekannter.
Ich sitz also in einem Café am Green Park ganz in der Nähe des Buckingham Palace und trink was – schon klar, was ich getrunken hab, oder? – und krieg seine SMS, und plötzlich ist mein Macchiato Asche. Und damit mein ich nicht, hach, was bin ich toll poetisch. Ich hatte echt den Geschmack von New Yorker Luft und Asche im Mund. Ich trinke diese ekelhafte Asche, die überall in Manhattan vom Himmel rieselt.
Ich schau in meine Tasse, und darin war alles blass und grau. Es lag sogar ein Stück Frauenhandtasche drin, ein letztes verkohltes goldenes Kettenglied. Die Untertasse klebte am Tassenboden, dann fiel sie runter. Sie fiel und fiel und fiel, und auf dem Weg nach unten schrie sie, sie schrie die ganze Zeit, bis sie auf dem Boden aufschlug, wo sie aber nicht zerbrach, weil sie unzerbrechlich war. Dieses scheißdämliche Cateringgeschirr.
Das war dann schon ein einschneidendes Erlebnis. Hat meinem Leben echt ne andere Richtung gegeben.
Didi ist tot. Sie war eine alte Zicke, und eigentlich hab ich sie nicht gemocht, aber irgendwer hat ihr zwei Mal in die Brust und ein Mal in den Kopf geschossen, als ob sie ein Drogenkurier gewesen wäre, in irgendeinem Drecksnest wo auch immer, wo diese Idioten heute ihre Drogen ins Land bringen.
Ich heiße Jack Price, und das ist meine Story.
Als Nächstes gehe ich auf einen Sprung bei Big Billy vorbei. Billy weiß, was abgeht. Big Billy heißt er, weil – scheiß die Wand an, der Kerl ist einfach irre groß. Aber egal. Worum’s eigentlich geht: Billy hat sein Ohr immer ziemlich nah am Puls der Zeit. Er ist nämlich in der Baubranche, und deswegen hat er automatisch freien Eintritt in die lokale Unterwelt und kennt die Typen sogar persönlich, die’s mit den Gesetzen nicht so genau nehmen. Und weil Billy Billy ist, kann er einfach nicht die Klappe halten über deren Scheißquatsche von Zeug, über das sie einfach nicht die Klappe halten können, weil sie unterweltmäßig ach-wie-cool-gesetzlos sind.
Billys Fachgebiet ist der Gerüstbau. Das heißt, er schleppt Gerüstrohre rauf und runter. Billy legt ziemlich viel Wert auf das Wort: Gerüstrohre. Gerüste bestehen nicht aus Stangen oder Pfosten oder sonst was. Und vor allem gibt es in Gerüsten keinerlei Röhren, weil darin nichts fließt oder geleitet wird. Billy hasst es, wenn ihm einer ganz baumäßig kommt und dann Gerüströhren sagt. Speziell Hausbesitzer machen das gerne. Billy hasst das. Er ist kein schlechter Kerl, nur manchmal ein bisschen heftig, weil er wie die meisten in seinem Job ziemlich viel kokst. Deswegen regt er sich schnell mal auf.
Das Wichtigste bei der Arbeit mit Gerüstrohren, während man auf dem Blassen Peruanischen Hengst reitet – das ist die Sorte Koks, die Billy und seine Leute sich reinziehen, jedenfalls steht das auf den kleinen Zellophantütchen, in denen das Zeug geliefert wird –, ist, dass es einen verdammt schmalen Grat gibt. Nicht in dem Sinn natürlich, dass es kein großartiges Koks wäre – im Gegenteil, es ist absolut supererstklassiges oscarverdächtiges Fünf-Sterne-Megakoks, das sich von Miley Cyrus’ Bauch schnupfen lässt, aber es ist eben verdammt schwer, eine schöne rote No-go-Linie zu ziehen zwischen dem, was noch okay ist, und dem, was nicht. Einen Möchtegernhandwerker anbrüllen ist okay. Wenn einem das passiert, hat man den Vertrag schon in der Tasche. Nicht okay ist, mit einem zentnerschweren Walzstahlrohr zu jonglieren und es fallen zu lassen, so dass es zwei Stockwerke nach unten saust und einen Bichon Frisé pfählt. Einen Termin platzen lassen, mit dem LKW ein Mobilklo umschubsen, irgendwas abfackeln? Kann alles passieren. Aber wer so einen Plüschpudel auch nur anknurrt, kriegt mehr Ärger, als er sich vorstellen kann.
Wenn man was auf einen Menschen fallen lässt, kommen die Bullen. Vielleicht muss man auch in den Knast. Aber bei einem Hund kommt das Fernsehen. Dann gehörst du der Todesschwadron tobender Omas, und die reißen dir den Arsch auf bis zu den Ohren. Die haben ja auch nichts Sinnvolleres zu tun.
Vor zwei Monaten unterlief einem von Billys Leuten leider ein kleiner Lapsus, der zu einer Knapp-getroffen- ist-auch-getroffen-Situation führte. Das heißt, ein vierbeiniger Mitbürger und eine mittellange Behelfsstrebe im freien Fall trafen unglücklich aufeinander. Und das wiederum heißt, ein gut zwei Meter langer Speer ist von einem Podest gerollt und hat einem Import-Corgi das linke Hinterbein amputiert. Und zwar chirurgisch. Schnips.
Aus reinem Zufall hatten alle Beteiligten richtig Glück, weil ich da war und Billy dazu gebracht hab, dem Hund einen Druckverband anzulegen – ob Sie’s glauben oder nicht, Billy war ’03 Armeesanitäter –, und wir haben das Ding geschaukelt, so dass Billys Firma jetzt ein dreibeiniges Maskottchen hat und den Ruf, schnell und clever zu handeln, statt ein Trupp von Tiermördern zu sein. Tja, und jetzt kommen tatsächlich Leute und engagieren sie wegen der guten Berichterstattung: Veteran und Veterinär rettet gepfählten Pudel und so.
Aber für die Rohrleute war die Zeit die Hölle, weil sie sich in dieser kritischen Phase der Selbsthinterfragung und unter der fürsorglichen Beobachtung durch das Auge des Gesetzes natürlich nicht dabei erwischen lassen durften, wie sie sich die Birne zudröhnten. Dieses Auge blinzelte sowieso schon nervös, weil einige von Billys Angestellten nicht halbwegs oder auch nur entfernt weiß waren. In diesem unserem aufgeklärten Zeitalter überrascht das vielleicht den einen oder anderen, aber wir konnten den Rassismus in dieser Welt noch nicht komplett abschaffen, und so nutzen viele weiße Cops immer noch liebend gern jede Gelegenheit, gegenüber Menschen aller Kaffeeschattierungen außer Milchschaum das Arschloch rauszukehren.
Billys Leute wandelten also auf einem schmalen Grat. Das geht mit Koks allerdings leichter als mit Gras – nicht dass man ausgerechnet Kiffer als Gerüstbauer anstellen würde, das wäre schon grenzdebil –, weil Koks in wenigen Tagen ziemlich gut abgebaut ist, und wenn man keine Haare hat, lässt es sich auch kaum nachweisen. Jetzt sind Billys Leute nicht ganz blöd. Seit sie bei ihm angestellt sind, rasieren sich alle eine Glatze. Manche von denen lassen sich sogar sämtliche Körperhaare entfernen. Hey, ist heute eben so. Warum soll ich mich zum Richter aufspielen?
Der Einzige, der die schneefreie Phase locker wegstecken konnte, ist Jonah Jones alias der Wal. Der Wal ist die übliche religiöse Spaßbremse. Jonah erzählt allen und jedem, dass früher, als das Koks noch teuer war, im Gerüstbau alles viel besser war. Wahrscheinlich hat er sogar recht. Damals bekamen die Leute guten Lohn, und sie haben ihr Geld zur Seite gelegt. Sozialer Aufstieg mit Gerüst. Jetzt geben sie die ganze Kohle für Koks und Striplokale aus. High, geil und haarlos landen sie am Ende mit den Stripperinnen im Bett, die genauso drauf sind wie sie, und schwupps, schon ist die nächste Generation hoffnungsloser Kokser am Start, um die Gerüst- und Stangenturner zu ersetzen, die alt werden und sterben. Stillstand, Blockade, aus der Traum.
Der verdammte freie Markt ist ein brutaler Drecksack. Liegt in der Natur der Dinge.
Das größte anzunehmende Arschloch in dieser Situation ist natürlich der Dealer, der Mistkerl, der rausgefunden hat, wie er eine ganze Branche an der Nase rumführen kann, die Preise senken und den Umsatz steigern. Der Blasse Peruanische Hengst kommt nicht mal aus Peru. Er wird im Inland erzeugt und verarbeitet. Sogar regional. Eine Lieferkette gibt’s praktisch nicht, also gibt’s auch weniger undichte Stellen, die den Cops was stecken können. Der Dealer hat all die kaputten Leben auf dem Gewissen, jedenfalls solange man die Schuld nicht bei den Banken, Maklern und Spekulanten und dem ganzen Apparat sucht, der das Leben in verbriefte Schuldpapiere verpackt, mit denen sich Kommastellen verschieben, Profite vorgaukeln und Wachstum vortäuschen lässt. Dieser Kerl ist an allem schuld, was den und mit den Gerüstbauern passiert, inklusive des abgetrennten Corgi-Beins und Billys hundeblutüberströmtem Gesicht beim Abbinden des Stumpfs. Alle Hochachtung: Seine posttraumatische Belastungsstörung reicht ihm eine blutige Pfote, und er bleibt cool wie ’ne Hundeschnauze …
Offenlegung: Thomas Wörtche als Herausgeber hat sich dieses Buch und diesen Autor zu Suhrkamp geholt („Second We Take Switzerland“ heißt der Arbeitstitel von Buch 2). Was Besprechungen angeht, findet er, kann „Fuck you very much“ bestens für sich selber sorgen. Alf Mayer als Co-Redakteur von CrimeMag aber wollte Aidan Truhens Stimme unbedingt hier präsentieren. Warum sollen nur die andern damit Spaß haben?