Geschrieben am 11. Dezember 2010 von für Crimemag, Vermischtes

Das Lebensrisiko von Journalisten

Viva Sisyphos!

Journalisten gehören allerspätestens seit Eric Ambler zum Grundbestand des Polit-Thrillers. Und in der realen Welt werden sie, siehe die Vorgänge um WikiLeaks, nicht nur von tyrannischen Regimen oft ungern gesehen. Ihr Blick auf die Welt, ihre Erfahrungen, ihr Wissen lässt sich – siehe u.a. David Ignatius oder Robert Littell – nur fiktionalisieren. Aber erst einmal muss man aus dem Schlamassel wieder rauskommen. Carl Wilhelm Macke erinnert an ein paar unschöne Tatsachen.

Christiane Amanpour, Starkorrespondentin von CNN, liebt die direkte Rede. „Egal ob Staaten, Paramilitärs, Aufständische – alle wollen nur noch ihre eigene Sicht der Dinge in der Welt haben und deswegen die unabhängigen Informationsquellen zum Schweigen bringen. Immer mehr Journalisten werden „verletzt, gekidnappt oder umgebracht. Mord ist die führende Todesursache von Journalisten“. Und wer Belege dafür sucht, muss sich nur einmal die traurigen Bilanzen der einschlägigen Organisationen ansehen, wie etwa des amerikanischen Committee to Protect Journalists, der französischen ‚ Reporters sans Frontiers’ oder z.B. auch der Journaliste en danger aus dem Kongo. Allein im Irak sind seit dem Einmarsch der US-geführten Truppen im März 2003 230 Medienmitarbeiter getötet worden. Für 2010 werden in der Statistik der ‚Reporter ohne Grenzen’ bislang 44 getötete Journalisten und 2 getötete Medienmitarbeiter genannt. 149 befinden sich in Haft (Stand Dezember 2010).

In Ländern wie Mexiko oder Kolumbien muss jeder Journalist, der über die Drogenmafia recherchiert, immer mit dem Tod rechnen. Aber auch aus Kroatien und dem Süden Italiens werden immer wieder Fälle von Journalisten berichtet, die wegen ihrer Recherchen über Korruption ins Fadenkreuz der organisierten Kriminalität geraten. Nach wie vor katastrophal ist die Situation des unabhängigen Journalismus auf Seiten der Zivilgesellschaft in Belarus oder in den zentralasiatischen Staaten. Ein Hohn war es, wie devot jüngst Vertreter diverser demokratischer Staaten anläßlich der OSZE-Konferenz in Kasachstan die stark eingeschränkte Pressefreiheit in diesem Land beschwiegen haben. „Angriffe auf Medienschaffende, Zensur und Gerichtsverfahren gegen Medien und Journalisten gehören“, so klagten laut und vernehmlich nur die ‚Reporter ohne Grenzen’ die Situation für freie Journalisten in diesem Land an, „zum Alltag der ehemaligen Sowjetrepublik.“ Unzählige Journalisten und Blogger sitzen in iranischen Gefängnissen oder befinden sich auf der Flucht in europäische Staaten. Kaum wahrgenommen wird in der Weltöffentlichkeit die desaströse Situation der Medien und mit ihnen auch der Journalisten in den Ländern am Horn von Afrika usw. usw. Wer sich in den verschiedenen humanitären Organisationen engagiert, wird ständig mit den Schicksalen von Journalisten, Medienmitarbeitern und  Schriftstellern konfrontiert, die das Menschenrecht auf Meinungs- und Pressefreiheit mit hohem persönlichen Risiko verteidigen. Viva Sisyphus!

Warum engagieren sich dann aber trotzdem viele Menschen – und es sind vor allem viele Jugendliche und auffallend viele Frauen darunter – in Projekten und Netzwerken, die in einem vielleicht naiven Sinne und ‚wider alle Vernunft’ an eine Zivilisierung der Welt glauben? So existiert zum Beispiel seit Jahren weitgehend im Schatten medialer Öffentlichkeit ein ermutigend dichtes internationales Netz einer ‚Civil Globalisation“. Journalistinnen und  Journalisten aus fast allen klassischen und neueren Ressorts  der Medien unterrichten sich dort gegenseitig über Notfälle unterdrückter oder bedrohter Kollegen, sie sammeln Geld oder technisches Equipment für Medienprojekte auf dem Balkan, in Afrika oder Lateinamerika. Sie unterstützen auf jede erdenkliche Art – und das fast immer jenseits öffentlicher Aufmerksamkeit – Publizisten und Schriftsteller, die beispielsweise aus ihren diktatorisch geführten Heimatländern nach Deutschland geflohen sind. An erster Stelle ist hier das globale Netzwerk Journalists in Distress zu nennen. Dem haben sich auch das amerikanische Committee to Protect Journalists, die Reporters Sans Frontieres, das kanadische IFEX-Büro (International Freedom of Expression Exchange), der britische Rory-Peck-Trust (entstanden nach dem gewaltsamen Tod des Kameramannes Rory Peck 1993 in Moskau), Front Line aus Irland, der internationale PEN, und der Münchner Verein Journalisten helfen Journalisten angeschlossen. Über das Internet sind diese Gruppen rund um die Uhr und auch fast rund um den Globus jederzeit vernetzt und können sich so gegenseitig informieren. Koordiniert wird dieses Netz von der kanadischen Organisation Canadian Journalists for Free Expression (CJFE), die wiederum auch das zwei Mal wöchentlich erscheinende IFEX-Comunique herausgibt. Dieser Newsletter berichtet kontinuierlich und mit detaillierter Verlinkung zu den jeweiligen Quellen über Verletzungen der Pressefreiheit und Behinderungen von Journalisten vornehmlich in den weltweiten Kriegs- und Krisengebieten.  Kontakte gibt es auch zu den großen etablierten Hilfsorganisationen wie den Ärzten ohne Grenzen oder  Medico International.

Die Möglichkeiten, Betroffenen aus der Ferne zu helfen, sind oft begrenzt. Manchmal genügt es allerdings schon, hartnäckig Öffentlichkeit  herzustellen, Proteste gegen die für Menschenrechtsverletzungen Verantwortlichen zu organisieren, Kontakte zu den inhaftierten Journalisten und Schriftstellern zu suchen und solidarische Hilfen anzubieten. Von den Freiheiten, mit denen Journalisten ihre Arbeit ausüben, können ihre Kolleginnen und Kollegen in vielen Ländern der Welt nur träumen. Gerade deshalb ist es aber auch so notwendig, dass junge Journalisten hierzulande  nicht nur handwerkliche Standards und „Crossmedia-Kompetenzen“ erlernen. “Es fehlt in der Journalistenausbildung an der Vermittlung moralischer Standards.” Der russische Journalist Gregorij Pasko weiß, wovon er hier spricht. Pasko wurde wegen seiner mutigen Recherchen über die mafiösen Zustände in der russischen Atommüllversorgung, für mehrere Monate inhaftiert. Karriere, das lehren uns Journalisten wie Gregorij Pasko und die vielen anderen, denen das internationale Solidaritätsnetzwerk in den letzten Jahren geholfen hat, kann und darf nicht das einzige Ziel journalistischer Arbeit sein. Letztlich kann man vielleicht den Mut, die Risikobereitschaft und Zivilcourage zur Verteidigung der Menschenrechte überhaupt nicht in verschulten journalistischen Ausbildungsgängen erlernen. Man kann aber ganz praktische Solidarität für diejenigen leisten, die ihre professionellen Kompetenzen als Journalisten und ‚Media Workers’ für eine auch in Zukunft lebenswerte Welt einsetzen – nicht selten auch unter großen existenziellen Gefahren.

Carl Wilhelm Macke

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