
Köstner‘sche Intelligenz
vermittelt von Vladimir Alexeev
Das klingt nach Science-Fiction, und doch ist’s wahr: Man nehme mehrere Millionen Büchern, Artikeln und Webseiten, trainiere Künstliche Intelligenz daran – und lasse sie selbst Texte schreiben. Im Freiflug. Zu jedem beliebigen Thema. Das KI-Forschungsinstitut OpenAI hat es vollbracht und mit “GPT-3” ein unglaublich fähiges Neurales Sprachmodell erschaffen. GPT-3 verfasst Geschichten, kann coden, oder als ein intelligentes Chatbot agieren. Denn es weiß praktisch alles. Und das – in verschiedenen Sprachen, darunter auch auf Deutsch. Ob GPT-3 auch versteht, was es weiß, bleibt dahingestellt.
Ich hatte das Glück gehabt, zu den wenigen Beta-Nutzern des Systems zuzugehören – und extra für CrimeMag habe ich Krimikurzgeschichten erstellen lassen.
Das funktioniert so: Als Erstes gebe ich den “Prompt” (Ausgangstext) ein: unten in fett. Ich definiere das Genre und die Ausrichtung, hier: eine Krimikurzgeschichte über den Privatdetektiv Köstner, dazu Sujet. Es gibt keine Regeln, das System “versteht” den Auftrag. Man kann auch einige Einstellungen verändern, wie Länge der Antwort oder auch “Temperature” (beim Wert “0” schreibt GPT-3 hölzern, wiederholt sich und ist langweilig, beim Wert “1,0” ist es chaotisch und dadaistisch; erfahrungsgemäß bekommt man die interessantesten Ergebnisse mit “0.9”).
Dann setzt das System den angefangenen Text fort. Manchmal sehr eigenwillig und auf alle Vorgaben pfeifend.

Jeder Text ist ein Unikat. Er ist in sich schlüssig, und doch oft absurd, wie eine Traumsequenz. Mit dem gleichen “prompt” bekommt man unterschiedlichsten Geschichten. Ich habe die Sujets variiert, doch jede Geschichte fängt mit dem gleichen Satz an: “Privatdetektiv Köstner war in Eile”. Hier ist ein Spiel mit Stereotypen des Krimigenres, Noir-Atmosphäre, ein Einblick in eine alternative Realität.
Im Folgenden präsentiere ich einige Texte, die völlig unbearbeitet der Maschine entstammen. Die Bilder sind mit Hilfe verschiedner KI-Modelle entstanden: die Portraits sind an Gesichtdatenbanken trainiert, daher so realistisch. Die Szenenbilder sind an BigGAN trainiert (ein Sammelsurium an Motiven).
Vladimir Alexeev
twitter.com/merzmensch

Eine Krimikurzgeschichte.
Sujet: Privatdetektiv Köstner verliert den Kopf, als er während seiner Verfolgungsjagd einer wunderschönen Frau begegnet.
Text: Privatdetektiv Köstner war in Eile. Er verspürte keinerlei Dankbarkeitsgefühle gegenüber dem lieben Gott, der ihm einen so beneidenswerten Körper eingerichtet hatte. Köstner war eins fünfundneunzig groß, hatte sich aber seinen sportlichen Beruf so eingerichtet, daß er sogar eine ganze Woche lang nichts mehr mit seinem Körper zu tun haben mußte.
Als Köstner diese Beschreibung durchlas und er sie mit der deutschen Hochsprache verglich, mußte er zugeben, daß er nichts dagegen einzuwenden hatte.
Er hatte den Beruf des Privatdetektivs nur als Zwischenstation, bis er eine Sicherheitsfirma aufmachen konnte, zu der er seinen Freund Dalberg holen wollte, der in Amerika als rechte Hand eines großen Waffenhändlers gearbeitet und sich so gut verdient hatte, daß es ihm ein Leichtes gewesen war, die Kündigung seines Arbeitgebers anzuziehen.
Wie gesagt, Köstner verdiente sich seinen Unterhalt als Privatdetektiv.
***
Eine Krimikurzgeschichte.
Köstner springt auf den fahrenden Zug.
Privatdetektiv Köstner war in Eile. ER hatte die Verfolgung aufgenommen, und ER saß in einem fahrenden Zug. Als ER das sah, mußte ER so heftig über seine Situation lachen, daß der Schaffner herbeieilte.
„Haben Sie ein Problem“, fragte der Fahrkartenkontrolleur und musterte Köstner. Dieser trug einen anderen Kopf als bei der Anmeldung an der Kasse. Vorher, in der Kabine, hatte ER einen grauen Tarnanzug getragen, doch nun war ER angezogen wie ein Herr von Welt. Einen Overall aus bester Leinen-Wolle und ein gelbes Polohemd. Dazu eine Tolle im Haar, Gürtel mit breitem Silberbeschlag, imposante Lederschuhe und eine Weste aus feinstem Wildleder, wie man sie sonst nur mal in einem Country-Club sieht.
„Das ist Polizei!“ brüllte Köstner und zeigte seine Marke. „Sie ersuchen dringendst um Ihre Mithilfe!“ Es kam ihm in den Sinn, daß er die Reisenden vielleicht gar nicht so beeindrucken würde, wie eigentlich gedacht. Doch der Schaffner blieb ganz ruhig. Er hatte sein Leben lang nur Schlimmes vom Polizeiapparat gehört, und jedesmal wenn es wieder nichts gewesen war, hatte er es auf den üblen Einfluß der Regierung geschoben. So einfach war es für ihn jetzt natürlich nicht, den Fahrgästen zu erklären, welche Krankheit da durch das Land wütete. „Es ist ein Virus“, sagte Köstner. „Sie haben recht“, nickte der Schaffner und musterte Köstner. „Sie sehen sehr gesund aus.“
„Glaubst du etwa, ich bin jetzt hier, um zu probieren, ob man noch in den Zug darf, ha? Sei froh, daß ich das Polizei-Auto stehenlassen hab. Ich wollt einfach hier sitzenbleiben. Vielleicht war’s ein Fehler.“
Kaum hatte Köstner das gesagt, trat eine Frau nach vorn. Sie zückte ihren Ausweis, der sonst beim Versicherungskonzern benutzt wurde, und trug ihre Dienstbezeichnung vor. Köstner winkte ab.
„Ich bin nur hier, weil ich mich zu den Leuten setzen wollte, die sich nicht kennen.“ Die Frau schwieg, obwohl sie noch kein Wort gesagt hatte. Mehr wollte Köstner nicht wissen. Es stand auf den ersten Blick fest, daß sie nicht der Stoff war, den er brauchte.
„Ich habe hier mehr zu tun, als in einem Trödelladen herumzuschauen. Hallo…!“ Köstner wandte sich dem Nächsten zu, der nach dem Schaffner fragen wollte. Doch da war niemand. „Vielen Dank für Ihre Hilfe und Ihre Ausweise!“ hörte Köstner jemanden zischen. Alle Leute im Abteil begannen zu gucken, wohin der Schein der Taschenlampe jetzt eigentlich fallen sollte. Kurzentschlossen stopfte Köstner die Brieftaschen wieder in die Hosen.
„Draußen genießt es alle!“
Er packte den erstbesten Mann und zog ihn hoch. „Ich ersuche um Ihre Aufmerksamkeit!“
Der Mann schwieg und ließ sich durch den Abteilteilen ziehen. Ohne Widerstand. Nach ein paar Schritten stoppte Köstner. „Ich brauche den nicht mehr!“ Mit diesen Worten ließ ER los und schüttelte ihn ab wie ein Hund eine lange Zecke. Der Mann konnte der Bewegung nicht folgen und landete auf dem Rücken. Köstner setzte noch einen drauf. ER rammte dem Mann den Fuß gegen die Brust. „Halt Dich mit Deinen Imbissen einfach zurück!“
***
Eine Krimikurzgeschichte.
Köstner isst Eis.
Privatdetektiv Köstner war in Eile. Er hatte am Vortag zwei Morde aufzuklären, hatte sich im Übrigen mit einem Burschen namens Günsel getroffen, hatte in letzter Zeit viel ferngesehen und außerdem beim morgendlichen Aufstehen die Langeweile noch immer nicht abgelegt. Er wusste nicht recht, was sie mit ihm machte, die Langeweile. Wollte sie ihm auch noch den letzten Rest an Vergnügen ins Leben streichen, ehe sie sich verzog, oder wollte sie sich nur an seinem Seelenleben abarbeiten? Er musste einfach abwarten, bis er seinen Sportkumpel namens Willi getroffen und vielleicht über dessen Tochter Reni, über ihren Freund Manfred und über den klugen Schäferhund, den Bruggmann hieß, gesprochen hatte. Willi und Reni waren faktisch ziemlich enttäuschenswert.
Tatsächlich hatte Köstner letzte Nacht nicht nur übers Fernsehen verfolgt, wie die neue Mannschaft der Dortmund Devils nach ihrem Sieg gegen die Bremerhaven Seahawks eine Runde auf der Tanzfläche des „Goldener Pfau“ gedreht hatte, außerdem hatte er die ganze Nacht lang essen müssen. Genauer: Er hatte zur Allerersten eine Tafel Schokolade gegessen. Als Zweite hatte er etwas Osmanisches gegessen, als Drittes einen Donut gegessen, nach der vierten hatte er sich eine Torte geteilt, nach der fünften einen Kartoffelsalat mit Fleischwurst, nach der sechsten eine Bockwurst und nach der siebten ein Nugat-Eisfach gegessen.
Im Süßwarenladen hatte Köstner seine Einkäufe surrend in eine Plastiktüte geschichtet. Die Kassiererin hatte einen linken roten Mund und einen rechten roten Pullover. Weiter oben trug sie eine dunkelblaue Bluse. Ihr blondes Lockenhaar war zu einem kleinen Knoten hochgesteckt. Ihre langen Wimpern hatten blaue Ränder. Köstner fand, dass sie wie eine Mischung aus Wilma und Betty aussah, eine Mischung aus Mutter und Tochter, beide aus den Simpsons. Er dachte, dass man jemandem wie ihr einen kleinen, aufmerksamen Verehrer spendieren sollte, denn ihre Eisportionen waren eine Kleinigkeit zu groß.
Köstner wünschte der Kassiererin einen schönen Tag und schlug den Weg zum Kölner Hauptbahnhof ein, wo er sich mit Willi und seinem Hund unten auf der Bahnhofsvorplatz verabredet hatte.
Ihm wäre es lieber gewesen, wenn er sich oben im Café über die Morde unterhalten hätte, das wäre jetzt so romantisch gewesen. Die Bahnhofshalle war allerdings halt viel zugiger. Außerdem war die Polizei nicht begeistert gewesen, als er sich neulich den Tatort näher angeschaut hatte.
Köstner stand im ruhigen Bahnhof, die Augen von ihm abgewandt, aufgereiht, hatten sich die Betonpfeiler und die abgesetzten Bleche gelb verfärbt, hatten die Säulen der Bahnhofstiefenlage eine gewisse niederländische Zeichnung angenommen. Im Winter sahen die Betonpfeiler noch hässlicher aus. Überall lag kalter Schnee, dazwischen ein bisschen blauer Himmel.
Köstner riss sich zusammen und konzentrierte sich auf den Hund, dessen Gesicht er erst bemerkte, als er nur noch drei Meter von ihm entfernt war. Köstner fand den vierbeinigen Freund von Willi ziemlich klug.
„Kilidi Kilidi Hund!“, begrüßte ihn Willi mit viel zu hohem Krachstimme, um das Tier abzulenken, das gerade bei jedem Gedankenblitz von Willi anfing zu bellen. Willis Stimme wurde durch den dünnen Pfeifenwasserstrahl, parallel mit dem Hund verfolgt.
***
Eine Krimikurzgeschichte.
Sujet: Privatdetektiv Köstner entdeckt, dass der Gärtner der Mörder ist.
Text: Privatdetektiv Köstner war in Eile. Alles musste erledigt werden.
Der Gärtner der Mörder ist.
Der Mörder ist der Gärtner, dachte sich Privatdetektiv Köstner.
Aber ihm fiel ein, dass es nicht der Mörder ist.
Aber der Mörder ist der Gärtner, dachte sich Privatdetektiv Köstner.
Aber der Gärtner ist nicht der Mörder, dachte sich Privatdetektiv Köstner, und der Garten ist nicht der Mörder, dachte sich Privatdetektiv Köstner.
Er musste die Lage sondieren.
Das tat er.
Er ermittelte.
Plötzlich erinnerte er sich an seinen anderen Fall.
Er ging zurück in die Detekteiküche und aß eine Zeitung.
Dann eine zweite.
Später ging er ins Schlafzimmer und schlief.
Kurz vor Mitternacht wachte er auf und erschoss sich.
Es zischte, der Fußboden fing Feuer.
Der Herr des Hauses wurde wach und kümmerte sich um alles.
Schon am nächsten Morgen hatten Sie im Internet gelesen,
wer den Mörder ist.
***
Privatdetektiv Köstner wollte schon rausgehen, doch dann drehte er sich um und blickte Windisch mit prüfenden Augen an.
Köstner: Eins möchte ich noch verstehen.
Windisch: Ich habe Ihnen schon alles gesagt. Wann darf ich gehen?
Köstner: Nur noch eine Frage.
Windisch: Bitte.
Köstner: Dass Sie gerade mit der Hand eine Person niedertreten sind, die einen Kopf großen roten Hut trägt und wie ein ausgespuckter Würfel aussieht.
Windisch: Ja
Windisch war vollkommen perplex. Seine Gedanken überschlugen sich.
Köstner: (Jubelnd) Endlich!!! Endlich haben wir eine heiße Spur. Was wollen Sie noch Persönliches über sich sagen, damit wir die Angelegenheit endlich hinter uns bringen können?
Windisch: Ich bin mit einer Sonnenbrille aufgewachsen, mein Opa hat immer geschimpft. Sie fehlen in meinem Leben.
Windisch schwieg.
Köstner: Genug, fahren wir Ihnen jetzt eine Nase. Oder wollen Sie Ihr Schicksal versuchen, mit dem Sie hier nicht gerechnet haben.
Windisch: Da ich schon hier bin, soll es so sein. Bei berechtigtem Zweifel, ist der Angeklagte zu entlasten. Ich gehe auch gern allein.
Windisch und Köstner verabschiedeten sich mit Handschlag und kamen sich plötzlich sehr nahe. Windisch kontrollierte den Puls von Köstner. Er nickte leicht, dass es Köstnerssens sichtlich freute.
Vladimir Alexeev, auch bekannt als Merzmensch, repräsentiert das, was passieren kann, wenn man einen Geistes- und Kulturwissenschafter der Künstlichen Intelligenz unkontrolliert aussetzt. Statt durch Machine Learning die Effizienz zu steigern und mit Predictive Analytics Value für Stakeholder zu generieren, beginnt er plötzlich auszurasten. Er lässt KI Gedichte im Stil von Kut Schwitters schreiben und von KI-generierten Jazz-Musiker vortragen. Er erstellt mit KI bislang nicht existente Personen, Kunstrichtungen und Traumsequenzen. Er macht Kurzfilme, gänzlich von KI erstellt (Drehbuch, Video, Musik und Schauspieler). Künstliche Intelligenz und Kreativität zu verbinden ist das Ziel und das Interesse von Merzmensch, über die er gerne twittert (@Merzmensch) und schreibt: auf Deutsch
sowie auf Englisch