Geschrieben am 27. Juni 2015 von für Crimemag, DVD

DVD-Serie Broadchurch

BroadchurchKleinbürger und Lynchmob

–Auf den ersten Blick konventionell erzählt hat die englische Mini-Serie „Broadchurch“ doch herausragende Qualitäten. Anna Veronica Wutschel zählt sie auf.

Beinah könnte man den Eindruck bekommen, die glorreiche Ära der britischen Krimi-Produktion sei abgelaufen. Vor allem ab den 90er Jahren lieferten die Engländer mit „Heißer Verdacht“, „Für alle Fälle Fitz“, „Silent Witness“, „Hautnah – Die Methode Hill“ und vielen anderen Serien grandiose Krimikost, die zur Primetime das Abendprogramm unangefochten auf ein eigenes Niveau anhob. Dann knüpften ihnen die Skandinavier mit inzwischen allseits bekannten, unglaublich erfolgreichen und innovativ gestalteten Krimis den Rang ab. Als langsamer erzählt, spannender, düsterer, komplexer galten Erfolge wie „Das Verbrechen – Kommissarin Lund“, „Borgen“, „Die Brücke“ etc. Sie waren so innovativ, dass die Engländer, die sich zumindest dem Klischee nach nur äußerst ungern mit Fremdsprachen abgeben, einige dieser Serien gar im Original mit Untertiteln und größter Beifallsbekundung ansahen.

Auch die Amis legten ordentlich nach, vor allem die Serien des Senders HBO sowie die von Netflix ausgestrahlten Eigenproduktionen gelten plötzlich als die Crème de la crème des neuen Erzählens. Die Briten feierten ihren fulminanten „Sherlock“ und schauten ein wenig betrübt in die novellierte Serien-Landschafts-Gestaltung. „Broadchurch“, das bereits im April/Mai 2015 im ZDF ausgestrahlt wurde und nun als DVD vorliegt, wurde vielleicht wegen dieser vermeintlichen Umordnung der Mächte als „echter Wurf“, als Highlight in England abgefeiert. Ein deutsches wie auch ein amerikanisches Remake wurden bereits ausgestrahlt. Und dabei ist die erste Staffel letztlich vornehmlich ein klassischer Whodunnit, in dem zumindest die ersten Folgen nur recht langsam Fahrt aufnehmen.

broadchurch-108_v-TeaserAufmacher
Doch gerade dieser vermeintliche Schlendrian ist eben die Stärke von „Broadchurch“, das letztlich weniger auf die Polizeiarbeit fokussiert ist als auf die Auswirkungen, die ein Verbrechen ebenso klein- wie großkreisig mit sich bringen. Mit breiten Sandstränden, imposanten Klippen und einem idyllischen Kern scheint das fiktive Küstenstädtchen Broadchurch nicht nur die perfekte Wahl für die Sommerfrische, sondern kann auch als malerisch friedlicher Ort für junge Familien, für eine nahezu garantierte heimelige Kindheit angesehen werden. Dass die Idylle trügt, ist klar; dass hinter aller Lauschigkeit die Abgründe lauern, versteht sich von selbst. Und dass sich die Abgründe nun einmal immer am tiefsten in der Katastrophe auftun, liegt ebenfalls auf der Hand. Und die Katastrophe ist groß: Eines Morgens liegt der kleine elfjährige Danny Latimer tot am Strand. Die sonderbare Stellung der Leiche lässt die Polizei zweifeln, dass er von den Klippen gesprungen ist. Hat ihn jemand gestoßen? War es ein Unfall? Oder Mord? Während die Polizei rätselt und kaum nennenswerte Ermittlungsergebnisse aufweisen kann, geht die Presse mit dramatischen Enthüllungs- und Beschuldigungs-Stories flink und gewissenlos ans Werk. Die Latimers trauern und mit ihnen eine ganze Kleinstadt, doch je deutlicher sich herauskristallisiert, dass ein Mörder unter ihnen lebt, desto mehr steigert man sich in eine wilde Hatz.

Broadurch 2
Währenddessen muss sich das neue Polizeiteam Ellie Miller (Olivia Colman) und Alec Hardy (David Tennant) gegen alle persönlichen und gegenseitigen Aversionen zusammenraufen. Die ortsansässige Miller ist gerade aus einem dreiwöchigen Urlaub zurückgekehrt und erwartete die Beförderung, die ihr versprochen wurde. Stattdessen wird ihr DI Hardy als Chef vor die Nase gesetzt, was ihr so gar nicht gefallen kann. Denn zu allem Überfluss ist Hardy auch noch ein ziemlich komplizierter Typ, der sich an der ruhigen, milden Küste von Broadchurch eigentlich wegen eklatanter gesundheitlicher Probleme erholen soll. Doch nun muss er in dem Mord an Danny ermitteln, was einer persönlichen Katastrophe gleichkommt. War Hardy doch erst vor kurzem in einem ähnlichen Fall als Leiter der Ermittlungen gescheitert, die Medien gaben ihm die Schuld, dass der Mörder eines Kindes nie gefasst wurde. Und sein berufliches Versagen scheint nicht einmal das einzige Trauma zu sein, dass Hardy in seinen Albträumen quält.

In den folgenden gut 300 Minuten gelingt „Broadchurch“ eine hervorragende Gesellschaftsstudie, die neben der Trauer vor allem auch das Misstrauen, die Lüge, das Betrügen ganz „normaler“, unbescholtener Bürger in den Vordergrund hebt. Eine Menge Verdächtiger tauchen auf, eine ganze Reihe von unterschiedlichen Schicksalen werden erzählt, während Hardys Gesundheitszustand immer beängstigender wird und sich die Kleinstädter in einen gefährlichen Lynchmob verwandeln. Herausragend ist hierbei, wie differenziert in gekonnter Spiegelung Themen wie Verlust, Trauer, Schuld, aber auch gesamte Lebensentwürfe ebenso facettenreich wie sensibel offengelegt, seziert werden. Nun erzählt “Broadchurch” eigentlich nichts Neues, erzählt das Altbekannte sogar recht konventionell wieder. Dass dabei die Story aber eben nicht im Lapidaren mündet, das Erzählte eben doch packend und überzeugend wirkt, liegt sicherlich an dem guten, altbewährten britischen Know-how. Die Kameraführung, die langen Einstellungen, der hervorragende Schnitt, die sich nur langsam entwickelnde, aber nie im Erzählfluss stockende, selten pathetische, mit Bedacht auf kleine Effekte setzende Story sowie die grandiosen Darsteller beherrschen die Fiktion und lassen sie lebendig werden. Dabei sind vor allem der ehemalige „Dr. Who“-Darsteller Tennant wie die einfach einmalige Olivia Colman, die einigen Zuschauern sicherlich aus britischen Serien wie „Peep Show“ oder „Twenty Twelve“ bekannt sein dürfte, hervorzuheben. Zwischen diesen beiden stimmt jede Pose, jede Gestik, die Mimik. Gerade wenn sich die zwei nichts zu sagen haben und schweigend auf das Meer hinausblicken, oder ein Eis essen oder Fish n’ Chips futtern, scheint das Arrangement beredter als so mancher Dialog. Der Krimi ist hier ganz Drama der leisen, der ambivalenten Töne, nicht zuletzt auch, weil Ólafur Arnalds einen herrlich zurückgenommenen Soundtrack dazu komponiert hat. Man darf auf alle Fälle auf den zweiten Teil von „Broadchurch“ gespannt sein, in dem in einem neuen Fall ermittelt wird, in dem jedoch vornehmlich in dem sich der Festnahme des Mörders anschließenden Gerichtsprozess der hier geschilderte Fall neu aufgerollt wird.

Die drei DVDs bieten einige Extras wie ein Making-Of, entfallene Szenen sowie interessante Audio-Kommentare. Und – immer praktisch für den anglophilen Zuschauer – den englischen Originalton mit deutschen Untertiteln.

Anna Veronica Wutschel

Broadchurch, 2013. 3 DVDs. Studio: Studiocanal. Produktion: Großbritannien 2013. Erscheinungsdatum: 21.05.2015. Darsteller: David Tennant, Olivia Colman und Jodie Whittaker, u.a. Sprache: Deutsch (Dolby Digital 5.1), Englisch. Untertitel: Deutsch. 374 Minuten. FSK 12. 19,99 Euro. Mehr zur Serie und Quelle der Fotos.

Den Blog von Anna Veronica Wutschel finden Sie hier.

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