Geschrieben am 16. April 2011 von für Crimemag, Porträts / Interviews

Porträt der mexikanischen Journalistin Lydia Cacho

“Ich bin kein ängstlicher Mensch”

– Mit ihrem jüngsten Buch Sklaverei hat die mexikanische Journalistin Lydia Cacho auch bei uns große Aufmerksamkeit erregt.

Das ist gut so, denn Lydia Cacho hat sich mit dem Organisierten Verbrechen angelegt, auf Leben und Tod. Ihr deutscher Übersetzer Jürgen Neubauer, der ebenfalls in Mexiko lebt, hat sie für CrimeMag porträtiert.

„Kannst du schwimmen?“, fragt der Mann auf dem Rücksitz neben ihr.

Sie schweigt. Natürlich kann sie schwimmen. Sehr gut sogar. Sie erinnert sich an ihre stundenlangen Tauchausflüge in den Korallenriffen vor Cancún. Sie sieht hinaus in die Dunkelheit. Kein erleuchtetes Fenster, keine Straßenlaterne, nur weit draußen auf dem Meer ein paar blinkende Lichter.

Langsam fährt der Fahrer die Küstenstraße entlang. Schließlich hält er an und stellt den Motor ab.

„Wie wärs denn hier?“, fragt er, steigt aus und öffnet ihre Tür.

Sie hört das Rauschen der Wellen und verschränkt die Arme vor der Brust. Innerlich bebt sie vor Angst, doch sie sagt kein Wort.

„Kein Problem“, sagt der Fahrer zu dem Mann auf dem Rücksitz. „Wir sagen dem Chef einfach, sie ist abgehauen und ins Meer gesprungen, und wir haben sie nicht mehr gefunden.“

Der Mann neben ihr stößt ihr in die Seite. „Keine Lust?“

„Bitte nicht, bitte …“ stammelt sie leise.

Er lacht verächtlich. „Bücher schreiben kannst du, und Lügen verbreiten. Dazu reicht dein Mut aus. Aber ein bisschen schwimmen …“

Das Handy des Fahrers klingelt. Der Mann spricht eine Weile, dann steckt er das Telefon wieder ein.

„Neuer Plan. Wir fahren weiter.“

Eine Horrorfahrt

Für Lydia Cacho begann der 16. Dezember 2005 wie jeder andere Tag. Nach einem Arbeitsfrühstück in einem Café von Cancún fuhr die mexikanische Journalistin in das Büro von CIAM , der von ihr gegründeten Unterkunft für misshandelte Frauen. Doch an diesem Tag wird sie vor der Tür des Büros von einem halben Dutzend bewaffneter Männer erwartet, die sie zwingen, in ein Auto zu steigen.

Es war der Beginn einer mehr als 24-stündigen Horrorfahrt durch halb Mexiko, auf der Cacho misshandelt und psychisch gefoltert wurde, wie sie in ihrem Buch Memorias de una infamia beschreibt. Ihre Entführer erklärten, sie seien Polizeibeamte, doch sie zeigten ihr keine Ausweise und keinen Haftbefehl. Sie sagten ihr nur, dass sie ins 1500 Kilometer entfernte Puebla gebracht werden sollte. Aus dem Gespräch hörte sie heraus, dass hinter der Entführung der als „Jeanskönig“ bekannte Unternehmer Kamel Nacif aus Puebla steckte, den sie in ihrem kurz zuvor erschienenen Buch Los Demonios del Eden mit einem Ring der Kinderprostitution in Cancún in Verbindung gebracht hatte.

Was sie nicht wusste: Auch Mario Marín, Gouverneur des Bundesstaates Puebla   und besonderer Spezl Nacifs, hatte die Hand im Spiel. Für seinen Kumpel arrangierte Marín die Verhaftung und organisierte ihre Misshandlung und Vergewaltigung im Gefängnis. Das blieb Cacho allerdings erspart. Aus dem Auto konnte sie heimlich eine SMS an ihren Lebensgefährten schicken. Als sie im Gefängnis von Puebla eintraf, war ihr Name im ganzen Land bekannt. Sie wurde von Journalisten und Mitarbeitern von Amnesty und Human Rights Watch erwartet, die sie gegen eine Kaution frei bekamen.

Doppelte Justizposse

Damit war ihr Martyrium aber noch längst nicht zu Ende. Jetzt erfuhr Lydia Cacho den Grund ihrer Verhaftung: Der Jeanskönig hatte sie wegen Rufmords verklagt. Das Gericht von Puebla – das ganz nebenbei gar nicht zuständig war – hatte ihr angeblich eine Vorladung zu einer Anhörung geschickt, doch die hatte sie nie erhalten. Im Januar erhob die Staatsanwaltschaft von Puebla Anklage.

Die Journalistin wurde von der Justiz schikaniert. Das Gericht behauptete, es bestehe Fluchtgefahr und zwang sie, einmal pro Woche von Cancún nach Puebla zu fliegen, um sich im Gefängnis zu melden. Das Gericht lehnte ihre Beweise ab und unterzog sie einer erniedrigenden Befragungen nach der anderen. Nacif drohte, er wolle sie „fertigmachen, dass sie verrückt wird, dass sie um Gnade winselt“ und heuerte ein Heer von Anwälten an, die ständig neue psychologische Gutachten forderten, zu denen sie natürlich nach Puebla fliegen musste. Außerdem kaufte er ihren Anwalt, der die Beweise unvollständig und zu spät präsentierte. Nach einem zermürbenden Jahr wurde sie schließlich freigesprochen.

Gleichzeitig verklagte Cacho den Gouverneur von Puebla. Inzwischen war der Presse der Mitschnitt eines Telefongesprächs zwischen Marín und Nacif zugespielt worden, in denen der Gouverneur verspricht, er wolle „der Alten eine Lektion verpassen, die sie nicht vergisst. Hier in Puebla achten wir das Gesetz, hier kommt keiner straflos davon. Wer ein Verbrechen begeht, den nennen wir Verbrecher.“ Nacif ist dankbar. „Mi gober precioso – mein süßer Gouverneur“ säuselt er und verspricht ihm zwei Flaschen edelsten Cognac. In Puebla gingen Tausende gegen den „gober precioso“ auf die Straße. Doch nachdem der Oberste Gerichtshof schon kurz vor dem Schuldspruch stand, wurde der Prozess auf Weisung von oben eingestellt, weil es „keinen Präzedenzfall“ gebe. Marín blieb im Amt.

„Ich bin kein ängstlicher Mensch“

Der Fall Lydia Cacho bringt die Situation von Journalisten in Mexiko auf den Punkt. Die Verfassung schützt zwar die Informationsfreiheit, aber die Gesetze schützen die Journalisten nicht und die korrupte Justiz verfolgt sie im Auftrag der zynischen Politik. Theoretisch können selbst verurteilte Verbrecher Journalisten, die ihren Fall öffentlich machen, wegen Rufmords anklagen – und wer das Geld für den Prozess hat, hat oft auch das Geld, ihn zu gewinnen. Das Organisierte Verbrechen macht sich die Mühe erst gar nicht: Im vergangenen Jahrzehnt wurden mindestens sechzig Journalisten von den Drogenkartellen ermordet und eine unbekannte Zahl entführt und gefoltert. Diese Verbrechen wurden nie aufgeklärt.

Cacho selbst erhält bis heute Morddrohungen. Nur knapp entkam sie einem Anschlag auf ihr Auto. Das Gefühl der ständigen Bedrohung schlägt inzwischen auf ihre Gesundheit. Trotzdem schreibt sie weiter, bestärkt auch durch die Anerkennung aus dem In- und Ausland. In ihrem neuen Buch Esclavas del Poder, das im März unter dem Titel Sklaverei in Deutschland erschienen ist, schildert sie unter anderem ein Netzwerk von Menschenhändlern und Zuhältern, das sich von Mexiko aus über Lateinamerika erstreckt und an dem auch hochrangige Politiker beteiligt sind.

„Ich bin kein ängstlicher Mensch“ schreibt sie in Memorias de una infamia. Das darf sie auch nicht sein.

Jürgen Neubauer

Lydia Cacho: Sklaverei. Im Innern des Milliardengeschäfts Menschenhandel. (Escalvas del poder. Un viaje al corazón de la trata sexual de mujeres y niñas en el mundo, 2010). Deutsch von Jürgen Neubauer. Mit einem Vorwort von Carolin Emcke. Frankfurt am Main: S. Fischer 2011. 352 Seiten. 19.95 Euro.
Verlagsinformationen zum Buch
www.lydiacacho.net

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