Geschrieben am 4. März 2019 von für Crimemag, CrimeMag März 2019

Katja Bohnet über „Lola“ von Melissa Scrivner Love

Respektabler Bodycount

Skurrile Exposition

Mein Ratschlag: Kommen Sie über den Kuchen weg! Man möchte dieses Buch fast wegschmeißen, als die Mitglieder einer Latino-Gang sich auf einer Grillparty darüber unterhalten, welche Frau den besten Schokokuchen backt. Man kann der Autorin zutrauen, dass es dieser gutbürgerlich, biederen und skurrilen Exposition bedarf, um es danach richtig krachen zu lassen. Da wird aus einem gesitteten Gespräch mit einer Geisel schon mal überraschend eine Exekution.

Lola. Der Name ist Programm. Endlich ein Buchtitel, der deutlich kürzer als der Name der Autorin ist. Schreiben Sie sich diesen auf! Genießen Sie ihn. Melissa Scrivener Love. Kann man sich wie Schokokuchen auf der Zunge zergehen lassen. Wer Kuchen sät, wird den Tod ernten. So oder so ähnlich könnte man dieses Buch zusammenfassen. 

Mord, Entführung, Körperteile

Lola ist eine kleine Frau, die nicht gerne auffällt. Sie verschwindet gern hinter den harten Typen ihrer Gang. Sie steht hinter den Mackern, die Anführer mimen in einer Gruppe, die sich The Crenshaw Six nennen. So bemerkt keiner, wer den Laden schmeißt. Die Anführerin ist Lola. Eine Taktiererin vor dem Herrn, nicht zartbesaitet, wenn es um Menschenleben geht. Sie spielt das alte Spiel von Tod und Verbrechen besser als die Männer. Weil sie überleben muss. Weil sie sich selbst „wie ein Mann“ benimmt, nur im Körper einer Frau. Drehort dieses Romanes: South Central Los Angeles. Aus klassischen Elementen richtet die Autorin Kriminelles an: Eine Tasche Drogen, eine Tasche Geld. Klar, dass entweder das eine oder das andere ausgetauscht oder verschwunden ist. Dass der Stoff, aus dem die Träume sind, ständig in falsche Hände gerät. Involviert sind außerdem Dealer und ein Kartell. Es wird entführt, gemordet, Körperteile abgeschnitten. Ein respektabler Bodycount für ein Debüt. 

Frauen, die als unvollständig gelten

Lola ist eine ungewöhnliche Figur. Vielleicht weil sie sich verhält, wie wir es von männlichen Figuren kennen. Sie hat immer ihren Vorteil im Blick. Bleibt kühl und analytisch, egal, wie ausweglos die Situation auch scheinen mag. Sie benutzt das Team, die Gang, handelt aber erkennbar als Einzelgängerin. Sie schreckt nicht davor zurück, Strafen auszusprechen und auch zu vollziehen. Sie schwitzt, setzt Sex als Mittel zum Zweck ein, hat Spaß daran, macht ihr Ding lieber allein. Natürlich gab es schon immer solche Frauen. Sie finden nur selten Eingang in die Literatur. Auch Lola hat ihre soft spots. Es ist ein Mädchen, das eine ähnliche Vergangenheit wie sie selbst bewältigen muss. Eine Geschichte von Missbrauch und Vernachlässigung. Dieses Mädchen will Lola retten. Es ist das Zugeständnis an eine Gesellschaft, in der Frauen, die keine Mütter sind, immer noch als unvollständig gelten. Kinder punkten immer in der Kategorie Sympathie.

Rotzig und entschieden

Scrivner Love arbeitete als Drehbuchschreiberin, studierte Literatur. Vater Polizist, Mutter Gerichtsschreiberin. Wer hier nach Absenderkompetenz fragt: Alle Parameter gegeben, alle Ampeln auf Grün für den Kriminalroman. In der klassischen Danksagung lesbar: Scrivner Loves Hintergrund scheint der komplette Gegenentwurf von dem, worüber sie erzählt, zu sein. Scrivner verehrt Nabokov’s Werk „Lolita“. Versuchen Sie jetzt mal, überrascht zu sein! Geschrieben ist der Roman „Lola“ in der Gegenwart, was ihm genau das verleiht, Gegenwärtigkeit. Wir begleiten Lolas Gedanken, die in wundervoller Präzision Menschen und ihre Unzulänglichkeiten beschreiben.  

„Schauspieler, denkt Lola. Lola arbeitet nicht in der Unterhaltungsbranche, aber auch bei ihr ruft das Wort „Schauspieler“ eine Mischung aus Bewunderung und Verachtung hervor – Bewunderung für die Hipness, Verachtung für die Blödheit, jeden Tag aufs Neue freiwillig vor andere Menschen zu treten und sich beurteilen zu lassen.“

Diese innere Stimme, diese Rotzigkeit und Entschiedenheit tragen den Roman. Ein Hoch auf Handlung! Auch sie kommt nicht zu kurz. Lola hat eine Übergabe vermasselt, jetzt muss sie sterben. Eine Woche hat sie Zeit, um die Scharte auszuwetzen. Eine Woche, um alles zu verlieren oder noch mehr zu gewinnen. Lola betont diese Dringlichkeit zwar immer wieder, aber sie lebt von Tag zu Tag. So richtig will diese Bedrohung jedoch nicht lebendig werden. Vor diesem Tag X und danach findet sich noch genug Zeit, Junkies in den Selbstmord zu treiben, den eigenen Bruder zu bestrafen oder Dealer zu ermorden. Eben der ganz normale Irrsinn des Daseins einer Gang-Anführerin. 

Frauen, die neu erzählen

Man darf vermuten, dass Scrivner Love Anliegen hat, die über die Kreation einer unberechenbare Frauenfigur hinausgehen. Dass Scrivner Love, selbst Mutter, feministisch denkt und schreibt. 

„Triumphgeheul zerschneidet die Stille, und Lola würde am liebsten das Vater-Sohn-Loser-Duo bitten, ihre Gefühle im Zaum zu halten., wenn zwei Frauen über ernste Dinge reden.“

Der Bruder ihrer Protagonistin ist ein verliebter Idiot, der sie von einem Schlamassel in den nächsten reitet. Außerdem ist er ein Gang-Mitglied. Er versaut jede gut geplante Aktion. Lola hat für ihre Familienmitglieder ohnehin nicht viel übrig. Das geht über Geschlechtergrenzen hinweg. Ihre Mutter fixte, jetzt scheint sie clean zu sein. In Lolas Welt sind gute Nachrichten nur Momentaufnahmen auf Polaroid: Sie verblassen schnell, vergehen. 

Lola besucht mit ihrer „Leihtochter“ Lucy ein Fitnessstudio. Sie will nicht trainieren, sie stellt nur ihrer Beute nach. 

Ihre Tochter fragt: „Warum sind hier nur Frauen?“
„Frauen legen strengere Maßstäbe an sich an“, sagt Lola.
„Warum?“
„Weil sie mehr können als Männer.“
Wie wahr, denkt Lola.

Lola benutzt Männer. Auch darin ist sie wirklich gut. Manch brenzlige Situation löst sich vielleicht etwas zu einfach, mancher Mord gelingt zu leicht, die Bösen benehmen sich an der richtigen Stelle erstaunlich gut. Kleinigkeiten. Ansonsten gilt: Ein aufregender Roman. Ein wilder Ritt, begleitet von einer frischen, kühlen, weiblichen Stimme, einer neuen, jungen Erzählerin, die der Kriminalroman so dringend braucht. 

Katja Bohnet

  • Melissa Scrivner Love: Lola (Lola, 2018). Aus dem Englischen von Sven Koch und Andrea Strumpf, herausgegeben von Thomas Wörtche. Suhrkamp Taschenbuch, Berlin 2019. 391 Seiten, 14,95 Euro.

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