Geschrieben am 1. September 2019 von für Crimemag, CrimeMag September 2019

Matthias Arning zu Wolfgang Benz „Im Widerstand“

Im Widerstand

Eine ausgezeichnete Studie des Historikers Wolfgang Benz über den Protest gegen Hitler

Sucht man heute nach demokratischen Ressourcen, könnte einem in der Geschichte des Widerstands gegen die Hitler-Diktatur der Protest des Ludwig Gehm einfallen. 1905 geboren, kam er als Sechsjähriger nach Frankfurt am Main. Er lernte Dreher und war seit jungen Jahren politisch aktiv. Zunächst im Freidenkerverband, in der Sozialistischen Arbeiterjugend, dann in der SPD. Von 1927 an engagierte sich Ludwig Gehm für den Internationalen Sozialistischen Kampfbund, kurz: ISK. Der junge Mann wirkte im Widerstand gegen die Nationalsozialisten, transportierte Flugblätter und illegale Zeitschriften, arbeitete als Koch und Einkäufer in einer vegetarischen Gaststätte nahe der Hauptwache in Frankfurt und wollte am 19. Mai 1935 mit seinen Mitstreitern die Eröffnung eines Teilstücks der Autobahn zwischen Darmstadt und Frankfurt zu einer spektakulären Aktion nutzen: Bei ihrer „Autobahn-Aktion“ schrieben sie „Hitler=Krieg“ auf die Fahrbahn. An die Brücken der Autobahn malten sie „Nieder mit Hitler“.

Wolfgang Benz berichtet diese lange Jahre vergessene Geschichte in seinem aktuellen Buch „Im Widerstand“. Die Nazis übertünchten die Aufschriften, verhängten sie mit Fahnen, aber die Aktion hinterließ Spuren, die auch Regenfälle nicht wegzuwischen vermochten. 1936 zerschlug die Gestapo die Widerstandsorganisation ISK. In diesem Jahr nahmen Hitlers Helfer Gehm fest, das Oberlandesgericht Hamburg verurteilte ihn. Aus dem Konzentrationslager Buchenwald entlässt man ihn im Juni 1943 zum „Bewährungsbataillone 999“ in Griechenland. Nach dem Krieg kehrte Gehm nach Frankfurt zurück und engagierte sich in der SPD. Von 1958 bis 1972 saß er für seine Partei im Stadtparlament.

In seinem Buch zeichnet Wolfgang Benz das Leben von Ludwig Gehm als Beispiel konsequenter Gegnerschaft gegen die NS-Regenten nach. Gehm ist für den Forscher ein Beispiel des Standhaften, von denen es in den Weimarer Jahren in Deutschland nur wenige gegeben hat. Benz kommt es in seiner materialreichen Studie genau darauf an: Sich Unrechtem zu widersetzen, gehört zum Handwerkszeug des Demokraten. In seinem jüngsten Buch „Im Widerstand“ macht der Historiker einen bedeutenden Zusatz: „Die späte Lehre aus der Geschichte lautet, dass Widerstand beizeiten notwendig ist.“ Es ist eine wesentliche Weiterung möglicher Lehren, die sich mit dem Widerstand der Deutschen gegen den Nationalsozialismus verbindet: „Das Funktionieren der Unterdrückung“ sei damals möglich geworden, weil zunächst der Rechtsstaat preisgegeben und schließlich die Diktatur durch die Mehrheit hingenommen worden sei und die skeptische Minderheit geschwiegen habe.

In zwölf Kapiteln, chronologisch angeordnet, richtet Benz sein Augenmerk auf Anfänge intellektueller Widerrede, erwähnt knapp Kurt Tucholsky und Theodor Wolff, stellt den Widerstand der Kirchen dar, das misslungene Aufbegehren der konservativen Opposition, geht auf den Widerstand von Christen zwischen Anpassung und Kooperation ein, schildert die Bemühungen der Roten Kapelle, spricht vom Scheitern der gesellschaftlichen Eliten und bewertet den militärischen Widerstand. Vielversprechend ist der umfangreiche Abschnitt über die Jungen, die Musiker und die Studenten. Einen ganz besonderen Akzent setzt er auf Georg Elser. Von einem wie Elser, dessen Attentat auf Hitler fehlschlug, sprach im Nachkriegsdeutschland zunächst kaum jemand.

Bis heute kann man nicht glauben, warum es in Deutschland keinen Massenprotest gegen das Hitler-Regime gegeben hat. In diesem Zusammenhang erwähnt Benz die damalige Illusion der Linken, es könnte eine „Volksfront aller Demokraten“ geben. Doch trotz des Wissens um die Verfolgung der Juden mit der Pogromnacht 1938, um die militärische Lage und die wachsende Furcht, von den Alliierten zur Rechenschaft gezogen zu werden, setzte keine massive Abkehr ein.

Selbst nach dem 20. Juli 1944, dem Anschlag auf Hitler durch Stauffenberg, bleibt „eine große Mehrheit der Deutschen weit entfernt davon, aufzubegehren“, vielmehr „duckte sie sich weg, schwieg und ertrug das Regime bis zu dessen Untergang“. Die Attentäter glaubten, das unterstreicht der Historiker, „einen Krieg, den Hitler als Angriffs-, Vernichtungs-, Eroberungs-, Rasse- und Weltanschauungskrieg begonnen hatte, als Feldzug nach den Regeln preußischer Soldatentugend und als Verteidigungskrieg für das bedrohte Vaterland weiterführen zu können“. Damit sei die Realitätsverweigerung der Nachkriegszeit vorweggenommen worden. Schließlich habe man bis zu der umstrittenen Wehrmachtsausstellung über Verbrechen im Zusammenhang mit dem Krieg gegen die Sowjetunion nicht gesprochen.

Im Grunde ist die Geschichte des Widerstands „weithin ein Bericht über die Einsamkeit einzelner, über Anpassung und jubelnden Gleichschritt der Mehrheit, über Verzagtheit und versäumte Gelegenheiten“, bilanziert Benz, der bis 2011 als Direktor des Zentrums für Antisemitismusforschung in Berlin wirkte. Aus gutem Grund und bestimmt mit einem kurz Blick auf das Treiben der Rechtspopulisten in der Gegenwart zitiert Benz in diesem Zusammenhang den Publizisten Theodor Wolff, der schon 1930 als aufmerksamer Beobachter notierte: „Keine geschliffene Phrase, keine dunstige Ideologie kann darüber hinwegtäuschen, dass er (der Nationalsozialist) mit seinem Geschrei nach umstürzender Gewalt und mit einer Rassenverhetzung der Rohheit, die Verblödung und die gemeinsten Pöbeltriebe anreizt und zu verbrecherischen Ausbrüchen treibt.“

Matthias Arning

  • Wolfgang Benz: Im Widerstand. Größe und Scheitern der Opposition gegen Hitler. Verlag CH Beck, München 2019. 556 Seiten, 32 Euro.

Anm. d. Red.: Ludwig Gehm hatte vermutlich Unterstützung auch von Karl Anders, der im Untergrund quer durch Nazi-Deutschland illegale Druckereien einrichtete und seine Identitäten schneller wechselte als sein Hemd, ehe ihn der Verfolgsdruck der Gestapo zur Flucht zwang. Siehe auch: Alf Mayers Porträt des Emigranten und Verlegers Karl Anders: Anarchist, Kommunist, Widerstandskämpfer, Sozialist.

Matthias Arning hat Politische Wissenschaft in Frankfurt und Berlin bei Herfried Münkler und Iring Fetscher studiert. Er war politischer Redakteur bei der „Frankfurter Rundschau“, dann Lokalchef. Danach beriet er die Frankfurter Oberbürgermeisterin. Zu seinen Büchern gehören „Späte Abrechnung“ über die Entschädigung der NS-Zwangsarbeiter (Fischer-Verlag) und „Aufstand der Städte“ (Westend), gemeinsam mit Petra Roth. Heute ist er Verleger der „Frankfurter Ansichten“, sein schönes Buch „Frankfurt für Anfänger“ (das es auch in einer englischen Ausgabe gibt) steht gegenwärtig auf der Shortlist für das „Schönste Regionalbuch“.

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