Sachbücher, besprochen von Sonja Hartl (SH).
Rainer Rother: No Angels. Mae West, Rosalind Russell, Carole Lombard
Gegen die Schemata der Filmfabrik

(SH) Auf rund 160 Seiten gibt Rainer Rother in der zweisprachige Ausgabe in drei Essays eine fundierte, gute und anregende Einführung in das Schaffen der drei so unterschiedlichen Schauspielerinnen Mae West, Rosalind Russell und Carole Lombard, deren Filme in diesem Jahr in der Retrospektive der Berlinale gezeigt werden sollten. Sie wurde nun auf 2022 verschoben.
Rother zeichnet nach, wie Mae West immer wieder die Grenzen auslotete und den Hollywood Production Code unterlief. Sie spielte nicht nur Rollen, sie war eine Persona, die auf Provokation setzte, aber stets zu ihren eigenen Bedingungen. Deshalb schuf das Hollywood-System kein Image für sie, sie hatte es schon selbst erschaffen. „Sie musste nur noch besetzt, nicht mehr erfunden werden“, formuliert Rother. Die Kunstfigur Mae West war ein Star – und mit ihrer lasziv ausgestellten Art von Weiblichkeit hinterfragte sie zugleich Vorstellungen von weiblicher Identität.
Dagegen galt Rosalind Russell als die Nicht-Glamouröse, die Bodenständige. Sie spielte oft Karrierefrauen und durch ihre Rollen zeigte sich die reale Ungleichheit auf der Leinwand. Ihre Figuren zweifeln, „dass sie als Profi und Frau die gleiche und angemessene Akzeptanz erfahren.“ Gespielt werden sie von Russell oftmals mit expressiven Blicken und viel körperbetonter Komik. Gerade dieser Einsatz der Körperlichkeit unterscheidet sie zu dem von West und Lombard. „Russells Hände sind in permanenter Bewegung – ein Pendant zum Redeschwall der Srewball-Komödien.“
Carole Lombard verkörperte Eleganz und Glamour, ihre Figuren sollen häufig bestimmte Klischees, bestimmte Schemata bedienen. Durch ihre Spielweise setzt sie ihnen etwas entgegen – auch hier ist es ein betontes Spielen. Gerade in den Komödien, so Rother, grimassiert sie „verblüffend“ oft. Dabei ermöglichte ihr ihre differenzierte Spielweise zwar nicht, den typisierten Besetzungen zu entgehen, aber sie versuchte alle Gelegenheiten zu nutzen, die die Drehbücher ihr boten, diesen Klischees etwas entgegenzusetzen.
Rainer Rother plädert in seinem Buch dafür, dass sich die Darstellungen von Mae West, Rosalind Russell und Carole Lombard „gegen all die Schemata fabrikmäßiger Hollywood-Produktionen“ behaupteten und liefert überzeugende Analysen und Argumente. Es ist eine interessante Sichtweise auf das Schaffen dieser Schauspielerinnen – und No Angels hat mir große Lust gemacht, mich mit ihnen noch näher zu beschäftigen. Ich freue mich schon darauf, seine These im nächsten Jahr bei der Berlinale zu überprüfen. Im Kino.
Rainer Rother: No Angels. Mae West, Rosalind Russell, Carole Lombard. Edition text + kritik, München 2021. 162 Seiten, 15 Euro.