Geschrieben am 15. Oktober 2016 von für Crimemag, Erzählungen

Erzählungen: Carlo Schäfer: Schmutz, Katz & Co

schaefer_schmutz_katz_coBitterböser Humor im Kampf gegen die Leere

Von Jörn Borges

Spätestens seit Harpe Kerkeling wissen wir es: Wir leben in einer Zeit der Witzigkeit. Die Spannweite des Massengeschmacks erstreckt sich von der stadionfüllenden Dummbeutelhaftigkeit sogenannter Comedians bis hin zum ironischen Unterhaltungsroman vom Hundertjährigen, der aus dem Fenster stieg. Was sich da satirisch nennt, regt zum Schmunzeln an. Der Sonderling, der Kautz unterhält uns eine Zeit lang mit den Absurditäten des Lebens. Die Botschaft ist dabei klar: Wir sehen es bei Herrn Lehman und bei Onno Viets. Am Ende gibt es Rettung. Am Ende ist alles behaglicher Blues.

Carlo Schäfers Helden in „Schmutz, Katz & Co“ sind anders. Fernab der unverwüstlichen Gesundheit des Hundertjährigen bewegen sie sich in kafkaesken deutschen Alltagssituationen zwischen Tinitus und Alkoholismus. Schäfers Satire hat einen bitterbösen Humor, der kein Happy-End für seine Protagonisten kennt.

Der Verlag CulturBooks hat vier dieser Texte ein Jahr nach dem überraschenden Tod des Autors im Band „Schmutz, Katz & Co“ herausgegeben. Glücklicherweise wurde nicht vergessen, die Erzählungen durch die Zeichnungen des Autors zu ergänzen. Mit ein paar Strichen erweckt Schäfer einen dicken Menschen mit bebendem Leib zum Leben, sein Mund zum Schrei aufgerissen, über seinem Kopf das Wort LIEBE! Neben ihm eine skeptisch dreinblickende Frau.

Nun kann er starten, unser „Lehrer Dr. Katz“. Und damit wir wissen, was uns erwartet, beginnt Schäfer mit einem Zitat aus dem Buch Hiob: „Ausgelöscht sei der Tag, an dem ich geboren bin, und die Nacht, da man sprach: Ein Knabe kam zur Welt!“

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Katz ist gefangen in der Welt des unkenntlichen Mittelmaßes der Stadt Waldheim mit seinem „Gesamtschulverband 2000“. Der Stadt, in der er in seiner Kindheit zwischen den Ängsten seiner Mutter und den verblasenen Ansprüchen seines Vaters, des Haarwasservertreters Katz, zerrieben worden ist. Schäfer zeichnet hier erbarmungslos im Sprachstil Thomas Manns das Zerbrechen eines Kindes in den verschiedenen Sozialisationsinstanzen nach. Gleichzeitig lässt er ihn äußerlich zum Studienrat Dr. Katz reüssieren. Weder der frühe Tod seiner Eltern, noch seine Pflegefamilie ermöglichen ihm Entwicklung. Bitterbös beschreibt Schäfer, wie Katz sich durch die verschiedenen Abschnitte seiner Ausbildung schiebt oder durch glückliche Umstände geschoben wird, bevor die Schule zu seiner letzten Station werden soll. Hier trifft die Hochsprache des Bildungsromans auf die Realität von Dr. Katz´ Hauptschulklasse.

Schäfer kennt als früherer Lehrer und späterer Universitätsdozent die Absurditäten beider Institutionen und beschreibt hier gekonnt die skurrilen Alltagsszenen seines überforderten Protagonisten. Es gibt kein Entrinnen. Die Versuche, Dr. Katz aus seiner Wirkungsstätte zu verbannen, scheitern an den behördlichen Strukturen und den menschlichen Verstrickungen seines Schulleiters. Schön, wie Schäfer nicht nur das Kafkaeske der Schulverwaltungsstrukturen beschreibt, und dabei auch noch genug Platz für die Bösartigkeit ihrer Akteure lässt. Grandios, wie er den immer bizarrer werdenden Realitätsverlust des Dr. Katz vorführt. Am Ende findet er staatlich alimentiert seinen Platz:

„Man sieht ihn – vor sich hin plappernd – durch die Waldheimer Straßen und Gassen irren, die Kleidung ist schmutzig, die Haare sind fettig und stehen vom Kopf ab. Man tut ihm nichts, noch nicht einmal seine ehemaligen Schüler. Seine Gegenwart stimmt die Leute beklommen, Kinder drängen sich an ihre Mütter, selbst Raufbolde wechseln die Straßenseite.“

In dem „Tod dreier Männer“ gibt Schäfer dem Stil des barocken Schelmenromans folgend zu Beginn eine kleine Inhaltsübersicht: „Über den Heimgang des Karl Karst, des dicken Herrn Konrads, dessen, der sich David nannte, sowie Medizin, Diakonie, Schädlingsbekämpfung und Theodizee“.

Was so scheinbar naiv daherkommt wird zur Satire auf unsere großen gesellschaftlichen Reinigungs-und Ordnungstheorien, in die die drei Männer nicht hineinpassen.

Zunächst begleiten wir Karl Karst und werden sogleich darüber informiert, wie es mit ihm ausgehen wird. In zehn Tagen wird er platzen.

Was nun folgt, ist eine ebenso lakonisch wie pointiert beschriebene Leere, die ihre Komik in absurden Dialogen entfaltet. Die alltäglichen Gänge Karsts werden durch die Phrasenhaftigkeit seiner Umgebung kontrastiert. Karst frühstückt, ist mit dem Bus unterwegs, kehrt im Bahnhofslokal ein, fährt nach Haus, isst, trinkt, schläft und schwillt weiter an, als würde er in einem Vakuum auseinandergezogen.

Wie es nicht anders sein kann, so muss der dicke Mensch, der übrigens nicht schwerer wird, nach seiner Schuld für seine Leiblichkeit befragt werden. Dies übernimmt Diakon Huber, der dem mittlerweile wegen seiner Leibesfülle immobilen Karst die Beichte abnehmen will. Doch auch er kann nicht helfen. Karst schwillt weiter, hüpft sogar zeitweilig wie ein Ballon zwischen Decke und Boden hin und her, bevor er ganz eingeklemmt nur noch warten kann.

Etwas besser ergeht es dem dicken Herrn Konrad. Ihm ist es vergönnt, sich auf eine „Liebesreise“ zu begeben. Was Schäfer hier beschreibt, ist voller Zärtlichkeit gerade durch die Schwerfälligkeit seines Protagonisten. Beständig kontrastiert Schäfer die Pläne und Annäherungsversuche seines Helden durch seine Versprecher und Rückfälle in alte Verhaltensmuster. Und trotzdem. Die Frau, die er am Meer kennen lernt, wird ihn am Ende bei seinem letzten Gang begleiten und den Gelegenheitsjournalisten bewundern dürfen, als er ihr seine Liebe gesteht, wie es eben nur im geschriebenen Text möglich ist:

„Ich wollte Ihnen sagen, dass Sie die Liebe meines Lebens sind.“

„Aber Herr Konrad (…) das kann man nach so wenig Zeit noch nicht sagen!“

„Von wegen, ich schon!“ entgegnete er fest. „weil ich jetzt Spezialist für keine wenig Zeit bin.“

Die Frau ist verblüfft: „Wie haben Sie denn das gemacht, das mit dem >keine<?“

Herr Konrad schmunzelt stolz in sich hinein und meint dann ausweichend, dass er gelegentlich etwas geschrieben habe und da eignet man sich im Laufe der Zeit eben Tricks und Kniffe an.“

Auch Herr Konrad entgeht dem bitteren Ende nicht. Doch ist es ihm vergönnt einen ebenso wahren wie rührenden Nachruf zu erhalten. Er hat ihn selbst geschrieben.

Es ist schön, dass Culturbooks auch Schäfers Kurzkrimi „Kinder und Wölfe“ aufgenommen hat. Dieser bereits 2007 in der Edition Nautilus erschienene Text zeigt Schäfers Begabung, auf den Punkt zu kommen. Auf ursprünglich 64 Seiten entsteht eine atmosphärisch dichte Handlung zu einem Mordfall in einem Schwarzwalddorf. Schäfer liefert ein satirisch gefärbtes Psychogramm seiner südbadischen Bewohner und seines Protagonisten Pfarrer Schmutz. Der schwankt zwischen öffentlichem Scheitern und ebenso zynischen wie grandiosen Ausführungen zum Sinn des Lebens und zur Rolle, die Gott dabei spielt. Dass Schmutz am Ende den Mord aufklärt, muss so sein. Wie er es macht, ist überraschend.

carlo1Den Abschluss von „Schmutz, Katz & Co“ bildet Schäfers Satire „Kurpfalz is Himmel“. Acht Seiten Lobgesang eines Jugendlichen aus dem Kosovo auf seine Heimatstadt Mannheim. Was als eine Hymne auf die Kurpfalz geplant ist, wird zum Absturz in die deformierte Psyche des Jugendlichen. Seine Sehnsucht nach Stärke, seine Unfähigkeit, wirklich zu verstehen, enden in Sadismus und Mord.

Schäfer erweist sich hier erneut in seiner großartigen Fähigkeit, durch Sprache Personen entstehen zu lassen. Das scheinbar begrenzte Sprachmaterial wird zum Spiegel der gestörten Wahrnehmung. Je gewalttätiger und machtbegeisterter der Jugendliche wird, desto lächerlicher wird sein großtuerischer Gestus, desto lächerlicher werden die durchschimmernden Versuche unserer Gesellschaft, kollektiven Sinn zu begründen.

Es ist schade, dass Carlo Schäfer keine neuen Texte mehr produzieren wird. Genießen wir seine letzten.

Jörn Borges

Schäfer, Carlo: Schmutz, Katz & Co. Das erzählerische Werk. Mit einem Vorwort von Thomas Wörtche. CulturBooks, Oktober 2016. Hardcover mit Lesebändchen. 304 Seiten. 20,00 Euro. Die Buchvorstellung findet am 20.10. um 19:30 Uhr im Restaurant Odyssee, Weberstraße 77, Frankfurt statt.

Ein Auszug aus „Lehrer Dr. Katz“ Lesung von Carlo Schäfer und Zeichen-Performance von Thomas Bickelhaupt.

Und natürlich nicht zu vergessen, die unsterblichen Kolumnen  von Carlo Schäfer fürs CrimeMag – eine schöne Auswahl gibt es hier bei CulturBooks. Und zu Carlo Schäfer geht es hier entlang.

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