Geschrieben am 11. Dezember 2010 von für Crimemag, Porträts / Interviews

Zoë Beck im Gespräch mit Denise Mina

Denise Mina: „Schreiben ist Arbeit, aber das will keiner hören“

– Denise Mina hat vor kurzem ihre dritte Krimireihe begonnen. Wieder steht mit Alex Morrow eine Frau im Mittelpunkt, die wirklich gar nichts gemein hat mit den selbstbewussten, hochintelligenten und attraktiven Ermittlerinnen, die man aus TV und Bestsellern so kennt. Und das findet die Schottin Mina sehr gut so. Zoë Beck hat sich mit ihr in Glasgow unterhalten

 

 

ZB: Ich treffe dauernd Krimiautoren, die sagen, dass sie gar keine Krimiautoren sind und auch gar nicht verstehen können, warum man sie als Krimiautoren bezeichnet. Du sagst aber immer, dass du Krimiautorin bist, und das scheint dich auch nicht weiter zu stören.

DM: Ich wollte immer Krimiautorin sein. Krimiautoren werden gelesen, sie verkaufen gut. Es gibt zwar genügend Leute, die auf uns herabschauen, aber wir können immer noch herabschauen auf die Autoren von Science Fiction, Liebesromanen, Comics … Wir sind noch lange nicht das unterste Ende! Ich glaube, die meisten Leute denken wirklich so: Hohe Literatur liest man mit der Hand am Kinn und einem ernsten Gesicht. Um Krimis zu lesen, braucht man nur noch das halbe Hirn. Eigentlich muss der Blick nur ein wenig über die Seiten schweifen. Science Fiction-Leser schaffen es gerade so, die Seiten in der richtigen Reihenfolge umzublättern. Wer Liebesromane liest, hat wahrscheinlich schon Schwierigkeiten, das Buch richtig herum zu halten.

ZB: Prima. So lange noch genug Platz nach unten ist, ist doch alles gut.

DM: Viel Platz nach unten.

ZB: Ich fand die Schotten dem Beruf des Schriftstellers immer deutlich liebevoller gegenüber eingestellt als die Deutschen. In Deutschland sagt man: Ich schreibe ein Buch. Und die erste Reaktion ist: Ja genau, und was machst du in echt beruflich? In Schottland hört man eher sowas wie: Oh prima, ich will es lesen!

DM: Weil sie selbst alle schreiben. Nein, im Ernst, den Schotten liegt das Geschichtenerzählen im Blut, es hat Tradition.

ZB: Das ist doch schön, nein? Eine Nation, die der Schreiberei so positiv gegenübersteht. Und das Ganze vor allem auch als Handwerk begreift.

DM: Was?

ZB: Na ja, es gibt hier schon viel länger Schreibkurse an der Uni als in Deutschland, wo alle drauf warten, dass die Erleuchtung kommt und 250 Seiten füllt. Lernt man da etwa nicht sein Handwerkszeug?

DM: Nein. Viele Creative Writing Kurse sind doch Betrug.

ZB: Oh, aber …

DM: Es gibt gute, sicher, das hängt alles sehr stark am Anbieter. Aber es gibt viel Abzocke. Jeder will schreiben. Kein Mensch will hören, dass Schreiben auch Arbeit ist. Genialität fällt vom Himmel, so stellen sich das die meisten doch vor.

ZB: Und wie ist deine geniale Idee für den ersten Roman vom Himmel gefallen?

DM: Ich saß damals an meiner juristischen Doktorarbeit, es ging um die Zuschreibung psychischer Krankheiten bei straffälligen Frauen. Ein wichtiges Thema, jeder sollte etwas darüber erfahren, fand ich. Aber kein Mensch liest eine Doktorarbeit. Ich dachte: Wie erreiche ich die Leute? Sie lieben Krimis! Also schreibe ich einen Krimi.

ZB: Siehst du dich da in einer bestimmten Tradition?

DM: Ich bin Feministin und schreibe feministische Bücher. Ich sehe mich weniger in der Krimitradition als in der von feministischen Autorinnen. Oder willst du auf Tartan Noir hinaus?

ZB: Eher weniger. Das ist ja mehr Sammelbegriff als Tradition.

DM: Es ist ein erfundenes Label. Ian Rankin ist so wahnsinnig bekannt, und immer, wenn er im Zusammenhang mit Tartan Noir erwähnt wird, nennt man noch unsere Namen: Val McDermid, Louise Welsh, Denise Mina. Wir machen alle ganz unterschiedliche Bücher, es gibt kein Tartan Noir als Genre, aber die Bezeichnung hilft uns, bekannter zu werden. Also hab ich nichts dagegen. Diese ganzen Labels finde ich im Grunde nicht so schlecht. Wir wollen doch verkaufen, und wenn sie uns helfen zu verkaufen – warum nicht? Das Problem ist nur, wenn ich zu laut sage, dass ich feministische Krimis schreibe, stellen sie mich in der Buchhandlung in ein anderes Regal, und ich verkaufe nichts mehr. Mein Verlag fände das nicht so gut.

ZB: Also nutzt du ein erfolgreiches Genre, um sozialkritische Inhalte, wichtige Themen zu transportieren.

DM: Es ist so wichtig, politisch zu sein und das auch zu zeigen. Die meisten Krimis sind politisch, und man bekommt es nicht mit. Du wirst in eine spannende Geschichte reingezogen, du willst wissen, wie es weitergeht, du merkst gar nicht, wie manipulativ die Sache gerade ist. Einige US-amerikanische Krimireihen sind politisch extrem rechts, aber man geht darüber hinweg, weil man sich dafür interessiert, wie es weitergeht. Dass die angeblich guten Detectives Menschen- und Bürgerrechte verletzen – egal, Hauptsache sie kriegen den Bösewicht, ha! Ist das nicht gruselig, was sie uns da alles unterjubeln? Und im Fernsehen haben sie den Quotenschwarzen, der in jedem Team mit dabei ist. Er bekommt zwar am wenigsten Text, aber das merkt ja keiner. Dann ist noch ein Quotenlatino im Team, und eine Quotenfrau …

ZB: Im deutschen Fernsehen ist es seit ein paar Jahren sehr lustig, da ermitteln so viele Frauen …

DM: Echt? Aber wird denn auch gezeigt, welche Probleme sie haben?

ZB: Klar. Ein bisschen Stress mit der Kinderbetreuung wegen der langen Arbeitszeiten hier, ein bisschen Ärger mit den Männern wegen der langen Arbeitszeiten da, aber die Karriere läuft super.

DM: Klar. Sie erspüren ja auch den Täter, sobald sie ihn sehen.

ZB: Tja. Deine Frauen können das nicht.

DM: Nö. Ich wollte weibliche Ermittler zeigen, die eben nicht die ganze Zeit einfühlsam und sensibel sind. Sie haben Stress, sie haben Probleme privat wie beruflich, sie müssen hart arbeiten und um ihren Job kämpfen. Normale Frauen eben.

ZB: Die Abbildung der Realität in der Literatur?

DM: Es geht mir um Radikalität. Dahin muss die Diskussion wieder gehen. Es gibt Autoren, die meinen, Radikalität besteht darin, Anführungszeichen wegzulassen oder keine Punkte mehr zu machen. Wir brauchen die richtigen Inhalte.

Denise Mina: In der Stille der Nacht (Still Midnight, 2009). Deutsch von Conny Lösch. München: Heyne 2010. 480 Seiten. 8,95 Euro.
Eigentlich hätten wir uns das Interview auch sparen können, weil hier eh alles gesagt wird
Aktuelles Buch “In der Stille der Nacht”
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