Geschrieben am 19. November 2011 von für Crimemag, Porträts / Interviews

Christophe Dupuis im Gespräch mit Don Winslow

„Am Ende wird man immer aus einem Paradies vertrieben.“

[[Don Winslow]] gehört zu den spannendsten Autoren von Kriminalromanen. Nicht nur wegen seiner Stoffe, sondern auch wegen seiner künstlerischen Vielfalt und seiner stilistischen Variabilität. Unser französischer Freund und Kollege Christophe Dupuis hat sich mit ihm unterhalten, Barbara Bonneau hat das Gespräch übersetzt …

CD.: Wenn ich Ihre Biografie lese, dann kommt mir die Vielzahl der von Ihnen ausgeübten Jobs (Schauspieler, Regisseur, Privatdetektiv, Safarileiter, Lehrer, Journalist, Sicherheitsagent und Koordinator für die Simulation von Geiselnahmen) typisch amerikanisch vor und ich verstehe, woher der Stoff zu Ihren Romanen kommt. Aber was hat bei Ihnen das Schreiben ausgelöst?

DW: Ich wollte schon immer schreiben. Die Helden meiner Jugendzeit waren Romanschriftsteller: Robert Ruark, Leon Uris, Ernest Hemingway und F.Scott Fitzgerald und all die anderen Bücher, die mein Vater mir zu lesen gab. Ich war immer überzeugt, dass es mir gut gehen würde, wenn ich Schriftsteller werden würde. Doch wie Sie schon anklingen ließen, habe ich eine ganze Weile gebraucht, um es zu werden. Ich musste zusehen, wie ich meinen Lebensunterhalt verdiente. Aber ich habe interessante Jobs ausgeübt, ich konnte reisen, ich bin in ganz andere Welten, andere Kulturen, ja sogar Subkulturen eingedrungen. Während dieser Zeit habe ich immer geschrieben,  doch erst nach mehreren Jahren war ich soweit, dass ich auch an Veröffentlichung dachte. Ich glaube, die Angst vor einem Misserfolg hat mich lange daran gehindert, mich ernsthaft dem Schreiben zuzuwenden.

Beginnen wir mit Tage der Toten … Wenn ich so ein starkes und präzise dokumentiertes Buch in der Hand habe, frage ich mich immer, was einen Autor dazu bringt, so einen Roman zu schreiben. Etwa Wahnsinn? Wieviel Arbeit steckt darin? Wie viele Schriften, Berichte und Quellen haben Sie durchgearbeitet, wie viele Menschen getroffen? Und wussten Sie schon vorher, dass es so ein dickes Buch werden würde?

Wahnsinn ist das richtige Wort. Nein, ich hatte zuvor keine Vorstellung davor, was für eine Irrfahrt das werden würde. Ich recherchierte und recherchierte immer weiter. Je mehr Informationen ich sammelte, um so größer wurde meine Wut. Da wusste ich dann, dass es ein dickes Buch werden musste, wenn ich der Geschichte gerecht werden wollte. Ich habe 5 Jahre zum Niederschreiben gebraucht, und habe dann den Text noch einmal neu schreiben müssen, denn ich musste das Orginalmanuskript aufteilen. Ich kann gar nicht mehr sagen wie viele Bücher, Artikel, Anhörungsprotokolle des Senats, Gerichtsurteile, Berichte von Polizei und Geheimdiensten ich durchgeackert habe. Wie viele Personen ich getroffen habe? Zu viele. Ehrlich gesagt, ich wusste zu Beginn keineswegs, auf was ich mich eingelassen hatte.

2011 ist ein ausgezeichnetes Jahr für uns Leser, denn Zeit des Zorns ist gerade erschienen …
Dieser Roman knüpft wieder an den Drogenhandel an und man kommt nicht umhin, an Tage der Toten zu denken. Wenn ich die Reaktionen der Leser sehe, frage ich mich: Gibt es einen Don Winslow vor Tage der Toten und einen Don Winslow danach? Mit einem anderen Ansatz landen Sie wieder beim Drogenhandel und seinen Kartells. Was war der Ausgangspunkt für diesen Roman?

Ich glaube, dass ich seit Tage der Toten ein anderer geworden bin. Ich habe fünf Jahre meines Lebens damit verbracht und bin dabei auf Dinge gestoßen, die ich vielleicht gar nicht wissen wollte. Doch wenn man erst einmal Früchte vom Baum der Erkenntnis gepflückt hat, kann man sie nicht wieder zurückgeben. Am Ende wird man immer aus einem Paradies vertrieben.
Der Ausgangspunkt für Zeit des Zorns? Ich war aufgebracht und habe wütend das inzwischen berühmte Kapitel I getippt. Okay, habe ich mir dann gesagt und was machst du damit? Wer hat denn eine solche Fresse? Warum? Ich hatte keine Geschichte im Kopf, als ich mit dem Schreiben anfing.

In Pacific Private verwenden Sie auch zu Beginn und Ende des Romans eine Struktur aus kurzen Kapiteln, und sorgen damit für den tollen Rhythmus der Passagen. In Tage des Zorns ist Ihre Erzähltechnik anders, aber wie sind Sie denn auf die Idee gekommen, mit einem durchschlagenden „fuck you“ zu beginnen?

Wie ich schon sagte, die Wut. Ich wollte nur schreiben, wie es mir gefällt zu schreiben, ohne die üblichen Regeln oder die angeblichen Normen eines Krimis zu beachten. Dieses erste Kapitel ist gewissermaßen eine Unabhängigkeitserklärung.

Das Seitenlayout ist stark ausgearbeitet und verleiht Ihrem Stil eine gewisse Musikalität. Man denkt an David Peace oder Ken Bruen … Wie haben Sie diesen Stil erarbeitet?

Vielen Dank für den schmeichelhaften Vergleich, Ken gehört sogar zu meinen Freunden. In manchen Fällen habe ich die Worte so auf die Seite gesetzt, dass dazwischen Pausen entstehen, genau wie in der Musik. Ich hatte einen ganz bestimmten Ton dabei im Kopf und ich wollte, dass der Leser ihn auch hört. Beim Schreiben von Zeit des Zorns haben mich [[Charlie Parker]], der frühe [[Miles Davis]], [[John Coltrane]] und auch die Musik zu den Filmen der französischen Nouvelle Vague inspiriert.

Vielleicht irre ich mich, aber ich habe den Eindruck, dass Sie sich beim Schreiben von  Zeit des Zorns superwohl gefühlt haben, so cool wie Ihr Trio vor dem Auftritt des Kartells? Stimmt das?

Ja. Ich muss aber gleich noch klarstellen, dass ich bei diesem Trio meiner Fantasie freien Lauf gelassen habe. Es sind keine eigenen Erlebnisse! Richtig, das Schreiben an diesem Buch hat mir Spaß gemacht

Sie gehen sogar so weit und wenden sich direkt an den Leser. An wen denken, Sie, wenn Sie schreiben?
Ich schreibe gern so, als ob ich einem Kumpel in einer Kneipe eine Geschichte erzähle. Aber meine ersten Entwürfe schreibe ich eigentlich immer erst für mich.

Trotz des leichten Tonfalls gibt es sehr schwarze Passagen wie zum Beispiel „Ben fühlte sich übel und hatte praktisch alles satt. Er fürchtete, sehr bald eine weit verbreitete Meinung über die Menschheit zu teilen, nämlich dass die Menschen im Grunde nur Scheiße sind.“ Ist das Ihre Meinung über homo sapiens?
Die Menschen sind durchaus nicht meine Lieblingsgattung. Hunde und Elefanten sind uns zum Beispiel weit überlegen. Es scheint keine Grenzen für unser Bedürfnis zu geben, uns gegenseitig fertig zu machen.

Man liest auch einige Spitzen gegen die aktuelle Politik:
“Rezession
Depression
Repression
egal welches Wort, der zu verteilende Kuchen wird kleiner und die Messer sind gezückt“ …
Optimismus ist nicht mehr an der Tagesordnung?

Nein, ich sehe das nicht so. Ich bin nämlich Optimist. Wir haben einen Schwarzen zum Präsidenten gewählt, die Rechte der Homosexuellen haben sich schnell und beträchtlich verbessert.  Es bestehen noch eine ganze Reihe von idiotischen Verhältnissen, aber ich nehme an, dass es sich dabei um die letzten Züge einer absterbenden Gesellschaft handelt. Viele Weiße sind wütend über das, was passiert, aber dazu gehöre ich nicht. Was mir dagegen wirklich Sorgen macht, ist der immer tiefer werdende Graben zwischen Arm und Reich.

Die Filmrechte wurden von [[Oliver Stone]] erworben. Wie kam es dazu?
Er hat mich angerufen. Wir sind Essen gegangen und haben viel über Truffaut, Godard und Melville gesprochen. Ich habe versucht, in einem Krimi das gleiche zu machen, wie diese Leute in ihren Filmen und Oliver hat das kapiert.

Und jetzt arbeiten Sie am Drehbuch. Das ist doch sicherlich spannend für Sie. Können Sie uns dazu etwas sagen?
Es ist schon eine merkwürdige Erfahrung, sein eigenes Erzeugnis für ein anderes Medium aufzubereiten. Ich weiß, dass ganze Teile wegfallen müssen, doch die Auswahl ist sehr schwierig. Außerdem ist das Verfassen des Drehbuchs eher eine Gemeinschaftsarbeit und keine persönliche Leistung. Man schafft damit eine Art Zwischenprodukt und keine Endprodukt. Es ist schon merkwürdig, aber man lernt viel dabei …

Vielen Dank für das Gespräch
Ich danke Ihnen …

Christophe Dupuis/Barbara Bonneau

Christophe Dupuis

Barbara Bonneau

Christophe Dupuis ist auf Kriminalliteratur spezialisierter Buchhändler in Langon in Aquitanien und seit über 15 Jahren mit allem befasst, was Kriminalliteratur angeht. Seine Interviews und Newsletter zum französischen Betrieb wirken weit über Frankreich hinaus. Nur ein Buch hat er noch nicht geschrieben. Zur Buchhandlung geht es hier. Die Übersetzung besorgte dankenswerterweise Barbara Bonneau vom Goethe-Institut Bordeaux

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