Geschrieben am 15. Februar 2016 von für Crimemag, Film/Fernsehen

Kino: Spotlight

Ein Plädoyer für guten Journalismus

Fast hätte man glauben können, der Journalismus-Film im Kino sei tot. Aber dann kommt Tom McCarthy und macht nach dem furchtbaren „Cobbler – Der Schuhmagier“ mit Adam Sandler mit „Spotlight“ einen der besten Filme über investigativen Journalismus, den man ohne zu zögern in eine Reihe mit „Die Unbestechlichen“ stellen kann. Gesehen von unserer noch unbestechlicheren  Mitarbeiterin Sonja Hartl.

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Nach einem kurzen Prolog in den 1970er Jahren setzt der Film im Jahr 2001 mit einer Feier ein, auf der ein altgedienter Journalistenkollege des Boston Globe mit Kuchen und Anekdoten verabschiedet wird. Es wird Veränderungen bei der Zeitungen geben, ein neuer Chefredakteur kommt: Marty Baron (Liev Schreiber) ist nicht aus der Stadt. Diese Tatsache ist für die gesamte Geschichte von entscheidender Bedeutung. Boston mag zwar auf den ersten Blick eine Großstadt sein, tatsächlich aber entsprechen die klerikalen und gesellschaftlichen Verflechtungen einem Dorf – insbesondere wenn es um den Boston Globe geht, der traditionell eine enge Bindung zur katholischen Kirche hat. Marty muss sogar zum Antrittsbesuch beim Erzbischof, der fast wie aus dem „Paten“ anmutet, und bekommt dort wohlmeinende Ratschläge. Aber Marty ist nun ein Außenseiter, „an unmarried man of the Jewish faith who hates baseball“, und bringt damit eine neue Perspektive mit. Als er eine Kolumne über einen Missbrauchsfall in einer katholischen Gemeinde in Boston liest, ist seine Neugier geweckt. Er setzt das Spotlight-Team darauf an, benannt nach dem Ressort des Boston Globe, in dem Journalisten beschäftigt und bezahlt werden, damit sie investigativ arbeiten. Spotlight-Chef Walter „Robbie“ Robinson (Michael Keaton) und seine Mitarbeiter Michael Rezendes (Mark Ruffalo), Sacha Pfeiffer (Rachel McAdams) und Matt Carroll (Brian D’Arcy James) sollen sich die Vorwürfe genauer ansehen. Sie stellen bald fest, dass es nicht nur um einen Priester geht, gegen den diese Vorwürfe erhoben wurden. Es sind dreizehn.

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Fassungsloses Erstaunen

Fast nebenbei offenbart sich hier die Verbindung zum Prolog: Damals wurde ein Priester namens John Geoghan verhört, weil er sich an Kindern vergangen hat. 27 Jahre später hat er über 80 Jungen belästigt und ist immer noch im Amt. Das ist der innere Ansporn von „Spotlight“, der emotionale Haken, an dem der Zuschauer nahezu zwei Stunden hängen wird. Denn er steht auf der Seite der Opfer, während der Film die Arbeit der Reporter verfolgt. Hartnäckig hängt sich Rezendes – wie immer hervorragend: Mark Ruffalo – an den Anwalt Mitchell Garabedian (Stanley Tucci), der 86 Klienten vertritt, die gegen einen Priester vorgehen, und der schon längst nicht mehr geglaubt hat, in Boston Verbündete zu finden.

Pfeiffer sucht Opfer auf und spricht mit ihnen, gemeinsam mit Robbie redet sie mit Anwälten, die der Kirche geholfen haben, diese Fälle zu vertuschen. Carroll durchsucht das Zeitungsarchiv und entdeckt schließlich das entscheidende Muster, mit dem sie weitere Täter ausfindig machen können. Dadurch deckt das Spotlight-Team durch sorgfältige journalistische Recherche nach und nach die systematische Vertuschung dieser Fälle durch die katholische Kirche und des Erzbistums auf. Zugleich ist das fassungslose Erstaunen der Journalisten über das wachsende Ausmaß zu beobachten, ihr Entsetzen zu spüren, dass mit jedem Tag ihrer Tag Recherche weitere Kinder missbraucht werden. Sie sind alle in der katholischen Kirche groß geworden, sie sind in katholischen Gemeinden verwurzelt, Robbie ist befreundet mit dem PR-Mann des Erzbistums (Paul Guilfoyle) und spielt Golf mit einem Kirchenanwalt (Jamey Sheridan). Ihre Furcht, dass sie zu wenig tun – und die quälende Warterei, bis sie genügend Fakten haben, um diese heikle Geschichte zu publizieren, werden eindrucksvoll gezeigt. Denn es geht Marty wie dem Film in jeder Sekunde um die Geschichte – und zwar die große ganze Geschichte, keine sensationellen Details oder Schicksalsberichte. Deshalb weigert Marty, mit einem Teil der Story herauszukommen, bevor er das ganze Bild hat. Und der Film untermauert dieses Ansinnen, indem es keine exploitativen Rückblenden gibt, kein individueller Fall betont wird.

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Keine Helden, keine Schurken

Diese Zurückhaltung zeigt sich auf allen Ebenen von „Spotlight“: Der Film kommt ohne dramatischen Konfrontationen, offene Bedrohungen oder andere emotionalisierende Strategien aus und ist doch unglaublich spannend und aufwühlend. Es gibt keinen Schauspieler, der aus dieser bis in die kleinste Rolle hervorragenden Besetzung herausragt. Die Bildgestaltung von Masanobu Takayanagi wählt ganz leicht ausgewaschene Farben, es gibt wenige Großaufnahmen einzelner Details, vielmehr fasst die effiziente Kamera oft den gesamten Nachrichtenraum oder ein Büro mit mehreren Personen ein. Dadurch vermitteln die Bilder fast nebensächlich Einblicke in die Milieus und Stimmungen.

poster_zoomVor allem aber schreckt „Spotlight“ in keiner Sekunde vor Komplexität zurück: Es gibt hier keine Helden oder Schurken, sondern vor allem Menschen, die sich früher oder später entscheiden müssen, ob sie hin- oder weggucken. Nur wenige bekommen letztlich eine Chance, eine einmal falsch getroffene Entscheidung zu revidieren. „Spotlight“ hält sich an die zu belegenden Fakten, jedoch haben Tom McCarthy und sein Co-Autor Josh Singer nicht nur die pulitzerpreisgekrönte Zeitungsartikelserie gelesen, sondern selbst recherchiert und dabei aufgedeckt, dass der Skandal schon 1993 hätte entdeckt werden können. Doch es geht in diesem Film nicht um Schuldzuweisungen, sondern um die gesamte Geschichte.

„Spotlight“ ist ein Film über eine journalistische Investigation mit einem klaren ethischen Standpunkt, der nicht moralisiert oder erziehen will. Vielmehr zeigt er, was in einer Stadt passiert, in der mehrere machtvolle Institutionen zusammenarbeiten: die Wahrheit bleibt auf Kosten von Unschuldigen auf der Strecke. Es gibt das Sprichwort, dass man ein ganzes Dorf brauche, um ein Kind zu erziehen. Und „Spotlight“ zeigt, dass man auch ein ganzes Dorf braucht, um institutionalisierten Missbrauch an Kindern zu vertuschen.

Sonja Hartl

Spotlight, USA. Erscheinungsjahr: 2015. Länge: 128 Minuten. Regie: Tom McCarthy. Drehbuch: Tom McCarthy, Josh Singer. Musik: Howard Shore. Kamera: Masanobu Takayanagi. Schnitt: Tom McArdle

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