Geschrieben am 15. Januar 2017 von für Crimemag, Kolumnen und Themen

Essay: Markus Pohlmeyer: Star Wars: Rogue One

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Kritische Gedanken zu einer neuen Weltreligion

von Markus Pohlmeyer

Was habe ich gesehen, wenn ich Star Wars schaue? Ein synästhetisches Gesamtkunstwerk? Oder geradezu alle Sinne narkotisierend? „The gratifyingly spectacular special effects and martial music hypnotize the audience into uncritical acceptance of the basically absurd, deliberately PULP-MAGAZINE-style conflict between Good and Evil.“[1]

Meinen Studierenden pflege ich gelegentlich zu sagen: die momentan bekannteste globale Religion sei eben nun mal Star Wars. Und dann geht es los: warum eigentlich? Säkularisierung, Mythenproduktionsstopp, Mythopoetik, In-Geschichten-Verstrickt-Sein, Money-Making-Machines der Popkultur, US-amerikanischer Imperialismus, Science Fiction ist Religion![2] Etc. In einem meiner Büroregale gibt es auch eine Darth Vader-Gedenk-Ecke: als schnaufende Stoffpuppe, USB-Stick, Taschenlampe, Maske, und vor meiner Tür, am schwarzen Brett der Katholischen Theologie, ein Lego-Star-Wars-Poster. Darauf eine Studentin: jetzt wisse sie endlich, wo sich mein Büro befinde …

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Rogue One
ist kein Märchen, und das ist gut so. Dieser Film liefert keinen Stoff zum Träumen, eher zum Nachdenken. Dieser Film verkündet keine Religion, und das ist gut so. (Vielleicht weil das Scheitern der Macht-Religion und ihrer institutionalisierten Vertreter, des Jedi-Ordens, eben jene galaktische Katastrophe erst heraufbeschworen hat?) Dieser Film verkündet keine Metaphysik, will nur Geld machen und dabei grandios unterhalten – das ist eben so, das ist nicht neu, das ist nicht überraschend. Also, kein Märchen. Aber, Rogue One zeigt, was es heißt, unter einem galaktischen Imperium zu leben: Zerstörung von Familien, Gefängnisse, Lager, Verfolgung, Straßenkämpfe, Bürgerkrieg, Massenvernichtungswaffen – kurz alle Gestalten der Angst.

Der Held, wenn überhaupt, ist ein Team, die mit ihren Fähigkeiten einen Beitrag leisten, dessen Folgen aber sie kaum abschätzen oder erhoffen können: die Vernichtung des Todessternes. Diese Helden sind nicht makellos, sind nicht schuldlos. Sie sind weder nur gut noch nur böse, sondern sowohl als auch und irgendwie dazwischen.

Im Namen der Rebellion haben sie Verbrechen begangen; und jenes Der-Zweck-heiligt-die-Mittel rückt sie selbst (un)moralisch gefährlich nahe an das Imperium heran, das eben nur technologisch überlegener scheint. Auf beiden Seiten gilt die Auslöschung des Gegners als ultimative (faschistoide, fundamentalistische?) Handlungsoption. Gespenstisch real. Aber einige Rebellen wissen darum und ziehen die Konsequenzen: Nur im Selbstopfer für andere, um noch größeres Leid abzuwenden, könnte es so etwas wie Sühne zu geben.

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Dieser (Kriegs)Film ist radikal: niemand von den Guten wird überleben. Gerade um neue Hoffnung zu ermöglichen, gibt es für sie keine Hoffnung. „Nur aus der Verlorenheit im »Heillosen« kann sich die Sehnsucht nach dem Heilbringer erheben, das heißt die Erkenntnis und die unvermeidliche Integration des Schattens erzeugen eine dermaßen bedrängte Situation, daß gewissermaßen nur noch ein übernatürlicher Heilbringer den verworrenen Schicksalsknäuel lösen kann. Im individuellen Fall wird das durch den Schatten aufgeworfene Probleme auf der Stufe der Anima, das heißt der Beziehung, beantwortet.“[3] Dieser Auszug stammt aus C. G. Jungs Aufsatz „Zur Psychologie der Tricksterfigur“.

Nun einige rasante starwrars8Übertragungen auf Star Wars – ein Essay darf das: die Rebellen sind Tricks(t)er und Schelme,[4] sie jubeln dem Imperium ein trojanisches Pferd unter, gehen an ihre Grenzen, improvisieren, ironisieren und sie verzweifeln, werden schuldig, verrecken. Die Erlösung wird erst im Episode IV in Gestalt des glücklichen Himmelsläufers (Luke Skywalker) erscheinen (Epiphanie). Prinzessin Leia, die Anima, erhält schließlich die wichtigen Informationen zur technischen Zerstörbarkeit des Todessternes, die dessen Ingenieur selbst eingebaut hat, und kann fliehen, sie, im strahlenden Weiß, die Helle, während die Dunkelheit, Darth Vader, sie verfolgen wird.

Warum scheitert letztlich das Imperium? Abgesehen davon, dass es keinen Humor und keine Selbstironie kennt: es stellt auch kein Beziehungsgefüge dar, zu dem sich ja die Rebellen entwickeln werden, um ihre mentale Gefangenschaft, ihre Angst in einen Akt der Freiheit zu verwandeln; und fällt eine(r), und sie fallen alle, treten andere für ihn oder sie ein. Das Imperium ist eine Diktatur von oben, die Rebellion ein irgendwie anarchisches Chaos mit demokratischen Zügen, ein Netzwerk von Individualisten, aber weit davon entfernt, ein strahlendes Ideal darzustellen. Der Schritt, Verantwortung zu übernehmen, bedeutet zuerst, die eigene Schuld einzugestehen.

Das Imperium lügt und vertuscht, nimmt seinen Opfern Stimme und Würde. Die probeweise Vernichtung einer Stadt durch den Todessterm, aus der imperialen Beobachterperspektive als schön empfunden (Das war ein wirklicher Horrormoment des Films!), tarnt die offizielle Lesart als Minenunglück. Oder mit Blick auf die Shoah: „Die Auslöschung sollte von den Ausgelöschten nichts mehr übriglassen. Nicht nur die damnatio, sondern die annihilatio memoriae[5] war das Ziel. So versuchte man auch das Wozu und Wofür auszulöschen, das im Selbstverständnis der in die Gaskammern Getriebenen als Opfer noch herbeigeklagt und herbeigezweifelt wurde. Ihr Tod sollte keinerlei Bedeutung mehr haben.“[6]

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Rebellen und Imperium sehen in Gewalt Problemlösungsstrategien, was zu den erwartungsgemäßen Weltraumschlachten führt – hier in beeindruckender Choreographie. „Critics […] sometimes complain about the dominance of special effects, but that is missing the point. The special effects in any given SF film […] are the point. The X-Wing fighters hurtling into the teeth of another space battle are characters in a very real sense.”[7] Und die Schlachten im Weltraum setzen auf einer Makroebene nur die Kämpfe der Mikroebene fort – und umgekehrt.

Inselkampf, Flugzeugträger, Schlachten im Pazifik … Dieser Star Wars zeichnet ein holistisches Bild von den Konsequenzen eines Krieges, der spirituell (und nun doch metaphysisch) in der Polarität/Instabilität der Macht begründet liegt, Familien über Generationen hinweg in diese tragische Dynamik verstrickt, Städte, Planeten, Gesellschaftsformen an den Abgrund führt …

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Die Optik des Filmes erinnerte mich bisweilen an 2001 oder Oblivion. Eine irritierende, fast romantische Schönheit des sich ankündigen Schreckens, wenn der Todesstern anstelle eines Mondes über dem Meer aufgeht. Die Macht dieser Maschine endet keinesfalls, wenn der Laser aufhört zu feuern, sondern pflügt unaufhaltsam ganze Planetenoberflächen um. Es entstehen Bilder von Chaos und Sturm, als hätte sie Turner gezeichnet.

Der andere Einsatz dieser Maschine erinnert an eine Atombombenexplosion. Wer baut so etwas? Und damit wird die Tragik und Schuld eines Ingenieurs beleuchtet: Galen ist weder nur gut noch nur böse, sondern sowohl als auch, irgendwie dazwischen. Sein Widerstand geschieht innerhalb des Systems, der zu einer Boten- und Handlungskette führt, wie diese Maschine zu vernichten sei.

Ein Kaskadensystem Einzelner entsteht so, welches der Kontrolle des Imperiums entgleitet. War Galen ein Mitläufer? Auftritt Profiteur: Krennic, der für den Bau der Wunderwaffe verantwortliche Offizier (welcher später in einer Art Götterdämmerung des Todessternes einsehen muss, dass das Imperium auch nicht davor zurückschreckt, sogar die eigenen Leute zu vernichten) hat einen großen Wunsch: eine Audienz beim Imperator, die ihm aber verwehrt bleibt.

In theologischer Variation: der Imperator lebt in unzugänglichem Lichte (hier: unzugänglicher Dunkelheit), und nur der Sohn hat ihn geschaut und starwars11Kunde gebracht: Darth Vader wird in drei Schritten inszeniert. Er ist, als Inkarnation der Dunklen Seite, als des Imperatorenwortes Inkarnation, zuallererst menschlich eine körperliche Ruine, verstümmelt und passiv schwebend in einem medizinischen Wassertank; dann in Rüstung, die ihn technisch am Leben hält; dann in furioser Aktion dämonisch entfesselt – wie in einem Horrorfilm: ein dunkler Gang, mechanisches Schnaufen, das Lichtschwert, ein Totentanz – und doch kommt Vader immer zu spät. Er hat buchstäblich das Nachsehen.

Die Dynamik der 2. Hälfte des Filmes wird durch das Aneinanderrücken von Erzählzeit und erzählter Zeit beschleunigt; keine Ruhepunkte, kein retardierendes Moment; das Ende des Filmes springt geradezu in Episode IV, als dessen Vorgeschichte gewissermaßen der narrative Gang bis zu einem gewissen Grade eingezäunt wurde. Natürlich gibt es viele Zitate und Verweise innerhalb des Star Wars-Universums – und doch ist etwas Eigenständiges entstanden. Die Helden/die Heldin sind nämlich zum großen Teil Individualisten, deren archetypische Muster, obwohl präsent, nicht so sehr überlagernd im Vordergrund stehen wie in den anderen Filmen.

Diese Muster sind auch Mischformen, durchlaufen Entwicklungen. Im Folgenden beziehe ich mich auf die Typen, welche H. Fischedick in seinem Buch „Der Weg des Helden“ auflistet und charakterisiert. Es findet sich in Rogue One die Verwaiste: Jyn, deren Mutter getötet, deren Vater vom Imperium entführt wurde, um den Todesstern zu bauen. Es finden sich Wanderer, Krieger, Märtyrer und Magier. „Während der Verwaiste erlöst werden möchte und der Wanderer sich auf die Suche macht, ist der Krieger überzeugt, daß er für die Erlösung etwas tun muß, daß er sie erkämpfen muß.“[8] Da gibt es einen blinden Krieger, der die Macht/Force sucht – oder ist er eher doch ein Magier, ein Wanderer, geführt am Stabe in dunkler Nacht?

starwras.dTrost von Stephen King

Mag sein, dass der Film dies alles nicht hergibt – aber er lässt mich nach- und weiterdenken, trotz des Mega-Monster-Action-Geballer-Gedröhnes. Und warum der Bösewicht Darth Vader als niedliches Figürchen? (Natürlich, um auch damit Geld zu machen …) Aber wer (zumindest in einer halbwegs aufgeklärten Demokratie) würde sich z.B. Stalin oder Mao als verharmlosenden Kitsch ins Büro stellen? Anders gewendet, mit Stephen King: „Wir erfinden Horror, damit wir im wahren Leben besser klarkommen.“[9]

Das Grauen wirkt weniger unheimlich in seiner kitschigen, handlichen Form. Jyn, als kleines Mädchen, besitzt eine Sturmtruppler-Stoffpuppe … Der Film distanziert, ironisiert und vermenschlicht sich zugleich, indem die filmische Welt rückbezüglich zitierbare Lebenswelt der filmischen Figuren selbst wird und somit unsere Welt mit ihrem popkulturellen Elementen aus eben diesen Filmen berührt. Wunderbar sind beispielsweise die Installationen von S. Hayford: Sturmtruppler in der Hängematte, bei der Kaffeepause, Handy in der Hand. Burger grillend, Eis essend …[10]

Und vielleicht, ohne hier die fürchterlichen menschlichen Katastrophen zu unterschlagen, sind in der Tiefe ihres Wesens Diktatoren zwei Waffen hilflose ausgeliefert: Humor und Ironie, weil das deren Wesen offenlegen kann, wie C. Chaplins visionärer Film zeigte: sie entdämonisiert, sie entmessianisiert, sie entzaubert. Und wir wissen, da draußen gab und gibt es Imperatoren (sogar fast nebenan), Massenvernichtungswaffen und den Willen, diese einzusetzen. Und der Mitläufer, Profiteur? Mit Blick auf einen berühmt-berüchtigten Philosophen und sein Verhältnis zum Dritten Reich: „Heidegger […] verfällt der dunklen Seite der Macht. […] Schon bald und dennoch zu spät erkennt er […]:

„Der Führer, den er als Retter imaginierte, ist in Wahrheit der eigentliche und letzte Vollstrecker eben jenes Zeitalters der kalten, gewissenlosen und instrumentellen Technik und Machtpolitik, die es im Namen der Force eigentlich zu verhindern galt. Die Figur des Todessterns […] steht in der ‚Star Wars‘-Saga beispielhaft für den Siegeszug der Macht der Technik gegen die Macht der Jedi. (Sie ist von George Lucas als Autor der Saga ohne Zweifel als Anspielung auf Hitlers Streben nach der Wunderwaffe, also der Atombombe, gedacht.)“[11]

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Epilog

Als ob Darth Vader jemals Mainstreaming mitgemacht hätte: Schnauf-Röchel! Vader betont aber gerne, es gäbe keinen Konflikt. Veto! Oh doch, es existiert ein Konflikt der Hermeneutiken! (Imperien und Dogmen scheuen Pluralität!) Aber genauso hat Susan Sontag mit ihrer Forderung Recht, die einen Schritt (oder tausend) weitergeht: „Statt einer Hermeneutik brauchen wir eine Erotik der Kunst.“[12]

Das große Defizit von Rogue One, und da hänge ich mich sehr, sehr weit aus dem SF-Fenster, ist das Fehlen einer guten, berührenden, ja sogar erotischen Liebesgeschichte! Aber der Film zeigt schon sehr starwras4viel: die leeren Weiten des Universums und ihre Erhabenheit, ihre Einsamkeit, atemraubende Höhen und Tiefen, faszinierende Planetenlandschaften und eine überwältigende imperiale Technik, fast in sakraler Langsamkeit zelebriert, deren kalte, verführerische Ästhetik umschlägt in Vernichtung.

Und im Kontrast dazu dreckige Helden; die Kabel viel zu kurz, wenn man sie dringend braucht; durchgeknallte, alles besser wissende Roboter; keiner hört richtig zu, alle labern; und immer eine miese Ausrüstung. Und damit werden zwei Sternenzerstörer über die Kante geschoben und das Imperium ausgetrickst! Grandios!

Markus Pohlmeyer lehrt an der Europa-Universität Flensburg

[1] J. Clute – P. Nicholls: The Encyclopedia of Science Fiction, New York 1993/1995, 1160.
[2] Vgl. dazu Markus Pohlmeyer: Science Fiction. Filmisch-literarisches Exil des Göttlichen, Flensburger Studien zu Literatur und Theologie, Bd. 1,1. und 2. Aufl., Hamburg 2014.
[3] C. G. Jung: Zur Psychologie der Tricksterfigur, in: Ders.: Archetypen, 2. Aufl., München 1991, 159-175, hier 175.
[4] Vgl. dazu das Kapitel VIII. Anatomies of Roguery in M. Bauer: Der Schelmenroman, Stuttgart – Weimar 1994.
[5] Übers.: ein Zu-Nichts-Machen der Erinnerung.
[6] J. Werbick: Den Glauben verantworten. Eine Fundamentaltheologie, Freiburg im Breisgau 2000, 519.
[7] A. Roberts: Science Fiction, London – New York 2000 (2002/2003), 152 f.
[8] H. Fischedick: Der Weg des Helden. Selbstwerdung im Spiegel biblischer Bilder, München 1992, 175.
[9] Zitat vom Buchrücken: S. King: Danse Macabre. Die Welt des Horrors, übers. v. J. Körber u.a., München 2011.
[10] S. dazu Star Wars. Kunst aus einer weit, weit entfernten Galaxie. The Art of Film 1/2016, 76-81.
[11] W. Eilenberger: War Heidegger ein Sith?, in: Star Wars. Der Mythos unserer Zeit, Philosophie Magazin Sonderausgabe 05, 2015, 61-64 , hier 63.
[12] S. Sontag: Standpunkt  beziehen. Fünf Essays, Stuttgart 2016, 22.

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