Geschrieben am 15. Februar 2016 von für Crimemag, Film/Fernsehen

DVD: The Fall – Tod in Belfast

the_fall_dvd-inlay_ZDF.inddMachtverhältnisse

von Anna Veronica Wutschel

Die britische TV-Serie “The Fall – Tod in Belfast” zeigt in bislang zwei vorliegenden Staffeln – der Dreh zur dritten und letzten Staffel hat in diesem Januar begonnen – die qualvolle Jagd nach einem sadistischen Frauenmörder. Dabei erfindet weder das Drehbuch noch die filmische Umsetzung das Rad neu. Die Darstellung, die erzählerische Perspektive eines völlig verkorksten Täters, die Perspektive, die den unschuldigen Opfern und ihren Angehörigen Raum gibt, eine toughe Ermittlerin in einer Männerwelt sowie eine Polizei, die in zahlreiche kriminelle Machenschaften, die bis in die Politik reichen, verstrickt ist, hat es alles schon gegeben.

Doch dem Skript-Schreiber Allan Cubitt gelingt es konsequent, seine Themen wie z. B. den im Krimi zuweilen inflationär überpräsenten Serienmörder ins Offene, in die Weite zu schreiben. In der filmischen Umsetzung gelingt es nicht zuletzt durch die feine Kameraarbeit sowie den cleveren Schnitt, einen differenzierten Blick auf westliche Zivilisation und ihre wie inhärent eingeschriebenen Werte und Ansichten zu werfen, so dass “The Fall” nicht simple Krimi-Unterhaltung ist, die die Jagd nach einem Monster vorführt, sondern viel eher als eine vielschichtige Studie einer patriarchalen, zutiefst dysfunktionalen Gesellschaft gesehen werden kann.

Frauenfeindlichkeit, durchdekliniert

“Der Täter hasst also Frauen in beruflichen Machtpositionen?”, brütet eine Polizistin während der Ermittlungen nachdenklich über dem erstellten Täterprofil. “Tun wir das nicht alle”, antwortet ihr Kollege ebenso lapidar scherzhaft, wie womöglich zutiefst ehrlich. Nun, wenn von einem Täter erzählt wird, der Frauen in jeder Hinsicht dominieren will, der erst ihrer Psyche, dann ihren Körpern Gewalt antut, ihre Leichen missbraucht, scheint es nahe liegend, sich als Grundmotive der Story auf die in der Gesellschaft tief verwachsene Misogynie zu stützen. Nach den anfänglichen, eventuell fast naiv gefeierten Hochjahren der Frauenbewegung und der sich anschließenden Abkanzlung des Feminismus als eigentlich überflüssiges, fast anrüchiges Relikt anderer Zeiten, wird nicht nur die konsequente Benachteiligung, sondern auch Gewalt gegen sowie der sexuelle Missbrauch von Frauen allzu oft selbst von den Opfern als Bagatelle angesehen. Cubitt nimmt diese Grundeinstellungen und Denkmuster wunderbar in seine Serienmörderjagd auf, um sie auf unterschiedlichsten Ebenen aufzufächern.

Dem Autor, der auch in einigen Episoden selbst Regie führte und der in den 90er Jahren an den Drehbüchern für die zweite Staffel von “Heißer Verdacht” schrieb, wurde nach der überaus erfolgreichen Ausstrahlung der BBC-Serie “The Fall” indes selbst Misogynie vorgeworfen. Und diese Betrachtungsweise des Gezeigten ist sehr interessant, denn der Schaureiz an “The Fall” mag genau darin liegen, dass der Zuschauer neben vielen drastischen Details nur wenige Antworten serviert bekommt, und geradezu eingeladen wird, sich sein Urteil selbst zu bilden.

Foto: Stefan Hill / ZDF

Eine toughe Ermittlerin, sehr weiblich, aber auch mit männlichen Attributen

Mit der einst von Lynda La Plante erdachten und dann von Helen Mirren verkörperten Figur der Detective Superintendent Jane Tennison schrieb das britische TV zum ersten Mal eine toughe Ermittlerin auf den Bildschirm, die sich in einer harten, durch und durch institutionalisierten Männerwelt behaupten muss. In “The Fall” nun ermittelt Detective Superintendent Stella Gibson (Gillian Anderson, die ab Februar in sechs neuen Folgen der Kultserie “Akte X” zu sehen sein wird) in dieser inzwischen altbewährten Tradition. Die Londoner Ermittlerin wird ins irische Belfast bestellt, um die Revision eines ungeklärten Mordes an einer jungen Frau zu leiten.

Bald ist der explizit unterkühlten, attraktiven Gibson klar, dass es sich bei dem Mord nicht um eine einzelne Tat handelt. Sie zieht Verbindungen zu anderen Fällen, wird allerdings von ihrem Vorgesetzten an Ermittlungen gehindert. Als dann jedoch ein weiterer Mord geschieht, dessen Procedere erstaunliche Parallelen zu den vorangegangen Taten aufweist, ist die Polizei zu schnellem Handeln gezwungen und setzt Gibson als leitende Ermittlerin ein. Gibson zieht aus ihrem Hotel und schläft ab sofort auf einer harten Pritsche im Büro. Die Frau scheint weder familiäre noch freundschaftliche Beziehungen zu pflegen, vielmehr scheint sie besessen von ihrer Arbeit, ein Workaholic oder einfach karriereorientiert.

Aus Lust, Einsamkeit oder zur eigenen Bestätigung hüpft sie mit ihren vornehmlich jüngeren Kollegen gern mal in die Kiste, und man könnte diese Figur, wenn man kurz greifen möchte, als mit rein männlichen Attributen bestückt klassifizieren. Dass es sich bei dieser Interpretation indes lediglich um Zuschreibungen handelt, wird nicht nur durch den mehrfachen Verweis auf die matriarchalische Kultur der Mosuo deutlich.

Was also kann man unter dem typischen Rollenverhalten verstehen? Wie möchte man es bewerten? Wenn ein Opfer dezidiert im Internet nach einem sadistisch veranlagten Sexgefährten sucht? Auch hier ist Cubitt so klug, den herkömmlichen Denkmustern Alternativen entgegenzustellen. Die aufgeworfenen Fragen darf sich der Zuschauer selbst beantworten.

the_fall_s2_dvd_inlay_ZDF.inddEin Serienmörder als Vater und Ehemann

In einem zweiten fein verwobenen Erzählstrang findet sich eben dieser an der Seite des perversen Serienmörders Spector (Jamie Dornan, der in “50 Shades of Grey” ebenfalls einen Kontrollfreak mit speziellen Neigungen darstellen durfte) wieder. Zunächst bricht Spector in Häuser von alleinstehenden Frauen ein, verlustiert sich mit deren Dessous, schießt genüsslich Selfies, die er später in sein ‘Opfer-Trophäenbuch’ kleben wird.

Doch bei den Einbrüchen und seinen Fantasien bleibt es selbstverständlich nicht. Neben den brutalen Überfällen und Ermordungen zeigt uns die Kamera Spector allerdings auch als hilfsbereiten Ehemann und treusorgenden Vater von zwei Kindern. Das kann man als logisch für einen Psychopathen ansehen, der sich allzu gern hinter der Fassade des Normalen tarnt. Der neben seiner krankhaften Veranlagung eventuell auch ganz normale Bedürfnisse eines normalen Menschen verspürt. Man kann es aber auch als besonders perfide betrachten, denn vor allem im Blick der achtjährigen Olivia, Spectors Tochter, sieht man die unbeschwert vertrauensselige Liebe eines Kindes – wie kleine Mädchen den Papa (in diesem Fall das Monster) nun einmal anhimmeln.

Das Vorgehen Spectors, seine Taten sind im Übrigen an den realen Fall des kanadischen Luftwaffenoffiziers Russell Williams angelehnt. Dieser soll vielfach in die Wohnungen von Frauen eingebrochen sein, bevor er mindestens zwei Frauen vergewaltigte und ermordete. Einen solchen Täter in einem eigenen Erzählstrang, der auch die Morde akribisch detailliert darstellt, Raum zu geben, um ihn als ein Individuum mit eigener Geschichte darzustellen, ist – das ist Krimileser hinlänglich bekannt – nicht neu erfunden. Aber “The Fall” lässt durch geschickte Kameraführung zu, dass man als Zuschauer immer wieder für einige Sekunden in diese Täterrolle abdriften kann, und das mag und soll sicher verstören. Dazu hat Spector noch ein hübsches Gesicht, findet zumindest die Ermittlerin Gibson, als es ihr gelingt, ein Fahndungsfoto des Täters zu erstellen. Und auch diese Einschätzung ist definitiv reine Ansichtssache. Allerdings eine überaus wichtige Komponente für die Storyline, die die zweite Staffel beherrscht.

Viel Zeit und Raum für die Opfer

Spector gerät nach seiner Flucht, zu der er am Ende der ersten Staffel genötigt wurde, so gewaltig unter Druck, dass ihm keine Zeit mehr bleibt, weiteren vermeintlichen Opfern nachzustellen. Hier wird die Serie ein wenig (zu) programmatisch. Zwar bleibt sie spannend, wenn Spector die einstige Babysitterin, die ihm hörige 16-jährige Katie (Aisling Franciosi), zu seiner Komplizin macht, doch das Spiel zwischen den so korrespondierenden Jäger-Figuren Spector und Gibson, die Anziehungskraft, die zwischen ihnen herrscht, spitzt sich weitaus zu verdichtet zu.

In einem dritten Erzählstrang nimmt sich die Story viel Zeit und Raum für die Opfer des Geschehens. Und das sind intelligenterweise neben den von Spector ermordeten Frauen auch deren Angehörigen. Aber auch Spectors Familie, seine Frau Sally, seine Kinder, die Frauen, die vor ihren gewalttätigen Ehemännern ins Frauenhaus fliehen müssen, die von ihren schwerreichen Freiern auf kleinen Privatparties schwer vermöbelt werden. Und auch die Babys, die auf der Frühchenstation, auf der Sally arbeitet, um ihr Überleben kämpfen. Grandios an dieser Bandbreite ist, dass “The Fall” konzentriert komplex, in steter Ambivalenz erzählt, ohne jemals explizit voyeuristisch oder larmoyant seine Szenerie auszuweiden.

Foto: Stefan Hill / ZDF

Schauplatz Belfast, eine intelligente Wahl

Selbst die Wahl des Drehortes spiegelt dies wider. Belfast, eine inzwischen junge und durchaus attraktive Stadt, die von Trennungsmauern durchzogen ist, hat sich von gut 30 Jahren Bürgerkrieg und den einstigen tiefsitzenden Feindschaften längst noch nicht erholt. Wie kompliziert sich das Zusammenleben in der einst und in den Herzen der Bürger allzu oft immer noch getrennten Stadt gestaltet, wird nicht nur durch die große Tafel verdeutlicht, an der Gibson vorbeischreitet und auf der unzähligen Polizisten, die im Dienst gestorben sind, gedacht wird. Diese brutale Vergangenheit zeigt sich auch immer wieder in den unterschiedlichen Nebenhandlungen, in denen Emotionen von unterschiedlichen Figuren unterschiedlich verarbeitet werden, wobei sehr hellhörig gezeigt wird, dass das Private – je nach Betrachtungsweise – auch immer eine politische Dimension hat. “The Fall” zeigt wunderbar, was derartiges Empfinden bedeuten kann, wie sich der Mensch seine Ansichten zurechtlegt. Und wiederum, wie manipulierbar ihn dies macht.

Auch wird bei jedem Polizeieinsatz immer noch zunächst ein Sprengstoffattentat befürchtet. Und diese hochbrisante Tatsache kann durchaus in Bezug zu den aktuellen Terroranschlägen des IS gesetzt werden, der sich für seine Attentate in Europa gern Europäer rekrutiert und seine politischen Interessen und Ideologien im Glauben manifestieren möchte. Diesbezüglich könnte man womöglich eine Menge aus dem Nordirlandkonflikt lernen.

Im Übrigen lässt sich an einer Stadt mit einem Hintergrund, den Belfast bietet, höchst anschaulich beschreiben, wie eng Polizeiarbeit mit Politik gekoppelt ist, die sich wiederum immer gierig mit der Wirtschaft verbandelt. Ein Bruderkrieg, Segregation, die Gläubige bis heute von anders Gläubigen trennt, historisch indes vor allem auf Machtspielen und Interessen der Herrschenden gebaut ist, spiegelt ebenso entfernt überspitzt wie elegant das Verhältnis von Männern und Frauen in unzähligen, aber nicht allen Kulturen wider. Dass diese fast episch breit angelegte Story zuweilen etwas langatmig gerät, stört kaum. Denn – wie gesagt – nach dieser Betrachtung ist “The Fall” ein ebenso spannender Krimi wie eine gelungene Sezierung gesellschaftlicher Machtverhältnisse.

Aber wir haben Glück, die Inszenierung scheint darauf ausgelegt, dass sich jeder Zuschauer diesbezüglich seine eigene Meinung bildet.

Anna Veronica Wutschel

The Fall – Tod in Belfast. Staffel 1 und 2. Studio: Hamburg Enterprises. Darsteller: Gillian Anderson; Jamie Dornan; Archie Panjabi; Simon Delany u. a. Regisseur: Jakob Verbruggen. Staffel 1: 300 Minuten. Staffel 2: 390 Minuten. Sprache: Deutsch (Dolby Digital 2.0 Stereo), Englisch (Dolby Digital 2.0 Stereo).

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