Geschrieben am 2. Februar 2020 von für Crimemag, CrimeMag Februar 2020

Farewell für Jerry Oster (1)

… mit einem Textauszug aus „True Love“

Zweifellos ließ Jerry Oster sich für seinen Roman True Love von 1995 (Originaltitel Experience Blues) von dem spektakulären Mordfall O. J. Simpson inspirieren. So finden in True Love sowohl die Anhänger reiner Krimi-Action als auch die auf Tiefe bedachten Intellektuellen, die im Genre des Kriminalromans einen Reflex der realen Welt suchen, faszinierenden Lesestoff. Vielfältige Handlungsstränge laufen wie Fäden einer Spinnmaschine zusammen und kulminieren in einem furiosen Plöhepunkt. Die Komplexität und stilistische Raffinesse machen den Reiz dieses Romans aus, und so collagiert er die zersplitterten Elemente des Großstadtlebens zu einem raffiniert komponierten Sittengemälde.

Der Inhalt: Kiki Aster und Charles Krzysztof sterben im Kugelhagel. Der Täter scheint schnell gefunden. Das Model und der Galeriebesitzer wurden zum Opfer eines klassischen Tatmotivs: Eifersucht. Der Ex-Ehemann und Basketballstar Robert Powell soll die tödlichen Schüsse abgegeben haben. Dessen Alibi ist dünn, und sein Wagen mit dem auffälligen Kennzeichen 3PTLAND wurde zur Tatzeit am Tatort gesehen. Für das Cop-Duo Janet Truelove und Mabel Segura scheint der Fall eindeutig zu sein. Doch Powells offenkundige Vorliebe für rothaarige Luxus-Callgirls und harte Sex-Spiele bringen die Cops auf eine ganz andere Spur, und die führt direkt zum organisierten Verbrechen im Spielerparadies Atlantic City. Der Roman erschien 1996 erstmals auf Deutsch. Das Originalmanuskript wurde für die spraybooks-Ausgabe vollständig neu überarbeitet.

Textauszug mit freundlicher Genehmigung des Jerry Oster-Übersetzers Jürgen Bürger, der die exzeptionellen Romane auch als eBooks in seinem Verlag SprayBooks zugänglich hält.

  • Jerry Oster: True Love (Experience Blues, 1995). Copyright der deutschen Übersetzung © 1996, 2020 by Jürgen Bürger. Erste eBook-Ausgabe 2020, v1.0., spraybooks Verlag Bielfeldt und Bürger, Köln 2020.

Jerry Osters NYC–Romane:

»Die Frau mit dem Feuermal«, 2017, Original: »Port Wine Stain«, 1980
»Krass«, 2019, Original: »Sweet Justice«, 1985
»Holy Mike«, 2018, Original: »Saint Mike«, 1987
»Nowhere Man«, 2020,  Original »Nowhere Man«, 1987
»Club Dead«, 2020, Original: »Club Dead«, 1988
»Experience Blues«, 2020, Original: »Experience Blues«, 1995
»Nightfall«, 2020,  Original »Nightfall«, 1997
»Lust«, 2020, Original: »Lust«, 1999.
Alle bei SprayBooks.

Und hier nun die ersten beiden Kapitel aus „True Love“:

1

Direkt vor Tony Dantes Haus war eine Parklücke frei, aber ein Subaru-Kombi bog vor Tonys Dodge Daytona in die Garden ein und schnappte ihm die Lücke vor der Nase weg.

»Kratz ab, Yuppie-Abschaum«, knurrte Tony und sah beifallheischend Angela Palermo an, die in schwarzem Mikromini, roter Seidencorsage und schwarzen Plateauschuhen neben ihm auf dem Beifahrersitz saß.

Angela lachte und schob eine Hand zwischen Tonys Schenkel. »Kratz ab, Yuppie-Abschaum«, wiederholte sie.

»Kratz! Ab! Yuppie! Abschaum!« Tony legte sich im Takt auf die Hupe.

Angela klatschte mit. »Kratz! Ab! Yuppie! Abschaum

Die Parklücke zu verlieren bedeutete, den gesamten Weg bis zur Jefferson zurückfahren und die Suche durchs ganze Viertel von vorne anfangen zu müssen. »Sonntagabends ist es immer die Hölle«, sagte Tony. »Alle sind zu Hause, keiner ist unterwegs.«

Angela drückte Tonys Bein. »Wo du recht hast, hast du recht. Sonntags ist’s immer die Hölle.«

Tony bog links auf die Jefferson ein, und einfach so war er da, direkt hinter der Stoßstange von Robert Powells silbernem Benz, gar keine Frage, das war das von Küste zu Küste bekannte und berühmte Nummernschild:

»Heilige Mutter Gottes! Siehst du den geilen Benz da, Ange?«

Angela legte auf diese Art ihren Zeigefinger an die Lippen, die Tony echt wahnsinnig machte, es war, als würde sie den Rauch aus dem Lauf einer Kanone blasen, mit der sie eine Supermutter weggeputzt hatte, die Tony anbaggern wollte. »Du hast ja so recht, Tony. Geile Schüssel.«

»Nicht nur das, Babe. Wirf mal einen Blick aufs Nummernschild.«

Angela hob auf diese Art ganz langsam ihre Nase, dass Tony sie am liebsten von oben bis unten abgeleckt hätte. Es war, als würde sie herablassend die Supermutter taxieren, die nicht wusste, dass Angela auch noch da war, als würde sie der Supermutter auf die Schulter tippen und sagen: »Jaaa?« Angela demontierte das Nummernschild: »… Drei … Pttt … Drei Pott Land?«

»Drei Punkte Land«, sagte Tony. »Drei Punkte Land. Das ist Robert Powells Schüssel, Babe. Robert Powell, der König der Dreier, der Duke der Wegputzer, der Prinz der Feldlinien. Absolut obergeil ist das.«

»Du hast ja so recht«, sagte Angela. »Wenn das da Robert Powells Schüssel ist, dann ist das so absolut obergeil.«

»Nicht, wenn, Babe«, sagte Tony. »Nicht, wenn. Vertrau mir. Das ist abso-geilo-lut Robert Powells Schüssel.«

Tony bog nicht zu einer weiteren Runde durchs Viertel links auf die Ninth Street ab. Er blieb auf der Jefferson, blieb direkt hinter dem Benz, versuchte durch die getönte Heckscheibe was zu erkennen.

»Was zum Geier hat der King im ’Boken zu suchen?«, sinnierte Tony laut. »Hat er sich vielleicht verfahren oder was?«

»Wo du recht hast, hast du recht, Tony«, sagte Angela. »Wenn der King im ’Boken ist, dann muss er sich wohl verfahren haben.«

»Kannst du einen drauf lassen.« Tony klopfte mit der Faust auf den Schaltknüppel. »Kannst du voll einen drauf lassen. Jede Wette, der ist aus dem Tunnel gekommen, sucht die Turnpike, weiß nicht, dass er die Route 9 nehmen muss, lange Rede, kurzer Sinn, und schwupps ist er im ’Boken gelandet. Jede Wette war’s so. Ich wette, so war’s.«

»Er hat die Turnpike gesucht«, sagte Angela einfach.

»Aber er fährt die Küste runter«, sagte Tony. »Er hat eine Bude unten an der Küste. In Spring Lake. Auf der anderen Seite von Asbury. Auf der anderen Seite von Bradley Beach und so. Eine Villa. Da hängt er immer ab mit, du weißt schon, Denzel Washington und den ganzen Typen. Mit Ice T, Toni Braxton und so Leuten. Lange Rede, kurzer Sinn, ich mach jede Wette, genau dahin will er jetzt.«

»Überhaupt keine Frage, dass er jetzt die Küste runterfährt, um mit Toni Braxton zu chillen«, sagte Angela.

Als sie sich einer roten Ampel am Observer Highway näherten, debattierte Tony ernsthaft mit sich, ob er aussteigen, zu dem Benz rüberflitzen, an die Scheibe klopfen und Robert Powell um ein Autogramm bitten sollte. Aber a) hatte Tony weder Papier noch Kuli oder Bleistift oder sonst irgendwas bei sich, und b) hielt Robert Powell nicht vor der roten Ampel, er tippte nur einmal kurz auf die Bremse, dann ließ er den Benz weiter über die Kreuzung gleiten.

»Scheiße, häh? Ich meine, wenn der nicht anhält, halte ich auch nicht an«, sagte Tony. »Ich meine, hab ich recht oder hab ich recht?«

»Du hast recht, Tony«, sagte Angela. »Wo du recht hast, hast du recht. Scheiß drauf. Halt nicht an.«

Obwohl Angela Palermo, die echte Angela Palermo, nicht mal in der Nähe des Beifahrersitzes von Tony Dantes Dodge Daytona war, sie war nämlich bei ihrem Mann, Paul Dante, Tonys verschissenem Bruder, eine Meile weit weg und sechs Stockwerke über der Erde in einer Wohnung an der Hudson Street, machte Tony trotzdem genau das, wozu sie ihn anfeuerte, und er glitt ebenfalls über diese Kreuzung und folgte Robert Powells Benz ins finsterste Jersey City.

* * *

Zwei Stunden später knirschte Robert Powells Benz mit gelöschten Scheinwerfern über den angewehten Sand auf einem Parkplatz in Ocean Grove und fuhr bis direkt an die hölzerne Uferpromenade. Der Motor wurde ausgeschaltet, und dann stand der Wagen einfach da, die teure Karosserie knackte, auf den teuren Lack peitschte Sand und vom Wind mitgerissene Gischt, als wäre er den ganzen weiten Weg allein gekommen und wollte jetzt nicht mehr weiterfahren, nein, danke, nicht an so einem miesen Abend wie diesem, noch keine Woche nach dem Labor Day, aber trotzdem war’s schon wie im Herbst, also, praktisch schon so wie im Winter.

Zwanzig Minuten stand der Wagen einfach nur da.

Dann ging schließlich die Tür auf, und Robert Powell stieg aus, seine vollen zwei Meter. Er warf die Tür hinter sich zu, verriegelte sie mit einer lässigen Bewegung der Fernsteuerung und erklomm die Stufen rauf zur Uferpromenade. Der Wind fuhr unter seinen langen Trenchcoat und blähte ihn auf. Powell überquerte die Uferpromenade und blieb am Kopfende der Treppe hinunter auf den Strand stehen. Er schaute nach links, er blickte nach rechts, sah wieder nach links und ging dann die Treppe hinunter.

Es war Nippflut mit geringem Wasserstand, und Robert Powell trat aus dem Lichtkegel der Straßenlaterne oben auf der Uferpromenade, ging hinunter bis zur Hochflutlinie, hinunter bis zum nassen Sand, hinunter zum Atlantik, hinunter in die Nacht, weiter hinaus auf die Mole aus dicken Steinplatten und Felsblöcken, weiter hinaus Richtung Europa oder Afrika oder was immer da draußen liegt.

Die Steinplatten und Felsblöcke waren wasserschlüpfrig, schleimschlüpfrig, und auch wenn er vorsichtig auf Zehenspitzen bis ans Ende der Mole ging, rutschte Robert Powell doch einmal aus und stürzte um ein Haar, stürzte dann tatsächlich, fiel hart auf die linke Hüfte, den linken Ellbogen. Langsam richtete er sich wieder auf, sah einen Augenblick aus wie eine zwei Meter große Spinne, die Finger ausgestreckt und auf den Steinplatten und Felsblöcken nach Halt suchend, nach Balance, während sich seine Beine langsam durchdrückten, der Rücken sich krümmte, sein Nacken sich beugte.

Dann stand Robert Powell wieder voll aufgerichtet da und tastete seine linke Seite ab. Er holte tief Luft und setzte den Weg bis ans Ende der Mole fort. Dort hatte er es urplötzlich ungeheuer eilig, nahm etwas aus der Tasche seines Trenchcoats und warf es weit hinaus ins Meer.

Während er von seinem Beobachtungsposten unter der Uferpromenade zuschaute, wohin er von seinem Daytona aus gekrochen war, den er nicht auf dem Parkplatz abgestellt hatte, sondern auf der Straße, auf der anderen Straßenseite, vor dem Nachbau eines Hauses im viktorianischen Stil, wurde Tony Dante durch Robert Powells Wurf an so ungefähr den berühmtesten 3-Punkte-Wurf erinnert, den der König der Dreier je gemacht hatte, vielleicht war’s ja sogar der berühmteste 3-Punkte-Wurf aller Zeiten. Gegen keinen geringeren Gegner als die verschissenen Knicks, die Mannschaft von Tonys verschissenem Bruder, und immerhin im Square Garden, noch sieben Zehntelsekunden zu spielen, die verschissenen Knicks mit zwei Punkten vorne, die mussten nichts anderes mehr tun, als die wenige Zeit bis zum Abpfiff mit Laufen abreißen, und da streckt Robert Powell eine Hand aus, nimmt keinem geringeren als Derek Harper die Pille ab, wirbelt herum, bringt den Ball völlig cool auf den Weg, hat überhaupt keine Eile, macht’s lässig mit einer Hand, ein gerader Wurf mit gestrecktem Arm über Kopf, wie ein Quarterback beim Football oder ein Baseball-Rightfielder, der den langen Wurf zum dritten Base macht, lässt das Ding über drei Viertel des Spielfelds fliegen, schlägt ihn hoch bis irgendwo unter die Dachsparren, vorbei an den Transparenten und Trikots der ehemaligen verschissenen Knicks, dann kommt der Ball wieder runter runter runter, von ganz weit oben, segelt genau in den Korb, wuschschsch, jaaaa, nada als Netz. Pashas eins-zehn, Knicks eins-null-neun. Lies es und heul doch!

Aber es gab einen Unterschied. Diesen Ball pfefferte Robert Powell mit absoluter Gewissheit, was das Ziel betraf. (Tony war natürlich nicht dabeigewesen. Er wäre nicht mal dann in den Square Garden gegangen, wenn er eine Karte hätte kriegen können, für den Fall nämlich, dass er zufällig seinem verschissenen Bruder in die Arme lief, der manchmal Karten von einem Typen kriegte, mit dem er kegeln ging, ihm dort mit Angela Palermo in die Arme lief, wo er sich dann Typen ansehen musste, die sie anglotzten und dachten, Maaann, ich hätt’ überhaupt nichts dagegen, wenn die sich mal auf mein Gesicht setzt, die Tony anglotzten und dachten, Was zum Geier hat der Typ, dass die sich auf sein Gesicht setzt, was hat er gemacht, hat er im Lotto gewonnen oder was, muss wohl, der Scheißkerl von einem Glückspilz. Aber für ihn war’s genauso, als wäre er dabei gewesen. Er hatte das Video mit den Höhepunkten des Spiels oft genug gesehen, er hätte genauso gut dabei gewesen sein können. Den Leuten erzählte er immer, dass er dagewesen war – scheiß doch der Hund drauf, wer will was anderes behaupten?) Robert pfefferte diesen Ball mit absoluter Gewissheit, was das Ziel betraf, er dröhnte das Ding ab und wusste einfach, dass er glatt durch den Korb segeln und zu ihm zurückkommen würde, zurück genau in seine Hände, hat überhaupt nichts mit Zauberei zu tun oder so, es ist einfach, du verstehst schon, irgendwer schnappt sich die Pille und gibt sie dem Prinz der Feldlinien, damit er sie sich auf den Kamin stellen kann oder weiß ich, er könnte sie sich bronzieren lassen oder irgendwas, Der-Ball-von-einem-der-längsten-3-Punkte-Würfe-aller-Zeiten-wenn-nicht-sogar-der-längste-jemals-geworfene oder so was.

Das Ding jedoch, das Robert Powell in den Atlantik pfefferte, was immer es war, unmöglich zu sagen für Tony Dante, wie er sich da unter die Uferpromenade quetschte, mit zusammengekniffenen Augen in die Schwärze stierte, dieses Ding pfefferte Robert Powell, als wollte er es in seinem ganzen Leben nicht mehr wiedersehen.

2

»›I woke up one morning‹«, sang Janet Truelove, »›walking ’cross my floor. I woke up one morning, walking ’cross my floor. I’m gonna relieve you baby, I don’t need you no good no more.‹« Und sang:

You didn’t mean it, baby, you had no right to lie.
You didn’t mean it, baby, you had no right to lie.
Go, go, baby, go, and see her till you die.
I’m talking ’bout a man, a man by the name of John.
I’m talking ’bout a man, a man by the name of John.
He’s the meanest man that ever lived under the sun.
You sit here drinking, just look what you done done.
You sit here drinking, just look what you done done
Lord, you treat me like my troubles have just begun.

Lord, you left me worried, that’s why I’m all confused.
Lord, you left me worried, that’s why I’m all confused.
That’s why I’m screaming these old experience blues.

»Danke. Vielen Dank.« Truelove deutete mit einer ausholenden Handbewegung auf den Klavierspieler. »Ron Alexander.« Sie beteiligte sich an dem Applaus für Ron und warf ihm eine Kusshand zu. Sie verbeugte sich noch einmal, dann verschwand sie hinter der Bühne und wartete auf Ron.

»Würg«, sagte Truelove und umarmte Ron.

»Mal gewinnt man, mal verliert man. ›Mama’s Blues‹ ist doch spitze gelaufen.«

»Was dir zu verdanken ist. ›Lovesplosion‹ hat super geklungen.«

»Es wird so langsam.«

»Ich liebe dich, Ronnie. Wir seh’n uns in zwei Wochen.«

»Ich liebe dich auch«, erwiderte Ron. »Bis dann.«

Janet Truelove zwängte sich in die sogenannte Garderobe, schlüpfte aus ihrem kleinen Schwarzen und den hochhackigen Pumps und zog Jeans, T-Shirt und Reeboks an. Ihre Bühnenkleidung stopfte sie in einen Matchbeutel und warf ihn sich über die Schulter. Sie schob einen Finger durch den Aufhänger ihrer Lederjacke, verließ das Gebäude durch den Bühnenausgang auf eine Gasse und ging nach vorn zum Vordereingang.

Rocky saß an der Bar und las die News. J.J. trocknete Gläser ab. Aus der Anlage rieselte Herbie Hancock.

»Dynomit«, sagte Rocky.

»Genau.«

»Gutes Programm«, meinte J.J.

»Einen Weißwein, bitte, Jadge. … Und, danke.«

Janet Truelove ging mit ihrem Glas zu dem Tisch, an dem Mabel Segura und Farrell Coughlin saßen und schmusten. Sie ließ ihren Kram auf einen Stuhl fallen, zog sich einen anderen heran, drehte ihn um und setzte sich rittlings darauf. »Tut mir leid, Leute.«

»Du warst spitze«, sagte Segura.

»Überragend«, sagte Farrell.

»Zweimal Meineid«, kommentierte Truelove.

»Mir hat ganz besonders dein Kleid gefallen«, sagte Farrell. »Extrem feuergefährlich.«

Segura kniff ihm in die Wangen. »Du musst es ja wissen, Herzchen.« Farrell arbeitete als Brandermittler bei der Feuerwehr. »Lass deinen Schlauch aber schön aufgerollt, okay?«

»Au!«, machte Farrell.

»Mir hat die Zugabe gefallen«, sagte Segura. »Wie heißt das Stück?«

»Experience Blues.«

»Ooh. Das gefällt mir. Davon hab ich reichlich. Blues mit Erfahrungen, meine ich.«

Trueloves und Seguras Pieper gingen gleichzeitig los.

»Verstehst du, was ich meine?«, sagte Segura.

Farrell sackte zusammen. »Nicht heute Abend, Mabel.« Er sprach ihren Namen MEI-ball aus, wie’s die Amerikaner machen, statt Mah-BELL, wie die Hispanics, wie sie selbst, was bedeutete, er war wirklich enttäuscht.

Sie drückte seine Hand. »Tut mir leid, Süßer.«

»Ich übernehme das«, sagte Truelove. »Macht einen Quickie, wenn ihr Lust habt.« Sie ging hinter die Theke, nahm den Hörer des Telefons ab und wählte die Nummer der Einsatzzentrale. »Detective Truelove, Midtown West. Ich rufe auch für Detective Segura an, gleiche Einheit.«

»Momentchen, Detective«, antwortete die Frau in der Zentrale.

Rocky blätterte eine Seite seiner Zeitung um. »Die gnadenlose Stadt.«

»Du sagst es.«

Die Zentrale meldete sich wieder. Die Frau sagte, sie werde Truelove jetzt zu Bel Geddes am Tatort durchstellen.

Knack, knister, peng! Die Wunder der modernen Telekommunikation. Ein Freizeichen. Dann nichts mehr, absolut nichts. Dann statisches Rauschen. Schließlich: »Bel Geddes.«

»Truelove.«

»Zwei zum Preis von einem. West Eight-four, West End und Riverside. Bringen Sie eine Zahnbürste mit.«

»Ach?«

»Das wird eine harte Nuss und uns noch ordentlich auf die Eier gehen. Oh, he, ’tschuldigung. Kleiner sexistischer Ausrutscher. Ich weiß einfach nur nicht, wie ihr Leute dazu sagt.«

»›Ihr Leute‹?«

»Sie wissen schon, was ich meine – ihr Frauen.«

»Wir nennen’s auch harte Nüsse. Wie sieht’s aus?«

»Die Opfer sind Kiki Aster, dieses Model, Robert Powells Ex –«

»Robert Powell?«, wiederholte Truelove. Es kam ihr einfach so über die Lippen. Sie drehte Rocky den Rücken zu, auch wenn sie genau wusste, dass er es mitbekommen hatte.

»Und dann noch ihr Lover. Oder jedenfalls ein Kerl. Charles Kiz-Kris-Krzysztof. Charles Krzysztof. Inhaber einer Kunstgalerie. Fifty-seventh Street.«

»East oder West?«

»Spielt das eine Rolle?«

»Es spielt immer eine Rolle.«

»East.«

»Das bedeutet, er ist ein arrivierter, alter Hase.«

»Tja, also, jetzt ist er kein alter Hase mehr, jetzt ist er tot.«

»Und was ist mit Powell?«

»Un-be-kannt.«

»Sie wollen also, dass wir ihn ausfindig machen?«

»Wenn’s recht ist, okay? Und seid vorsichtig. Der Tatort ist ein vierstöckiges Brownstone. Powell hat früher ebenfalls hier gewohnt … als sie noch verheiratet waren. Keinerlei Hinweise auf ein gewaltsames Eindringen. Der Täter hatte einen Schlüssel. Oder sie haben ihn reingelassen. Oder er ist einfach so reinspaziert. Die Tür hinten raus führt auf einen Garten. War nicht abgeschlossen. De zwei sind in so was wie einem Fernsehzimmer im ersten Stock genietet worden. Sie haben sich anscheinend gerade ein Video reingezogen – The Last Day at Chess Noose oder so. Noch nie davon gehört.«

»Chez Nous«, korrigierte Truelove. »›The Last Days of Chez Nous‹. Ein australischer Film mit diesem deutschen Schauspieler in der Hauptrolle. Bruno. Bruno Ganz. Der aber einen französischen Typen spielt. Interessanter Film.«[1]

»Tja, schön und gut, aber ich hab trotzdem noch nie davon gehört«, erwiderte Bel Geddes. »Tatwaffe war eine Neunmillimeter, wenn’s Ihnen nichts ausmacht, dass ich fortfahre. Allem Anschein nach hat der Täter zwei Magazine leergeballert – eins pro jeden. Hat nicht besonders oft daneben getroffen.«

»Ohne Quatsch? Zwei Magazine?«

»Sie sind zu jung, um sich noch an Fearless Fosdick erinnern zu können.[2] Genau so sehen die zwei nämlich aus – voller Löcher. Ein Nachbar hat die Schüsse gehört, hat sie gemeldet. Allerdings nicht sofort. Wir sind schließlich in New York. Ständig ballert irgendwo irgendwer mit einer Kanone rum. Der Nachbar konnte von seiner Wohnung aus in das Brownstone hineinsehen. Für ihn sah’s aus, als würden die zwei fernsehen. Nach einer Weile ist ihm dann aufgefallen, dass sie sich nicht bewegt hatten und nicht mehr bewegen würden. Der Notruf erfolgte um dreiundzwanzig Uhr dreizehn. Gut möglich, dass die Nietung bereits um zweiundzwanzig Uhr gelaufen ist.«

»Weiß die Presse schon davon?«

»Noch nicht, aber bald. Vor dem Haus haben sich eine Menge Schaulustige eingefunden. Powell wohnt im Peck Towers. Wir haben mehrfach versucht, ihn telefonisch zu erreichen, aber es geht keiner ran. Er hat einen Telefonservice, wenn man an denen vorbeikommt, kriegt man seinen Anrufbeantworter. Ich sollte vielleicht mal was drauf sprechen. Könnte sein, dass ich dann doch noch zu meinem Nickerchen komme.«

Truelove drehte Rocky wieder den Rücken zu. »Klingt ganz nach einem zweiten O.J., stimmt’s?«

»Ach, bevor ich’s vergesse …«, fuhr Bel Geddes fort. »Powell besitzt einen Waffenschein für eine Neunmilli. Seien Sie also vorsichtig.«

»Immer!« Truelove legte auf.

Rocky faltete seine Tageszeitung zusammen und klopfte sie auf der Theke zurecht. »Was war das gerade mit Robert Powell?«

Truelove stellte das Telefon zurück. »Gutes Publikum heute Abend, Rock.«

»Erzähl mir jetzt bloß nicht, er zieht sich zurück, um mit Baseball anzufangen oder so. Oder Eishockey. Ich hab das mit Michael immer noch nicht verkraftet.«

»Michael wer?«

»Wir haben hier einen zweiten O.J., stimmt’s?«, fragte Rocky.

»Wer ist Fearless Fosdick?«, konterte Truelove.


[1] Australien, 1993; Regie: Gillian Armstrong

[2] Cartoonfigur des amerikanischen Zeichners Al Capp (1909-1980; von ihm stammen die berühmten Li’l Abner-Strips). Fosdick war ein Polizeidetektiv, der sich durch seine Fälle wurstelte und keine Angst kannte, weil er unglaublich blöd war. Dauernd wurde er angeschossen, zusammengeschlagen oder übers Ohr gehauen.

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