Geschrieben am 15. August 2016 von für Crimemag, Kolumne

Kolumne: Frank Göhre: Gelesen. Gehört. Gesehen (9)

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Undercover Agent for the Blues

Von Frank Göhre

Wieder auf Tour

Er sitzt vorn auf der Bühne, ein großer, schlaksiger Typ. Er erinnert ein wenig an Michael Madsen, den Mr. Blonde in Tarantinos Reservoir Dogs. Wie er zu Stuck in the middle with you von Stealers Wheel mit dem Rasiermesser um den gefesselten und geknebelten Cop herum tänzelt und ihm ein Ohr abschneidet. Der Mann auf der Bühne aber tickt nicht so. Er wird in wenigen Tagen Siebzig und ruht nach einem durchaus bewegten Leben in sich selbst. Er sitzt im Rampenlicht und trägt zu einem kurzärmeligen Hemd und schlichter Arbeitshose einen tief in die Stirn gezogenen Stetson und Stiefel. Eine schmale, dunkle Brille schirmt seine Augen ab. Spotlight.clipboard0-horz

Der Mann sitzt auf der Bühne des Auditorium Stravinski in Montreux am Genfer See. Es ist Ende Juli, und es ist das seit Mitte der Sechziger alljährlich stattfindende weltberühmte internationale Jazz Festival, zu dem allerdings nicht nur Jazzer eingeladen werden. James Brown und Carlos Santana traten auf, Peter Tosh, Marvin Gaye und Van Morrison, Led Zeppelin und auch Prince. Legendär ist die im engen Zusammenhang mit dem Direktor des Festivals „Funky“ Claude Nobs stehende Aufnahme Smoke on the water von Deep Purple.

Die britische Hardrockband war im Dezember 1971 in Montreux, um ein neues Album aufzunehmen. Von ihrem Hotelfenster aus sahen sie eines Abends wie sich dichter Rauch über dem Genfersee ausbreitete. Im Casino der Stadt hatte während eines Frank Zappa Konzerts ein Durchgeknallter mit einer Signalpistole in die Decke geschossen und damit ein schnell um sich greifendes Feuer ausgelöst.
Der Deep Purple Song erzählt davon: Funky Claude was running in and out, pulling kids out the ground. Der Song mit dem simplen Intro Riff (kann jeder Rock-Fan aus dem Stand intonieren) wurde ein Hit und bei Tourneen der fünfköpfigen „lautesten Popgruppe der Welt“ (Guinness Book of World Records) regelmäßig als Zugabe gespielt.

clipboard2-horzJetzt ist es 2013 und der Mann auf der Bühne hat als Equipment lediglich eine E-Gitarre und eine Mundharmonika. Der Gitarrengurt ist aus Schlangenleder und in Schulterhöhe mit einem bronzenen
Schlangenkopf verziert.

clipboard1-horzEs ist Tony Joe White, Gitarrist, Texter und Sänger aus Oak Grove, Louisiana, bekannt und gerühmt als einer der bedeutendsten Musiker des Swamp Rock.

Swamp Rock entwickelte sich im tiefen Süden der USA, da, wo die frühen Romane von Daniel Woodrell angesiedelt sind, James Lee Burke seinen Lieutenant Dave Robincheaux in den Suff abstürzen ließ und wiederbelebte und wo auch Elmore Leonard geboren wurde und später hin und wieder seine Protagonisten agieren ließ. Es ist eine Musik, die Elemente des Country, Blues, Folk und der Cajun -Musik verbindet, und wer sich darüber und über Land und Leute umfassend informieren möchte, sollte nach dem von Peter Bommas und Franz Dobler herausgegebenen Buch Down in Louisiana stöbern, vor gut 20 Jahren erschienen und nach wie vor der einzige aufschlussreiche Einblick in die Szene, spannend geschrieben und Lust machend auf die Stücke der Cajun- und Swamp-Musiker, und auch auf die frühen Aufnahmen von Creedence Clearwater Revival.

Tony Joe White begann seine Musikerlaufbahn in texanischen Bars und Clubs mit mehreren Auftritten pro Abend und Nacht. In Nashville nahm er dann sein erstes Album auf – Black and White, ein Mix aus Blues-Klassikern, Soul und autobiografischen Songs. Seitdem gilt er als „unverwechselbarer Stilist, dessen ‚Formel‘ auch zu beträchtlichem Teil durch Produzent Billy Swan und fabelhafte Session-Cracks definiert wurde“ (Rolling Stone). Mit der Geschichte von der in Louisiana aufgewachsenen armen Annie und ihrer kargen Tagesmahlzeit landete er seinen ersten Top Ten-Hit: Polk Salad Annie. Der Song wurde von Elvis Presley gecovert und fester Bestandteil seiner Las Vegas Show.

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Ende der Achtziger arbeitete White mit Tina Turner zusammen, die auf ihrem Album Foreign Affair neben dem Titelstück noch drei weitere Songs von ihm übernahm: You Know who, Steamy Windows und Undercover Agent for the Blues. White selbst tourte damit durch Frankreich, Seite an Seite mit
Eric Clapton und Joe Cocker. Allein dort verkaufte er von seinem inzwischen elften Albums Closer to The Truth 100.000 Exemplare. Danach wurde es still um ihn – in Deutschland war er ohnehin kaum bekannt geworden.

Das änderte sich erst 1992 mit seinem 60 Minuten Auftritt in der neben dem Rockpalast beliebtesten TV-Musiksendung Ohne Filter. Da präsentierte sich mit kleiner Formation – Keybord/Piano, Bass & Drums – ein Tony Joe White in Bestform und verabschiedete sich mit seinem Dauerhit Rainy Night in Georgie und als swingende Zugabe Even Trolls Love Rock `n Roll.

Am 23. Juli dieses Jahres nun hatte Tony Joe White seinen 73. Geburtstag und kurz vorher ist sein neues Album Rain Crow erschienen – neun Songs „durchtränkt von den sumpfigen, psychedelischen Americana-Sagenwelten seiner Südstaatenheimat“ (Rolling Stone). Mit ihnen und seinen früheren Hits ist er ab dem 29. Oktober auf Europa Tour, in London und Manchester, Paris, den Niederlanden und Belgien und in den beiden einzigen deutschen Städten Wuppertal (6.11.16) und Hamburg (7.11.16), wie zu Beginn seiner Karriere ausschließlich in kleinen Clubs mit langer Blues-Rock Tradition: Welcome, Mr. Undercover Agent for the Blues.

Frank Göhre

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