Geschrieben am 25. Oktober 2014 von für Crimemag, Krimigedicht

Krimigedicht: Johann Wolfgang von Goethe – Der Erlkönig

ErlkoenigDer Erlkönig

von Johann Wolfgang von Goethe

Wer reitet so spät durch Nacht und Wind?
Es ist der Vater mit seinem Kind;
Er hat den Knaben wohl in dem Arm,
er faßt ihn sicher, er hält ihn warm.

Mein Sohn, was birgst du so bang dein Gesicht? –
Siehst Vater, du den Erlkönig nicht?
Den Erlenkönig, mit Kron’ und Schweif? –
Mein Sohn, es ist ein Nebelstreif! –

Du liebes Kind, komm geh’ mit mir!
Gar schöne Spiele spiel’ ich mit dir;
Manch’ bunte Blumen sind an dem Strand,
meine Mutter hat manch gülden Gewand. –

Mein Vater, mein Vater, und hörest du nicht,
was Erlenkönig mir leise verspricht? –
Sei ruhig, bleibe ruhig, mein Kind;
In dürren Blättern säuselt der Wind. –

Willst, feiner Knabe, du mit mir gehn?
Meine Töchter sollen dich warten schön;
Meine Töchter führen den nächtlichen Reihn,
und wiegen und tanzen und singen dich ein. –

Mein Vater, mein Vater und siehst du nicht dort
Erlkönigs Töchter am düsteren Ort? –
Mein Sohn, mein Sohn! Ich seh’ es genau!
Es scheinen die alten Weiden so grau! –

Ich liebe dich! Mich reizt deine schöne Gestalt;
Und bist du nicht willig, so brauch’ ich Gewalt. –
Mein Vater, mein Vater, jetzt faßt er mich an!
Erlkönig hat mir ein Leids getan! –

Den Vater grauset’s, er reitet geschwind,
er hält in den Armen das ächzende Kind,
erreicht den Hof mit Mühe und Not;
In seinen Armen das Kind war tot.

(1782)

Illustration: „Erlkoenig Schwind“ von Moritz von Schwind – OLd Postcard: F. A. Ackermann’s Kunstverlag, München. Universal-Galerie, Serie 213, Nr. 2175b. (Original uploader was Georg Jäger at de.wikipedia, same file name). Lizenziert unter Public domain über Wikimedia Commons.

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