Geschrieben am 1. März 2023 von für Crimemag, CrimeMag März 2023

Christine Wunnicke über die wilde Margherita Costa (1600-1647)

„Die schöne Frau bedarf der Zügel nicht“ – Ein Textauszug aus Christine Wunnickes Porträt, Werkauswahl und Übersetzung aus dem Italienischen

Dies ist ein Buch, bei dem Leserinnen und Lesern das Herz aufgeht, wie man so schön sagt. Freuden-Lektüre. Von Antje Haack gestaltet und Beate Zimmermanns gesetzt, mit der ganzen Premiumqualität des Berenberg Verlags handschmeicherlisch in unsere Hände transportiert, ist dies eine der literarischen Entdeckungen des Frühjahrs.

Margherita Costa, um 1600 geborene Römerin, war eine Vollblutautorin, die wir nun dank ihrer heutigen Kollegin Christine Wunnicke entdecken können. Es ist eine der schönsten und vornehmsten Eigenschaften von Schriftstellern, das Licht auf andere Autor:innen zu lenken; hier geschieht es in wunderbarer Art. Mit freundlicher Genehmigung des Verlages bringen wir Ihnen einen Auszug aus Christine Wunnickes Vorwort.

Treten Sie näher und lernen Sie eine jahrhundertelang völlig vergessene Autorin kennen. Sie war Opernstar und Kurtisane, Intima dreier Papstfamilien und Räuberbraut, Feministin und Pornographin, Mutter vieler Töchter unklarer Herkunft. Sie wagte sie sich an Textsorten aller Art – von der Liebeslyrik bis zur Sexkomödie, von der Autofiktion bis zum Pferdeballett. Aus ihrer Dichtung strahlt die Sinnlichkeit, von Christine Wunnicke in funkelndes Deutsch gebracht. Und damit uns geschenkt.

Margherita Costa: Die schöne Frau bedarf der Zügel nicht. Porträt, Werkauswahl und Übersetzung aus dem Italienischen von Christine Wunnickes. Zweisprachig Italienisch – Deutsch. Berenberg Verlag, Berlin 2023, 352 Seiten, Abbildungen, Halbleinen, fadengeheftet, 30 Euro.

Aus Christine Wunnickes Vorwort: Vom Leben, Schreiben und Verschwinden der Virtuosin Margherita Costa

Ich lebte wechselvoll, auf tausend Arten,
nach meinem Willen, Gut und Schlecht vermengt. 
Ich lebte frei, bis mich zwei Augen narrten,
die mich in Liebesfesseln eingeengt.
Ich sah die Tugend, ich sah Missetaten,
bald war ich glücklich, bald in Gram versenkt, 

doch niemals führte ich ein stilles Leben; nach froher Ruhe will ich fortan streben. 

Allzu viel frohe Ruhe war Margherita Costa nicht vergönnt. Ob sie danach strebte, ist fraglich. Sie liebte die Selbstbetrachtung. Allerdings sollte man sich hüten, ihre Geständnisse und Pläne für bare Münze zu nehmen. Viele ihrer Gedichte folgen dem Schema »bisher tat ich dieses, in Zukunft will ich jenes tun«: »Ich will kein Lotterleben mehr führen, ich will meine Ruhe«; »ich will nicht mehr singen, ich werde Hausfrau«; »ich verabschiede mich von der Liebe, ich will fortan nur noch handarbeiten« (S. 106); »ich will meinen irdischen Besitz loswerden, ich gehe nämlich ins Kloster« (S. 332); »ich werde mich nicht mehr schönmachen, ich will nur noch dichten« (S. 164); »ich hänge die Dichtkunst an den Nagel und werde in Zukunft beleidigt schweigen« (S. 198). Keinen dieser Vorsätze hat sie je erfüllt. Oft sind zwei gegensätzliche Zukunftsvisionen im selben Buch abgedruckt. Nur einer Aussage widerspricht sie nie: Vissi a mia voglia – ich lebte nach meinem Willen. 

Im Oktober 1680, etwa zwanzig Jahre nach ihrem Tod, lieh Antonio Magliabechi, Bibliothekar des Hauses Medici, ihre gesammelten Werke an einen Interessenten aus. Die Angelegenheit war ihm anscheinend nicht ganz geheuer. Er rechtfertigte sich in einem Brief: 

Alle, welche die Costa gekannt haben, versicherten mir einstimmig, dass sie mit den einzigartigsten Gaben gesegnet und von unvergleichlicher Zucht und Höflichkeit war. Es ist wahr, dass sie für einige Zeit die Hurenkunst übte; dies könnte man allerdings auch verschweigen, da es mir nicht notwendig erscheint, dass jemand, der Literaten katalogisiert, in einem solchen Verzeichnis auch all ihre Makel aufführt. Zumal sie diese Tätigkeit wohl nur früh und vielleicht aufgrund von Armut oder wegen ihrer Eltern etc. ausübte. Gewiss ist, dass alle, die sie kannten, sie mir als sehr anständig, sehr höflich, als Virtuosin in tausend Dingen und auch als sehr fromm empfohlen haben. 

Virtuosin (virtuosa) und Hure (meretrice, wörtlich »Geldverdienerin«) sind die Wörter, mit denen Margherita Costa am häufigsten beschrieben wurde. Das Adjektiv virtuoso bedeutet »tugendhaft«, »befähigt«, »kenntnisreich«, auch »tapfer«. Unter einem virtuoso verstand man einen Künstler oder Gelehrten in den verschiedensten Disziplinen von der Malerei bis zur Alchemie, auch einen interessierten Dilettanten, einen Sammler, einen Schöngeist. Ein wenig Libertinage schwingt mit, ein wenig Merkwürdigkeit, und manchmal wurde das Wort auch ironisch gebraucht und ähnelte dem modernen »Nerd«. 

Noch schillernder ist die weibliche Form. Meistens war eine virtuosa eine Sängerin, sie konnte aber auch eine andere Künstlerin sein, eine donna accademica – ein Blaustrumpf, ein »gelehrtes Weib« – oder aber eine Frau, die in irgendwelchen Künsten bewandert war, auf die man vielleicht nicht näher eingehen wollte. Hier schließt sich der Bogen zur meretrice

Margherita Costa war in ihrer Heimatstadt Rom als Prostituierte registriert. Der Beleg findet sich in einem Testament von 1635, von dem später noch die Rede sein wird. Zu diesem Zeitpunkt war sie seit mindestens zehn, wahrscheinlich schon seit fast zwanzig Jahren im Geschäft; Magliabechi irrt, wenn er ihre Hurenkunst für eine Jugendsünde hält. 

Dem Testament ist ebenfalls zu entnehmen, dass Margherita als älteste Tochter eines Cristoforo Costa und seiner Frau Dorotea in Rom zur Welt kam. Sie hatte zwei Schwestern, Anna Francesca, genannt Checca, die ebenfalls eine Karriere als Kurtisane und Sängerin begann, und eine weitere Anna, von der man nur weiß, dass sie eines Tages ins Kloster ging, sowie einen Bruder, Paolo. 

Alle Lebensdaten der Familie Costa sind unbekannt. Ein Theateragent, der Margherita 1646 in einem Brief erwähnte, gab ihr Alter mit siebenundvierzig an; damit wäre sie um die Jahrhundertwende geboren.
Die Prostitution war in Rom ein legales, steuerpflichtiges und streng reglementiertes Gewerbe. Als donna libera war eine Hure eine mündige, geschäftsfähige Unternehmerin, die keinem Mann Rechenschaft schuldig war. Sie durfte Verträge unterzeichnen, Immobilien kaufen und verkaufen, Schulden eintreiben, Prozesse führen, mit Pfandbriefen handeln und Bürgschaften übernehmen; auf der anderen Seite durfte sie die heilige Kommunion nicht empfangen. Sie durfte in der Dunkelheit das Haus nicht verlassen, keine Seide tragen, nicht Kutsche fahren, sich nicht verkleiden, vor allem nicht als Witwe, Nonne oder Mann. Sie durfte sich keinen bewaffneten Männern nähern, was für Freunde und Kunden ebenso galt wie für den Personenschutz, den sie bezahlen musste, wenn sie nicht alleine in all ihrem teuren Putz zu Fuß oder in einer klapprigen Sänfte die Stadt durchqueren und einen Raubüberfall riskieren wollte. Sie durfte nicht heimlich, in Teilzeit, unter dem Deckmantel eines anderen Berufes oder in der Nähe einer Kirche arbeiten; sie durfte keinen Zuhälter haben oder selbst als Zuhälterin tätig werden; sie musste in Trastevere wohnen; strenggenommen musste sie sogar ein gelbes Stück Stoff an ihrer Kleidung befestigen, doch diese alte Vorschrift wurde im 17. Jahrhundert nicht mehr durchgesetzt. 

Die römischen Hurengesetze wurden sehr unterschiedlich und willkürlich ausgelegt, nicht nur abhängig vom Status der Delinquentin. Selbst eine elegante Kurtisane war nicht davor gefeit, wegen einer Kutschfahrt oder einer Seidenmantille öffentlich ausgepeitscht und nach Konfiszierung ihres Besitzes aus der Stadt gejagt zu werden. Gleichzeitig liefen die Huren in solchen Horden durch die römischen Straßen, dass Touristen und Pilger ihren Augen nicht trauten, und der Heilige Stuhl strich ihre Steuern und Bußgelder ein. Und natürlich erhielten sie doch die heilige Kommunion – unauffällig, vor der Frühmesse, gegen eine kleine Spende. Um in diesem Beruf erfolgreich und halbwegs sicher zu sein, brauchte man vor allem eines: gute Beziehungen. 

In ihrem Gedicht Elisa infeliceworin die Autorin unter dem Namen Elisa Teile ihres unglückseligen Lebens beschreibt, blickt Margherita Costa mit Stolz und ohne falsche Bescheidenheit auf den Beginn ihrer Karriere zurück: 

Auf ihrem Thron, wie eine Königin,
hielt sie Hof, der Venus Ebenbild,
der höchste Geist, der unbeugsamste Sinn – nur sie hat solche Leidenschaft gestillt.
Ein Heer Verliebter drängte zu ihr hin,
von Amors Strahlen war sie eingehüllt; 

ein einz’ger Blick aus ihren schönen Augen konnte Zeus des Donnerkeils berauben. 
Und auch mit Wohlklang fing sie alle Seelen, da sich die Schönheit mit Musik verband, man ließ sich von Elisa gerne quälen,
ein jedes Herz hielt sie in ihrer Hand. 

Zur neuen Göttin möchte man sie wählen, die Winde standen still, sobald sie sang. 
Dank ihren Gaben, ihrem süßen Ton sah man die Sterne selbst in Konjunktion. 

Der Beruf einer Kurtisane war durchaus attraktiv. Es muss nicht die bitterste Armut gewesen sein, die Margherita Costa diesen Weg wählen ließ, wie der Bibliothekar Magliabechi vermutete. Sein Nachfolger, der ebenfalls mit der Katalogisierung ihrer Werke beschäftigt war, nannte sie eine Römerin aus niedrigstem Stande, doch ist das wohl nicht ganz wörtlich zu nehmen. Sowohl Margherita als auch ihre Schwester Checca lernten lesen und schreiben und genossen eine musikalische Ausbildung; es ist unwahrscheinlich, dass die Familie Costa in der Gosse lebte. 

Christine Wunnicke © Monika Hoefler

Wollte sich eine Kurtisane in Rom gegen die Konkurrenz durchsetzen, musste sie Geld investieren. Sie brauchte elegante Räumlichkeiten, Kleidung, Schmuck und Schönheitsmittel, Bedienung, Bewirtung. Ölgemälde mit mythologischen Szenen für Schlafgemach und Salon. Bücher, um sich fortzubilden, damit sie artig parlieren konnte und die Kundschaft nicht langweilte. Eine Laute und eine Gitarre, vielleicht auch ein Cembalo. Ein Himmelbett mit vielen Matratzen, feinem Bettzeug, Samtkissen, Vorhängen und Draperien, so dramatisch wie eine Opernbühne. Bestechungsgelder für die Sittenpolizei. Die perfekte Kurtisane war ihr eigenes Kunstwerk, ein Echo der antiken Hetäre, Frau Venus in Menschengestalt; eine solche Illusion war nicht gratis. 

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