Geschrieben am 21. Januar 2012 von für Crimemag, Film/Fernsehen

GLAUSER – Das bewegte Leben eines großen Schriftstellers

Es rumpelt

– Neben Walter Serner war auch Friedrich Glauser an der Geburt des Kriminalromans aus dem Geiste des Dadaismus beteiligt. Jetzt gibt es ein neues Glauser-Biopic, also einen neuen Film über sein Leben.
Glauser-Spezialist Frank Göhre ist extra nach Zürich gereist, aber o weh …

Es ist Lunch Time in Zürich. Es gibt „Kino zum z´ Mittag“, Lunch Kino am Bellevue, 12.15 Uhr.
Im Saal gehen die Lichter aus, und auf der Leinwand ist es Nacht. Der Film beginnt mit dem Blick aus einem Zimmer ins mondbeschienene Außen. „Münsingen 1934“ ist zu lesen und eine Off-Stimme beginnt zu monologisieren. Der Mann spricht in getragenem Ton Texte von und über Friedrich Glauser, miteinander verwoben von Christoph Kühn, dem Autor und Regisseur dieser „magischen Entdeckungsreise zu Friedrich Glauser (1986-1938), dem großen, zwischen Rebellion und Resignation pendelnden Schriftsteller“ (Filmwerbung).

Dada in Zürich

Es ist eine Reise, die flüchtig einige der Stationen streift, die für Glauser einschneidend waren: Das Elternhaus in Wien, verbunden mit dem frühen Tod der Mutter und einem dann herrischen Vater, Landeserziehungsheim, Dada in Zürich, der Tessiner Freundeskreis, Fremdenlegion und – aufgrund andauernder Drogensucht – Internierungen in geschlossenen Anstalten.

Viel dokumentarisches Material dazu gibt es nicht und so muss sich der Macher des Films zwangsläufig auf die Fotos beschränken, die Glauser mal jung und mal weniger jung und vom Drogenkonsum gezeichnet zeigen.
Damit aber lassen sich keine 75 Minuten Film realisieren.

Und so kommen einige Interviewpartner hinzu und Zeichnungen von Hannes Binder, der bereits mehrere Glauser-Romane und eigene Phantasien über Glauser zeichnerisch umgesetzt hat.

Das «Irrenhaus» in Münsingen, in dem Glauser behandelt wurde, gezeichnet von Hans Binder. (Quelle: Filmcoopi)

Um es vorweg zu nehmen: Ohne Binders Arbeiten, die einen Glauser und dessen Wachtmeister Studer mit all ihren Sehnsüchten, Abgründen und Zwängen eindrücklich und mitunter auch beklemmend präsentieren, wäre Christoph Kühns Film ein betuliches Kreisen um den Aspekt, dass jemand zeitlebens nicht damit klar kommt, als Vierjähriger die Mutter verloren zu haben.

Das aber ist zu kurz gegriffen und heißt, Friedrich Glauser nicht wirklich durchdrungen, ihn grundsätzlich nicht verstanden zu haben.

Unzulässig …

So kommt es dann auch zu unzulässigen Verknappungen: Wenn etwa die 1986 verstorbene ehemalige Krankenpflegerin Berthe Bendel als quasi einzige Frau an Glausers Seite ins Bild gerückt wird und komplett ausgeblendet ist, dass diese Lebensgemeinschaft der letzten Jahre (!) auf eine innere Zerrissenheit verweist: Glausers Schwanken nämlich zwischen künstlerisch ambitionierten und bodenständigen Frauen, wobei ihm das Solide, das möglicherweise Situierte immer auch Angst gemacht hat und er sich letztlich davor in den Tod geflüchtet hat. Wie überhaupt Glausers lebenslange Flucht bei Kühn kein Thema ist. Es wird nur der Stillstand gezeigt und nicht die ihn bestimmende und quälende Getriebenheit. Der Blick bleibt bei dem kleinen Bub, der an den Bettstangen rüttelt – und das nicht nur einmal, sondern immer und immer wieder zu einem unheilschwangeren Soundtrack. Und ebenso oft wiederholt sich der Blick aus dem Fenster der Münsinger Anstalt, bei hellem und bei verhangenem Mond.

Kunstgewerbe …

Da sind dann zumindest die Interviewpassagen erfrischend – wunderbar klar und erhellend der Literaturkritiker Hardy Ruoss, unfreiwillig komisch der auf Schwiizer Dütsch dröhnende Schriftsteller Hansjörg Schneider. Doch schnell driftet der Film wieder ins Kunstgewerbliche ab, u.a. mit Bildsequenzen, die zwei beiläufige Äußerungen Glausers in Szene setzen: Der bärtige Vater (Gottvater) im Boot über einen See gleitend und die Gesetzestafeln (Verbote für den Sohn) meißelnd. Und – an Kitsch kaum noch zu übertreffen – ein von einem Strauß gezogener Leichenwagen.

So rumpelt Friedrich Glauser am Ende in die Grube und lässt mich mit Wehmut an den leider seit Jahren nicht mehr gezeigten Glauser–Film von Werner Zeindler (nicht verwandt mit dem Autor Peter Zeindler) denken: „Einer will nicht mehr mitmachen“ – 1988 mit einem ungemein intensiv spielenden Rolf Zacher als Glauser realisiert, ausgehend von Glausers Erzählung „Totenklage“. Diese Dokumentation ist vom Ansatz und der Haltung des Filmemachers nicht nur sehr viel überzeugender, man erfährt auch wesentlich mehr über den schreibenden, den Autor Friedrich Glauser. Und das möchte man doch, oder?

Frank Göhre

GLAUSER – Das bewegte Leben eines großen Schriftstellers. Ein Film von Christoph Kühn mit Zeichnungen von Hannes Binder. Kinostart Schweiz: 4. Januar 2012. Website zum Film. Zum Glauser-Buch von Frank Göhre.

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