Geschrieben am 26. November 2011 von für Crimemag, Kolumnen und Themen

Henrike Heiland: Erlebnisevent Dichterlesung

Krawehl, Krawehl

– Dichterlesung als Event (Unter anderem am Beispiel von Robert Harris, der diese Woche in Deutschland seinen neunen Thriller „Angst“ vorstellte). Von Henrike Heiland.

Bei den Musikern ist es schon so weit: Sie müssen verstärkt auf Tour gehen, weil sie mit den reinen Verkäufen nicht mehr genug verdienen. Ob das bei Autoren auch eines Tages so sein wird, weiß keiner. Aber man kann sich durchaus schon mal Gedanken machen, wie eine vernünftige Bühnenperformance auszusehen hat.

Am Dienstag begann Robert Harris seine Lesereise durch Deutschland in Berlin, moderiert von [[David Eisermann]]. Nun kennt man ja das Berliner Publikum, es ist unberechenbar. Manchmal kommt einfach keiner. [[Jo Nesbø]]  langweilte sich einst schon vor gefühlt fünfeinhalb Anwesenden, Buchhändler mit eingerechnet. Es sei denn, ein treues Stammpublikum ist vorhanden, oder die Veranstaltung ist etwas außerhalb. Steglitz kann man wohl durchaus schon als etwas außerhalb bezeichnen, und rund hundert Zuschauer sind auch eine Ansage. Bis dahin also alles gut.

Robert Harris

Lacher

Nun erklärte Robert Harris erst mal im Gespräch mit David Eisermann, wie er auf die Idee zum Buch kam und gewann das Publikum mit dem Hinweis, er fände Finanzthriller schrecklich langweilig. Das ist ein Lacher, weil „Angst“ ein Finanzthriller ist, und Harris englisch-selbstironisch versicherte, sich alle Mühe gegeben zu haben, keinen langweiligen Finanzthriller geschrieben zu haben.

David Eisermann, der bestenfalls eine Zusammenfassung dessen, was Harris so sagte, auf Deutsch ans Publikum weitergab, las schließlich los. Harris las auch, aber nicht so viel, und dann wieder Eisermann. Glücklicherweise handelte es sich um ein wirtschafts- und finanzpolitisch interessiertes und informiertes Publikum, denn die ausgesuchte Stelle war zäh. Es war der Versuch, komplizierte Sachverhalte verständlich zu machen, indem eine Figur in einer Runde mit anderen Figuren eine Rede hält, in der komplizierte Sachverhalte verständlich gemacht werden sollen. Das ist bestimmt eine tolle Stelle, um sie zu Hause nachzulesen, nur kann man sich bei so einer Lesung Unterhaltsameres vorstellen. Eisermann las auch eilig vor sich hin, man kam mit dem Zuhören kaum hinterher. Schön, als Harris selbst an der Reihe war, da merkte man, dass Autor und Text durchaus Humor haben. Es dauerte trotzdem, bis sich die Stimmung lockerte. Als Harris wieder mit Erzählen an der Reihe war, entspannten sich die Leute, und Eisermann verließ sich kurzerhand darauf, dass alle Anwesenden schon genug Englisch verstehen würden. Tatsächlich waren nicht wenige native speaker anwesend, wie sich am Ende herausstellte, doch hier und da nickte der eine oder die andere immer mal wieder ein, weil der fremden Sprache doch nicht ganz so mächtig. Der Rest fand es prima, dass die Redundanzen wegfielen. Man kann es nicht allen recht machen, tja.

David Eisermann (Quelle: davideisermann.de)

Fragen

Am Ende wurden natürlich Fragen gestellt, die erfreulich weit über dem sonst häufig anzutreffenden „Wollten Sie schon als Kind Schriftsteller werden“-Niveau sind, das traut man sich natürlich bei einem etablierten Bestsellerautor mit politischen Themen nicht zu fragen. Oder man geht einfach davon aus, dass er schon als Kind Schriftsteller werden wollte. Die Signierschlange wickelte sich einmal quer durch die Ingeborg-Drewitz-Bibliothek, der Buchhändler sah glücklich bis euphorisch aus.

Dabei war es eine ganz normale Lesung. Kein Schnickschnack. Nicht mal ein bekannter Fernsehschauspieler, der für viel Geld die deutschen Textstellen verhunzte. Es funktionierte trotzdem. Klar, die Leute wollen Robert Harris sehen und ein bisschen mit ihm reden und ein signiertes Buch mit nach Hause nehmen. Sie kennen seine Bücher schon seit Jahren, und sie kennen die Verfilmungen. Bei internationalen Bestsellerautoren muss man sich auch nicht viel mehr ausdenken, um die Stuhlreihen zu bestücken. Die Zukunft der Lesung im Allgemeinen sehen viele Veranstalter aber gerne anders. Sie können verständlicherweise nicht ständig internationale Bestsellerautoren, die verfilmt wurden, einladen, das wird auf Dauer ein bisschen kostenintensiv, und Zeit haben die nun auch nicht das ganze Jahr über. So von wegen Ausland, das kommt ja noch dazu. Also wird das Programm mit nicht ganz so bekannten Namen aufgefüllt und sich was fürs Drumrum ausgedacht.

Frank GöhreDas Drumrum

Das Drumrum passt nun nicht immer. Letztens zum Beispiel las [[Frank Göhre]] auf dem Gießener Krimifestival. Es spielte auch eine Bluesband. Im Grunde nicht verkehrt, hatte Göhres Text doch auch Bezüge zu einem Musikstück, aber der Nachklang, den die Geschichte hätte haben können, wurde von fröhlichem Gedudel (das nicht so richtig den Blues hatte) plattgemacht.

Inhalt der Lesung und Drumrum gehen auch bei gut gemeinten Menülesungen oft nicht zusammen. Wer will sich schon die Lasagne schmecken lassen, wenn vorher Augen ausgestochen und Bäuche aufgeschlitzt wurden, Frauen vergewaltigt und Kinder misshandelt? Selbst, wenn es nicht gar so blutig und gewaltbereit zugeht: Beim Essen und Trinken will Mensch unterhalten werden, nicht aber über komplizierte Sachverhalte nachdenken müssen, in düstere Gemütslagen versetzt werden oder melancholisch ins Bier schluchzen. Also bitte was Leichtes zum Lachen! Und mal von der anderen Seite betrachtet: Autoren fühlen sich als Beilage zwischen den Gängen oft auch nicht so prima, denn das Publikum will genau in diesen Pausen in Ruhe verdauen, mit dem Sitznachbarn quatschen, was zu trinken bestellen, eine Rauchen oder aufs Klo. Kurz: Irgendwie hat man da doch das Gefühl, gewaltig zu stören, wenn Gangfolge und Leseintervalle nicht richtig auf die Bedürfnisse der Anwesenden abgestimmt sind.

Location

Veranstalter bemühen auch gerne außergewöhnliche Orte – kann zur Folge haben, dass das Publikum herbeistürmt, weil es schon immer mal in den Abwasserkanal/auf den nächtlichen jüdischen Friedhof/in die Kantine der psychiatrischen Anstalt wollte. Wer was liest, ist dann eigentlich egal, und es braucht sehr überzeugende, mitreißende Autoren, die die – oft an Literatur nicht mal besonders interessierten – Anwesenden zum Zuhören bringt, ohne dass sie sich gestört fühlen. Auch problematisch kann sich die Verbindung von außergewöhnlichen Aktivitäten und Lesung gestalten. Wieder das Problem des fremdmotivierten (also nicht zwingend literaturinteressierten) Publikums.

Wir sehen, es ist nicht einfach, man kann so richtig danebenlangen. Und genauso oft kann es auch so richtig wunderbar funktionieren. Ohne sich vorher gekannt zu haben, können der Fußballtrainer, der den Leuten das Torwandschießen beibringen will, und der Vorlesende zu einem grandiosen Team werden. Der Vortrag auf der gemischten Toilette im frisch renovierten Stadttheater kann grandios in den weißen Industriekacheln klingen. Champagner und Baumkuchen in der Pause machen die Leute nur noch textinteressierter. Was auch immer. Dass wild herumprobiert wird, was und wer zusammenpasst, tut letztlich nur gut, und zwar allen Seiten. Nicht immer im ersten Moment, aber dann, wenn es sich eingespielt hat.

Ich überlege, ob der Vergleich mit Musikern auch hier so angemessen ist. Musiker stellt man auf die Bühne, da wird nicht viel diskutiert, ob man noch Gedöns drumrum braucht. Die müssen es selbst reißen. Manchmal allein, manchmal mit anderen Bands. In kleinen Bars oder großen Hallen, draußen oder drinnen. Sie müssen ihre Instrumente beherrschen, in Schuss halten, sich selbst stylen, ihre Performance absprechen. Mal ist das Equipment mies, mal pennt der Tontechniker, mal stimmt alles. Aber Moment, doch, es gibt sie, die zwischen den Menügängen aufspielen und die Beilage geben … Bevor wir diesen Gedanken jedoch weiterverfolgen, einigen wir uns besser darauf, dass der Vergleich mit der Musik zumindest in Teilen hinkt. Sonst gibt es noch Tote.

Anne Hertz (Foto: Iris Terzka)

Vorlesen

Zurück zur Autorenschaft. Lesungen müssen sein. Nicht, weil man dadurch reich und berühmt wird (reich mit Lesungen wird man höchstens, wenn man schon berühmt ist), sondern um den Kontakt zu den Lesern herzustellen. Neue Leser zu gewinnen, auch wenn es zahlenmäßig nicht viele sein können, was in der Natur der Sache liegt. Niemand liest im Olympiastadion. Aber die neuen Leser erzählen es weiter. Sie können stärker begeistert werden als diejenigen, die „nur“ das Buch gelesen haben. Abgesehen vom Spaß, den es Autoren machen kann (und sollte), rauszugehen und die eigenen Texte vorzustellen, zu schauen, wie sie ankommen, sich der direkten Kritik zu stellen. Die deutschen Verlage kommen langsam, aber sicher dahinter, dass man mit deutschsprachigen Autoren auch begeistern kann. Manchmal noch mehr als mit den großen internationalen. Man spart sich außerdem den Übersetzer/Moderator, muss nicht immer die halbe Presseabteilung zum Händchenhalten mitreisen lassen und kann deutlich mehr als nur drei bis fünf Termine im Jahr anbieten. Die Autoren können spontaner mit dem Publikum agieren, weil die Sprachbarriere nicht da ist. Überall Vorteile. Schaut man sich dann Autoren wie Sebastian Fitzek an, der schon mal locker einen Kinosaal mit mehreren hundert Fans füllt, die nach zwei Stunden immer noch nicht genug von ihm haben, oder das Geschwisterduo Anne Hertz, die mit den Anwesenden ein Sektchen trinken, um dann fröhlich noch Gesang und Tanz einzubauen – wer braucht da noch außerhalb Gedöns? Okay, Fitzek ist vielleicht nicht das beste Beispiel, er lässt schon mal das SEK eine Kirche stürmen oder Leute durch stockdunkle Labyrinthe irren, aber auch ohne das alles legt er eine Show hin, indem er einfach nur auf der Bühne steht. Und vor allem: Er inszeniert sich selbst, und er inszeniert seine Geschichten. Keine Seltene-Goldfische-Unterwasserwelt, die mit dem Buch eigentlich nichts zu tun hat, aber an dem Tag bot sich dort eine Veranstaltung vom Literaturförderverein an.


Loriot – Krawehl Krawehl ungekürzt – MyVideo

Lesetraining

Nun kann sich nicht jeder Autor so ins Zeug legen. Es muss auch passen, es darf nicht peinlich werden, man sollte innerhalb seiner Möglichkeiten bleiben.

Oft würden schon ein paar Stunden Lesetraining helfen. Gegen die Nervosität und für eine Stimme, die besser sitzt. Keine große Sache, denkt man sich, aber man hörte bereits von Verlagen, die solche Coachings kostenfrei und inklusive Catering anboten – aber dann wollten die Autoren nicht. „Kann ich schon, mach ich nicht, will ich nicht.“ Die Zeit der drögen Dichterlesung ist aber durch, und dass dem so ist, hat sich nicht das Veranstaltungsmarketing ausgedacht, um Autoren zu quälen. Das hat was mit Angebot und Nachfrage zu tun.

Auch hilfreich ist es, die Autoren nicht ganz allein auf der Bühne absaufen zu lassen. Manch einer mag schön vorlesen, weiß sich beim freien Erzählen aber nicht so recht zu helfen. Ein gut vorbereiteter, eloquenter Veranstalter oder Moderator könnte hier Abhilfe schaffen – zwei Stimmen am Abend lockern die Atmosphäre ohnehin mehr auf. Doch was erzählen Autoren am Ende ihrer Lesereise so gerne? Dass man sie auf die Bühne schubste mit den Worten: „Ich sag aber nur kurz, wie Sie heißen, vorstellen können Sie sich dann ja selbst.“ Ähem, vielen Dank auch.

Das pp Publikum

Mittlerweile erwartet das Publikum weniger eine Vorlesung, als etwas erzählt zu bekommen. Auch bei Robert Harris, zum Beispiel, hieß es am Ende unter den Besuchern: „Och, was der erzählt hat, das war so interessant/sympathisch/lustig, da hätte ich noch stundenlang zuhören können.“ Mehr vorlesen lassen wollte sich kaum jemand. Die Leseveranstaltung ist die einzige Möglichkeit für die meisten, die Menschen hinter den Büchern kennenzulernen. Und zwar richtig, nicht nur über die Homepage oder Facebook oder mal in einem youtube-Video. Die Lesung ist das eigentliche Event. Und dieses Event heißt es, passend in Szene zu setzen, um das richtige Publikum auch zu erreichen.

Robert Harris in der Ingeborg-Drewitz-Bibliothek in Steglitz, da blinzelte die Heyne-Veranstaltungsabteilung erst mal kurz. So von wegen außerhalb vom Zentrum und da kommt am Ende keiner. Es ist aber eine gute Location. Viel literaturinteressiertes Publikum, das aus unterschiedlichen Gründen gut englisch spricht. Dazu als Location noch gut erreichbar, im selben Gebäude wie ein Einkaufszentrum. Man kann vorher schnell Zeugs kaufen. Man sitzt währenddessen zwischen Bücherregalen. Man bekommt was zu trinken. Das Klo ist ausgeschildert. Alles ist da. Robert Harris kann, wie so viele Absolventen der gehobenen englischen Ausbildung, gut frei reden, gut lesen und hat einen trockenen Humor mit dem nötigen Maß Selbstironie.

Thomas Raab (thomasraab.com)

On stage

Natürlich ist er so nicht geboren worden, aber die äußeren Umstände haben all das begünstigt. Anders gesagt: Kann man alles lernen, der eine früher, der andere später. Wie machen das denn andere vorne auf der Bühne? Wolf Haas zum Beispiel, er erzählt drei, vier Anekdoten, die Leute toben. Da kann er dann lesen, was und wie viel er will. Vollkommen egal. Thomas Raab letztens – brachte dreihundertfünfzig Berliner dazu, sich auf die Schenkel zu klopfen und ihm die Bücher aus der Hand zu reißen, obwohl man streng genommen von der Romanhandlung selbst nicht sehr viel erfahren hat. Das Buch in seiner ganzen Tiefe und Breite und Fülle vorzustellen ist letztlich gar nicht mal so wichtig. Das Thema, ja. Die stilistische Richtung, eine Probe des Tons, ja. Aber das wichtigste Drumrum sollte dann doch der Autor sein, und – sorry – dank des etwas hastigen und dadurch latent monotonen Lesens viel zu langer Textstellen durch Herrn Dr. Eisermann kam Robert Harris noch mal besser weg. Dachte man am Anfang noch leicht verschnupft, man sei belogen worden, als es hieß, Harris habe versucht, keinen langweiligen Finanzthriller zu schreiben, legte sich diese Verstimmtheit bald. Harris musste nur mal erwähnen, wie er die Nerds am CERN erlebt hat, diese Genies mit unmessbaren IQs: „Der eine konnte nicht über den Gang gehen, ohne jede Türklinke zu berühren. Ein anderer musste seine Chips mit Messer und Gabel essen.“ Steht das im Buch? Ist das relevant? Egal, es ist unterhaltsam. Dinge, die wir sonst nur aus dem Fernsehen kennen, hier hat sie jemand in echt erlebt, bei der Recherche, und recherchiert hat er nur für uns, oder etwa nicht?

Verzaubert meinte eine Frau beim Rausgehen: „Ich war immer der Meinung, bei den Themen, die er sich sucht, hat dieser Harris eine Meise. Aber jetzt finde ich ihn ganz, ganz toll und werde wohl alle seine Bücher lesen.“

Genau. Deshalb gibt es Lesungen.

Henrike Heiland

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