Geschrieben am 1. September 2023 von für Crimemag, CrimeMag September 2023

Frank Göhre: Porträt Charles Williams

Texas und die tödliche See

1         „Die Nachricht erreichte ihn erst nach einer Woche. 
Inzwischen hatte er nämlich seine Arbeit in der Sierra beendet und war im Dschungelgebiet des unteren Ucayali auf Jaguarjagd gegangen. Nachdem er den Brief gelesen hatte, war er sehr schnell von Südamerika heraufgereist. Die Sonne hatte in den letzten Monaten sein Gesicht dunkel gebrannt, und sein Anzug schlotterte ihm am Leibe. In Miami hätte er zwar zwischen zwei Flügen Zeit zum Rasieren und Haarschneiden gehabt, aber er verbrachte statt dessen die Zeit in erstickend heißen Telefonzellen, und führte ein Telefongespräch nach dem anderen. Während er über Tausende von Meilen Fragen stellte, wurde das beklemmende Gefühl von Furcht in seinem Innern immer stärker. Am dritten Tag nach seiner Abreise aus der Kleinstadt im peruanischen Dschungel betrat er das Polizeirevier von Waynesport an der Golfküste der Vereinigten Staaten. Es war kurz nach acht Uhr, ein windstiller, heißer Morgen. Reno wusste nicht, wann er das letzte Mal geschlafen hatte. Es war der 21. August. Und seit dem 10. August saß seine Schwester, die Fernsehschauspielerin Vickie Shane McHugh im Gefängnis von Waynesport in Untersuchungshaft. Sie wurde bezichtigt, ihren Mann ermordet zu haben.“ – Ein Mann auf der Suche nach der Wahrheit.(„Sein großer Bluff“)

            „Gleich, als ich am Morgen meine Stellung antrat, rief er mich in sein Büro und sagte mir, ich sollte irgendwo aus der Umgebung einen unbezahlten Wagen zurück holen. „Ich bin es leid, mich mit diesem Burschen herumzuärgern“, grollte er. „Lassen Sie sich auf nichts ein. Holen Sie einfach den Wagen ab. Miss Harper wird Sie begleiten und dann das andere Auto zurückfahren.“ Nun war ich auf Provision angestellt, und ich wusste, dass mir dieser Auftrag keinen Cent einbringen würde. Ich wollte ihm sagen, dass er sich für seine Botengänge jemand anderen suchen sollte, als das Mädchen hereinkam. Die Sache sah nun ganz anders aus.“ – Ein Mann gibt einer Versuchung nach. („The Hot Spot“)

            „Der Morgen dämmerte eben herauf, als Ingram erwachte. Knapp vier Stunden waren erst vergangen, seit er an Deck alles gesichert hatte und heruntergekommen war. Im schwachen Licht der Kammer wendete er den Kopf und blickte zu seiner Frau hinüber, die in der anderen Kabine schlief. Rae lag auf dem Bauch, in einem leichten, ärmellosen Baumwollpyjama, die goldbraune Mähne ausgebreitet auf dem Kopfkissen, die Arme darum verschränkt, die Beine leicht gespreizt und selbst im Schlaf gegen die Bewegung des Schiffes gestemmt. Ihr konnte nichts etwas anhaben. Sie war immer gut aufgelegt. Manche Menschen wurden reizbar und unerträglich im engen Zusammenleben auf einer Jacht, die zu lange in der Flaute lag, mit dem ständigen Rollen und Klappern der Takelage und dem zermürbenden, nicht abzustellenden Geräuschen von Dingen, die in Kästen und Schubladen herumrutschten; doch abgesehen von einer gelegentlichen bissigen Bemerkung, wenn der Herd ihr etwas entgegenspie, nahm sie alles klaglos hin. Sie hatte ja keine Eile, meinte sie, und sie waren schließlich auf der Hochzeitsreise, und auf tausend Meilen im Umkreis gab es nichts, was ihre Zweisamkeit störte.“ – Ein Mann segelt einer Katastrophe entgegen. („Todesstille“)

            Drei Romananfänge. Drei Romane.

            Exzellent geplottet. Jeder ein großer Wurf. 

            „Die verblüffende Spannung mag einen an Cornell Woolrich (‚The Bride Wore Black‘) erinnern – die Handlung mit ihrer bitteren Mischung von Sex und Kriminalität an James M. Cain (‚The Postman Always Rings Twice‘). Mit seinem scharfen, ungekünstelten Erzählstil jedoch steht Charles Williams einsam auf weiter Flur.“ (New York Times, 1953) Seine in den Fünfziger und Sechziger Jahren veröffentlichen Romane haben hohe Auflagen. Hollywood und auch europäische Filmproduktionen sind interessiert. Charles Williams kann über Jahre hinweg fünf- bis sechsstellige Honorare kassieren. Verlagsabrechnungen. Filmrechte. Eigene Drehbucharbeiten. Von seinem ersten Roman „Hill Girl“, 1951, verkaufen sich als Paperback 2 Millionen Exemplare. 

            „Hill Girl“ ist die Geschichte von zwei Brüdern und der Tochter eines hinterwäldlerischen Schwarzbrenners. Jo kommt auf die Farm seines verstorbenen Vaters zurück. Aus seiner Karriere als Boxer ist nichts geworden, die Narben der verlorenen Kämpfe zeichnen ihn. Sein älterer Bruder Lee ist ein gut aussehender Frauenheld. Angelina ist die Verlockung. Ihr Vater die Bedrohung für jeden, der mit ihr anbändelt. Das ist die Ausgangssituation. Wenn sich dann beide Brüder mit der gleichen Frau einlassen, steht Mord und Totschlag auf dem Programm. In Texas der Fünfziger Jahre allemal. 

            Charles Williams, ein Mann aus Texas. 

            Er wird am 13. August 1909 in San Angelo geboren. In einer Kleinstadt im Westen des Staates mit seinerzeit knapp 10.000 Einwohnern. Auf der Main Street reihen sich Kaufhaus, Hotel und Diner, Friseur und Billardsalon. Es gibt ein Kino und hübsche Einfamilienhäuser mit Sprossenfenster und überdachter Veranda. Im Centrum das Rathaus und die Polizeistation. Am Ortsausgang eine Tankstelle und ein Gebrauchtwagenhändler. Auf dem umliegenden Land vereinzelte Farmen. Auf Wiesen grasen vor den Silhouetten der Bohrtürme Rinder und Schafe. Heute hat die Stadt das zehnfache an Einwohnern und wird „The Shining Star of Texas“ genannt. Die durchschnittliche Temperatur in den Sommermonaten liegt bei 35 Grad. 

            Drei Jahre zuvor, im September 1906, wird Jim Thompson („The Killer Inside Me“, „Getaway“, „Pop. 1280“) in Oklahoma geboren. Mit Dreizehn zieht seine Familie mit ihm nach Fort Worth in Texas: „Während der vier Jahre, die ich in Fort Worth gelebt habe, habe ich oft den Eindruck gehabt, dass diese Stadt mit einem unverhältnismäßigen Anteil an kompletten Idioten geschlagen war … Die Texaner brüsteten sich mit ihrer insularen Einstellung; sie prahlten mit Dingen wie dem, dass sie nie außerhalb der Grenzen ihres Staates gewesen waren, oder mit dem Umstand, dass das einzige Buch in ihrem Haus die Bibel war.“ (Jim Thompson, „Bad Boy“)

            Als junger Mann arbeitet Jim Thompson auf den Ölfelder. Ein Deputy kommt aus der sechzig Kilometer entfernten Stadt und stoppt vor dem Bohrturm, auf dem Jim irgendwas repariert: „Er winkte zu mir noch, schlenderte dann zur Rampe des Bohrturms, leicht schwankend auf seinen hochhackigen Stiefelabsätzen. – ‚Wie geht´s?‘ rief er nach oben und wartete. ‚Hab gestern mal bei deinem Kumpel vorbeigeschaut, ich soll dir sagen, dass es ihm gutgeht.‘ … In Westtexas geht dauernd ein Wind. Im Winter bläst er erbarmungslos direkt vom Nordpol herüber und kommt im Sommer aus den glutheißen Tiefen der Hölle. Der Wind fegte durch den Bohrturm mit backofenheißen, dem Körper alle Flüssigkeit entziehenden 45° Celsius. Es gab keinerlei Schutz dagegen. Ich hatte kein Wasser … ‚Na, wie wär’s mit nem kleinen Schluck?‘ rief er, ‚‘n bißchen Wasser, hä? … Ich such den Eimer, du kannst ihn mit dem Seil hochziehen.’ – ‚Lass nur, ich komm runter.“ – Er war ein gut aussehender Typ. Das Haar unter seinem zurückgeschobenen Stetson war kohlschwarz, und seine anthrazitfarbenen, intelligenten Augen standen weit auseinander in einem sonnengebräunten Gesicht mit feinen Zügen. Er grinste mich an. ‚Na, das war nicht gerade klug‘, sagte er, ‚das ist mal …‘ – ‚Und das ist mal Tatsache‘, äffte ich ihn nach. ‚Na gut, gehen wir.‘ Er grinste mich weiter unverwandt an, doch es war starr, humorlos und ein Schleier schien sich über seine Augen zu senken. ‚Warum bist du so sicher‘, sagte er weich, ‚dass du überhaupt irgendwo hingehen wirst.‘“ (Jim Thompson, „Bad Boy“)

Charles Williams © wiki

                        Charles Williams verbringt als Jugendlicher viel Zeit im Freien, schwimmt und treibt Sport. An den Wochenenden geht er mit seinem Vater und dem älteren Bruder auf die Jagd. Die Eltern haben vier Söhne. Charles bricht die Highschool ohne Abschluss ab und verpflichtet sich 1929 bei der US-Handelsmarine. Nach zehn Jahren nimmt er seinen Abschied.

            „Es war jetzt über ein Jahr seit jener Nacht vergangen, als ich nach elfmonatigen Hin- und Herschippern auf einem Tanker zwischen dem Persischen Golf und Japan in die Staaten zurückgekehrt war und feststellen musste, dass Jerilee, der ich monatlich vierhundert Dollar geschickt hatte, mit dem Konto und einem Freund, den sie in ihren Briefen zu erwähnen vergessen hatte, auf und davon war. Ich zerriss daraufhin meinen Marineausweis und spülte die Fetzen in der Toilette einer Hafenkneipe in Port Arthur hinunter.“ („The Hot Spot“)

Sein Name ist Harry Madox. Er ist in einer texanischen Kleinstadt gestrandet und bekommt einen Job als Autoverkäufer. Viel interessanter aber findet er die örtliche Bank. Er plant, sie auszurauben.              
Harry verliebt sich in die scheue und verletzliche Kollegin Gloria, vertreibt sich aber die Langeweile mit Dolores, der sexhungrigen und skrupellosen Frau seines Chefs.                                                
Das wird ihm zum Verhängnis. Er zieht den Bankraub durch. Er glaubt, ein Problem seiner Kollegin gelöst zu haben. Doch er irrt sich gewaltig. Dolores spielt ihr eigenes Spiel. 

   „Ich öffnete den Umschlag und nahm den Durchschlag eines Schreibens heraus. Sie hatte ganze Arbeit geleistet. Es gab nichts, was sie ausgelassen hatte. Ich hatte alles verloren. Ihretwegen. Ich ging langsam zu ihr hinüber. Ich sah ihr spöttisches Gesicht und ihre weiße Kehle. ‚Du musst mich jetzt bitten‘, sagte sie. ‚Du hast deine Chance verpasst, weil du unbedingt diese kleine Eule haben wolltest. Ich freue mich, dass du mich jetzt inständig bitten musst, dich zu heiraten. Du musst schließlich auf mich aufpassen, Harry. Mir könnte irgend etwas  passieren.’ – ‚Ja‘, stieß ich hervor, ‚dir könnte irgend etwas passieren.‘ – Es muss an meiner Stimme gelegen haben, dass das Lächeln von ihren Lippen verschwand und dass sich ihre Augen weiteten. Doch sie saß nur sekundenlang erstarrt da. Als ich sie an der Kehle packen wollte, sprang sie auf. Meine Hand rutschte zum Ausschnitt des schwarzen Kleides. Das Kleid zerriß. Sie schrie, als ich sie auf die Couch warf. Meine Hände umklammerten ihren Hals. Ich wollte sie zum Schweigen bringen und hatte nur den einen wahnsinnigen Wunsch, ihre Kehle so lange zuzudrücken, bis ihr Gesicht blau anlief und sie sich nicht mehr rührte. Doch das wäre Selbstmord gewesen. Dann hätte ich mich auch selber gleich umbringen können. Ich lockerte den Griff. Meine Hände wurden schlaff. ‚Na also‘, sagte sie. Sie schaute auf ihr zerrissenes Kleid und ihre großen Brüste und dann auf mich, ‚Na also, Harry.‘ Sie hatte recht. ‚Küss mich‘, forderte sie. – ‚Ja.‘– Wir lagen auf dem Sofa. Sie war halbnackt und roch intensiv nach dem Parfüm, das sie immer benutzte. Ihre Haare waren zerzaust. Sie legte die Arme um meinen Nacken: ‚Was – ja?‘ – Ich wusste, dass es nur eine Antwort gab. – ‚Ja, meine Liebe‘, sagte ich. („The Hot Spot“)

1939 heiratet Charles Williams die aus Iowa stammende, drei Jahre jüngere Lasca Foster. Er arbeitet jetzt als Funkinspektor in der Puget Sound Navy Yard im Bundesstaat Washington. Die PSNS ist als Marinehafen  gegründet. Im Ersten Weltkrieg werden dort noch Schiffe gebaut, im Zweiten Weltkrieg ist die Werft hauptsächlich für die Reparatur der Kriegsschiffe zuständig. Williams zieht mit seiner Frau nach San Francisco. Dort hat er einen Job als Techniker bei Mackay Radio und beginnt  mit dem Schreiben von Romanen. Nach der äußerst erfolgreichen „Girl“-Trilogie im Jahr 1951 – „Hill Girl“, „Big City Girl“ und „River Girl“ – ist „The Hot Spot“ sein vierter Roman. 

2                     Ende der Achtziger Jahre kehrt der Schauspieler und Regisseur Dennis Hopper („Easy Rider“) nach exzessiven Drogenkonsum und einigen genialen schauspielerischen Leistungen („Blue Velvet“) nach Venice Beach zurück. Er tigert durch sein Haus und denkt über einen Stoff nach, den er als Regisseur realisieren könnte. Mehrere Drehbücher liegen „auf Mabel Dodge Luhans florentinischen Holztisch, den Hopper aus einem Lehmpalast entführt hatte, als er die Siebziger Jahre hinter sich ließ, um nach Venice zu ziehen. Über dem Tisch hing ein geschmackvoll avantgardistischer Kronleuchter, der aus Craquelé-Glas bestand … Sollte er den Meta-Western vorantreiben, in dem Pancho Villa, der mexikanische Revolutionär, mit dem viktorianischen Abenteurer Ambrose Bierce zusammentrifft? Oder wie wäre es, wenn er sich an der Adaption des Buches „The Monkey Wrench Gang“ versuchte? [Autor Edward Abbey. –  ‚Vier Naturfreaks lernen sich am Lagerfeuer kennen und beschließen sich einem Ziel zu verschreiben: der Sprengung einer Staumauer. Das ist erstklassige Sabotage im Dienste des Umweltschutzes und die Monkey Wrench Gang lässt es dabei ordentlich krachen.‘ Deutschlandradio Kultur]

Und da war doch noch „Hellfire“ über den wilden Jerry Lee Lewis, den Hopper von Mickey Rourke spielen lassen wollte. Irgendwo auf dem Anwesen flatterte auch das Drehbuch von „Fear and Loathing in Las Vegas“ umher, von einem inspirierten Fan geschickt, der wusste, wie groovy es sein würde, Hopper zusammen mit Hunter S. Thompson auf eine von Drogen befeuerte Reise in den Amerikanischen Traum zu schicken, ‚Easy Rider 2‘? Nicht wirklich, aber Hopper plante den Durchbruch mit einem ‚Easy Rider für die neunziger Jahre‘, keiner halbgaren Fortsetzung, sondern eher etwas im Stil von Dantes Inferno … Stattdessen war er jedoch dafür vorgesehen, bei ‚Hot Spot‘ Regie zu führen, einem sexgesättigten Film noir, in dem Don Johnson als Autoverkäufer auftritt. Hopper nannte ihn ‚The Last Tango in Texas‘“. (Tom Folsom, „Dennis Hopper. Die Biografie“) 

                        Als Darsteller werden verpflichtet: Don Johnson für die Rolle des Harry Madox. Virginia Madsen, zu dieser Zeit bei Produzenten auf die Rolle der Verführerin festgelegt, als die sexhungrige Ehefrau Dolores, und Jennifer Connelly als die hübsche, scheue Gloria. Sie ist einem größeren Publikum aus dem Sergio Leone Epos „Es war einmal Amerika“ bekannt, in dem sie mit Vierzehn die junge, heimlich beobachtete Deborah spielt. 

                        Als Kassenmagnet aber gilt Don Johnson. Nach 113, von 1984 bis 1989, ausgestrahlten, stilprägenden  „Miami Vice“-Fernsehfolgen, ist er populär genug, die Leute auch ins Kino zu locken. Davon sind Dennis Hopper und die Produzenten des Films jedenfalls fest überzeugt. 

                        „Mike Figgis (Drehbuchautor, Regisseur, ‚Internal Affairs‘, 1989) hatte ein Drehbuch namens ‚The Hot Spot‘ geschrieben, und es war ein Film über einen Bankraub. Drei Tage bevor wir mit den Dreharbeiten begannen, rief uns Dennis Hopper an einem Sonntag zu einem Treffen und sagte: ‚Okay, wir machen das Drehbuch nicht. Wir machen das hier.’ Und er reichte ein Drehbuch herum, das in den 60er Jahren für Robert Mitchum geschrieben worden war, und es basierte auf einem Buch namens ‚Hell Hath No Fury‘ (‚The Hot Spot‘). Ich las es und sagte: „Wow!“ Ich meine, das Figgis-Drehbuch war schick und cool, aber es war nur der Bankraub, und das hier, das war echtes Noir mit einem durch und durch abgefuckten Typ.“ (Don Johnson im Interview, 1990)

                        Es ist das von Charles Williams 1962 selbst geschriebene Drehbuch, das 1988 von Nona Tyson bearbeitet wird.              

                        Hopper dreht in Texas während des „heißesten und dampfigsten Wetters, das man sich vorstellen kann“. Die Locations sind in Taylor, Austin und Luling. Die Wald- und Schwimmszenen werden im berühmten Hamilton Pool Preseve westlich von Austin gedreht: „Ein schmaler Pfad schlängelte sich durch den dichten Kiefernwald zu einer Anhöhe empor, auf der ein paar verlassene, halbverfallene Bauernhäuser standen. Die Gärten waren von Gras und Unkraut überwuchert. Ein Bohrturm ragte über den Bäumen empor. Nach Westen fiel dann der Hügel zu einem Flussbett ab.                                              
Er war jetzt im Hochsommer ziemlich flach. Durch das klare Wasser schimmerten ein paar Sandbänke. Die Aussicht war herrlich. Der Fluß kam im weiten Bogen, glitt über eine Sperre und fiel in eine Art kleinen Stausee direkt unter der Brücke. Ein Teil dieses Tümpels lag im Schatten der Bäume und sah dunkel, kühl und tief aus. Die Stille wurde nur durch den Ruf einer Drossel unterbrochen, die irgendwo in den Bäumen am anderen Ufer saß. Über allem lag ein Frieden, den man fast körperlich spürte … wir lehnten uns über das Geländer und starrten in den dunklen Fluss. Glorias Augen waren groß und dunkel. Ich nahm sie in meine Arme. Wir redeten lange Zeit kein Wort. Ich küsste sie und hielt sie wie etwas sehr Kostbares, Zartes, was mir davonfliegen könnte. Mein Gesicht ruhte an ihrer Wange. Dann bewegte sie sich und trat etwas zurück. Sie nahm meine Hände und legte sie an ihr Gesicht. – ‚So, wie du es schon einmal getan hast’, sagte sie sanft. ‚Es ist verrückt, nicht wahr? Aber ich möchte, dass du mich so küsst. Vielleicht, weil du mich das erste Mal so geküsst hast. Erinnerst du dich noch, Harry?’“ („The Hot Spot“) 

            „The Hot Spot“ wird 1990 beim Toronto Filmfest uraufgeführt. Dennis Hopper beklagt, dass seine Stars nicht  genug Werbung für den Film gemacht haben. Don Johnson sagt, dass er sich nicht äußern werde, bevor er die Kritiken gelesen habe. Die sind in der amerikanischen Presse überwiegend positiv. Am besten bewertet wird allerdings der Soundtrack von Jack Nitzsche mit Miles Davis, John Lee Hooker, Taj Mahal, Roy Rogers, Tim Drummond, Earl Palmer und Bradford Ellis. 

            In Deutschland gibt es Kritik an dem Film: „Ein nur in Ansätzen überzeugender Versuch einer Wiederbelebung der ‚Schwarzen Serie‘ und ihrer Mythen. Ästhetisch gelackt in betont ‚postmodernen‘ Bildern von allzu großer Beliebigkeit, bleibt der Film in der Behandlung des Themas sexueller Abhängigkeit unglaubwürdig.“ (Film-Dienst)

            Charles Williams ist bei der Buchveröffentlichung von „Hell Hath No Fury“ vierundvierzig Jahre alt. Er ist groß und von kräftiger Statur. Er ähnelt dem Bruder der „Hot Spot“ Darstellerin Dolores, Virginia Madsen – Michael Madsen in der Rolle des Mr. Blonde in Quentin Tarantinos „Reservoir Dogs“. Nach „Hell Hath No Fury“ erscheint in Amerika jährlich mindestens ein neuer Williams-Suspence-Roman.
1953 „Nothing in Her Way“: „Sie war eine betörende Frau, und sie wusste, wie sie die Männer zu nehmen hatte. Sie nahm sie aus, bis zum letzten Pfennig. Cathy – schön und verlockend, gefährlich und unwiderstehlich. Cathy – ein ganzes Gangster-Syndikat in einer einziges Person.“ (Covertext Heyne).
1954 „Go Home Stranger“: „Pete Reno macht sich auf die Suche nach dem Mörder seines Schwagers. Es ist eine Jagd nach einem Phantom. Denn niemand weiß etwas, niemand hilft ihm. Trotzdem gibt Pete nicht auf, obwohl er ahnt, dass der unheimliche Täter nicht davor zurückschrecken wird, auch ihn umzubringen. (Covertext Heyne)
„A Touch of Death“: „Der Roman mit der schlimmsten femme fatale aller Zeiten: ‚Wenn sie Eiswasser wollte, dann brauchte sie sich nur eine Ader zu öffnen.‘“ (Martin Compart, WordPress)  

            1959 erscheint im Münchner Heyne Verlag Charles Williams erster auf See spielender Roman „Scorpion Reef“ (1955) unter dem Titel „Heiß weht der Wind von Yukatan“.  Über 150.000 Taschenbuch-Exemplare werden innerhalb kurzer Zeit verkauft, und Heyne legt nach. Der Verlag sichert sich die Rechte an sämtlichen Romanen des Autors, die dann bis Mitte der Siebziger Jahre kontinuierlich in deutscher Übersetzung als „Heyne Crime“ und später als „Blaue Krimis“ veröffentlicht werden. Heute sind die Titel nur noch vereinzelt bei diversen Anbietern im Internet zu finden (AbeBooks, booklooker, ZVAB). In Frankreich hingegen sind sie bei Gallimard seit den Sechziger immer wieder neu aufgelegt worden. 

3                   „Ich hatte in den Jahren 1962 bis 64 an den Studentendemonstrationen teilgenommen, bin dann nach England gegangen, wo ich gleichzeitig meine Liebste und die Série Noir kennengelernt habe … Ich habe die ganze Série Noir gelesen, vor allem die Klassiker: Chandler, Hammett, Charles Williams, John D. McDonald, Jim Thompson, alle eben.“ (Jean-Patrick Manchette, 1942 – 1995, Roman- und Drehbuchautor, gilt als Begründer des neueren sozialkritischenKriminalromans, des „Neo-Polar“)

                        Charles Williams ist in Amerika seit Mitte der Fünfziger ein immer mehr populär werdenden und gut verdienender Autor. Mit seiner Frau und einer heranwachsenden Tochter lebt er in Key West, Florida, und „wenn er nicht gerade schreibt, geht er auf Entenjagd, schwimmt und fischt und schaut sich das Leben unter Wasser durch eine Taucherbrille an.“ (Covertext Heyne). Seine Einkünfte ermöglichen es ihm, gemeinsam Frau und Tochter, aber auch allein größere Reisen nach Südamerika und Europa zu unternehmen. Eine zeitlang lebt er in der Schweiz und in Frankreich.

            In Frankreich hat Williams bereits 1956 für „Der große Dreh“ den „Grand prix de littérature policière“ erhalten. Der Roman wird 1963 von Marcel Ophüls mit Jeanne Moreau, Jean-Paul Belmondo, Claude Brasseur und Gert Fröbe verfilmt (dt. Verleihtitel „Heisses Pflaster“). Es ist Ophüls erster und einziger langer Spielfilm. Das Drehbuch schreibt er zusammen mit Claude Sautet. Sautet (später Lieblingsregisseur von Romy Schneider, mit der er fünf Filme dreht) verfilmt 1965 Charles Williams „Westlich der Bahamas“ mit Lino Ventura.

            „Von Donner und Regenschauern begleitet, landete die Maschine um 15 Uhr 40 auf dem Miami International Flughafen. Ingram, ein großer Mann mit abwesend blickenden grauen Augen und einem fast unmerklichen Hinken, folgte den anderen Passagieren aus der DC-6 in die dunstige Leere, die das davon ziehende Unwetter hinterlassen hatte. Sein Bein hatte sich etwas versteift – wie immer, wenn er sehr lange stillsitzen musste –, und er stampfte den Fuß ärgerlich auf den Boden, um den Zug der harten Sehnen zu lockern. Er brachte die Passprüfung hinter sich, und als er sein Gepäck durch die Zollabfertigung geschleust hatte, wies er einen Gepäckträger mit kurzem Kopfschütteln ab, trug seinen Koffer zu der flachen Rampe hinaus und nahm ein Taxi. Sein Ziel was das La Perla, ein schäbiges, drittklassiges Hotel, in dem er zum ersten mal vor vierzehn Tagen abgestiegen war und das er seither als Operationsbasis benutzt hatte.“ („Westlich der Bahamas“) 

            Ingram, dargestellt von Lino Ventura – „Der coolste Typ des französischen Kriminalfilms. Melancholisch, einsam, stoisch dem Ende entgegen gehend“ – wird als Kapitän einer Hochseejacht engagiert. Die Jacht wird gestohlen. Mit der Besitzerin macht Ingram sich im Karibischen Meer auf die Suche. Sie finden das Boot und geraten skrupellosen Waffenschmugglern in die Hände. Erst gegen Ende des Films kann Lino Ventura zum heiß ersehnten Befreiungsschlag ausholen. (Dt. Verleihtitel „Schieß, solange du kannst“)

            „Ingram sprang vorwärts und holte mit dem Revolver aus. Er fühlte den Stoß, als die Waffe Morrisons Schläfe traf. Der schlaff werdende Körper fiel auf ihn, und sie stürzten beide zu Boden. Er kroch unter der leblosen Masse hervor und versuchte, sich aufzurichten. Seine Knie gaben nach, und er fiel. Aber seine ausgestreckte Hand bekam den untersten Tritt der Kajüttreppe zu fassen …Am folgende Nachmittag glitt die ‚Dragon‘ unter vollen Segeln in einer leichten Nordostbrise durch den Santaren-Kanal in Richtung der Küste von Florida. Die Brise war kurz nach zehn Uhr morgens aufgekommen. Die gefährlichen Sandbänke und pastellblauen und grünen Untiefen der Großen Bahama-Bank lagen bereits steuerbord hinter dem Horizont, und der Kurs brachte sie immer weiter von Land fort in das beruhigende Indigoblau der tiefen See mit ihrem ruhigen, weiten Wogenschlag.“ („Westlich der Bahamas“)  

            1963 verfilmt Jean Valère „Der Köder“: „Es gehört nicht allzuviel dazu, einen Mann aus der Bahn zu werfen. Ein von einem Betrunkenen gesteuerter Wagen – ein gebrochenes Bein – und mit der Karriere als Fußball-Profi ist es vorbei. So war es bei mir … Und das Schlimmste war, dass ich den Mann, dem ich dies alles zu verdanken hatte, nicht mehr zur Rechenschaft ziehen konnte. Er war bei dem von ihm verschuldeten Autounfall ums Leben gekommen. Ich nahm also Abschied von meinen Freunden und vom Fußball, verließ das Trainingslager und fuhr nach Galveston.“

            Es ist ein für Charles Williams typischer Romananfang. Und nicht zum ersten Mal in seinen Romanen ist Galveston ein Handlungsort. Der Automobilhändler in der texanischen Kleinstadt und seine sexhungrige Gattin Gloria machen dort einen kurzen Strandurlaub, später heiratet sie den von ihr abhängigen Harry in Galveston. 

            2010 betitelt der fünfunddreißigjährige Nic Pizzolatto (TV-Serie „True Detektive“) seinen ersten und bislang einzigen Noir Roman mit „Galveston“. Ein Pofikiller mit der Diagnose Lungenkrebs bricht zu seinem letzten Auftrag von New Orleans nach der texanischen Inselstadt Galveston auf: „Abseits der Städte verwandelt Texas sich in eine grüne Wüste, die darauf angelegt ist, dich mit ihrer unermesslichen Weite zu erschlagen. Ein mit Himmel gefüllter Granatwerfer. Die Mädchen bestaunten sie wie ein Feuerwerk. Die I-45 führte über den Damm auf die Nordseite der Insel: Regenbogenfarbene Segelboote, die sich in den Häfen drängten, Fischkutter, deren Netze von den Klüverbäumen hingen wie Zypressenmoos. Penner, die sich in die Schatten von Palmen und Telefonmasten duckten. Den Palmen hatte man die Blätter abgeschält, so dass sie aussahen wie abgenagte Rippchen, die man in den Dreck geworfen hatte … Der Golf war tiefblau, die riesige Sonne, die am Horizont hervorlugte sprenkelte ihn mit Napalm. Die Luft flirrte so stark, dass sie die Sonne vergrößerte und ihre Strahlen zu Schwerterklingen zusammenschob. (Nic Pizzolatto, „Galveston“)

            In Frankreich dreht Jean Valère die am Meer spielenden Szenen im Seebad  Étretat in der Normandie, bekannt für seine Kreidefelsen an der Küste. Den verunglückten und betrügerisch auf das große Geld fixierten Fußballstar spielt der seinerzeit schon als „Weltstar“ gehandelte Hardy Krüger. Unter dem Verleihtitel „Sein größter Dreh“ hat der Film im April 1964 seine Deutschland-Premiere: „Geschickt konstruierter, aber reichlich konventionell inszenierter Thriller mit melodramatischen Zügen, der jedoch im Verlauf der Geschichte merklich an Spannung verliert.“ (Film-Dienst).

            Ein Jahr vor seinem Tod im Oktober 1984 bearbeitet der 1932 in Paris geborene Filmkritiker und Regisseur  François Truffaut (Begründer der Nouvelle Vague) Charles Williams Roman „Die lange Samstagnacht“. Es ist einer der heiteren und komödiantischen Kriminalromane, die der Noir-Autor Williams ebenfalls erfolgreich und im Hinblick auf Verfilmung geschrieben hat [weitere Titel: „Der Diamanten-Bikini“, „Mondschein-Whisky“ und „Die falsche Venus“]

             „Vivement dimanche“ (dt. Verleihtitel „Auf Liebe und Tod“) ist Truffaut letzter Spielfilm mit Jean-Louis Trintignant und Fanny Ardant in den Hauptrollen. Die Story: Ein getöteter Geschäftsmann, ein der Tat verdächtigter Immobilienmakler, seine Ehefrau, Geliebte des Geschäftsmanns. Ein Verbrechen aus Leidenschaft mit etlichen Wendungen. 

            1990 verfilmt dann der Franzose Robin Davis unter dem Titel „La fille des collines“ Charles Williams ersten Roman „Hill Girl“ (dt. „Die Liebe der Brüder“, München, 1963). Dieser erotische Thriller hat bis heute keinen deutschen Verleih. 

            Während seines Frankreichaufenthalts in den Sechziger Jahren ist Williams auch als Drehbuchautor und Stoffentwickler engagiert worden. Mit dem Regisseur René Clement („Nur die Sonne war Zeuge“, 1960) schreibt er „Les Félins“ (dt. Verleihtitel „Wie Raubkatzen“). 

            Marc (Alain Delon) steht auf der Liste eines New Yorker Verbrecher Syndikats. Er hat mit der Frau des Bosses eine Affäre. An der Cote d´Azur wird er aufgespürt und gefangen genommen. Er kann fliehen und findet Unterschlupf bei zwei attraktiven Frauen (Jane Fonda in ihrem ersten Engagement in Europa, und Lola Albright, Darstellerin in 85 Folgen der TV-Serie ‚Peter Gunn‘ von Blake Edwards). Doch die sind in dunkle Geschäfte verstrickt. Das ruft die französische Polizei auf den Plan. Knallharte Action ist angesagt. 

            „Niemand kann Gewalt realer erscheinen lassen als Charles Williams“, schreibt sein Kollege John D. MacDonald, Autor des Romans „The Executioners“, dt. „Kap der Angst“, verfilmt von J. Lee Thompson als „Ein Köder für die Bestie“ mit Robert Mitchum und Gregory Peck; Remake von Martin Scorsese „Kap der Angst“ mit Robert De Niro und Nick Nolte.

            Die Gewalt und die See. Die tödliche See. Charles Williams hat eine große Liebe zur See. Sie inspiriert den Mann aus Texas, der sich mit düsteren Noir-Romanen einen Namen gemacht hat, zu fesselnden Hochsee-Thrillern. Sie lässt ihn aber auch nicht allzu lange an einem Ort verweilen. Frankreich ist nur eine Station. 

4       „Gespenstisch war es, gespenstisch und still. Der Maat und die beiden Matrosen, die zu dem fremden Boot hinüber gerudert waren, trauten ihren Augen nicht und warfen sich verstohlene Blicke zu. Am Bord deutete nichts auf einen Kampf, auf Krankheit oder Havarie hin, und der Golf war seit Wochen in gnädiger Laune gewesen. Die Segel waren gesetzt und die Ruderpinne festgezurrt und die sanfte Abendbrise trieb das Boot mit südlichem Kurs in die Straße von Yukatan hinein. Das Beiboot hing über der Kabine, und alles war in bester Ordnung. Nur – kein Mensch war an Bord.“ – Ein Mann nimmt eine verängstige Frau mit an Bord und geht auf Kurs in die Hölle. („Scorpion Reef“, 1955, dt. „Heiss weht der Wind von Yukatan“, München, 1959).

            „Ich atmete tief ein und tauchte unter. Es war das einzige, was mir übrig blieb. Ich tauchte immer tiefer an der Seitenwand des Boots hinunter. Meine Ohren begannen, ein wenig weh zu tun, und daran erkannte ich, dass ich mehr als zwölf Fuß tief war. Die Bootswand wölbte sich jetzt nach innen. Es war beängstigend da unten, weil ich nicht wußte, wie breit der Kahn war und wieviel Bewegungsfreiheit ich noch unter seinem Boden hatte. Aber es war immer noch halb so gefährlich wie die drei Haifische da oben auf dem Steg. Es gab ohnehin kein Zurück mehr …Die Oberfläche der Bucht brannte wie geschmolzenes Glas in der Sonne… Es hatte im Laufe des Nachmittags geregnet, ein peitschender tropischer Regenguss, der auf das Deck trommelte und die Wasseroberfläche pockennarbig machte… Ich starrte auf das Wasser mit seinen hundert Farbabstufungen von Flaschengrün bis Indigo.“ – Ein Mann glaubt nicht an die Geschichte vom dreimal gestorbenen Passagier und wird gejagt: „eine wunderbar geschriebene und elegant verwobene Mischung aus Krimi und Thriller“, Blog Andrew Cartmel („The Sailcloth Shroud“, 1960, dt. „Dreimal sterben ist zuviel“, München, 1962). 

            „Heute Abend gegen Sonnenuntergang, würden sie den Punkt überschreiten, von dem es kein Zurück mehr gab. Danach würden sie mehr als die Hälfte des Treibstoffs verbraucht haben, und jede zehn Minuten mehr bedeuteten dann eine unwiederbringlich verlorene Meile …Sie warf die Segelsäcke hinter sich, um die Tür frei zu machen, und packte einen Marlspieker, den sie zufällig in dem Durcheinander von Tampen liegen sah. Ihre Hand zerrte an dem. Riegel, um die Tür zu öffnen, als endlich eine Spur von vernünftiger Überlegung in ihr wach wurde und sie sich zusammenriß. Sie sank gegen das Schott. Mehr als eine Chance würde sich ihr nicht bieten. Die durfte sie nicht vertun. Er war ein junger Mann und würde entsprechend schnell reagieren.“ – Ein Ehepaar und ein Psychopath auf hoher See. („Dead Calm“ 1963. dt. „Todesstille“, München, 1989)

            „Dead Calm“ ist einer der insgesamt fünf Seeromane, in die Charles Williams all seine Kenntnis der langen Jahre als Funker auf Handelsschiffen und als gewöhnlicher Matrose einfließen lässt. Unterfüttert mit seiner Leidenschaft fürs Segeln auf den großen Meeren. 1955 erscheint „Scorpion Reef“, 1960 „The Sailcloth Shroud“ – verfilmt von Robert Arkless, in Deutschland nur auf VHS-Video unter „Miami Connection“ und „Target In The Sun“. „Aground“, dt. „Westlich der Bahamas“ wurde mit Lino Ventura verfilmt (s.o.), und nach „Dead Calm“ erscheint 1971 „And The Deep Blue Sea“, dt. „Begräbnis auf hoher See“, München, 1972. 

            „Dead Calm“, 1963 erstmals in Deutschland unter dem Titel „Tödliche Flaute“ erschienen, ist die Geschichte eines Ehepaars, das den Unfalltod ihres Sohns betrauert. Sie unternehmen eine ausgedehnte Seereise. Von einem offenbar havarierten Schoner nehmen sie einen verstörten jungen Mann auf. Während der Ehemann auf dem Schoner mehrere Tote entdeckt, entpuppt sich der junge Mann als mörderischer Psychopath und segelt mit der von ihm eingesperrten Ehefrau davon. Ein Kampf auf Leben und Tod beginnt, ein Psychothriller. 

            Schon früh erwirbt Orson Welles die Rechte an dem Buch. Als Darsteller verpflichtet er Jeanne Moreau, Laurence Harvey und Oja Kodar. Oja ist seine Lebensgefährtin, und mit ihrem und seinem Geld soll der Film finanziert werden. Erste Szenen werden an der Kroatischen Küste gedreht. Aber die finanziellen Mittel reichen nicht, um die Dreharbeiten abzuschließen. Als dann auch der Hauptdarsteller Harvey 1973 stirbt, wird das Projekt offiziell beendet. Im Internet ist ein kurzer Trailer zu sehen. 

            Ein großer Erfolg aber wird die 1989 von dem Australier Phillip Noyce gedrehte Version. Er ist mit seinem Produzenten George Miller (Regisseur der „Mad Max“ Trilogie nach Los Angeles bereist und von Orson Welles Witwe Oja Kodar die Rechte an dem Buch gekauft. Die Rolle der Ehefrau wir mit Nicole Kidman besetzt, die im Film als taffe und erotische Gegenspielerin des Psychopathen dominiert. 

            Charles Williams schreibt nach „Dead Calm“ noch drei weitere Romane. „The Wrong Venus“, 1966, dt. „Die falsche Venus“, Hamburg, 1968, wird nach seinem Drehbuch ebenfalls verfilmt. Danach aber wird es still um ihn. Die Verkäufe seiner Bücher gehen zurück. Seine Frau Lasca erkrankt an Krebs und stirbt 1972. Williams verfällt in eine tiefe Depression. Er kauft ein Stück Land an der Grenze zwischen Oregon und Kalifornien und lebt dort eine zeitlang in einem Trailer. Doch dann zieht er wieder nach Los Angeles in den Stadtteil Van Nuys im San Fernando Valley. 

            Am Montag, dem 7. April 1975 wird er in seinem Appartement tot aufgefunden. Er hat sich vermutlich in der Nacht von Samstag auf Sonntag erschossen. 

            Frank Göhre