Geschrieben am 1. Juni 2022 von für Crimemag, CrimeMag Juni 2022

Bloody Chops – Kurzbesprechungen Juni 2022

Kurzbesprechungen von Hanspeter Eggenberger (hpe) und Joachim Feldmann (JF):

Stephen Mack Jones: Princess Margarita Illegal
Eryk Pruitt: Das schnelle Leben
Jacob Ross: Die Knochenleser

Unbedingt lesenswert

(JF) Kein Beruf, kein Studium, kein Geld. Trotz erstklassiger Schulnoten sieht die Zukunft für Michael „Digger“ Digson finster aus. Auf Camoha, einer (fiktiven) Karibikinsel, zählen Herkunft und Besitz. Digger, als nichtehelicher Sohn eines Dienstmädchens geboren, hat in dieser Hinsicht wenig vorzuweisen. Denn von seinem Vater, immerhin Polizeichef der Insel, ist auch nichts zu erwarten. Selbst ein Saisonjob als Kellner scheitert an Diggers Stolz und Temperament. Da sollte ihm das Angebot von Detective Superintendent Chilman, sich zum Polizisten ausbilden zu lassen, gerade recht sein. Doch der junge Mann sträubt sich. Der knorrige alte Kriminalist ist ihm nicht geheuer. Zudem hat Digger allen Grund, der Staatsmacht zu misstrauen. 

Dass er letztendlich doch nachgibt und sich als genialer Forensiker erweist, liegt ebenso in der Natur des Genres begründet wie der Umstand, dass ihm mit der enigmatischen Miss Stanislaus eine brillante Partnerin an die Seite gestellt wird. Michael Digson ist der Held einer bislang zweiteiligen Reihe von Kriminalromanen des 1956 auf Grenada geborenen, heute in Großbritannien lebenden Autors Jacob Ross. Bücher, die wieder einmal zeigen, wie gut sich ein gängiges literarisches Format zur Einführung in eine fremde Welt eignet. Die postkoloniale Karibik, ihre Kultur und ihre sozialen Strukturen abseits des Tourismus dürften vielen hierzulande kaum bekannt sein. Wenn aber ein literarisch reizvolles Ermittlerteam gleich mehrere Mordfälle aufklärt und sich dabei bewährter detektivischer Methoden bedient, lässt sich das Exotische in vertrauten Kategorien erfassen: Macht, Missbrauch und, hier passt der Begriff, toxische Männlichkeit. Und Digger wäre ein schlechter Krimiheld, wenn er nicht seine eigene Existenz aufs Spiel setzen würde, um die Wahrheit herauszufinden.

Mit Die Knochenleser ist nun der Auftaktband der Reihe auf Deutsch erschienen, ein stilistisch wie erzählpsychologisch bemerkenswertes Genredebüt. Und unbedingt lesenswert.

Jacob Ross: Die Knochenleser (The Bone Readers, 2016). Aus dem karibischen Englisch von Karin Diemerling. Suhrkamp Verlag. Berlin 2022. 374 Seiten. 15,95 Euro.

Fabulierlust ohne moralische Bedenken

(hpe) Eine junge Frau und ein junger Mann, die es nicht wirklich können miteinander, aber offenbar noch weniger ohne einander, sind gemeinsam unterwegs. Ihre Namen und Identitäten wechseln sie nach Bedarf, wir nennen sie hier so, wie sie sich in dieser Geschichte am längsten nennen: Summer und Jack. Aus North Carolina reisen sie nach Texas, um Drogen an College-Kids zu verticken. Ein Kilo geklautes Kokain haben sie in einer ausgehöhlten King-James-Bibel im leichten Gepäck. So beginnt Das schnelle Leben von Eryk Pruitt. Der in Texas geborene und in North Carolina lebende Autor, der auch Filme macht und eine Bar betreibt, ist ein Verehrer der Noir-Legende Jim Thompson (1906–1977), wie wir im Nachwort von Marcus Müntefering erfahren. So wundert es nicht, dass seine Protagonisten am Anfang ziemlich tief im Dreck stecken. Und dass es von da stetig weiter abwärts geht. 

Jack ist ein Betrüger und Hochstapler, intelligent und brutal, Einfühlungsvermögen ist nicht sein Ding. Summer weiß, wie man die Leute rumkriegt: »Wenn Leute nicht high genug waren, um nach ihrer Pfeife zu tanzen oder sie interessant zu finden, stopfte sie einfach ein neues Pfeifchen. Drehte einen weiteren Joint. Endlos immer so weiter, bis sie schließlich ihren Willen bekam.«

Nach einem Bruch in der Drogenverkaufstour des Duos beginnt in der Mitte des Buches quasi eine neue Geschichte in einem obskuren Drogenentzugscamp. Summer steckt dort, nachdem sie fast an einer Überdosis gestorben ist. Dann taucht auch Jack auf. Und übernimmt kurzerhand den Laden, der bald zu einer Art durchgeknallten Sekte wird. Das weckt bei der Lektüre Erinnerungen an die Branch Davidians im texanischen Waco, die 1993 weltweit Schlagzeilen machten.

Von einem Jim Thompson, der mit brillant-bösen Romanen wie »Der Mörder in mir« und »1280 schwarzen Seelen« Maßstäbe für das Genre gesetzt hat, ist Pruitt noch weit entfernt. Nicht alle Wendungen seiner Geschichte sind wirklich schlüssig, einzelne Situationen werden etwas gar breit ausgewalzt, und manche Sprachbilder sind etwas an den Haaren herbeigezogen: »Sie vermutete, dass sie sich in den besten Boden auf der Welt einpflanzen und Äpfel aus dem Arsch wachsen lassen konnte, und trotzdem würde kein Mensch in ihr den Zweck, sondern immer nur das Mittel sehen.« Dennoch kann Pruitts dritter Roman, der erste auf Deutsch, über weite Strecken durchaus fesseln. Dafür sorgt eine von keinen moralischen Bedenken getrübte Fabulierlust, die schon mal zynisch wirken kann, aber vor allem schwarzen Humor zeigt. »Das schnelle Leben« ein wilder Höllenritt durch Drogensumpf und Bigotterie, der von Wahn und Wahrheit, Loyalität und Verrat handelt. Wobei Treue für Summer nichts als »Bockmist« ist: »Kein Mensch war irgendwas oder irgendwem treu, am allerwenigsten sich selbst.«

Eryk Pruitt: Das schnelle Leben (What We Reckon, 2017). Aus dem Englischen von Jürgen Bürger. Polar Verlag, Stuttgart 2022. 382 Seiten, 25 Euro. 

Wahl der Waffen

(JF) Für August Snow ist der Krieg nicht vorbei. Er hat nur den Schauplatz gewechselt. Wie in Afghanistan muss sich der Ex-Marine und Ex-Cop seiner Haut wehren. Mit der Waffe in der Hand. Denn das Böse ist allgegenwärtig, auch in Detroit, der ehemaligen Auto-Metropole, die sich nach  Jahrzehnten des ökonomischen und sozialen Niedergangs zu regenerieren scheint.

Dabei könnte Snow, Sohn einer mexikanischen Mutter und eines afro-amerikanischen Vaters, ein schönes Leben führen. Schließlich hat er zwölf Millionen Dollar auf dem Konto, Schadensersatz von der Stadt Detroit für seinen ungerechtfertigten Rauswurf, nachdem er einen Korruptionsskandal bei der Polizei aufgedeckt hatte, der zum Sturz des Bürgermeisters führte.  Aber das Leben als wohlhabender Privatier taugt ihm nicht. Und auch seine philanthropischen Aktivitäten füllen unseren Helden nicht aus. Da trifft es sich gut, dass es ihm nicht an Gelegenheiten mangelt, seinen Gerechtigkeitssinn und seine Schießkünste unter Beweis zu stellen. Denn ob es um Wirtschaftsverbrechen oder um Menschenhandel geht, auch im Kampf gegen die bestens organisierte Kriminalität kommt es auf die Wahl der Waffen an. Und hier ist August Snow Experte.

Man merkt es schon, in den Kriminalromanen des Stephen Mack Jones geht es heftig zu. Vor allem gegen Ende lässt es der Detroiter Autor gerne noch einmal so richtig knallen. Das Übel ist damit zwar nicht aus der Welt, aber zumindest für kurze Zeit kaltgestellt. Das ist ebenso unterhaltsam wie moralisch fragwürdig, und damit typisch für aktionsbetonte US-amerikanische Spannungsliteratur. Hierzulande wirkt es, zumindest im Moment noch, ein wenig befremdlich, wie leicht die Begeisterung für großkalibrige Schusswaffen  mit prononciert linksliberalen Überzeugungen vereinbar scheint. Es kann nicht schaden, sich damit vertraut zu machen. 

Stephen Mack Jones: Der gekaufte Tod (August Snow, 2017). Aus dem Amerikanischen von Klaus Timmermann und Ulrike Wasel. Tropen Verlag, Stuttgart 2021. 368 Seiten. 17 Euro.

Stephen Mack Jones: Princess Margarita Illegal (Lives Laid Away. 2019) Aus dem Amerikanischen von Klaus Timmermann und Ulrike Wasel. Tropen Verlag, Stuttgart 2022. 314 Seiten. 17 Euro.

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