„Star Wars“: Exportschlager Demokratie – Gulliver im Outer Space
– Ein Essay von Markus Pohlmeyer.
Die „Clone Wars“-Animationsreihe schließt die Lücke zwischen den Episode II und III der „Star Wars“-Saga. Worum es geht? Die Kurzfassung: um den archetypischen Kampf von Gut und Böse; um die Plünderung des Inventars von Mythen inklusive Patchwork-Religiosität; um große Jungs, die ins Abenteuer ziehen und eine nicht zu verbergende Affinität zu Prinzessinnen haben (im Gegensatz zum „Herr[n] der Ringe“, wo kleine Jungs ins Abenteuer ziehen und sich – ohne große Affinität zu Frauen – in Ruhe mit den Bösen kloppen wollen); um den Umschlag einer Republik in ein diktatorisches Imperium; um Mega-Weltraumschlachten; um viel Action und natürlich um noch mehr Dollars. Genre: Science Fiction. Es war einmal … alles schon da. Anders gewendet: „Star Wars“ spielt in der Zukunft, ist aber nicht zukunftsweisend. (Auch dieser Essay stellt nur neu zusammen, was sicher schon einmal in dieser Galaxie zu diesem Thema gedacht und in vielen Diskussionen von Fans und Anti-Fans gesagt wurde.)
„The Clone Wars“ beleuchten die Facetten und galaxisweiten Auswirkungen eines Krieges zwischen den sogenannten Separatisten und der Republik, deren Kriegerkaste die Jedi-Ritter repräsentieren, ein pseudo-religiöser mittelalterlicher, quasi-katholischer Orden (wegen des Zölibats; eine verbotene Liebesgeschichte droht dann auch, das Ganze gefährlich in Richtung Rosamunde Pilcher zu kippen), aber ohne Papst (wie unser Planet momentan auch …): mit einigen spirituellen Oberhäuptern wie z.B. den Buddha-weisen, syntaxschreddernden[1] Zwerg Yoda, der auf der Titelseite der Zeitschrift Cinema (03/84) mit der Überschrift „Wählen Sie den Star des Jahres!“ in unmittelbarer Nähe von Woody Allen zu sehen war.[2] (Anmerkung: Für das amerikanische Publikum scheint Woody Allen neuerdings die Galaxie gewechselt zu haben, weil er in seinen letzten Filmen eine große Affinität zum Kulturraum Europa zeigt.)

Gulliver entdeckt Laputa, die Stadt auf der fliegenden Insel. (Buchillustration von Grandville, 1838)
Gulliver im Outer Space
Die geniale (ja, okay, vielleicht zu dick aufgetragen im Vergleich zu Alien oder 2001) 4. Staffel der „Clone Wars“ – die 3. Staffel versank in ästhetischer Bedeutungslosigkeit einer Money-Making-Machine und gekonnt inszenierter Langeweile –, also in der 4 . Staffel, die vor logischen Brüchen nur so strotzt (alles andere hätte uns auch nur enttäuscht!) und durchaus ernstzunehmende gesellschaftskritische Momente (Auseinandersetzung z.B. mit dem Thema Sklaverei) bietet, findet sich eine kleine Perle (ca. 20 Minuten lang): ein Meisterwerk der Erzählkunst im Weltraum, eine Referenz vor einem noch größeren Meisterwerk der Weltliteratur, der Satire Gullivers Reisen[3] von Jonathan Swift (1667–1745).
Die beiden Roboter C-3PO und R2-D2 sind im Grunde die heimlichen Hauptdarsteller von „Star Wars“. Sie pflegen eine latent homosexuelle Freundschaft, wie schon auch einmal in einer Simpsons-Folge angedeutet, haben sich aber meines Wissens nie darüber ausgesprochen bzw. ausgepiepst. Sie sind Dick und Doof im All, nur dass Doof hier dick, klein und schlau ist und Dick golden, dünn und doof (auf seine intelligente Art und Weise). Unsere Laurel- und Hardy-Droiden müssen auf ihrer Rückreise nach einer Rettungsmission und einem Angriff durch Separatisten notlanden (der Einfachheit halber folgen jetzt Buchstaben): auf Planet a; dort werden sie von den kleinen Bewohnern (nennen wir sie A, das Äquivalent zu Swifts Lilliput) überwältigt und gefesselt. Diese regiert ein König, dessen Agenda von den Untertanen so charakterisiert wird: „Er schickt unsere Kinder, um seine Kriege zu führen.“ Der Minityrann will die beiden riesenhaft wirkenden Roboter freilassen. Aus Versehen schlägt C-3PO R2-D2 aber auf die mechanische Schulter, und dieser kippt unfreiwillig auf den Zwergen-König. Matsch! Das Volk A ist nun befreit und will C-3PO zu seinem neuen Führer wählen. R2-D2 kommentiert das mit kicherndem Piepsen. C-3PO fasst den Entschluss – politisch voll korrekt –, eine Demokratie zu errichten: die drei beliebtesten A’s sollen vortreten, die anderen mögen doch über sie abstimmen. Es entstehen drei Fraktionen, und alles endet handgreiflich im Streit. C-3PO: „Herzlichen Glückwunsch! Nun seid ihr eine Demokratie!“
Brobdingnag
Die beiden Roboter verlassen diesen Planeten sehr, sehr schnell, müssen aber gleich darauf wegen Energiemangels auf Planet b landen und werden von den dortigen Bewohnern, den B’s, gefangen genommen und zu ihrem Anführer gebracht, der nur präsent ist als eine gigantische (Holo-)Projektion (hier das Äquivalent zu Swifts Brobdingnag). R2-D2 gelingt es, in einer Felswand den geheimen Eingang zu einem gestrandeten Raumschiff zu finden, das intelligente Droiden in ihr Traumschiff verwandelt haben: „Und wenn du jemanden herumkommandieren willst, besorg’ dir deine eigenen Organismen!“ wird R2-D2 angefaucht. Diese Droiden kontrollieren nämlich mittels der Projektion das Volk B als ihre Untertanen. Der Spuk fliegt auf, die B’s stürmen das Schiff, welches kurz darauf explodiert. Demokratie errichtet, Diktatur gestürzt. Wer A sagt, muss auch B sagen. Es folgen nun noch 2 weitere Stationen, auch das entspricht dem Werk von Swift.
C-3PO und R2-D2 geht nun die Energie aus; so werden sie regungslos von Piraten gefunden, die auf ihrem Schiff in einer Arena Gladiatorenkämpfe zwischen Robotern veranstalten – eine kleine Anspielung auf ähnliche Gepflogenheiten in „A.I. – Künstliche Intelligenz“ (2001, Regie: S. Spielberg). Bevor aber C-3PO und R2-D2 von einem Psychokiller-Terminator-Roboter geschrottet werden, greift ein Separatistenkreuz unter General Grievous (Psychokiller-in-Maschinen-Prothese, aber ohne die heitere Gelassenheit eines Jokers) die Piraten an. Den beiden gelingt spektakulär die Flucht, die wie immer R2-D2 gedeichselt hat, aber nur um auf dem Separatistenschiff gefangen zu werden. Dort sollen sie für die Waffenproduktion von Grievous eingeschmolzen werden (ökologisch voll korrekt: keine Verschwendung von Rohstoffen). Aber glücklicherweise greift ein Jedi-Kreuzer an und Klon-Krieger (sehen alle gleich aus, mehr oder weniger) unter der Führung eines Jedi-Meisters (diesmal mit vertrauter Syntax) befreien das Schiff. Der Jedi-Meister spurt nicht ungeschickt ein (und dies mit einem Hauch von Sadismus), dass C-3PO einem Klon-Krieger seine Geschichte erzählt, C-3PO, diese von allen gefürchtete Endlostextproduktionsmaschine.
Warum nervt der goldene Blechkasten bloß? Er sieht sich als Helden (in Wirklichkeit ist es der intelligentere R2-D2), er interpretiert die Geschehnisse nur aus seinem selbstherrlichen Blickwinkel. Zusammengefasst: er habe alles im Griff, er sei ein Meisterdiplomat, R2-D2 nur ein Dilettant usw. C-3PO ist Gefangener seines Universums, aus dem er niemals ausbricht. Wir Zuschauer und auch die anderen Akteure sehen immer mehr und immer anders als er; durch diese Differenz ergeben sich Humor, Ironie und auch ein bestimmtes Maß an Tragik.
Chaos
C-3PO hat ja keine Demokratie geschaffen, sondern nur Chaos (… und R2-D2 übrigens ein kleines Inferno, als er die Unterdrückten von ihren Unterdrückern befreite. Die Nachhaltigkeit dieses Unterfangens dürfen wir bezweifeln.) Und darin liegt auch die gespenstische Tragik von „Star Wars“ hinter all dem Actionrumgedöns: Die demokratische Republik zerfällt im Bürgerkrieg. Natürlich hat der neue Imperator die Demokratie nicht im Alleingang gestürzt, es gab immer Subsysteme und Interessengruppen, die davon profitierten: der Finanzsektor, Sklavenhändler, Nationalisten auf irgendwelchen drittklassigen Planeten, die Produzenten von Klon-Kriegern, machtgeile Ex-Jedi-Ritter, Mini- und Maxi-Diktatoren in spe etc.; die meisten von ihnen aber werden von ihrem dunklen Meister früher oder später rücksichtslos geopfert. Aber auch das neue Imperium ist alles andere als stabil: Darth Vader plant ja, zusammen mit seinem Sohn, den Imperator zu stürzen (gut, der Sohn will lieber mit einer Prinzessin die Galaxis retten – und das ist ja auch in Ordnung). Und die demokratischen Rebellen, die für den Sturz des Imperiums kämpfen, ehren nach der Zerstörung des ersten Todessternes in Episode IV ihre Helden mit einer geradezu präfaschistischen Zeremonie. Wiederkehr des Gleichen: Keiner/keine kann ausbrechen. Und so dürfte auch die Serie gewinnbringend bis in alle Ewigkeit fortgeführt werden, gefangen in einem zirkulären, archetypischen Gut-gegen-Böse-Muster.
Unsere beiden Clowns (nein, keine Anspielung auf aktuelle Politik in unserer Galaxie! C-3PO und R2-D2 sind nämlich in der Tiefe ihrer Roboterherzen Demokraten!) wirken wundervoll wie ein ironischer, humorvoller, aber auch satirischer Spiegel, in dem wir gleichzeitig menschliche Größe und menschliches Scheitern sehen können, wenn denn dieses galaktische Märchen als eine Parabel auf unsere Welt verstanden werden kann.
PS: Und was mich immer ermutigt hat: Eine Elitetruppe des Imperiums wurde in „Die Rückkehr der Jedi-Ritter“ von einer Horde exzentrischer Teddybären (den sogenannten Ewoks; nein, diesmal keine Hobbits!) dem Waldboden gleichgemacht.
Markus Pohlmeyer
Markus Pohlmeyer lehrt an der Universität Flensburg (Schwerpunkte: Religionsphilosophie; Theologie und Science Fiction).
Filmzitate aus: Star Wars: The Clone Wars. Die komplette vierte Staffel. TM & © 2012 Lucasfilm. z. B. hier.
Literaturhinweis: Krieg der Stern/Star Wars in: Filmgenres: Science Fiction. Hrsg: Thomas Koebner. Stuttgart: Reclam 2003. 299-314. Verlagsinformationen zum Buch.
Swift-Fotos: wikimedia commons, public domain.
[1] Unrecht Yoda ich tue, die seltene Wordstellung OSV er verwendet. Vgl. dazu auch D. Crystal: The Cambridge Encyclopedia of Language, 2. Aufl., Cambridge 1997 (2005), 98.
[2] Titelbild nachgedruckt in Cinema 03/13, 122.
[3] REISEN zu mehreren entlegenen Völkern der Erde in vier Teilen von LEMUEL GULLIVER erst Wundarzt später Kapitän mehrerer Schiffe, in: J. Swift: Ausgewählte Werke in drei Bänden, Bd. 3, hg. v. A. Schlösser, aus d. Engl. v. F. Kottenkamp, Berlin und Weimar 1982.