Geschrieben am 15. April 2017 von für Crimemag, Kolumnen und Themen

Essay: Markus Pohlmeyer: Die Neue Welt oder Lucky Luke: Das gelobte Land

61PscwV35RL._SX381_BO1,204,203,200_Die Neue Welt oder Lucky Luke: Das gelobte Land

Von Markus Pohlmeyer

Prolog

Erstes Bild des neuen Lucky Luke-Bandes[1]: der Titel ragt in eine friedliche Viehherde; Jolly Jumper grast; Lucky Luke unter einem Baum, mit einem Strohhalm im Mund[2] – und in der Gedankenblase: „Herrlich, dieses einsame Leben fernab von jedem unnützen Geschwätz …“[3]; und rechts unten, in einer gelben Raute: „Der Westen… unendliche Weiten … Nichts als Natur …“[4] (Okay, der Weltraum … unendliche Weiten …; Western und Science Fiction als die zwei Großnarrationen der Postmoderne![5]) In jene Idylle nun – die Kühe sind hochzufrieden mit ihrem hochkompetenten Cowboy – bricht das Chaos in der Gestalt von Jack Loser ein: getrieben von sehr unguten Erfahrungen mit diesem Unglücksraben, rast die Herde auf einen Abgrund zu, Lucky Luke kann heroisch eine Katastrophe nur knapp verhindern:

„Auf Bitten seines Kumpels Jack Loser soll Lucky Luke dessen aus Osteuropa kommende jüdische Familie auf ihren Weg nach Montana begleiten. Mit einem streng religiösen Vater […], der Mutter, die Lucky Luke mit Gefilte Fisch mästen möchte, einer schüchternen Nichte auf der Suche nach dem idealen Mann und ihrem quirligen Bruder […] erlebt unser Held eine von beiderseitigen Kulturschocks und interessanten Einsichten geprägte Reise.“[6]

In Lucky Lukes Zitaten-Multiversum

Die Reise/der Comic als Bildungsroman im Miniaturformat, aber pop-/post-modern. Echos, Verweise, Zitate und Intertextualität prägen in hohem Maße diese BilderGeschichte:

„Alles ist komponiert und konstruiert, und man soll es als solches auch erkennen. Zu den Grundregeln der Moderne gehört, dass das Kunstwerk nicht länger als ein Stück nachgebildeter Natur erscheine […]. Das Kunstwerk der Moderne muss sein Gemachtsein zeigen. Wir sollen die Teile erkennen, aus denen es zusammengefügt wurde, sollen studieren können, wie diese Teile untereinander in ein Verhältnis treten.“[7]

Das idyllische, noch mimetische Eingangsbild zerbricht – und wird erst wieder im letzten Bild aufgenommen, wenn der einsame Cowboy traditionell in den Sonnenuntergang reitet. Was dazwischen liegt, das Interessante, ist durchzogen von erstens Echos und Verweisen innerhalb des Lucky Luke-Universums, die der Held z.B. selbst zitiert: „Ich hab schon für Wissenschaftler, Zirkustruppen, heiratswütige Frauen und russische Fürsten den schiffAufpasser gespielt.“[8]); … und zweitens von kulturellen Verweisen, die sowohl innerhalb und als auch außerhalb des Lucky Luke-Universums liegen: das sind hier vor allem Anspielungen auf die jüdische Kultur (und auf die des Einwanderungslandes, das kritisch, kontrastiv und irgendwie auch positiv dargestellt ist). Sprachlich wird Jiddisch eingespielt bzw. imitiert. Dies dient einer gewissen Authentizität. Auch befinden sich in zwei Sprechblasen Texte (Gebete) mit hebräischem Schriftbild (aber ohne Übersetzung in den Anmerkungen).[9] Es besiegt auch der kleine Jankel (in der Tradition Davids) den Gangster Goliath mit einer Steinschleuder oder er ruft mit seiner Fiedel und seinem Gesang (wie der mythische Sänger Orpheus) die Fauna Nordamerikas zusammen, so dass Mensch und Tier nur noch so vor sich hin schniefen müssen.[10]

Und drittens gibt es Verweise, die weit außerhalb des Lucky Luke-Universums liegen und andere Dimensionen unserer Popkultur berühren, mit denen aber wir (da draußen) vertraut sind. Die jüdische Mame lässt beispielsweise keine Gelegenheit aus, den Cowboy zu füttern: er träumt also nun von ihr – und im Traum verwandelt sie sich in eine schwarze Gestalt mit feurigen Augen (und den Konturen eines ummantelten Sith-Lords): „Luke, ich bin dejne Mutter!“[11] Ohne Zweifel eine Anspielung auf die berühmte Szene aus Das Imperium schlägt zurück, in der Darth Vader den jungen Skywalker mit dem Satz erschüttert: Luke, ich bin dein Vater! Das Spiel funktioniert hier gut – durch den Gleichklang von Nach- und Vorname der beiden Helden. Lucky wacht erschrocken auf und sein Pferd reagiert mit Meister Yodas Syntax: „Viel zu lernen du noch hast, Cowboy!“[12]

61zeEiyPH4L._SX379_BO1,204,203,200_Und am Anfang es stellt sich die Frage, woran man Juden erkenne: „Die sind wie Amerikaner, nur schwermütiger.“ – „Eben so eine Art Franzosen …“[13] Darauf folgt ein informativer Exkurs (retardierend und in guter historiographischer Tradition eines Cäsar oder Tacitus) zum Thema ‚Beitrag des Judentums zur us-amerikanischen Kultur‘[14]: Berühmte Emigranten sind z.B. die Einsteins; der kleine Bengel hat verwuscheltes, weißes Haar, streckt die Zunge heraus und heißt Albert.[15] Hinter dem aus Band 54 bekannten Psycho-Doc marschiert in Analyst Gulch eine Figur ein, die durchaus Züge von Sigmund Freud aufweist.[16] Oder: in Hollywood möge man keine Komiker![17] Und Gotham City, eine Stadt, in der, wie das Holzschild verkündet, keine Helden erwünscht seien, betreten zwei Herren, deren Taschen das Batman- und Superman-Emblem zeigen.[18] Umgekehrt hat zu Beginn die jüdische Familie vergessen, wie der Cowboy denn heiße, der sie begleitet: „Bill Gates?“ „Harry Potter?“[19]

Auf die Frage, woran man Juden erkenne, kommt eine andere interessante Antwort ins Spiel: „Man nennt sie auch ‚Das Volk des Buches‘.“[20] Und so sieht dementsprechend das Gepäck aus: „Die Tora, die zwanzig Bicher des Talmud, den Zohar, die Kabbala, die sechs Traktate der Mischna [… ; es folgt noch mehr, Anm. MP]: Wir habn nur das Netigste dabej.“[21] Und Moishe Stern besteht darauf, dass Jankel betet, bevor er zur Jagd geht. Kommentar von Rachel Stern: „Der betet schneller als sejn Schatten!“[22] (Der Klappentext des Comics verkündet: „Lucky Luke Der Mann, der schneller zieht als sein Schatten“) Und natürlich entfaltet sich in diesem Kontext auch die Frage nach koscherem Essen.[23] Lucky Luke, schon verzweifelt darüber, was alles nicht in Frage komme: „Hm … Und Pferde?“ Im nächsten Bild sehen wir Jolly Jumper sich in einem Baum verstecken. „Komm runter, Jolly, war doch nur Spaß!“[24]

Es gäbe noch viel, viel mehr zu diesem Comic zu sagen und noch mehr zu kommentieren, aber ein Essay gebietet eine gewisse Kürze („Oj Wej“![25]), darum nur noch drei Anmerkungen:

seder3Trauer. Die jüdische Familie will/musste Europa verlassen; Jankels und Hannas Eltern wurden ermordet.[26] Und auch das Motiv des Exils wird (zwar humorvoll gebrochen) eingespielt: Jankel: „Hast du schon mal kampiert, Pape?“ „Ich persenlich nicht, aber Loite aus mejner Mischpoche[27] habn es schon getan …“ „Moishe, das war in Egypten und ist schon 3500 Jahre her!“[28]

Anpassung. Lucky Luke: „Sie sprechen ausgezeichnet Englisch, Mr. Stern.“ „Um unsern Sohn nicht in Verlegenhejt zu bringen, hab ich versprochn, nur daheim jiddisch zu redn.“[29] (Also, ich lese hier diesen Comic in einer deutschen Übersetzung aus dem Französischen, lese eine Geschichte, die in einer englisch-sprachigen Welt spielt, deren Akteure unter anderem Jiddisch sprechen, und dazu hebräische Texte …)  Ferner erklärt Mr. Stern dem Cowboy: „Zum Bejspiel hejsst Davy Crockett ejgentlich David Niderman … genauso Buffalo Bill und Calamity Jane: die habn Kinstlernamen angenommen, um zu machn auf ‚Amerikanisch‘.“[30] (Luke fragt nach den Daltons: „Nejn, das sind Armenier. Sowejt ich wejss, hießen sie urspringlich ‚Daltonian‘…“[31])

Alterität. Das Fremde zu verstehen, bereitet Schwierigkeiten. Man greift man auf Bekanntes zurück. So wird die jüdische Familie manchmal als Amische beschrieben.[32] Oder einfach wunderbar, wie auf die Frage eines Stammesmitgliedes, wozu denn diese durchlöcherte Rolle gut sei (Ein Bandit hat nämlich auf die Tora geschossen!), der indianische Medizinmann antwortet: „Das Partitur für mechanisches Klavier!“[33]

luckyEpilog

Das Titelbild erinnert an das Cover von „Das Greenhorn“ (Bd. 16), wo ein englischer Gentleman auf einer Plane in die Luft geschleudert wird. Hier sind es Lucky Luke und ein Stuhl. Die Geschichte endet mit der Bar-Mizwa von Jankel, wie auch er auf einem Stuhl wortwörtlich hochgejubelt wird, während Lucky Luke (im Gegensatz zum Cover), von den anderen gesucht, schon längst wieder als einsamer Cowboy, der er war, ist und immer sein wird, in den zeitlosen Sonnenuntergang reitet, singend: „far away from home“. Jolly Jumper: „Ojojojo!“[34] Was ist die Heimat von Lucky Luke? Natürlich der Wilde Westen, diese ferne, wunderbare, nie dagewesene und nun endgültig untergegangene Utopie und Hoffnung. Wahre Helden können nicht in der Welt der Menschen verweilen; sie sind ja nur Imaginationen, Fiktionen, Träume. Aber sie führen bisweilen wie Mose die anderen in ein Gelobtes Land.

 

Markus Pohlmeyer lehrt an der Europa-Universität Flensburg.


 

[1] Lucky Luke: Das gelobte Land, Bd. 95, aus d. Franz. v. K. Jöken, Berlin 2013. Schriftbild in den Zitaten von mir geändert.

[2] Vgl. dazu A. Platthaus: Comics und Manga. Die 101 wichtigsten Fragen, München 2008 (S. 77: „48. Warum raucht Lucky Luke nicht mehr?“).

[3] Lucky Luke (s. Anm. 1), 3. Natürlich eine Anspielung auf  Kierkegaards Modernekritik und Vergils Eklogen.

[4] Lucky Luke (s. Anm. 1), 3.

[5] Vgl. dazu L. A. Fiedler: Überquert die Grenze, schließt den Graben, in: Mammut März Texte 1&2, 1969-1984, hg. v. J. Schröder, 2. Aufl., Herbstein 1984, 673-697 (mit Angaben zur 1. Publikation).

[6] Lucky Luke (s. Anm. 1), Comicrückentext.

[7] P. v. Matt: Sieben Küsse. Glück und Unglück in der Literatur, München 2017, 207.

[8] Lucky Luke (s. Anm. 1), 6. Alles schon erschienene Lucky Luke-Abenteuer!

[9] Siehe Lucky Luke (s. Anm. 1), 16.

[10] Lucky Luke (s. Anm. 1), 17 und 37.

[11] Lucky Luke (s. Anm. 1), 29.

[12] Lucky Luke (s. Anm. 1), 30.

[13] Beide Zitate: Lucky Luke (s. Anm. 1), 9. (Franzosen? Vielleicht weil das Heft aus dem Französischen übersetzt wurde?) Vgl. zu diesem Thema – tief, beeindruckend und erschütternd: E. Lévinas: Schwierige Freiheit. Versuch über das Judentum, übers. v. E. Moldenhauer, Frankfurt am Main 2017.

[14] Diese präsentiert sich in diesem Comic primär in der Form betrügerischer Gangster, von Saloon-Schlägereien, kultureller Uni(n)formiertheit und in einem Hang zum Lynchen.

[15] Vgl. dazu Lucky Luke (s. Anm. 1), 10.

[16] Vgl. dazu Lucky Luke (s. Anm. 1), 10.

[17] Vgl. dazu Lucky Luke (s. Anm. 1), 10.

[18] Vgl. dazu Lucky Luke (s. Anm. 1), 10.

[19] Vgl. dazu Lucky Luke (s. Anm. 1), 10.

[20] Vgl. dazu Lucky Luke (s. Anm. 1), 9.

[21] Lucky Luke (s. Anm. 1), 13.

[22] Vgl. dazu Lucky Luke (s. Anm. 1), 16.

[23] P. Spiegel: Was ist koscher? Jüdischer Glaube – jüdisches Leben, 5. Aufl., München 2003.

[24] Vgl. dazu Lucky Luke (s. Anm. 1), 18.

[25] Lucky Luke (s. Anm. 1), 10.

[26] Lucky Luke (s. Anm. 1), 14

[27] „>Gruppe, Familie, Familienverband<“, aus: H. P. Althaus: Kleines Lexikon deutscher Wörter jiddischer Herkunft, 3. Aufl., München 2010, 144.

[28] Vgl. dazu Lucky Luke (s. Anm. 1), 15.

[29]Vgl. dazu Lucky Luke (s. Anm. 1), 11. „Die oft wochenlange und kostspielige Schiffsreise in die Neue Welt wurde im Bewusstsein angetreten, damit der alten Heimat für immer den Rücken zu kehren. Dementsprechend hoch war der Integrationswille. Die Anpassung an die Sprache und Kultur des Gastlandes war meist bereits in der zweiten Generation vollzogen. Die Kinder schämten sich des ausländischen Akzents und Gehabes ihrer Eltern.“ K.-H. Kohl: Alte Heimat, neue Heimat? Die Rückbesinnung auf das Eigene in einer globalisierten Welt, in: Forschung & Lehre 4/17, 304-305, hier 304.

[30] Vgl. dazu Lucky Luke (s. Anm. 1), 25.

[31] Vgl. dazu Lucky Luke (s. Anm. 1), 25.

[32] Vgl. dazu Lucky Luke (s. Anm. 1), 39.

[33] Vgl. dazu Lucky Luke (s. Anm. 1), 45.

[34] Vgl. dazu Lucky Luke (s. Anm. 1), 48. „oi. Interj[ektion] […] jüd. fam.; »Die heilige weltumspannende Silbe«“, aus: Althaus: Lexikon (s. Anm. 27), 155.

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