Geschrieben am 3. November 2019 von für Crimemag, CrimeMag November 2019

Mercedes Rosende: Danke

Mercedes Rosende bei ihrer Rede © Foto: LitProm

Weibliche Wirklichkeiten

Eine Danksagung – übersetzt von Elisabeth Müller

Vielen Dank an Litprom und an das ganze Litprom-Team. Da mir die Worte fehlen, um die Arbeit dieser Institution zu schildern, will ich auf die wunderbare Formulierung ihrer eigenen Webseite zurückgreifen:  „Die literarische Zirkulation erweist sich in diesem Zusammenhang als besonders wertvoll für eine Bewusstseinsbildung von den vielfältigen Lebenswelten auf dem Globus.“

Mein Dank gilt der Person, die diese Einrichtung nach außen vertritt: Anita Djafari – eine “großartige Literaturvermittlerin”, wie ich lesen durfte und nur bestätigen kann.

Danke auch dem Sponsor Yogi Tee, danke allen meinen Leserinnen und Lesern und all den Menschen, die mich zunächst damit geehrt haben, mein Buch für den Preis zu nominieren (allein das war schon eine Auszeichnung), und all denen, die mir dann ihrer Stimme gegeben haben und mir jetzt diesen Preis verleihen.

Nicht zuletzt danke dem von mir hochgeschätzten und bewunderten Thomas  Wörtche für seine Laudatio.

Auf unserem Planeten lebt eine gesellschaftliche Ordnung, die mancherorts den Männern noch die Rolle der Herrschenden zugesteht und die Frauen in der Unterdrückung hält. Diese Ordnung (die wir heute Patriarchat nennen) hat sich, um zu überdauern, in fast allen Institutionen fest etabliert: im Staat, in der Kirche, in der Erziehung. Auch die Literatur ist zur Mittäterin geworden, indem sie  sich im Laufe der Geschichte dem Konzept gebeugt hat, dass das eine Geschlecht über das andere vorherrscht. Sie war eine ideale Stütze, um die Vorstellung von der Minderwertigkeit der Frau festzuschreiben und deren Unterwerfung unter dem Mann als erwartetes Verhalten darzustellen.

Aber es gibt auch eine gute Nachricht: Wir erleben heute den Zerfall dieses ganzen ideologischen Gebäudes. Die Macht von Männern über Frauen wird hinterfragt und das Bild der weiblichen Unterlegenheit als Strukturelement der sozialen Ordnung wird nicht mehr toleriert. Deshalb kann man sagen, dass wir uns in einer Übergangsphase befinden, in der diese Ideologie immerhin ihre Legitimation eingebüßt hat, auch wenn sie ihre Gültigkeit noch nicht ganz verloren hat, weil das Denken oft weiter patriarchalisch ist. 

Aber lassen Sie uns von Literatur sprechen.

Das 21. Jahrhundert hat uns in sämtlichen literarischen Gattungen ein Frauenbild gebracht, welches das alte überwindet: die weiblichen Figuren sind freier, nicht mehr zu Befehl und übernehmen Rollen abseits des Traditionellen. 

So hat uns der Krimi die “Rächerinnen” beschert, wie die superbekannte Lisbeth Salander, aber auch neue Figuren, die sich der Rolle des untergeordneten oder schönen und auch dümmlichen Weibchens widersetzen, wie sie in der Kriminalliteratur des vorigen Jahrhunderts – bis auf wenige Ausnahmen –  gang und gäbe war.

 Als ich angefangen habe zu schreiben (vor nicht allzu langer Zeit übrigens, denn ich habe meinen ersten Roman 2008 veröffentlicht), wusste ich, worüber ich schreiben wollte. Oder besser gesagt, ich wusste, was ich sagen wollte. Und das möchte ich heute mit  Ihnen teilen. 

Zu allererst wusste ich, dass ich über Frauen schreiben wollte, die nicht gehorchen, also über Frauen, die weder den ästhetischen Kanon “schön” zu sein bedienen noch den gesellschaftlichen Auftrag erfüllen, zu heiraten und eine Familie zu gründen, ja, die noch nicht einmal die Pflicht akzeptieren, sanft, friedlich und unterwürfig zu sein. 

Daraus ist Úrsula entstanden, die Hauptfigur meiner drei letzten Romane, eine Frau, die dick ist, allein, die auch  gewalttätig sein kann und unbarmherzig, die in einer Männerwelt mithalten will, und zwar unter den Ganoven, wenn auch vergeblich, weil es sogar schwieriger ist Verbrecher zu werden, wenn man eine Frau ist. Und ich wollte oder habe versucht, Úrsula einen Platz in der Kriminalliteratur des 21. Jahrhunderts zu geben, weil uns diese in gewisser Weise hilft, unser Augenmerk auf die neuen Frauenrollen zu legen oder diese zumindest in Erwägung zu ziehen.

Was ich auch wusste, ist, dass ich über die Situation der Frau schreiben wollte, allerdings abseits der militanten Diskurse. Ich wollte in meinen Texten weder Forderungen stellen noch explizit politische Positionen beziehen, sondern ohne eindeutige Parolen eine Haltung finden: Ich wollte Realitäten zeigen, ohne die Meinung der Leserin oder des Lesers zu lenken.

Und zu guter Letzt – und das war vielleicht das Wichtigste – wusste ich, dass ich all das mit den Mitteln des Humors umsetzen wollte. Umberto Eco hat einmal gesagt, dass uns der Humor an den Kern der Sache heranführt, dass er Gefühle weckt und m Humor nicht unbedingt lachen heißt, sondern vielleicht nur lächeln, weil er uns zwingt, uns mit dem, der leidet, zu identifizieren. 

Das, habe ich mir gedacht, will ich versuchen: Ein Augenzwinkern zum Leser, ohne den platten Witz; einen ironischen Ton, ohne Sarkasmus; das Surreale als Text. Und das Ganze im Zusammenhang mit Konflikten oder sogar tragischen Situationen, und als Möglichkeit, diese pamphletartige Feierlichkeit zu vermeiden, die manchmal dem kritischen Blick auf die Gesellschaft anhaftet. 

Nun, wir Schriftsteller denken nie an Preise. Wir schreiben aus Vergnügen oder aus einer Notwendigkeit heraus. Die Schriftstellerei an sich ist ein selbstloser Akt ohne jede Berechnung. Ein Buch entwickelt sich und wächst, ausgestattet mit dem Besten und dem Schlechtesten, was der Autor zu bieten hat, mit seinen Erinnerungen und seiner Kultur, seinem Glaubenssystem, seinen hellen und dunklen Seiten, seinen Traumata. Ein Text ist ein brutaler Offenbarungsakt und das oft unfreiwillig, weil wir, ob wir es wollen oder nicht, zwischen den Zeilen immer selbst dabei sind.

Man schreibt nicht, habe ich gesagt, um einen Preis zu gewinnen, aber wenn der Preis kommt, dann ist die Freude riesig. Er ist ein Anreiz weiterzuschreiben und das bisweilen unter Umständen, die alles andere als ideal oder günstig sind. 

Nach meiner Meinung ist eine differenzierte Unterstützung der Schwächsten in allen Kulturbereichen notwendig und sehr begrüßenswert, und Litprom ist als Institution in mehrfacher Hinsicht ein rühmliches Beispiel dafür: Es unterstützt die Literatur, es unterstützt die Literatur aus Afrika, Asien und Lateinamerika, es unterstützt die Literatur von Frauen.

Deshalb möchte ich hier und jetzt, bei diesem festlichen Anlass und bei diesem Preis betonen, dass ich mich durch ihn in meiner Absicht unterstützt fühle, Ihnen weibliche Wirklichkeiten vorzuführen, wie es sie an dem kleinen, weit entfernten Ort Lateinamerikas gibt, wo ich herkomme. Die Hand, die Litprom mir mit diesem Preis hinhält, ist für mich ein Ansporn genau das auch weiter zu versuchen. 

Rede von Mercedes Rosende anläßlich der Verleihung des LiBeraturpreises 2018 währen der Buchmesse Frankfurt – Übersetzt von Elisabeth Müller – Veröffentlichung mit freundlicher Genehmigung von Autorin und Übersetzerin. 
Elisabeth Müller ist auch die Mit-Übersetzerin von „Vollmond hinter fahlgelben Wolken. Autorinnen aus vier Kontinenten“ ( Unionsverlag). 

Mercedes Rosende (*1958 in Montevideo, Uruguay) studierte Recht und Integrationspolitik. Neben ihrer schriftstellerischen Arbeit ist sie als Anwältin und Journalistin aktiv. Für ihre Romane und Erzählungen wurde sie mehrfach ausgezeichnet. 2005 erhielt sie den Premio Municipal de Narrativa für Demasiados Blues, 2008 den uruguayischen Nationalliteraturpreis für La Muerte Tendrá tus Ojos und 2014 den Código Negro für Falsche Ursula (das 2020 im Unionsverlag erscheint). 2019 wurde sie für ihren Roman Krokodilstränen mit dem LiBeraturpreis ausgezeichnet. Sie lebt in Montevideo.

Hinweis auf die LITERATURTAGE 2020 von LitProm: MIGRATION – LITERATUREN OHNE FESTEN WOHNSITZ
24.-25.01.2020 im Literaturhaus Frankfurt

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