Geschrieben am 1. April 2022 von für Crimemag, CrimeMag April 2022

Markus Pohlmeyer: Variationen zu Krieg und Frieden

– Ein Fragment.

Die Profiteure

Machen wir uns nichts vor.

„So lange der Krieg als eine Möglichkeit überhaupt in Betracht kommt, d. h. also, so lange es Berufszweige gibt, die auf die Möglichkeit eines Krieges gestellt sind, ferner so lange es auch nur einen Menschen gibt, der durch den Krieg seinen Reichtum vergrößern oder solchen erwerben kann und der zu gleicher Zeit die Macht hat oder den Einfluß, einen Krieg herbeizuführen, genau so lange wird es Kriege geben.“[1]

„Die Frühe Neuzeit kennt die Erfindung der kriegsentscheidenden Feuerwaffen, aber auch diejenige nicht auf Loyalitäts-, sondern auf Mietbasis operierender Söldnerheere, für die der Krieg Selbstzweck und der Frieden Arbeitslosigkeit bedeutet: Für die Landsknechtheere bedeutet der Frieden ein ‚Loch‘ des Kriegs, das dringend durch mehr Krieg zu stopfen ist.“[2]

Religion

Voltaire zum Thema Toleranz: „Der allerchristlichste François I verbündet sich mit den Muslimen gegen den allerkatholischsten Karl V. François I gibt den deutschen Lutheranern Geld, um sie bei ihrem Aufstand gegen den Kaiser zu unterstützen, aber wie es Brauch ist, macht er sich daran, die Lutheraner in seinem Herrschaftsgebiet zu verbrennen. Aus Gründen der Politik bezahlt er sie in Sachsen, aus Gründen der Politik verbrennt er sie in Paris. Doch wohin führt das? Verfolgungen schaffen neue Anhänger. Bald ist Frankreich voller neu bekehrter Protestanten. Zuerst lassen sie sich erhängen, dann erhängen sie die anderen.“[3]

Denen eine Stimme leihen, die keine mehr haben

Das berühmte, bestürzende „Kriegslied“ von Matthias Claudius beginnt so: „’s ist Krieg! ’s ist Krieg! …“ Halt, in bestimmten Region darf man nicht mehr „Krieg“ sagen, sondern Sonderoperation oder Prävention oder was-auch-immer: Soldatischer Urlaub vielleicht, die zufällig ihre Waffen dabei hatten. Nein, es ist Krieg.

Der „Agricola“ des römischen Historikers Tacitus reflektiert das Leben unter einer kaiserlichen Diktatur. Neben Bücherverbrennungen auf den Forum und Vertreibung von Philosophen aus Rom Folgendes: „[…] wobei uns durch  Besptizelung jede Art des Meinungsaustausches genommen war. Ja, selbst die Erinnerung hätten wir zusammen mit der Sprache verloren, wenn es ebenso in unserer Macht stünde, zu vergessen wie zu schweigen.“[4] In einem Latein geschrieben, das dir das Herz zerschneidet. Und während der Eroberung Britanniens lässt dieses Werk einen Fürsten vor der Entscheidungsschlacht sprechen – vielleicht findet sich in dieser Stimme der Bedrohten auch Tacitus selbst wieder (nur eine Vermutung)? Eine Stimme, die mit Empathie und Perspektivwechsel kolonisierende Sprachpolitik demaskiert. Über die Römer: „Die Räuber der Welt dursuchen nun, nachdem ihnen bei ihren alles verheerenden Zügen die Länder ausgegangen sind, das Meer. Ist ein Feind reich, sind die habgierig, ist er arm, verlangen sie nach Ruhm, und weder Orient noch Okzident kann ihren Machthunger stillen. […] Wegschleppen, morden, rauben nennen sie mit falschem Namen Herrschaft, und wo sie eine Einöde schaffen, sprechen sie von Frieden.“[5]  

In die Hölle

Und wieder und immer wieder.

„Die ‚Hölle von Verdun‘, von Tod und Blut, haben die Miterlebenden gesagt: Ein kleines Gelände von wenigen Quadratkilometern, voller Forts, mit Betondecken und Panzertürmen, Schutzgräben, MG-Stellungen, Drahtverhauen, Beobachtungspunkten; auf diesen Raum wurde die auf beiden Seiten massierte schwere und leichtere Artillerie konzentriert, monatelang wurde er immer wieder von Granaten durch und durch aufgewühlt, alle Soldaten lagen unter diesem ständigen mörderischen Dauerfeuer, in weithin zerstörtem Gelände, zwischen Wasserlöchern, Granattrichtern und Schlamm, kaum versorgt; alle brachen immer wieder zu Sturmangriffen und Gegenangriffen auf, immer im Wissen und Sehen, wie der Nebenmann zerfetzt oder verschüttet wurde; und all das, Lebensgefahr und Nervenanspannung, hörte nie auf, auch in rückwärtigen Stellungen lagen die Soldaten unter dem schweren Granatfeuer, und sie wußten, daß der Gang in die Hölle nach vorn wieder bevorstand.“[6]

Das Gedicht als Jüngstes Gericht

… oder als Konfrontation mit dem eigenen Gewissen?

„’s ist Krieg! ’s ist Krieg! O Gottes Engel wehre,
Und rede Du darein!
’s ist leider Krieg! – und ich begehre
Nicht schuld daran zu sein!

Was sollt’ ich machen, wenn im Schlafe mit Grämen,
Und blutig, bleich und blaß,
Die Geister der Erschlagnen zu mir kämen,
Und vor mir weinten, was?

Wenn wackre Männer, die sich Ehre suchten,
Verstümmelt und halb tot,
Im Staub sich vor mir wälzten und fluchten
In ihrer Todesnot?

Wenn tausend Väter, Mütter, Bräute,
So glücklich vor dem Krieg,
Nun alle elend, alle arme Leute,
Wehklagten über mich?

Wenn Hunger, böse Seuch’ und ihre Nöten
Freund, Freund und Feind ins Grab
Versammelten und mir zu Ehren krähten
Von einer Leich’ herab?

Was hülf’ mir Kron’ und Land und Ehre?
Die könnten mich nicht freun!
’s ist leider Krieg! – und ich begehre
Nicht schuld daran zu sein!“[7]

Peter von Matt zu diesem Gedicht: „Der Dichter wagt es nicht, vor Gott und der Welt feierlich zu erklären, er sei unschuldig; er kann nur merkwürdig stockend sagen, er möchte es nicht sein. Damit zieht er die dunkle Konsequenz aus einer triumphalen Erkenntnis seines Jahrhunderts: daß die Menschheit ein Ganzes sei, verschwistert alle zusammen und miteinander auf dem Weg ins beßre Land. Wenn das stimmt, dann kann man sich auch aus der Schuld der andern nicht einfach wegstehlen. ‚Alle Menschen werden Brüder‘ jubelt es in diesen Jahren. Ja, sagt Claudius dazu, auf Tod und Leben. Wer könnte ihm heute widersprechen?“[8]

Trotzdem Hoffnung?

„Rundmarsch der Gefangnen

In Moskau hab ich einst ein Bild gesehen.
Van Gogh der Meister. Dunkler Quadern Bau.
Ein Innenhof. Gefangne, grau in grau,
Die hoffnungslos in engen Kreisen gehn.

Nun schau ich selber durch die Gitterstäbe
In einen Hof, darin man Menschen treibt
Wie Herdenvieh, das noch zu hüten bleibt,
Bevor man ihm das Beil zu spüren gäbe.

Als Herrscher aller dieser grauen Bahnen,
Steht Einer draussen, den die Lust erfüllt,
Wenn Andre leiden: Einer, der noch brüllt,

Wenn Andre schweigend schon die Wandlung ahnen,
Die aus den Gräbern sprossend längst beginnt,
Bevor sie rot in rote Ströme rinnt.“[9]

„Hitler blieb bis zu seinem Tod Mitglied der katholischen Kirche. Auch ein Teufel konnte wie der Papst katholisch sein.“[10]

Visionen

Auch wenn die Leiden des Aeneas in Vergils großem Epos und der anderen Flüchtlinge aus Troja noch am Anfang stehen, tröstet Jupiter in Buch I seine Tochter Venus, die Mutter des Helden, mit einem prophetischen Ausblick auf das noch zu gründenden, noch in schier unerreichbarer Ferne liegende Rom. Indirekt wird hier auch das Ende der Bürgerkriege durch Augustus gefeiert: „Grausame Kriege sind beendet: dann werden Jahrhunderte friedlich. Die altehrwürdige TREUE und Göttin Vesta, Quirinus mit Remus, seinem Bruder, werden Recht sprechen. Des grimmigen KRIEGS Tempeltüren werden sich schließen […]; der brudermörderische WAHNSINN wird drinnen wütend wüten – über einem Berg von Waffen sitzend, am Rücken mit hundert ehernen Knoten gefesselt, zum Fürchten mit seiner blutverschmierten Grimmasse.“[11] (Freie Übersetzung von mir.)

In seinen Erklärungen zum römischen Festkalender schreibt Ovid über den Ianus-Tempel: „‘Doch warum hältst du dich im Frieden verborgen, und warum wird dein Tempel geöffnet, wenn man zu den Waffen greift?‘  [… Ianus antwortet; Anm. MP:] ‚Im Frieden schließe ich die Türen, damit er nicht irgendwie entweichen kann […]. ‚Ianus, schenke Ewigkeit dem Frieden und den Dienern des Friedens, und gib, dass der Schöpfer sein Werk nicht verlässt.‘“[12]

Alle Kriege fangen in uns an, in unserer Seele, aber vielleicht kann das Herz zum Ort werden, wo aller Frieden beginnt:

„Mein Herz hat angenommen jegliche Gestalt:
für die Gazellen Weideplatz, für Mönche Kloster,
den Götzen Tempelbau, dem Pilgerkreis die Ka‘ba,
Schrifttafeln für die Thora, Seiten dem Koran.
Mein Glaube ist die Liebe: wo die Karawane
auch hinziehn mag, ist Liebe meine Religion.“[13]


[1] A. Schnitzler: Das große Lesebuch, ausgewählt v. S. Michel, Frankfurt am Main 2008, 287.

[2] M. Föcking – C. Schindler: Vorwort, in: Der Krieg hat kein Loch. Friedenssehnsucht und Kriegsapologie in der Frühen Neuzeit, hg. v. M. Föcking – C. Schindler, Heidelberg 2014, 7-17, hier 8.

[3] Voltaire: Aufgeklärtes Denken. Aus dem Philosophischen Taschenwörterbuch, übers. v. A. Oppenheimer, hg. v. R. Bauer, Stuttgart 2021, 77.

[4] Tacitus: Agricola, in: Ders.: Agricola/Germania, lat./dt., hg. u. übers. v. A. Städele, 2. Aufl., Düsseldorf 2001, 9.

[5] Tacitus: Agricola (s. Anm. 4), 49.

[6] T. Nipperdey: Deutsche Geschichte 1866-1918. 2. Bd.: Machtstaat vor der Demokratie, München 1998, 776 f.

[7] M. Claudius: Kriegslied, in: Ders.: Ausgewählte Werke, hg. v. W. Freund, Darmstadt 2004, 441 f. Verseinzug von mir etwas geändert.

[8] P. von Matt: Die verdächtige Pracht. Über Dichter und Gedichte, München 2001, 88.

[9] A. Haushofer: Moabiter Sonette, hg. v. A. von Graevenitz, München 2012, 14; und aus dem Klappentext: Albrecht Haushofer wurde „[…] 1944 nach dem Attentat auf Hitler in Bayern verhaftet und ins Gefängnis Berlin-Moabit gebracht, in dessen Nähe er kurz vor der Einnahme Berlins durch die Rote Armee von SS-Männern liquidiert wurde.“

[10] H. Wolf: Papst & Teufel. Die Archive des Vatikan und das Dritte Reich, München 2008, 306.

[11] P. Vergili Maronis Opera, hg. v. R. A. B. Mynors, Oxford 1969 (Aeneidos I, 290 ff.).

[12] Ovid: Fasti. Der römische Festkalender, lat./dt., übers. u. hg. v. G. Binder, Stuttgart 2014, 23.

[13] Ibn al-‘Arabî, in: Das Wunder von al-Andalus. Die schönsten Gedichte aus dem Maurischen Spanien, aus d. Arabischen u. Hebräischen übers. v. G. Bossong, München 2005, 151. Verseinzug von mir etwas geändert.

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