Geschrieben am 17. Dezember 2011 von für Crimemag

Horst Seidenfaden: Tristan – Der Name des Bösen

Tristan II ist unter uns

– Kaum hat ein Krimiautor einen spannenden, aber unwahrscheinlichen Plot erdacht – schon wird er von der Wirklichkeit eingeholt. Lange vor dem Bekanntwerden der Zwickauer Neonazi-Zelle entwickelte der Kasseler Autor Horst Seidenfaden das Szenario um eine braune Armee Fraktion aus der Provinz. Volltreffer, die Fiktion scheint – wie so häufig – die Wirklichkeit zu überholen. Von Sebastian Knauer.

Horst Seidenfaden ist ein disziplinierter Journalist und Autor. Wenn auf Dienstreisen des Chefredakteurs der in Kassel erscheinenden Hessischen Allgemeinen Zeitung (HNA) sich andere zu einem Absacker in die Bar oder das Intercity-Speiseabteil setzen, taucht Seidenfaden in die Welt des Bösen ein. Er strickt an seinem Laptop an einem neuen Krimi, von denen er innerhalb weniger Jahren im Berliner B&S Siebenhaar Verlag nicht weniger als vier Stück vorgelegt hat.

Fortsetzungsroman

Jetzt der neueste unter dem Titel „Tristan- Der Name des Bösen“. Damit schreibt der Journalist sein letztes Werk „Die Akte Tristan“, den CulturMag als Thriller aus dem SS-Milieu vorgestellt hatte, quasi ein Fortsetzungsroman in Buchform, nachdem bei den Zeitungen und Illustrierten dieses Literaturangebot außer Mode gekommen ist.

Diesmal geht es um die Enkel von Tristan, Deckname eines nationalsozialistischen Kriegsverbrechers, der aus einer Haftanstalt in Kassel mit Hilfe gleichgesinnter Anwälte 60 Jahre später die „jungen Kameraden“ der heutigen Bundesrepublik unterstützt. Es geht um gezielte Sprengstoffanschläge auf islamische Einrichtungen, um Sprengstoffanschläge auf türkische Gemüsehändler und Synagogen, um tödliche Attentate auf in Deutschland lebende Ausländer.

Brauner Plot

Die Details des braunen Plots lesen sich wie das Drehbuch für die seit über zehn Jahre ungesühnten Morde und Attentate der sogenannten Zwickauer-Zelle, die als „Braune Armee-Fraktion“ (DER SPIEGEL) weitgehend unbehelligt durch Land marschieren konnte und jetzt für immer neue Enthüllungen eines offenbar europaweiten nationalsozialistischen Netzwerks – zwischen Oslo und Zwickau – sorgen. Immer noch sind nicht alle Querverbindungen des Netzwerks von Alt-und Neu-Nazis als auch verdeckter V-Leute der offensichtlich blinden oder blöden Landesämter für Verfassungsschutz bekannt.

Genau so geht es in dem Krimi „Tristan“ von Seidenfaden. Textauszug:

„Er fand die Nummer nicht im Telefonbuch, da gab es den Ort gar nicht – bis ihn  ein Justizvollzugsbeamter das Telefonbuch für den Landkreis Schwalm-Eder brachte. Der Landkreis im Süden von Kassel war in den vergangenen Jahren stets ein guter Mutterboden gewesen, in dem die Saat der Neonazis-Tätigkeiten prima aufging. Es gab mehrere Gruppierungen, von hier aus wurden Aktionen im gesamten Bundesgebiet gesteuert. Der Verfassungsschutz war Stammgast in den kleinen Gemeinden, in denen sich das Leben der Neonazis, die aus allen Altersschichten stammten, abspielten.“

Recherchen

Der Krimi-Autor Horst Seidenfaden weiß, wovon er spricht. Als junger Journalist hatte er tatsächlich in dem Milieu der Neonazis in der hessischen Provinz für seine Zeitung recherchiert. „Da habe ich natürlich Einblicke in die Szene bekommen“, sagt Seidenfaden, „auch wenn ich eine Beteiligung von V-Männern an den kriminellen Attentaten nicht belegen kann.“ Sein brauner Club im Roman heißt „Gruppe 88“, die 8 für den achten Buchstaben des Alphabets „H“, „HH“ für „Heil Hitler“.

Wirklichkeitsnah schildert Seidenfaden beispielsweise die Beschaffung von Sprengstoff durch einen Einbruch in einem Depot der US-Army in der Nähe von Rammstein durch einen Sergeanten, der 500 000 US-Dollar von den vermögenden Alt-Nazis kassierte. „Klar war bisher nur: Der Sprengstoff war in allen drei Fällen identisch, jedes mal Semtex ohne Marker, auch die Zünder waren von der derselben Bauart.“

Die Verbindungen zwischen altem Nazi-Geld und den jungen Kameraden, die die Fackel weitertragen sollen, zieht sich durch Seidenfadens Werk. So lässt er auch eine (fiktionale) hessische Nachkriegszeit des im in besetzen Frankreich tätigen Gestapo-Chefs, Klaus Barbie, mit Schwester bei Kassel aufleben, der erst 40 Jahre später nach seiner Flucht nach Südamerika und zwischenzeitlicher Mitarbeit im Bundesnachrichtendienst BND für seine Gräueltaten abgeurteilt wurde.

Ebenso wird die Rolle des SS-Obergruppenführer und Polizeichef des Dritten Reichs, Reinhard „Tristan“ Heydrich für die Kasseler Säuberungen von Juden und Schwulen geschildert, bei denen Romanfigur Karl von Haldorf, Deckname Tristan, sich seine erste Sporen verdiente.

Der alte Nazi im Knast ist im Jahre 2011 zufrieden, dass da sein Lebenswerk eine Fortsetzung zu finden scheint: „Wenn sein Leben beendet war, setzte sich alles in seinem Sohn fort. Er war stolz und glücklich. Und freute sich über jeden neuen Anschlag, der derzeit Kassel in Aufregung versetzte.

Gastronomieführer

Als Krimiautor kann Seidenfaden wieder seine Vorliebe für die bodenständige Ermittlern namens Anke Dankelmann ausleben, die zielstrebig zwischen persönlicher Trennungsgeschichte und weiblicher Polizistinnen-Intelligenz die manchmal verwirrende Geschichte des nationalsozialistischen Greis und seiner braunen Enkel aufklärt. Nebenbei bekommt der Leser einen umfassenden Gastronomie-Führer durch das heutige Kassel serviert, da Polizistin Dankelmann und Konsorten, Vorliebe alkoholfreies Weizenbier, diverse Kneipen, Restaurants oder Hotels der Region abklappern müssen. Und auch das Hausblatt HNA wird von Seidenfaden gelobt, als „schnellstes Medium“ auf den digitalen Plattformen über die ausländerfeindlichen Attentate berichtet zu haben – Ende des Werbeblocks.

Horst Seidenfaden

Titelverwirrung

Nach Seidenfadens historischem Krimi „Die Akte Tristan“ hätte der Verlag, vielleicht um Verwirrungen auszuschließen, einen anderen Titel für das Werk wählen sollen.
Doch der neue „Tristan“ ist bei Seidenfaden ein höchst lebendiges Gespenst aus der Vergangenheit, das bis zum Endsieg im Seniorenheim und in der Einzelhaft keine Reue zeigt. Insofern ist das Buch auf 238 Seiten eine detailgenaue zeitgeschichtliche Lektion zu einem aktuellen Thema, das so schnell nicht erledigt sein wird.

Sebastian Knauer

Horst Seidenfaden: Tristan – Der Name des Bösen. Berlin: B & S Siebenhaar Verlag 2011. 240 Seiten. 14,80 Euro. Verlagsinformationen zum Buch.

Tristan

Der Name des Bösen

Horst Seidenfaden
240 Seiten
14 x 22 cm, Broschur
ISBN: 978-3-936962-97-0
Euro 14,80 / SFr 24,00

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