Geschrieben am 1. Februar 2023 von für Crimemag, CrimeMag Februar 2023

Ein Film für Ennio Morricone

Meistermusik

Eine Filmkritik von Harald Mühlbeyer

Ennio Morricone (1928 – 2020) war der größte aller Filmkomponisten; vielleicht eines der größten musikalischen Genies überhaupt. Der italienische Regisseur Giuseppe Tornatore („Cinema Paradiso“) würdigt ihn in nun mit einem eigenen Film – und lässt den Maestro ausführlich zu Wort kommen.

Ein Star lockt Menschen ins Kino. Dafür wurde das Starsystem erfunden, irgendwann in den 1910ern: Schauspieler werden aufgebaut zu mythischen Ikonen. So war das im Goldenen Hollywood, da wurden unter Aufgabe jedes eigenen privaten Lebens Menschen als Marketinginstrument der Studios zurechtgestutzt. Oder: Ein Star wird vom Publikum erkoren, er schlägt in einen Pakt ein und fortan bündeln sich kollektive Sehnsüchte in ihm. So oder so wir hier der Mensch zur Projektionsfläche. Ein »Garbo«-Drama. Ein »John Wayne«-Western. Eine »Dick und Doof«-Komödie. Ein »Monroe«-Film. Manchmal sind es auch Regisseure, von denen man weiß, dass sie eine eigene Handschrift haben. Alfred Hitchcock oder Steven Spielberg, Stanley Kubrick oder Woody Allen. (Kaum Frauen hier, leider; hierzulande vielleicht Doris Dörrie oder May Spils…) – ihnen gemeinsam ist, dass allein der Name des Beteiligten die Leute dazu führt, den Film zu sehen.

Im Bereich der Musik gibt es nur einen Star. Wenn man sich nachts durchs Fernsehprogramm zappen, und man stieße im Vorspann eines obskuren italienischen Horrorfilms unter »Musik« auf einen bestimmten Namen, dann würde man hängen bleiben, weil man wüsste, es kann interessant werden: Ennio Morricone bedeutet meistens filmische Qualität. Immer aber stand sein Name für ein großes Hörerlebnis. Ennio Morricone ist ein Star. Und »Star« kommt natürlich von »Können«. Zumindest in diesem Fall. Ein Film über Ennio Morricone kann wenig falsch machen. Wenn der Regisseur dann auch noch Giuseppe Tornatore ist, mit dem Morricone 13 Filme gemacht hat – angefangen bei Cinema Paradiso –, dann ist klar, dass nichts schiefgehen kann.

© Koch Films/ Central

Morricone ist im Sommer 2020 verstorben, im Alter von 91 Jahren. Ennio Morricone – Der Maestro ist kein Requiem. Und zu sagen, dass der Film eine Hommage ist, eine Würdigung, greift ebenfalls zu kurz. Er ist eine Verlebendigung von Musik, das Erleben eines großen Komponisten – insbesondere, da Morricone in langen Passagen selbst interviewt wird und Auskunft gibt über seine Anfänge, über seine Tätigkeit als Schlager-Arrangeur, über sein Hineinschlüpfen in die Filmwelt, über die großen Filme, für die er große Musik geschrieben hat, über die Nebenschiene experimenteller Musik, die er zeitlebens pflegte. Viele Talking Heads unterstützen und erweitern das filmische Porträt, erläutern und widersprechen auch mal. Darunter sind viele Weggefährten, Regisseure, aber auch Bewunderer; Bernardo Bertolucci oder Lina WertmüllerClint Eastwoododer Quentin TarantinoDario Argento oder Bruce Springsteen – sie alle haben eine Beziehung zu Morricone. 

© Koch Films/ Central

Beim Reden belässt es Tornatore aber nicht. Er baut, natürlich, Filmausschnitte ein, große Momente der Filmgeschichte, in denen Bild und Musik eine symphonische – zusammenklingende – Großwirkung entfalten. Anhand dieser Beispiele macht geschickt die kompositorischen Finessen von Morricone anschaulich – und anhörlich –: ein Meister im Kontrapunkt, der verschiedene musikalische Themen und Motive miteinander zu verknüpfen, gegeneinanderzustellen weiß. seine Musik in Kontrast zu den Bildern stellt und Betonungen verschiebt; der eine unglaubliche Erfindungskraft besitzt, was Melodien angeht, und dabei voller Misstrauen gegen das Melodische mithilfe ungewöhnlicher Arrangements und ebenso ungewöhnlicher Instrumentierung das Wohlgefällige aufbricht. Morricone verschaffte dem Ungewohnten und Ungewöhnlichen einen notwendigen Zutritt. In Anbetracht der Genialität dieses Künstlers ist dieser Film mit seinen zweieinhalb Stunden wirklich keine Minute zu lang: ein wahrlich dokumentarisch-musikalischer Hochgenuss.

Ennio Morricone – Der Maestro (Ennio); Italien/ Belgien/ Niederlande/ Japan 2021.
Regie und Buch: Giuseppe Tornatore. Länge: 150 Min.; deutscher Kinostart: 22.12. 2022; Verleih: Central. Ab 27.04.23 als DVD/ BluRay bei Plaion Pictures (früher Koch Media).

Diese Filmbesprechung erschien zuerst bei kino-zeit.de, der besten deutschen Internetseite zum Arthaus-Kino, der wir uns freundlich und längst nicht nur in der Person unserer Redakteurin Sonja Hartl verbunden fühlen. Harald Mühlbeyer ist einer der letzten Wahnsinnigen, die heutzutage noch einen Filmbuchverlag machen.

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