Unsere Lieblingsautistin
„Die Brücke“ gilt, wie andere skandinavische Produktionen auch, als glühendes Beispiel dafür, was Fernsehen kann – wenn es nur keine störenden deutschen Redakteure gäbe … Nicht ganz HBO, aber immerhin … Deswegen jetzt also „Die Brücke“, 2. Staffel, in der die großartige Sofia Helin als die schwedische Kommissarin Saga Norén brilliert … Anna Veronica Wutschel mag die 2. Staffel.
„Lokales Engagement – globale Herausforderung“, so lautet der Titel der geplanten Eröffnungsrede zum anstehenden EU-Klimagipfel. Doch niemand wird je erfahren, welche Erkenntnisse der Redner seinem Publikum zukommen lassen wollte, da er leider unerwartet verstirbt. Das kommt sehr unpassend, schließlich muss so in letzter Minute die Hauptrede ausgetauscht, das Programm umstrukturiert werden.
Die Planung des EU-Gipfels ist indes nur ein Nebenstrang in dem zweiten Teil der Erfolgsserie „Die Brücke 2 – Transit in den Tod“. Der dänische Polizist Martin Rohde (wie immer famos: Kim Bodnia), der 13 Monate nach dem brutalen Mord an seinem Sohn im ersten Teil des Nordic Noirs zutiefst traumatisiert ist, wurde aus der Kopenhagener Mordkommission versetzt, und koordiniert zurzeit den Polizeieinsatz für das Gipfeltreffen, als seine schwedische Kollegin Saga Norén (erneut famos: Sofia Helin) ihn für eine weitere zwischenstaatliche Zusammenarbeit anfordert. Ein Frachter ist an der Øresund-Brücke havariert, unter Deck fand man fünf angekettete Jugendliche, drei Schweden und zwei Dänen.
Und wider Erwarten ist Martin, dessen Ehe, dessen Karriere an der Vergangenheit gescheitert scheinen, glücklich, Saga wiederzutreffen. Sie erinnert ihn weniger an die tragischen Ermittlungen von damals, als dass sie ihm mit ihrer direkten Art gut tut. Saga, die durch eine Form des Autismus, dem Asperger Syndrom, von der Gesellschaft eher als krank, zumindest benachteiligt, angesehen wird, da ihr in vielerlei Hinsicht soziale Kompetenzen wie Mitgefühl, Sensibilität, Empathie etc. fehlen, behandelt Martin im Gegensatz zu allen anderen, als wäre nichts vorgefallen. Saga konzentriert sich ausschließlich auf die aktuellen Ermittlungen, und Martin nimmt die Herausforderung nur allzu gern an. Schließlich hat der Fall es in sich: Ökoterroristen, die im Namen von Umweltschutz und sozialem Gewissen handeln, suchen die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit mit brutalen Aktionen. Sie verbreiten den Pesterreger, vergiften Lebensmittel, entführen, quälen, foltern, töten und planen immer schlimmere Anschläge, bei denen immer mehr Unschuldige qualvoll sterben sollen.
Viel Stoff
Das ist viel Stoff für viel Ermittlungsaction, viel brodelnde Handlung, die immer wieder im derzeit so beliebten Düster-Look auf den Siedepunkt aufgekocht wird. So viel Action geht selbstverständlich zu Kosten der Logik, so dass die Ermittler eben konstant diesen einen kleinen Schritt zu spät kommen, um die Täter zu stellen, diese eine evidente Schlussfolgerung permanent ein Sekündchen zu spät ziehen, um die Katastrophe zu verhindern. Doch erfreulicherweise verliert das Skript niemals die feinen Untertöne, den gescheiten Unterbau zugunsten des rasanten Plots aus den Augen. Denn wie bereits in der ersten Staffel erzählt auch „Die Brücke 2“, dass das Politische privat ist, und das Private hochpolitisch, das sich das Kleine immer auch im Großen widerspiegelt, oder – schlimmer vielleicht –, dass immer auch das Gegenteil zutrifft. So wird auch vom Schmetterlingseffekt erzählt, gezeigt, dass auch der leiseste Hauch einer Bewegung größte und unberechenbare Folgen mit sich bringen kann.
Und somit ist der Grundgedanke, dass ‚lokales‘ Handeln, zumal es fast immer von primitivstem Egoismus geprägt ist, globale oder zumindest Katastrophen von unvorhersehbarem Ausmaß bewirken kann, nur folgerichtig. Eine clevere Masche in komplizierten, kriegerischen Zeiten der Globalisierung? Nichts Neues von dem dänisch-schwedischen Ermittlerteam? Diesbezüglich kann man nur ein klares Jein formulieren. Denn die Hauptfiguren entwickeln sich. Und sie entwickeln sich nicht, aber sie bemühen sich, sie strengen sich an, sie suchen nach ihren Gefühlen, ihren Idealen, nach moralischen Werten, nach gesellschaftlichen Normen, versuchen, diesen gerecht zu werden. Und die größte Stärke der Serie liegt darin, dieses Thema immer wieder aufzugreifen, auch den unbedeutendsten Nebenstrang der Handlung die gesamte Komplexität des Grundmotivs ausleuchten zu lassen.
Wie geht Familie? Der angebliche Kern der Gesellschaft? Ist Familie eine mörderische Schlangengrube? Wie funktionieren Beziehungen? Wie verläuft die Dynamik aller zwischenmenschlichen Verhältnisse? Die Antwort die „Die Brücke 2“ dann gibt, ist indes vielleicht zu simpel, so düster durchgestylt wie die Optik, wie es der sphärische, sich tiefgründig gebende Pop-Titelsound erzählen: alles dreht sich um sich selbst, ausschließlich im Kreis und ist letztlich zum Scheitern verurteilt. Ein ernüchterter Blick auf die Welt, ein Kunstgriff, eine Masche, die den Zuschauer sicher auch in der dritten Staffel erfreuen wird. Dass – es gibt Gerüchte über interne Unstimmigkeiten – der großartige Kim Bodnia als Martin Rohde dann wohl nicht weiter ermitteln wird, ist mehr als bedauernswert, könnte aber – aus der Not eine Tugend vollführend – eventuell dem Gesamtwerk einen neuen Impuls versetzen. Wer mag, kann bis dahin das, in diesen Tagen in der deutschsprachigen Version erscheinende, amerikanische Remake von „Die Brücke“ mit Diane Kruger in der Hauptrolle schauen.
Anna Veronica Wutschel
Die Brücke 2 – Transit in den Tod. 5 DVDs. Studio: Edel Motion. Laufzeit: 578 Minuten. Produktionsjahr: 2013. Darsteller: Sofia Helin, Kim Bodnia, Dag Malmberg, Sarah Boberg u. a. Regisseur: Henrik Georgsson, Morten Arnfred, Kathrine Windfeld. Erscheinungstermin: 09.05. 2014. Sprache: Deutsch, Dänisch, Schwedisch. Mit deutschen Untertiteln. Audio: Dobly Digital 5.1. 28,99 Euro. Hier in der ZDF-Mediathek. Den Blog von Anna Veronica Wutschel finden Sie hier.