Selbst Wickenrode bleibt nicht verschont. Fundstücke aus dem öffentlich-rechtlichen Tollhaus
Es herrscht kein Mangel an Köchen und Kommissaren in den öffentlich-rechtlichen Sendern. Abend für Abend wird in Weimar und Wismar, Kitzbühel und Köln, Leipzig, Hamburg und Rosenheim schweißtreibend und kräftezehrend polizeilich ermittelt.
Eine Mutter vermisst ihren 29jährigen Sohn. Da schließt die Kommissarin nach intensivem Grübeln messerscharf: Da steckt mehr dahinter!
Wohl wahr, und zudem ein gern verwendeter Dialogsatz in den Vorabendserien und auch im sonntäglichen „Tatort“ aus 16 Bundesländern, Österreich und der Schweiz: … zweifelsohne eine Perle des Fernsehschaffens, wie sonst wäre es zu erklären, dass die ARD-Anstalten fast ausschließlich dieses „Genre“ permanent auf allen verfügbaren Kanälen senden? Fragt „Leser201“ anlässlich einer Deutschlandkarte der ZEIT „Tatort“ gegen „Polizeiruf 110“, Marktanteile 2015 im Vergleich.
Angesichts des Ergebnisses von 27% für den „Tatort“ (im Schnitt zwischen sieben und neun, gelegentlich auch mal dreizehn Millionen Zuschauer ab – aufgemerkt – 3 Jahren!) kann die Antwort der Programmverantwortlichen nur sein: Wir senden erbarmungslos, was gern gesehen wird, und was das ist, wissen und entscheiden einzig und allein wir.
Regelprogramm mit Auflagen
Dafür ist dann auch Geld da und die inhaltlichen Diskussionen sind auf ein Minimum bzw. populistische Überlegungen reduziert, bei Filmen eben, die sowieso gemacht werden mussten, den Tatorten, Serien („Regelprogramm“ nennt das Fernsehen diese zu erbringende Soll-Ware) – da waren die Entscheider stets im Lieferdruck, in Zeitdruck, und das vereinfachte von selbst alle Abläufe.
Ein Aspekt, den der Regisseur Dominik Graf in seinem Erfahrungsbericht in „Szenario 10. Film- und Drehbuch-Almanach“ benennt (Hg. Jochen Brunow, Bertz + Fischer Verlag, Berlin, 320 Seiten, 24,- €).
Es ist ein in mehrfacher Hinsicht aufschlussreicher Text über Produktionen und Produktionsbedingungen der Öffentlich-rechtlichen, ausgehend von der Situation des Drehbuchautors und der des Regisseurs mit dem Fazit: Wir müssen zusammenhalten gegenüber dem Redakteurswahn und den von ihnen abhängigen System-Produzenten.
Deutschland blutig Vaterland
Ohnehin aber muss festgestellt werden, dass das Verbrechen des Deutschen liebstes Vergnügen ist, und zwar an ihren Lieblings-Leseorten Sofa, Sessel oder Bett (B.Z. vom 21.3.2016) Und das allerorten.
Also sehen wir uns um.
Marburg: Kaum ist Kommissar Nau mit seinem Hund Pepper wieder zurück in der alten Heimat, um seinen Vorruhestand zu genießen, wird er zu einem überaus kniffligen Fall gerufen. Ein junger Chirurg und ein Stadtstreicher sind ermordet worden. Begeht hier ein Fanatiker grausame Ritualmorde?
Augsburg: Blutige Morde erschüttern die Stadt. Der ortsansässige Zuhälterkönig und ein respektierter Stadtrat wurden grausam dahin gemetzelt. Ist auch hier ein blutrünstiger Irrer am Werk?
Selbst Wickenrode in Nordhessen bleibt nicht verschont: Kaum in sein Heimatdorf zurückgekehrt, stolpert der jüdische Arzt Edgar Brix über eine Leiche. (Kurzinhalte der bei der Autoren-Jury des „Syndikat“s eingereichten Romane in der Kategorie „Debüt“)
Deutschland blutig Vaterland, schreibt der Krimi-Kritiker Volker Albers, und: Regionalkrimis entvölkern so ziemlich jeden Landstrich … es gibt den Chiemsee-Krimi, den Küsten-Krimi, den Hinterm-Deich-Krimi, den Niederrhein-Krimi, den Alpen-Krimi, den Bodensee-Krimi, den Ostfriesen-Krimi, den Sylt-Krimi, den Lüneburg-Krimi, den Franken-Krimi, den Insel-Krimi und, und, und. (Hamburger Abendblatt 19./20. März 2016)
In Marburg, der Stadt der grausamen Ritualmorde, kommen nun am 17.-24. April 2016 einige Dutzend Schreiber dieser äußerst speziellen Heimatromane zu ihrer alljährlichen Vollversammlung zusammen und haben möglicherweise bei der Abendveranstaltung „Das Krimi-Quiz“ Antwort auf die Fragen, warum und wozu das alles, wie konnte das passieren und wie soll es weitergehen, wenn auch die letzte Region blutig überflutet ist?
Die große Küchenschlacht
Zu Beginn des Treffens aber gibt es Tipps, was kriminell gut schmeckt und völlig unkompliziert zubereitet werden kann.
Da hat Angela Eßer, Krimi-Autorin und Festival-Organisatorin, nicht nur jede Menge mörderisch-leckere Gaumen-Tipps für Sie parat, sondern wird exklusiv für Sie spezielle Kostproben zubereiten. Sie kann dabei aus dem Vollen schöpfen, denn inzwischen findet sich in fast jedem Krimi aus deutschen Landen ein Großmutter-, Mutter- oder Leibgericht, von Käsespätzle bis Currywurst, Thüringer Sauerbraten und „Himmel un Ääd“.
Bei der korrekten Beschreibung der Zubereitung hapert´s mitunter, aber okay: Bis auf wenige Ausnahmen nehmen diese Hobby-Autoren auch nicht an der ZDF-“Küchenschlacht“ teil, meinem absoluten Highlight Montag bis Freitag, von 14.15 bis 15 Uhr.
Sechs gehen rein und am letzten Tag ist einer der Champ, hat in jeweils 35 Minuten sein Leibgericht, eine Vorspeise, ein Hauptgericht, ein Dessert und im Duell um den ersten Platz ein vom begleitenden Profikoch vorgegebenes Gericht zubereitet, gekostet und bewertet von einer Riege top qualifizierter (Fernseh-)Köche.
Da ist der behäbige Bajuwar Alfons Schuhbeck und der Schweizer Andreas C. Studer mit seinem „Rotkäppchen“-Cap, die rheinische Frohnatur Horst Lichter („immer schön Butter dazu – herrlich!“) und der förmlich in die Töpfen und Pfannen hinein kriechende Johann Lafer, die Hamburgerin Cornelia Poletto und die Thüringerin Maria Gross (plant unter „Maria Ostzone“ eine Koch- und Grillschule mit dem Schwerpunkt Organic Food), der Türke Ali Güngörmüs und der bodenständige Westfale Björn Freitag. Und natürlich Nelson Müller, Sohn ghanaischer Eltern, Koch, Restaurantbetreiber und Sänger aus Essen.
Grenzwertig allerdings war einst sein „Saltimbocca von der Bratwurst“ – mit kleingeschnittenen getrockneten Tomaten, Oliven und Salbei gefüllte und mit Räucherspeck ummantelte Würste. Das war nicht gerade ein leicht bekömmliches Grillgericht. Und schon gar nicht verzeihen kann ich ihm den Song:
Du kommst hungrig heim und machst den Kühlschrank auf,
er ist leer, da kam schon jemand vor dir drauf,
Pommesbude nebenan hat auch schon dicht gemacht,
jetzt hängst du auf dem Sofa und dein Magen auf halbacht,
sehnst dich nach `nem Profi, der dich unentwegt
bekocht und dabei auch noch scharfe Schürzen trägt …
Eine Hymne an Helene Fischer in ihrer großen ZDF Show. Das musste nun wirklich nicht sein.
Bemerkenswerter Weise hat Müller seitdem einiges an Körpergewicht zugelegt und ist in der „Küchenschlacht“ längst nicht mehr so geschmeidig. Letztens (Sendung vom 16. März) haspelte er inflationär was von „natürlich“ und wie „einfach“ dies und jenes sei, fummelte dabei an Teigröllchen herum, die dann echt scheiße aussahen.
Das war weder professionell noch unterhaltsam. Das war ein Koch auf dem Niveau eines x-beliebigen Provinzermittlers hinterm Deich und vor den Alpen.
Beides absolut verzichtbar! Aber wird das je sein?
Frank Göhre
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