Ein Textauszug aus „Publikumspiraten„

Alleine schon für den Titel muss man dieses Filmbuch mögen. Auf gutem Papier und mit exzellenter Bildqualität gedruckt, der DEFA Stiftung sei Dank, liegt es schwer wie ein Schatz in der Hand – und erlaubt einen anderen Zugang zum Kino der DDR. Mit dem bewährten Ralf Schenk und mit Stefanie Mathilde Frank hat sich ein ideales Herausgeber-Duo gefunden. Es ist ein gewichtiges Buch geworden, in dem etwa Georg Seeßlen über die Filme von Günter Reisch schreibt, Olaf Möller über die von Joachim Hase, Claus Löser über die von Richard Groschopp. Wir erfahren über die Oper- und Operettenverfilmungen der DEFA, die Revue- und Schlagerfilme der 1960er Jahre, die Utopischen und die „Indianerfilme“, und auch über die Spionagefilme der Deutschen Demokratischen Republik. Hier ein Textauszug – mit freundlicher Genehmigung von Autor und Verlag.
Stefanie Mathilde Frank/ Ralf Schenk (Hg.): Publikumspiraten: Das Genrekino der DEFA und seine Regisseure (1946–90). Schriftenreihe der DEFA Stiftung/ Bertz + Fischer Verlag, Berlin 2022. 416 Seiten, Hardcover, 115 Abbildungen, 29 Euro.
Von Agenten und Kundschaftern
Andreas Kötzing über Spionagefilme der DEFA als Gegenentwurf zum westlichen Genrekino
Kaum ein anderes Genre erfreute sich während des Kalten Krieges größerer Beliebtheit als Agenten- und Spionagefilme. Obwohl (oder gerade, weil?) die Gefahr eines atomaren Weltkrieges sehr real war, entwickelte das Publikum in Ost und West eine Vorliebe für spannende Geschichten von Geheimagenten, die die Welt im letzten Moment vor dem sicheren Untergang bewahren. In einer politisch unübersichtlichen Situation, die von einer wachsenden Rivalität zweier verfeindeter Machtblöcke und einer permanenten Eskalationsgefahr geprägt war, boten die Fiktionalisierungen des Kalten Krieges eine einfache Form der Selbstvergewisserung: Im Mittelpunkt des Agentengenres steht die Überlegenheit des eigenen Systems sowie ein stereotypes Feindbild, von dem man sich abgrenzen konnte.(1)
Der »Spy-Boom«(2) in der Unterhaltungsindustrie, der sich im Film ebenso wie in der Literatur widerspiegelte, machte auch vor der DEFA nicht halt. Die politischen und ästhetischen Rahmenbedingungen des Genres stellten die ostdeutsche Filmproduktion allerdings vor eine große Herausforderung: Wie ließ sich das Unterhaltungsbedürfnis des Publikums mit der Idealvorstellung einer sozialistischen Gesellschaftsordnung in Einklang bringen? Die Aufführung westlicher Agentenfilme war in der DDR weitgehend ausgeschlossen, vor allem, wenn darin der Kommunismus als Feindbild inszeniert wurde.(3) Die DEFA musste daher eigene Filmideen entwickeln, um dem ostdeutschen Publikum ein Alternativangebot zu machen. (…)

Genre und Genregrenzen
Ein klar abgrenzbares Agenten- und Spionagegenre gab es bei der DEFA anfangs nicht.(4) Agenten und Spione tauchen in DEFA-Filmen schon früh auf, meist als zwielichtige Charaktere. Die Grenzen zum Kriminalfilm waren fließend, aber auch in Melodramen und Liebesgeschichten (Septemberliebe, 1960, Kurt Maetzig) oder selbst in Kinderfilmen (Das geheimnisvolle Wrack, 1954, Herbert Ballmann) spielen Agentenfiguren mitunter eine signifikante Rolle, vor allem als Feindbilder. Bereits die ersten Kriminalfilme der DEFA wie zum Beispiel Razzia (1947, Werner Klingler) knüpften an Erzähltraditionen aus dem Kriminal- bzw. Thriller-Genre an und etablierten dabei ein negativ konnotiertes Bild von Spionen und Schmugglern, die mit fragwürdigen Mitteln üble Machenschaften verrichten.(5) In Razzia treibt eine Schlepperbande, die auf dem Schwarzmarkt mit Alkohol und Medikamenten handelt, ihr Unwesen. Innerhalb der Kriminalpolizei, die der Bande auf die Schliche kommt, gibt es einen Maulwurf, der mit den Kleinkriminellen unter einer Decke steckt und die Arbeit der Polizei sabotiert.(6)
Während die Bedrohung in Razzia noch aus der Mitte der Gesellschaft kommt, verlagerte sich die Sabotage-Gefahr in späteren DEFA-Kriminalfilmen immer weiter nach Westen. Angesichts der Teilung des Landes und des sich zuspitzenden Ost-West-Konfliktes erzählen die Kriminalgeschichten in den 1950er-Jahren ihre Handlung meist vor dem Hintergrund eines klaren Freund-Feind-Schemas: Saboteure, Spione und Agenten – generell alle Kriminellen und Gangster – kommen aus dem Westen oder sind »rückständige« DDR-Bürger, die sich von westlicher Seite fehlleiten lassen, um den Aufbau einer sozialistischen Gesellschaftsordnung in der DDR zu stören. Auf ost-deutscher Seite ermitteln hingegen stets aufrichtige, moralisch und politisch unfehlbare Kriminalbeamte, die selten als Einzelgänger auftreten, sondern im »Kollektiv« agieren, um die drohenden Gefahren abzuwenden. Diese stereotype Grundkonstellation blieb als erzählerische Prämisse weitgehend unangetastet, wenngleich die DEFA-Kriminalfilme das Thema »Sabotage/ Spionage« breit variieren.(7)
Recht häufig werden in DEFA-Filmen, die die Genregrenzen zwischen Kriminal- und Spionagegeschichten überschritten, Arbeits- und Produktionsprozesse von westlicher Seite sabotiert. Dazu zählen etwa Der Auftrag Höglers (1949, Gustav von Wangenheim), in dem ein Stahlwerk zum Erliegen gebracht werden soll, oder Geheimakten Solvay (1952, Martin Hellberg), in dem die Arbeit in einem Soda-Werk sabotiert wird. Auch besondere Erfindungen oder Innovationen von Wissenschaftlern geraten immer wieder ins Blickfeld westlicher Spione und Agenten, wie in Der Fall Dr. Wagner (1954, Harald Mannl), in dem ein Ingenieur mit Psychoterror zur Republikflucht genötigt wird, um seine Erfindung im Westen ausnutzen zu können. Manche der Filme basieren auf realen Begebenheiten, die in der Öffentlichkeit hervorgehoben wurden, um den fiktiven Geschichten eine möglichst große Authentizität zu verleihen.
Die Gegenüberstellung von Gut und Böse mündet in diesen frühen Spionagefilmen meist in einer holzschnittartigen Dramaturgie, die nur wenig Spielraum für Ambivalenz oder Zwischentöne ließ, obwohl gerade diese für das Genre unabdingbar sind. Die Quittung bekam die DEFA an den Kinokassen: Während Razzia mit acht Millionen Zuschauern noch ein regelrechter Kassenschlager war, fielen die Kriminalfilme in den 1950er-Jahren in der Publikumsgunst deutlich dahinter zurück.
Eine Bühne für die Stasi
Einen nachhaltigen Impuls erhielt das Spionagegenre bei der DEFA durch das filmpolitische »Engagement« des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS). Mitte der 1950er-Jahre war es innerhalb des MfS ein offenes Geheimnis, dass die Stasi in der Bevölkerung kein besonders hohes Ansehen genoss. Insbesondere nach dem niedergeschlagenen Volksaufstand vom 17. Juni 1953 war der Geheimdienst um konkrete Imagepflege bemüht. Filme erschienen dazu als probates Mittel. Anfangs konzentrierte sich das MfS bei seiner filmischen Öffentlichkeitsarbeit auf Dokumentarfilme und Sujets in der Wochenschau Der Augenzeuge,8 später rückten jedoch auch Spielfilme in den Fokus. Die Filme, in denen Stasifiguren eine zentrale Rolle spielen, lassen sich als eine Art »Subgenre« innerhalb der Agenten- und Spionagefilme der DEFA beschreiben, da sie mit der Inszenierung eines scheinbar allmächtigen Geheimdienstes einen neuen inhaltlichen Schwerpunkt setzten: Anstelle des negativen Bildes von Spionage ging es nun darum, die Ermittlungstätigkeit des MfS positiv ins Licht zu rücken.9
Ihr Spielfilmdebüt gab die Staatssicherheit 1957 in Spur in die Nacht von Günter Reisch.10 Darin begibt sich Ulli (Ulrich Thein), ein junger Mann aus Berlin, auf die Suche nach seiner Freundin (Eva-Maria Hagen), die in einem Winterurlaubsort im Zittauer Gebirge arbeitet. Sie scheint spurlos verschwunden zu sein. Bei der Suche nach dem Mädchen kommt Ulli einer Schmugglerbande auf die Schliche, doch anstatt die Polizei zu alarmieren, versucht er auf eigene Faust, seine Freundin zu retten und gerät dabei in Lebensgefahr. Am Ende gibt sich einer der Schmuggler, ein etwas zwielichtig wirkender Mann in Lederjacke (Raimund Schelcher), als Mitarbeiter der Staatssicherheit zu erkennen. Dank seiner Hilfe und mit Unterstützung der ostdeutschen Grenzpolizisten und ihrer tschechischen Kollegen können die Schmuggler schließlich verhaftet werden.

Dass am Ende von Spur in die Nacht plötzlich ein verdeckter Ermittler der Staatssicherheit auftaucht, ist bemerkenswert, weil die Stasi damit bewusst aus ihrer Anonymität heraustritt.11 Interessant ist dabei, dass die Ermittlungen des namenlosen »Mannes mit der Lederjacke« komplett im Dunkeln bleiben. Die Zuschauer erfahren nicht, wie genau es der Stasi gelungen ist, die Schmugglerbande zu unterwandern. Tatsächlich erweckt der Film den Eindruck, als habe die Staatssicherheit im Hintergrund schon lange vorher die Fäden gezogen. Spur in die Nacht etablierte damit bereits das zentrale Motiv der Allmacht, das auch in späteren DEFA-Spielfilmen mit Bezug zur Staatssicherheit eine wichtige Rolle spielen wird. Der ostdeutsche Geheim- dienst wacht – als quasi unfehlbare Instanz – über der DDR und ist ohne größere Probleme in der Lage, die Gefahren, die ihr drohen, abzuwenden und die Gegner des Sozialismus auszuschalten. Wie in den frühen Kriminalfilmen der DEFA kommt die Gefahr dabei weiterhin konsequent aus dem Westen, und die Feinde werden – wie in diesem Fall die Schmugglerbande – gerade noch rechtzeitig gestoppt, bevor sie größeres Unheil anrichten können.
Während das MfS in Spur in die Nacht noch vergleichsweise wenig präsent ist, produzierte die DEFA in den folgenden zehn Jahren eine ganze Reihe von Spionage- und Agentenfilmen, in denen die Stasi offensiver in Erscheinung tritt: Sie kannten sich alle (1958, Richard Groschopp), Die Premiere fällt aus (1958, Kurt Jung-Alsen), Ware für Katalonien (1958/59, Richard Groschopp), Reserviert für den Tod (1963, Heinz Thiel), for eyes only – streng geheim (1963, János Veiczi), Schwarzer Samt (1963, Heinz Thiel) und Verdacht auf einen Toten (1969, Rainer Bär). Die Agentenfilme, die zeitlich noch vor dem Mauerbau entstanden, schöpften ihre Erzählungen weiterhin aus dem Themenspektrum »Schmuggel und Sabotage«, wobei es für die konkrete Handlung fast nebensächlich war, ob es sich dabei um einen neuen PKW-Prototyp, gestohlene Forschungsergebnisse aus einem Chemie- werk oder Ferngläser und Fotoapparate handelte. Auffällig ist vielmehr der erzieherische Impuls der Filme, der ziemlich plump ausfiel: Alleingänge von überambitionierten Bürgern (wie in Spur in die Nacht oder auch Sie kannten sich alle) führen zu nichts; stattdessen sollten die Menschen lieber auf die Umsicht der Sicherheitsorgane vertrauen und diese informieren, falls sie auf Gefahren aufmerksam werden.

Die Filme appellierten an die politische Wachsamkeit des Publikums und sollten, wie im Fall von Sie kannten sich alle, sogar explizit zum gegen- seitigen Misstrauen anregen. Der Film schildert die Sabotage eines neuen PKWs in einem Werk, in dem sich die Mitarbeiter seit vielen Jahren kennen und sich offenkundig vertrauen – ein »Fehler«, denn unter ihnen befindet sich ein Vertrauter des ehemaligen Werkseigentümers aus dem Westen, der nach dem Krieg enteignet wurde. Er plant Sabotage und führt allzu leicht- gläubige DDR-Bürger hinters Licht. Die Staatssicherheit war in die Gestaltung des Drehbuchs involviert und erhoffte sich davon einen direkten Einfluss auf die Bevölkerung (…).
Ob die implizite Botschaft »Seid wachsam!« beim Publikum verfing, erscheint fraglich. Der politische Impuls der Filme und die letztlich wenig überraschenden Ermittlungen, die stets auf das gleiche Ziel hinauslaufen, hemmen den Spannungsbogen (und damit auch den Unterhaltungswert) der Filme. Auch sonst mangelt es ihnen an genrespezifischer Anziehungskraft, weil sie weder ästhetisch noch inhaltlich das Potenzial der Agentengeschichten ausschöpfen können. Die schlichte Eindimensionalität der Schurken lässt diese von vornherein wenig bedrohlich wirken. Und auch die Ermittler der Stasi (oder der Kriminalpolizei) bleiben blasse Figuren, immer ordentlich mit Schlips und Kragen, aber ohne Charisma oder zumindest einen persönlichen Hintergrund, der dem Publikum eine stärkere Identifikation ermöglicht hätte. Interessant sind die Filme heute gleichwohl, weil sie indirekt das Interesse der Staatssicherheit widerspiegeln, das Genrekino zur politischen Beeinflussung des Publikums nutzen zu wollen. Eine wichtige Rolle spielten dabei die dramaturgischen »Kippfiguren«: meist jüngere Frauen oder Männer, die als schwankende Charaktere gezeichnet wurden. Sie durchleben im Verlauf der Filme einen inneren Wandel und gelangen zu der Erkenntnis, dass sie sich nunmehr voll und ganz in den Dienst der »richtigen« Sache stellen wollen. (…)
Ein Kundschafter als Kassenschlager
Die bis 1961 entstandenen Spionagefilme der DEFA scheinen indirekt den späteren Mauerbau zu legitimieren, da die Gefahren, die auf dem Gebiet der DDR drohen, am Ende nur noch durch die offene Sektorengrenze in Berlin bestehen können. Im ideologischen Selbstverständnis der SED war die Mauer eine zwingende Notwendigkeit, um den Aufbau einer sozialistischen Gesellschaft zu schützen. Die Filme unterstreichen diese ideologische Argumentation, die die Gründe für den Mauerbau auf die Gefahrenabwehr reduzierte. Dass es dabei primär darum ging, die anhaltende Fluchtbewegung gen Westen zu stoppen, blieb ungesagt.
Nach dem Mauerbau ließ sich diese Erzählperspektive nicht mehr ohne Weiteres aufrechterhalten. Zumindest waren die aus dem Westen drohenden Gefahren vor dem Hintergrund der nunmehr komplett geschlossenen Grenze kein plausibler Grund mehr, um die Spionagegeschichten zu begründen. Wo sollten die feindlichen Agenten jetzt noch herkommen? Neben dem politischen Hintergrund änderten sich aber auch die ästhetischen Mittel, da sich die DEFA-Filme stärker auf die Prinzipien des Agentengenres einließen, zum Beispiel durch effektvollere Inszenierungen, charismatischere Agentenfiguren oder kontrastreiche Schwarz-Weiß-Bilder. Ihre politische Intention durften sie gleichwohl nicht vernachlässigen, wie im Fall von Reserviert für den Tod von Heinz Thiel, der das Blickfeld Richtung Bundesrepublik verlagerte. Erzählt wird die Geschichte von Erich Becker (Hans-Peter Minetti), einem Ingenieur aus der DDR, der bereits vor dem Mauerbau in die Bundesrepublik übergesiedelt ist und jetzt für den Bundesnachrichtendienst (BND) arbeitet. Er erhält den Auftrag, seinen ehemaligen Vorgesetzten in die Bundesrepublik zu locken. Doch das ist nur ein Vorwand: Als er mit dem Interzonenzug nach Erfurt reist, erfährt er, dass sich an Bord noch ein weiterer westlicher Spion befindet, den Becker umbringen soll. Dieser entpuppt sich ebenfalls als ehemaliger DDR-Bürger und zugleich alter Freund und Kollege von Becker, der ihm einst bei seiner Flucht aus der DDR behilflich war.
Die etwas verworrene Geschichte sollte zeigen, welche verheerenden Folgen eine Flucht in den Westen haben konnte. Eine Chance auf ein besseres Leben bietet sich dort nicht. Stattdessen ist Becker in die Fänge des BND geraten, dessen Arbeit im Film durchweg als schmutziges Geschäft erscheint: Unter den westlichen Agenten, die ohnehin nur nach Geld und persönlicher Karriere streben, herrscht großes Misstrauen. Ein wankelmütiger Charakter wie Becker wird korrumpiert und erpresst. Doch seine Einsicht kommt zu spät. Am Schluss des Films wird er selbst aus dem Zug gestoßen: Die ganze Aktion war nur ein Test des BND, um seine Zuverlässigkeit zu überprüfen.
Unter politischen Gesichtspunkten bot Reserviert für den Tod wenig Neues, im Gegenteil. Die Freund-Feind-Rollen sind abermals klar verteilt, da die Staatssicherheit den Fall binnen kurzer Zeit und mit betont bodenständigen Ermittlungen aufklärt.14 Unter Genre-Gesichtspunkten ist der Film gleich- wohl deutlich ambitionierter als seine Vorgänger. Die starken Schwarz-Weiß- Kontraste (Kamera: Horst E. Brandt) verleihen ihm eine eindringliche Atmosphäre. Und auch die räumliche Fokussierung der Handlung – der überwiegende Teil spielt im Zug – trägt dazu bei, dass der Film sich von den früheren Agentengeschichten der DEFA abhebt. Mögliche Vergleiche zu Strangers on a Train (Der Fremde im Zug, 1951) liegen durchaus nahe, wenngleich unklar ist, ob Thiel und sein Drehbuchautor Gerhard Bengsch den Klassiker von Alfred Hitchcock kannten.15 (….)


Das Publikumsbedürfnis nach einer effektvolleren Darstellung von Agenten und Spionen erfüllte sich indes schon kurze Zeit später mit for eyes only – streng geheim, dem bis heute mit Abstand bekanntesten und erfolgreichsten Agentenfilm der DEFA. Wenn man das Genre enger fasst und auf Filme begrenzt, die schlagfertige Agenten in den Mittelpunkt rücken, wäre for eyes only sogar der einzige »echte« Agentenfilm der DEFA.19 Mit dem MfS-Auslandsagenten Hansen (Alfred Müller) entwickelte der Film den neuen Typ des sozialistischen »Kundschafters«, der im Ausland gegen den Klas- senfeind kämpft, um einen drohenden Angriff auf die DDR zu verhindern.20
Innerhalb weniger Wochen nach Kinostart sahen mehr als eine halbe Million Zuschauer for eyes only im Kino. Jenseits dieser Zahlen lassen sich konkrete Zuschauerreaktionen nachweisen, die insgesamt auf eine positive Resonanz hindeuten.23 Auch viele DDR-Filmkritiker lobten den Film, besonders aufgrund seiner vermeintlich hohen Authentizität.24 Zum Erfolg des Films dürfte neben dem charismatischen Hauptdarsteller vor allem die gen- respezifische Inszenierung beigetragen haben: Mit Auto-Verfolgungsjagden, geheimen Operationsplänen, Schlägereien unter »echten« Männern und aus- gefeilten Spionagetricks – wie zum Beispiel versteckte Kameras oder heim- lich nachgemachte Schlüssel – schöpfte der Film seinen Unterhaltungswert aus dem ebenso spannenden wie trivialen Repertoire des Agentengenres. (…)
Anmerkungen:
1 Vgl. Eva Horn: Der geheime Krieg. Verrat, Spionage und moderne Fiktion. Frankfurt a. M.: S. Fischer Verlag 2007, hier S. 321-325.
2 Vgl. Christoph Classen: Kalter Krieg im Kino: Zur Konjunktur des Agentenfilms in den 1960er-Jahren und ihren Voraussetzungen. In: The Celluloid Curtain, Online-Veranstaltungsdokumentation der Bundeszentrale für politische Bildung, 9.9.2011.
3 Ausnahmen bildeten antifaschistische Agentenfilme aus dem Westen, die sich mit kommunistischen Spionen befassten, wie z. B. Qui êtes-vous, Monsieur Sorge? (Wer sind Sie, Dr. Sorge?, 1960, Yves Ciampi), der ab 1965 in den DDR-Kinos zu sehen war.
4 Auch in der Forschung zu Filmgenres allgemein erscheinen Agenten- und Spionagefilme meist im Graubereich des »Thrillers« oder des »Kriminalfilms« ohne eine klare Abgrenzung. Vgl. zur Bestimmung Hendrik Buhl: Der Kriminalfilm: Polizei/Detektiv. In: Marcus Stiglegger (Hg.): Handbuch Filmgenre. Geschichte – Ästhethik – Theorie. Wiesbaden: Springer VS Ver- lag 2020, S. 475-484.
5 Filmische Spionagemotive lassen sich bis in die Zeit des Ersten Weltkrieges zurückverfolgen, als Geschichten von Geheimagenten erstmals populär wurden. Gehäuft traten diese ab Anfang der 1930er-Jahre auf. Vgl. Georg Seeßlen: Filmwissen: Thriller. Grundlagen des populären Films. Marburg: Schüren Verlag 2013, S. 45-53.
6 Vgl. in diesem Band: Mila Ganeva, Genrekino im Übergang 1946 bis 1949, S. 25-46, hier insbesondere S. 36-40.
7 Vgl. ausführlich hierzu Michael Hanisch: Nachrichten aus einem Land ohne Schurken oder In Diktaturen hat der Krimi nicht viel zu melden. In: Ralf Schenk, Erika Richter (Hg.): apropos: Film 2001. Das Jahrbuch der DEFA-Stiftung. Berlin: Das Neue Berlin 2001, S. 194-222. Siehe auch Ralf Schenk: Mörder unter uns. Die DEFA und der Kriminalfilm: Eine Spurensuche 1953–71. In: Rainer Rother, Julia Pattis (Hg.): Die Lust am Genre. Verbrechergeschichten aus Deutschland. Berlin: Bertz + Fischer 2011, S. 41-52.
8 Vgl. Sigrun Lehnert: »Finstere Gestalten« im Licht der Öffentlichkeit. Spione und Agenten in Wochenschauberichten und Dokumentarfilmen der DEFA. In: Andreas Kötzing (Hg.): Bilder der Allmacht. Die Staatssicherheit in Film und Fernsehen – eine vorläufige Bestandsaufnahme. Göttingen: Wallstein Verlag 2018, S. 58-74.
9 Vgl. ausführlich hierzu Andreas Kötzing: Zwischen Genrefilm und Agitationskino. Insze- nierungen der Staatssicherheit in DEFA-Spielfilmen der 1950er und 1960er Jahre. In: Ders. (Hg.), Bilder der Allmacht, S. 94-113.
10 Vgl. Michael Grikso: Spur in die Nacht – Erste Schritte im Kriminalgenre. In: Ders. (Hg.): Zwischen Historienfilm und Gegenwartskomödie. Studien zum Werk des DEFA-Regisseurs Günter Reisch. Marburg: Schüren Verlag 2013, S. 71-75. In seiner Autobiografie streift Reisch den Film nur kurz. Vgl. Günter Reisch: … will Regisseur werden. Eine DEFA-Filmkarriere. Berlin: Neues Leben 2015, S. 75.
11 Figuren, die mutmaßlich beim Geheimdienst arbeiten, gab es zuvor bereits in Geheimakten Solvay (1952, Martin Hellberg) und Der Fall Dr. Wagner (1954, Harald Mannl), allerdings werden diese namentlich nicht als Mitarbeiter des MfS benannt und agieren als einfache »Kriminalbeamte«.
12 Aus dem Vorwort zum Drehbuch, zit. nach Frank-Burkhard Habel: Das große Lexikon der DEFA-Spielfilme, Neuausgabe, Bd. 2. Berlin: Schwarzkopf & Schwarzkopf Verlag 2017, S. 8
13. Vgl. zur Intention des Films: Schenk, Mörder unter uns, S. 43-44.
14 Vgl. Kötzing, Zwischen Genrefilm und Agitationskino, S. 104-105.
15 Vgl. Hanisch, Nachrichten aus einem Land ohne Schurken, S. 207.
16 Vgl. z. B. G. S. (Günter Sobe): DEFA-Kriminalfilm: Reserviert für den Tod. In: Berliner Zeitung, 13.6.1963.
17 In Interviews und Zeitungsberichten war mehrfach davon die Rede, dass die Handlung des Films auf authentischem Aktenmaterial der Staatssicherheit basiere. Vgl. Bernd Stöver: »Das ist die Wahrheit, die volle Wahrheit«. Befreiungspolitik im DDR-Spielfilm der 1950er und 1960er Jahre. In: Thomas Lindenberger (Hg.): Massenmedien im Kalten Krieg. Akteure, Bilder, Resonanzen. Köln: Böhlau 2006, S. 49-76, hier S. 55.
18 Vgl. Horst Knietzsch: Banditen unter sich. In: Neues Deutschland, 7.6.1963, S. 4.19 Diese »Lücke« füllten in den DDR-Kinos nicht zuletzt Agenten- und Spionagefilme aus ost-europäischen Ländern, die beim Publikum sehr beliebt waren. Dazu gehörten u. a. Smyk (Dem Abgrund entgegen, 1960, Zbyněk Brynych), Sa furat o bombă (Die gestohlene Bombe, 1961, Ion Popescu-Gopo), Foto Haber (1963, Zoltán Várkonyi) oder Spotkanie ze szpiegiem (Begegnung mit einem Spion, 1964, Jan Batory).20 Die Bezeichnung »Kundschafter« war innerhalb des MfS für die Agenten im Auslandseinsatz geläufig, anstelle des negativ konnotierten Begriffs »Spion«. Sie war jedoch keine Erfindung der Staatssicherheit, sondern reicht weit bis ins 19. Jahrhundert zurück.