Geschrieben am 1. Juli 2019 von für Crimemag, CrimeMag Juli 2019

Gary Phillips: Drug War Culture

Eine kurze Geschichte des Drogenkriegs in der Popkultur

Von Reefer Madness bis Narcos – ein Abgleich zwischen Fiktion und Wirklichkeit – von Gary Phillips. Aus dem Amerikanischen von Susanna Mende.

“I came to this country without a passport
Ever since then I’ve been hunted and sought
My little white grains are nothin’ but waste
Soft and deadly and bitter to taste” 

(“King Heroin”, James Brown)

Der Film Reefer Madness von 1936 warnt Teenager auf reißerische Weise vor dem Grasrauchen und davor, dass es zu Halluzinationen, verkommener Moral und sogar zum Verlust des Verstands führen kann. Obwohl der Film eine Lachnummer war, passierte es in den siebziger Jahren tatsächlich, dass Grasraucher durchdrehten, weil das Marihuana – manchmal ohne ihr Wissen – mit Phenzyklidin (auch bekannt als PCP oder „angel dust“)  gestreckt wurde.

Die Droge veränderte die Wahrnehmung, häufig mit schädlichen Folgen; Versuche, den Konsum zu bekämpfen, führten sowohl zu staatlichen Werbekampagnen als auch zu so bierernsten Filmen wie „Desperate Lives“ von 1982, der für das von ABC speziell für Gesellschaftsthemen ins Leben gerufene „Afterschool Special“ produziert worden war. In dem Fernsehfilm stellen Schüler an der Highschool (Walter Whites Vorläufer?) als angehende Drogenbarone in ihrem Chemielabor PCP her, und das von Helen Hunt gespielte Mädchen springt high aus einem Fenster im ersten Stock.

In Wahrheit benutzte das LAPD PCP als Vorwand, um den manchmal tödlichen Würgegriff anzuwenden, bei dem Polizisten ihren Schlagstock an die Halsschlagader pressten. Diese übergriffige Maßnahme wurde häufiger bei schwarzen Verdächtigen angewendet, ob sie nun unter Einfluss von „angel dust“ standen oder nicht. Dazu behauptete Polizeischef Daryl Gates 1982 in einem Interview in der L.A. Times abstruserweise: „Wenn man ihn bei Schwarzen anwendet, kann es sein, dass sich die Venen oder Arterien nicht so schnell wieder öffnen wie bei normalen Personen.“ Der Würgegriff wurde schließlich verboten. PCP wurde von Crack abgelöst, und neureiche Drogenbarone und ein Übermaß an Drogen und Polizeiüberwachung hielten angesichts der Tatsache Einzug, dass das Crack auf einem Herd aus Kokspulver hergestellt und mit relativ hohem Profit verkauft werden konnte. 

Al Pacino als Tony Montana mit einem Berg von Schnee in „Scarface“

Die Darstellung von Drogen und dem dazugehörigen Spiel hat im Laufe der Jahre in Romanen, Filmen und anderen Medien mehrere Wandlungen erfahren. Der Drogenbaron ist sowohl verehrter Antiheld als auch Zerstörer der Gemeinschaft. Und manchmal nur das Bauernopfer in einem größeren Gefüge. In Verbindung damit gab es außerdem einen spürbaren Wandel in der öffentlichen Wahrnehmung, was die Machenschaften der Regierung betraf. Das sogenannte „Church Committee“, der „Sonderausschuss (des US-Senats) zur Untersuchung des Regierungshandelns mit Bezug zu Aktivitäten der Nachrichtendienste“, fand zum Beispiel vor 44 Jahren heraus, dass sich Geheimdienste im Ausland an verdeckten Operationen beteiligten.

Quellen wie Alfred McCoys 1972 veröffentlichtes Buch The Politics of Heroin in Southeast Asia: CIA Complicity in the Global Drug Trade erzählt von den Verstrickungen der CIA, neben anderen Unternehmungen, mit korrupten ausländischen Generälen, die Heroin aus dem Goldenen Dreieck herausschmuggelten. Dass ganze Regierungsabteilungen so zum Komplizen eines einheimischen Drogengangster werden konnten, entsprang also nicht nur der Fantasie durchgeknallter Verschwörungstheoretiker.

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Genau wie der sanftmütige, wenn auch skrupellose Meth-König Walter White fand bestimmt mehr als eine Handvoll geistig minderbemittelter Wortführer irgendwann heraus, dass mehr Kohle auch mehr Probleme mit sich bringt. Ein Blick auf eine einzige Stufe in der Produktionskette genügt, um das Kernproblem auszumachen, das der Import des Stoffes bedeutet. White stellt die Ware zwar her, doch sein einstiger Mitstreiter Gus Fring musste die Chemikalien in großen Mengen herbeischaffen, um Whites „Blue“ herzustellen. In der Praxis hat das normalerweise bedeutet, Produkte wie das Colombian Marching Powder in Trucks oder Flugzeugen zu schmuggeln und Cops oder andere Gesetzeshüter zu bestechen, damit sie wegschauten, obwohl manchmal das Gesetz selbst seine Hände im Schmuggelgeschäft hatte.

Der Drogenhandel im Kino thematisierte schon früh die Durchführbarkeit von Schmuggelaktionen. In der Originalverfilmung von Superfly (1972) will der afroamerikanische Drogendealer Youngblood Priest, dessen Revier Harlem ist, einen letzten großen Deal machen und dann endgültig aus dem Geschäft aussteigen. Im Showdown am Hudson River tritt er dem stellvertretenden Polizeichef entgegen, der ihn anscheinend gedeckt hat. Dieser teilt ihm jedoch mit, dass er da nicht rauskomme, dass er für ihn arbeite und weiter grüne Scheine rüberwachsen lassen müsse. Priest zieht sich in aller Ruhe ein paar Kokslinien rein und vermöbelt die beiden bestochenen Cops, die den stellvertretenden Polizeichef bewachen, um deutlich zu machen, dass er auf jeden Fall aussteigt.

Kenyatta treibt es weiter als Priest; er war nicht nur darauf aus, aus dem Spiel auszusteigen, sondern auch die zu eliminieren, die the hood vergiften – seien es gunslinger, korrupte Cops oder welche von oben. Er war der einzige politisierte Gangster in vier Romanen eines der Großen der „Street Lit“, Donald Goines, obwohl schon etwas davon bei Ali La Pointe anklingt, den kleinen Dieb, der im Film The Battle of Algier zum Revolutionär wird – und der unter den Mitgliedern der Black Panthers zum Pflichtprogramm gehörte. Mit einem sich stets erneuernden Trupp Schießwütiger macht sich Kenyatta daran, seine Agenda umzusetzen, normalerweise mithilfe eines Gewehrs. In Kenyatta’s Last Hit ist er auf den Spuren von Clement Jenkins, selbst ein Heroinkönig. Der thront über seinem Reich im Sands Hotel und Casino am Las Vegas Strip, wo er nicht nur mit Drogen dealt, sondern auch Nervengas für die Regierung herstellt.

Als Kenyatta seinen Angriff auf Jenkins Festung vorbereitet, stellt Goines aus der Perspektive seines Charakters fest: „Sie wussten, dass sie sich mit Leuten anlegten, eventuell mit Weißen, die das Gesetz auf ihrer Seite hatten. Sie waren die herrschende Macht, fette weiße Säcke, die in ihren ledernen Bürostühlen saßen und mit einem Zucken ihrer rosa Wurstfinger über Tod und Verderben entschieden.“

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Weiter oben in der Konspirationskette und näher an der Wahrheit ist die Komödie Air America von 1990, in der zwei Piloten, gespielt von Robert Downey Jr. und Mel Gibson, im Auftrag der CIA Opium und Waffen in und um das Goldene Dreieck von Südostasien herum transportieren. Die Agency, wie in Christopher Robbins’ Sachbuch Air America (das Vorlage für den Film war) steht, unterstützte Gestalten wie korrupte laotische Generäle, solange sie während der siebziger und achtziger Jahre kommunistische Rebellen bekämpften. 

Als kulturellen Gegenpart wird in Mrs. Pollifax and the Golden Triangle (das klingt wie Kojak trifft Masterpiece Theatre) von Dorothy Gillman der Status quo wiederhergestellt, indem der Roman von 1988 untergräbt, was McCoy postuliert.

Es gibt einen CIA-Officer namens Lance Mornajay. Er verbrachte die Jahre des Vietnamkriegs in Thailand und wird eine Zeit lang vom Karateass Emily Pollifax und Oberen in Langley verdächtigt, ein Drogenbaron zu sein. Doch schließlich stellt sich heraus, dass er lediglich versucht hat, seinen bösen Bruder zu stoppen, und die Agency arbeitet in einem aufrechten Drogenkrieg bestens mit der DEA zusammen, ohne irgendwelche Machenschaften hinter den Kulissen.

In Narcos: Mexico bei Netflix ist das ein bisschen anders. Angesiedelt in den achtziger Jahren, doch aus einem revisionistischen Blickwinkel betrachtet, ist das Kernstück dieser Verkörperung von Narcos die Entführung, Folterund und der Mord des Undercover-Agenten Enrique „Kiki“ Camarena. In der Miniserie wird dargestellt, wie ein Streit zwischen CIA und DEA darüber, die Beziehung der Agency zu einem Kartellboss (der die Contras bewaffnet) zu verbergen, zur Gefangennahme und dem Tod des Agenten geführt hat. Die geheime Kriegsfront hat sich tatsächlich verschoben. In dem Sachbuch Dark Alliance von Gary Webb behandelt die profitable Beziehung zwischen dem Drogenbaron „Freeway“ Rick Ross aus South Central L.A. und dem zwielichtigen Oscar Danilo Blandon. Webb und Ross gingen davon aus, dass Blandon, ein sogenannter CIA-Vertrauensmann, die anti-kommunistischen Contras in Nicaragua durch Kokainverkäufe an Ross finanzierte. (Siehe dazu auch Alf Mayer in CrimeMag: Nolite necare nuntium – Tötet nicht den Boten.)

FXs Snowfall (ich war tatsächlich in der Schreibcrew), das jetzt in seine dritte Staffel geht, lässt sich von dieser Partnerschaft inspirieren und gibt dem Zuschauer Einblicke in die Machenschaften des jungen, aufstrebenden Drogenkönigs Franklin Saint, der Mitte der achtziger Jahre Crack in South Central einführt. Zu Saints Crew gehört sein Onkel Jerome, der sich davor mit dem Verkauf von „sherms“ über Wasser hielt, Nat Sherman Markenzigarillos, deren Tabak mit Gras vermischt und manchmal in Angeldust getaucht wurde, seine ehemals drogensüchtige Auntie Louie und Vollstrecker Leon Simmons, einem in der Reihe hitzköpfiger Haudraufs (man denke an James Cagney als Tom Powers in Der öffentliche Feind). Saint kriegt von einem vierschrötigen weißen Drogendealer namens Reed Thompson eine verpasst – von dem die Zuschauer wissen, dass er tatsächlich der CIA „noc“ (non-official cover) Teddy MacDonald ist. Er rechtfertigt diese kriminellen Manchenschaften, in denen er bis zum Hals drinsteckt, als Dienst am Gemeinwohl; indem er die Contras unterstützt, verhindert er, dass der Kommunismus in Zentralamerika Fuß fassen kann. Snowfall, wie viele Vorgänger von The Roaring Twenties bis The Wire handeln von dem üblichen Gangsterkram, doch die Handlung wirft auch einen sozialpolitischen Blick auf die schrecklichen Auswirkungen, die Crack auf die schwarze Community hatte, und die Regierungsmaßnahmen, die es ermöglichte, dass Crack sich etablieren konnte.

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Die Vorstellung, dass verschwiegene Regierungskreise an der Verteilung von Drogen im Viertel beteiligt sind, kommt nicht von Ungefähr. Vom Tuskegeee-Experiment in den Dreißigern, bei dem männliche Schwarze ohne ihre Kenntnis mit Syphilis infiziert wurden, um die Verbreitung zu verfolgen; bis zu den Bemühungen des Gegenspionageprogramms des FBI, genannt COINTELPRO, um die Erfolge von Martin Luther King Jr. und den Black Panthers zu unterminieren, über die Aufdeckung der Verstrickung der CIA und anderer Geheimdienste in die Ermordung ausländischer Staatsbürger, indem man einheimische Lockspitzel und so weiter einsetzte, boten diese Enthüllungen einen fruchtbaren Boden für eine noch verdorbenere Kultur. Nachdem Dark Alliance veröffentlicht worden war und die darin vorgebrachten Anschuldigungen die Leserschaft gespalten hatten, tauchte auf Wunsch der Abgeordneten Maxine Waters der damalige CIA-Direktor in dem runtergekommenen Rathaus von Watts auf. 

Wie die L.A. Times berichtete, sagte Deutch, es gebe „keine Beweise für eine konspirative Tätigkeit der CIA, die den Drogenhandel von Lateinamerika aus zum aktuellen oder einem früheren Zeitpunkt unterstützt hätte.“

Trotzdem waren viele Leute skeptisch. Diese zynische Sichtweise kam häufig in Comics vor. In den fünfziger Jahren behaupteten ein paar Geschichten, dass Marihuana Satans Zigaretten seien. Aber 1971 wurde die bahnbrechende 96. Ausgabe von The Amazing Spider Man ohne Einhaltung der Comics-Code-Richtlinien veröffentlicht, in der Peter Parker dann sinniert: „Mein Leben als Spider-Man ist wahrscheinlich genauso gefährlich wie jedes andere, aber ich stelle mich lieber hundert Schurken entgegen, als es wegzuwerfen, indem ich von harten Drogen abhängig werde!“

Bei der Graphic Novel 2 Guns von Autor Steven Grant und Zeichner Mateus Santolouco von 2008 ist es nicht mehr schwer zu glauben, dass der schwere Bankraub von zwei Undercoveragenten durchgeführt wurde. Die beiden verbergen ihre Identität voreinander (DEA und NCIS), dieser Teil der Beute sind die zehn Prozent, die die CIA vom Drogenkönig Papi Greco abstauben. Anscheinend benutzt er ihre Flugzeuge, um sein Kokain ins Land zu bringen. Und die Agency besteht darauf, ihre Kohle zurückzubekommen.

Der Film Birds of PassageDas grüne Gold der Wayuu von 2018, nominiert für den Oscar in der Kategorie Bester fremdsprachiger Film, vermittelt eine ungewöhnliche Perspektive auf den Drogenhandel, indem er auf die persönlichen Folgen blickt (CrimeMag-Kritik hier). Es ist wie Tony Sopranos Clan in New Jersey, verwandelt in den indigenen Stamm der Wayuu in La Guajira, einer unfruchtbaren Region im Nordosten Kolumbiens. Die Handlung beginnt in den 1970er Jahren und umspannt eine ganze Generation, wir erleben mit, was zwei Familien widerfährt, die in den Schmuggel von Marihuana involviert sind und die Transportwege organisieren, die später von den Kokain-Cowboys benutzt werden. Während es eine Matriarchin, Úrsula, gibt, bringt mehr Geld auch den ganzen Gangsterkram mit sich, wie Barackensiedlungen mitten in der Wüste und Banken, die das Bargeld wiegen, weil es zu viel zum Zählen wäre. Wie Co-Regisseurin Cristina Gallego in einem Interview mit der L.A. Times feststellt: „Es ist ein Film über den Zusammenstoß zwischen weiblichem Denken und männlichem Handeln.“

Dieses Handeln hat unausweichlich Konsequenzen für die Männer und Frauen, die darin verwickelt sind, und die Unschuldigen sind dabei die Opfer. Das spielt geht also immer weiter.

Gary Philipps – deutsch von Susanna Mende

Gary Phillips, Sohn eines Mechanikers und einer Bibliothekarin, der mit Comics, Himes und Hammett und endlosen Wiederholungen von Twilight Zone aufgewachsen ist, hat sowohl in der Gemeindearbeit als auch beim Ausliefern von Hundekäfigen Erfahrungen gesammelt, mehrere Kriminalromane veröffentlicht und beim Fernsehen geschuftet. Sein jüngstes Werk ist The Movie Makers, ein Kurzroman aus der Reihe „The Grifter’s“ , angesiedelt in Hollywood, einer durch und durch geldgierigen Stadt. – Seine Internetseite.