Geschrieben am 16. Dezember 2017 von für Crimemag, CrimeMag Dezember 2017, Kolumnen und Themen

Ann Anders: Mord auf Malta – Über die Bloggerin und Aktivistin Daphne Caruana Galizia

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Iced Buns und Bomben

Daphne Caruana Galizia  ( 26.8.1964 – 16.10.2017)

Von Ann Anders

– Der Tod der Bloggerin DCG ist wirkliches „True Crime“, hat mehr als nur den Inselstaat Malta aufgerüttelt. Wir konnten Ann Anders dafür gewinnen, uns die Implikationen dieses Verbrechens zu verdeutlichen. Seit ihrer Kinderzeit hat sie Verbindungen nach Malta, ihr Vater war mit Premier Dom Mintoff befreundet und half ihm mit deutscher sozialdemokratischer Unterstützung in den Wahlkämpfen der 60er Jahre. Karl Anders, der als Verleger der „Krähen“-Bücher Hammett und Chandler nach Deutschland brachte (sein Porträt auf CrimeMag hier), hatte immer ein Auge auf die Verschränkung von crime & fiction. Wir freuen uns sehr, Ihnen diesen Text von Ann Anders hier präsentieren zu können – d. Red.

Es gibt wenige Ereignisse in der Geschichte eines Landes, von Kriegsbeginn oder Kriegsende einmal abgesehen, bei denen man am Tag des Geschehen schon weiß, dass es das Land verändern wird.

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Daphne Caruana Galizia

Ein solcher Tag war der 16.Oktober 2017  auf Malta,  als eine Autobombe die Journalistin Daphne Caruana Galizia zerfetzte und verbrannte.

An diesem Tag und an den folgenden Tagen war die Insel vor Entsetzen gelähmt, denn mit der Bombe wurde eine Journalistin und Bloggerin getötet, die sich höchst umstritten, aber wirkmächtig mit der Korruption und Heuchelei der politischen Klasse und der Verwaltung auseinandergesetzt hatte. Sie war damit ziemlich allein. Doch die Reichweite ihres Blogs mit bis zu 400.000 Zugriffen am Tag (viele durch ausländische User, Malta hat ungefähr 430.000 Einwohner) war in den hitzigsten Zeiten so hoch wie alle maltesischen Zeitungen zusammen an Auflage haben.

Daphne Caruana Galizia deckte mit ihren entschlossenen Recherchen die marode Struktur des EU-Mitgliedstaates auf, von vielen kleinen Bestechungen hin bis zu den Panama-Papers. Die Zeitungen folgten ihr dann mit Kommentaren und Weiterführungen, die Angegriffenen und ihre Gefolgsleute diffamierten oder verklagten sie.

Zur Zeit ihres Todes hatte sie über 40 Klagen anhängig. (In der Vergangenheit waren viele solcher Klagen, wenn auch nach langwierigem Prozessieren, immer positiv für sie ausgegangen.)

Sie griff vor allem die seit 2013 regierende Labour Party (LP) an. Deren Mitglieder, fand Daphne Caruana Galizia (DCG genannt), seien ungebildete, verbohrte Insulaner, auf ihren Vorteil bedacht, sobald sie an die Macht kamen. Lange war es allgemeine Meinung, dass die Bloggerin mit der konservativen National Party (NP) gemeinsame Sache machte. Als aber die NP nach dem Wahlsieg im Mai 2017 einen neuen Parteivorsitzenden wählte, warf DCG dem frisch ins Amt Gewählten vor, über Londoner Klienten Einkünfte aus einem Bordell gewaschen zu haben. Es war ihr zur Verwunderung ihrer LP-Gegner offensichtlich egal, dass er der NP angehörte.

Eines konnte DCG neben Korruption nämlich gar nicht leiden: Heuchelei. Im erzkatholischem Malta sind Bordelle und Prostitution verboten. Führende Politiker, die gegen Bordelle votiert hatten, aber mit ihnen Geld verdienen, stellte DCG bloß, ebenso den Wirtschaftsminister, der angeblich während einer Dienstreise das im Umland von Köln gelegene Bordell „Acapulco FKK“ besucht haben soll. Der Minister sei von einem Malteser Landsmann erkannt worden und hatte Schwierigkeiten, ein Alibi beizubringen. DCG bezichtigte den Minister der Heuchelei, nämlich während einer Dienstreise mit dem Geld der Steuerzahler in eine Sorte Etablissement gegangen zu sein, gegen das er in Malta seine Hand gehoben hatte. Außerdem handelte es sich um verheirateten Mann.

Der Politiker verklagte sie, forderte Schadenersatz in Höhe von 45.000Euro und ließ ihr Konto einfrieren – eine ungewöhnliche Aktion gegenüber einer Journalistin. Sehr schnell fand sich durch eine Crowdfunding-Aktion von Freunden das Geld zusammen und die ausländische Presse beklagte den Angriff  auf die Pressefreiheit.

Tragischerweise soll eben jener Umstand, dass sie nicht auf ihr Konto zugreifen konnte, sie veranlasst haben, mit einem Scheck ihres Mannes zum Geldabheben und damit zu ihrer letzten fatalen Fahrt aufzubrechen. Das Klageverfahren, für das sie die Telefondaten des Ministers  einfrieren ließ, liegt immer noch vor Gericht. Natürlich fragen sich die Malteser, was jetzt damit und mit anderen Klagen geschehen wird.

ICED BUNS: Dieses Gebäck sind kleine süße Brötchen mit einem mächtigen Zuckerguss, manchmal mit Marmelade gefüllt. Sie haben nicht die Raffinesse eines Eclairs oder die Fluffigkeit eines Kreppels. An Kindergeburtstagen, Weihnachtsfeiern oder Parteinachmittagen werden sie als Geschenk verteilt. DCG verwandte diesen Begriff als Zeichen der Vetternwirtschaft: Jemand erhält einen Iced Bun, obwohl er nicht wirklich für einen Job, eine Stelle, einen Zuschuss oder eine Genehmigung in Frage kommt. Als die Tochter eines Parlamentsmitgliedes gleich nach dem juristischen Examen eine Richterstelle bekam, recherchierte DCG und stellte unter der Überschrift „Iced Bun“ dar, wie viele besser qualifizierte Bewerber es für den Posten gegeben hätte. Konsequenzen hatte das nicht, aber der Begriff „Iced Bun“ war gesetzt, Ich weiß nicht, ob DCG ihn erfunden hat (erstmals wird er auf ihrem Blog 2013 erwähnt), gesetzt aber hat sie ihn. Jetzt noch nach ihrem Tod wird er als Synonym für Bevorzugung und Vetternwirtschaft verwendet, oft mit dem Zusatz „wie Daphne es genannt hätte“. (Zu meinem Vergnügen hat der Begriff auch eine sexuelle Konnotation.)

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Für Daphne war das Private auch das Politische, und sie konnte sich über die Fotos, die maltesische PPIs (Persons of Public Interest) auf Facebook stellen, lustig machen. In der Tat sind diese Auftritte für Festlandseuropäer oft verwunderlich. Gestandene Männer, ein bisschen füllig um die Leibesmitte, ein bisschen kahl  auf dem Kopf, präsentieren sich gerne mit Goldkette und engem, offenem Hemd mit einer lasziven blonden Schönheit, die oft wenig oder gar nichts anhat. Schon seltsam, auch wenn es in Malta sehr warm sein kann. Natürlich kannte DCG die Frauen – auf der Insel kennt jeder jeden, zumindest bekam sie es gesteckt.

Natürlich ließ sie nicht unerwähnt, dass die Frau nicht die Ehefrau ist oder eine der Töchter; ja, dass die Ehefrau wohl zuhause sitzen würde, auf die Kinder aufpasse und das Abendessen koche. Der ziemlich schlichte Machismo solcher Selbstdarstellungen trieb Daphne zu Höchstleistungen an, denn für sie war das allein schon der Beweis, dass diese Person für ein politisches Amt ungeeignet ist.

malta1Sie war der Meinung, dass jeder Malteser eine Zeitlang vom „ Felsen“ herunter und im Ausland erfahren sollte, dass Malta doch nicht der Nabel der Welt ist. Und weg von der hermetischen, rückständigen Gesellschaft.

Sie schrieb auch über verprügelte Ehefrauen (der korrupten Heuchlern), über Frauen, die sich schmücken als wären sie Prostituierte oder Evita Peron. (Wie die reichlich selbstgefällige Ehefrau des PM.) Nicht viele gute Haare ließ sie auch an der Präsidentin, die sich trotz höchstem Amt auf Wohlfahrt und begütigende Worte beschränkte, und im übrigen der Parteilinie folgte.

Meine Lieblingsgeschichte aus diesem Bereich ist das Foto einer Frau, das DCG veröffentlichte, die in sehr, sehr hochhackigen Schuhen aus einem Auto ausstieg. Es war die völlig gesunde Frau eines PPI, die eine Behindertenplakette in ihrem Auto aushängen hatte. So etwas ist ein Gottesgeschenk in den verstopften Straßen Maltas mit den meisten PKW-Zulassungen in der EU per Einwohner und Quadratmeter. DCG erklärte das und kommentierte, dass man ja wohl auch mit solchen Schuhen nicht laufen könne. Oder gehbehindert werde.

Dummerweise reagierte die Frau empört – damit kam die Sache ins Rollen. Aber als die Frage gestellt wurde, wie sie eigentlich zu diesem Ausweis gekommen sei – auch in Malta müsste dafür eigentlich ein Attest vorliegen -, war sehr schnell Schweigen.

Drei maltesische Politiker-Trusts in den Panama Papers

Daphnes größter Coup war die Aufdeckung von drei Trusts maltesischer Politiker in den Panama Papers. Der erste Politiker, Konrad Mizzi, war Minister für Energie, wurde nach den Veröffentlichungen Minister für Tourismus (und noch immer ein bisschen für Energie zuständig) und war damit der einzige Minister, der im Amt blieb – von all jenen hohen Regierungsbeamten, die in den Panama Papers genannt werden. Der zweite war der Bürochef des Ministerpräsidenten, Keith Schembri, auch er blieb bis heute im Amt. Der dritte, der wie die anderen Beiden seinen Trust wenige Tag nach der erfolgreichen Wahl 2013 via englischer Rechtsanwälte via Neuseeland in Panama anlegen ließ, trägt den Decknamen Egrant. Häufig wurde inzwischen spekuliert, es handle sich wohl um Ministerpräsident  Joseph Muscat, denn warum sollte er die beiden in Amt lassen, wenn er nicht selbst involviert sei. Dafür fehlte jedoch der Beweis, bis DCG im Frühsommer 2016 herausfand (und auch Belege vorlegte), dass das besagte Konto bei der Pilatus Bank wohl der Frau des PM gehörte. Nun erwartet man vielleicht, dass sich bei so etwas die Polizei und die Staatsanwaltschaft einschalten, um Beweise zu sichern. Der Whistleblower aber verließ das Land aus Angst vor Repressalien; in der Bank, bei der die Unterlagen abfotografiert worden waren, räumten der Bankchef und eine Mitarbeiterin noch in der Nacht der Veröffentlichung vermutlich Papiere in Reisetaschen,  beim Verlassen der Bank wurden sie von einem Fernsehteam gefilmt. Die Polizei jedoch war nicht vor Ort, auch sonst konnte DCG nichts über ein staatliches Aufklärungs-Interesse berichten.

Allerdings sah sich Muscat wegen dieser Verdächtigungen veranlasst, vorzeitig Neuwahlen im  Juni 2017 anzusetzen, die er dann mit doppeltem Vorsprung gewann.

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Exkurs: Malta an sich

Jetzt muss ich vermutlich kurz, aber hoffentlich nicht verkürzt, über die Frage räsonieren, wie der Malteser tickt. Also: Die Insel liegt strategisch wichtig im Mittelmeer zwischen Sizilien und Libyen. Vor mehr als 6.000 Jahren wurde sie besiedelt und es entstand die Kultur der Tempel, älter als die Pyramiden, größer in den Anlagen, manche unterirdisch. Tausende Jahre später, während der Bronzezeit, besiedelte eine andere Kultur die Inseln und baute ihre heiligen Stätten auf die alten Tempel – sie waren Eroberer. Danach kamen die Phönizier, die Karthager, die Römer, die Germanen, die Byzantiner, dann Araber (die die maltesische Sprache formten),  dann die Normannen, die Deutschen, die Franzosen und die Spanier. 1530 bis 1798 besetzte der  Johanniter-Orden die Insel, und als reiche Militär-Großmacht wurden die bis heute existierenden  Stadtbilder gebaut sowie die imposanten Hafen- und Verteidigungsanlagen. 1565 wurde die so genannte „Große Belagerung“ durch die Osmanen abgewehrt, es war der sehr ruhmreiche Kampf der Malteser gegen die muslimischen Feinde. Der Malteser Orden, wie er sich nun nannte,  wurde von den europäischen Könighäusern unterstützt, die die Insel strategisch für ihren Handel und Kriege brauchten. Das brachte Wohlstand und Schutz, war aber  doch eine fremde Macht. Dann kam für zwei Jahre Napoleon, der musste aber 1800 den Engländern weichen, die bis 1964 blieben und die bis in die Gegenwart Einfluss nahmen: mit Englisch als zweiter Sprache, mit modernen zivilisatorischen Einrichtungen wie Schulwesen, Gesundheitssystem und Linksverkehr und leider auch mit der englischen Esskultur (mit  immer noch  arabischer und italienischer Einflüssen).

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Das Land teilte sich in eine Oberschicht, die sich eher an Italien orientierte, und eine Arbeiterklasse, die dem britischen Lebensstil folgte. Die strategische Rolle Maltas (das einzige Interesse je an ihr) führte während des Zweiten Weltkrieges zur heftigsten Bombardierung  per Person oder per Quadratmeter durch die Achsenmächte.

Nach dem Rückzug der Engländer (und damit der NATO) versuchte die maltesische Regierung unter  Premierminister Dom Mintoff, die Werften und Hafenanlage (also das Kapital Maltas) dem Meistbietenden anzubieten – Libyen oder China. Malta war nun unabhängig und konnte nun endlich selbst entscheiden. Langfristig aber hatte diese Politik des Geschachers keinen Erfolg.   

Seit 2004 ist Malta in der EU, für den Tourismus und für die Wirtschaft war das denn doch zu vorteilhaft.

Und das ist das Resumé

Malta ist eine kleine, stolze, eigenständige Nation, über die schon viele fremde Mächte gefegt sind. Die Malteser reagieren sehr empfindlich, wenn jemand von außen ihre Insel kritisiert. Patriot or Traitor. Patriot oder Verräter, so lautet die Parole, die alle eint.

Bis heute bekämpft man sich im Innern, aber nach außen aber schließt man sich zusammen (wenn man nicht gerade eigene Interessen verfolgt).  Auch Premier Muscat empört sich bis heute mit diesen Worten über alle internationale Berichterstattungen oder die EU-Untersuchungen zum Tod DCGs.

Bei den vorgezogenen Neuwahlen bevorzugte das Wahlvolk in diesem Jahr auch deshalb die LP, weil sie ihre Erfolge bei den  wirtschaftlichen Fortschritten lobte (ob legal oder nicht), während die NP sich auf die Korruptionsvorwürfe konzentrierte und die Regierung und damit das Land „schlecht redete“.

malta7Genau das war es auch, was man DGC immer vorwarf: Sie rede die Menschen und das Land schlecht, weil sie aufspürte, was schlecht war. Sie griff  an, sie deckte vieles auf.  Sie bekämpfte die Korruption, die die Insel auch auf archäologischen Arrealen oder in Natursperrgebieten mit Beton übergoss. Sie bekämpfte die Bestechungen auf allen Ebenen, den Schmuggel mit libyschem Diesel (große Profite) und Zigaretten (kleinere Profite), die vielen Briefkastenfirmen, die Vetternwirtschaft (die schon inzestuös ist) und die Geldwäsche, die für die boomende Bauindustrie oder die florierende Internet-Gaming-Industrie nachgewiesen wurde. Dank niedrigster Steuern und freundlichster Gesetzgebung sind über 250 Online-Gaming-Unternehmen auf der Insel registriert. Auch deutsche Anwaltsportale empfehlen Malta als „Die Top-Destination für Online-Gaming in Europa“. 

„Your pen has been silenced but your voice will live on“

Die Korruptions-Expertin Sarah Chayes („Thieves of State. Why Corruption Threatens Global Security“) nennt drei Bereiche, in denen sich Korruption am schnellsten ausbreitet:
der Bankenbereich,
die Immobilienwirtschaft und
der Energiesektor.

So auch in Malta.

Die EU hielt nach dem Bombenattentat für DCG eine Gedenkfeier ab, benannte einen Presseraum nach ihr und beschloss mit überwältigender Mehrheit einen Antrag, eine Untersuchung über Maltas „rule of law“ durchzuführen. Diejenigen maltesischen Mitglieder, die im EU-Parlament dafür gestimmt hatten, überzog ein shitstorm und auch einzelne Todesdrohungen erschienen im Netz.

Die Steuergesetze Maltas sind von der EU als bedenklich eingestuft worden, die vielen Briefkastenfirmen und die Verbindungen zu dubiosen Ländern wie Aserbaidschan mit Geldflüssen auf maltesische Bankkonten – das alles waren ständige Themen in DGC’s Blog. Eine Delegation von EU-Parlamentarien, die das nun untersuchen sollten, reiste mit noch größeren Bedenken zurück, denn sie fand die Verhältnisse erschreckender als geglaubt. Natürlich wurden die  Ergebnisse von der maltesischen Bevölkerung und Öffentlichkeit zurückgewiesen. Patriot or Traitor.

Nach ihrem Tod hielt der Erzbischof eine eindringliche Rede über Transparenz und Integrität in der Politik.  (Natürlich  gab es Entrüstung über solch ein „politisches“ Gedenken.)

Der Papst, der sich nie beim Tod einer Privatperson äußert, teilte seine Bestürzung mit und schickte seine „Gebete und Gedanken“ an die Familie.

Die Trauerfeier fand auf Wunsch der Familie explizit ohne Präsidentin oder Premierminister statt.  Aber mit vielen Bürgern in der Kirche und draußen.

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Am Tag nach ihrem Tod erschienen alle sechs Zeitungen Maltas mit einem schwarzen Titelblatt und dem Satz: Your pen has been silenced but your voice will live on.

Es gab Demonstrationen und Trauerwachen und Besetzungen des Zentralplatzes vor dem Palast des Premiers. Die übliche Diskussion, dass das von Labour oder der NP organisiert sei, griff nicht, denn diese Aktionen waren überparteilich. Das ist ungewöhnlich für Malta, wo alles auf die beiden Parteien fixiert ist – mit einer sektenhaften Abgrenzung zur anderen Seite hin.

Noch mit ihrem Geschlecht als Frau wird Politik gemacht

Was ich bitter feststellte: Auf einmal war sie Journalistin. Vorher wurde sie „bicca-blogger“ genannt, die Blogger-Hexe. Ihr wurde eine offizielle Akkreditierung als Journalistin verweigert, obwohl sie regelmäßig auch eine Kolumne im „The Malta Independent“ schrieb und eine monatliche Lifestyle-Beilage für die Zeitung herausgab. (Taste & Flair, die 104. Ausgabe für den November 2017 ist ihre letzte). Sie war darüber nicht verwundert, aber sie schien verletzt und einsam zu sein.

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Nach ihrem Tod erschienen dann auf einmal auch Fotos von ihr, auf denen eine attraktive, lachende Frau zu sehen ist. Zuvor wurden nur Fotos von ihr veröffentlicht: verknittert, verbissen oder dick .

Und auch dies fand ich bitter: Dass auch mit ihrem Bild als Frau Politik gemacht wurde.

Die Familie von DCG, ihr Mann, ein Anwalt, und ihre drei erwachsenen Söhne (einer davon Journalist, der bei den Panama-Papers im Konsortium mitarbeitete) haben eine Menschenrechts-Anwaltskanzlei aus London beauftragt, nachdem bei den Untersuchungen des Attentats viele Regeln der Unabhängigkeit durchbrochen worden waren und durchbrochen sind.

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Die Untersuchung dieser Kanzlei ist auf Englisch und ist 22 Seiten lang, stellt aber besser als ich es hier könnte, die Ereignisse nach dem Mord dar und untersucht die Rechtmäßigkeit nach dem EU-Menschenrechtsabkommen. Natürlich standen der auf Malta recherchierenden Anwältin nur die Informationen der Familie und der Medien zur Verfügung, nicht die der Polizei. Es ist eine spannende, manchmal unfassbare Lektüre, die nicht in englischer Juristensprache versinkt.

Der Titel: Urgent Advice.

Natürlich herrscht jetzt wieder große Entrüstung auf Malta, denn auch wenn die Malteser durchaus über ihre Polizei schimpfen, einer Ausländerin, gar wieder einer Frau, steht das nicht zu.

Bei einem Großeinsatz zu Wasser, Luft und Land wurden dann zehn Männer verhaftet – alles polizeibekannte Kriminelle. Drei davon wurden des Mordes angeklagt, Telefondaten hätten sie überführt.

Seltsam nur, warum eine Anti-Korruptions-Bloggerin von drei Männern ermordet worden sein sollte, die nie in ihrem Blog aufgetaucht sind und auch nie eine Verbindung zu ihr hatten. Umso mehr lässt so etwas auf Hintermänner schließen. Premierminister Muscat ließ aber bereits in einer Pressekonferenz verlautbaren, bei der er – Die Polizei bin ich! – alleine auftrat, dass damit jetzt der Gerechtigkeit genüge getan sei und er der Polizei, dem Geheimdienst, dem Militär, dem FBI, Europol und der finnischen Polizei für die Mitarbeit danke.

dap6Gesichert ist bis heute, Redaktionsschluss 15.12.: Der Sprengstoff war TNT; die Bombe, die die drei nicht selbst hergestellt haben, wurde in der Nacht angebracht; ein Späher sah DCG wegfahren, schickte eine SMS an einen zweiten Mann, der eine SMS zur Zündung der Bombe sendete.  Nach der Zündung schrieb dieser an seine Frau: Liebling, mach eine Flasche Wein auf.

Im Gegensatz zu den 19 seit 2010 in Malta allesamt im laufenden Verkehr gezündeten Bomben (mit erheblichen Personenschäden der Umgebung) wurde diese Bombe auf einer leeren Straße gezündet, und nur mit DCG als Passagier. Die Täter der anderen Autobomben, die wohl alle kriminelle Hintergründe haben, wurden bisher nicht gefasst. Kein einziger.

Bei diesem politischen und öffentlichen Verbrechen  jedoch musste schnell der Fahndungserfolg her.

Unmittelbar nach dem Tod von DCG forderten viele nicht nur Aufklärung, sie forderten auch Veränderungen. Veränderung bei den allzu engen Verbindungen von Regierung und Polizei und Justiz.  Veränderung bei der Intransparenz der wirtschaftlichen Interessen der Regierenden. Diese Forderungen werden bis heute immer wieder erneuert, auch wenn der PM jetzt hart gegen Kriminelle durchgreifen will. Bei den Überwachungskameras, die an Stellen mit hoher Kleinkriminalität, meist Touristenorten, stehen, wird jetzt eine Gesichts-Software eingeführt. Und der Premier will die Armee nun für Polizeiarbeit einsetzen. Ob dies alles durch die Verfassung gedeckt ist, wird gerade diskutiert. Die Medien, die Bevölkerung, die EU und auch die Kirche sind durch den Tod DCG sensibilisert und aufgerüttelt worden. Das schlägt immer noch Wellen – und hält hoffentlich auch an. Daphne kann nicht umsonst gestorben sein.

Der Titel ihres letzten Blogs vom 16.Oktober 2017, gepostet um 14.35 Uhr: „That Crook Schembri was in court today, pleading he is not a Crook.“

Der Artikel endet mit dem Satz, der jetzt auf vielen Mauern, Bannern und T-Shirts zu lesen ist:

„There are crooks everywhere you look now. The situation is desperate.“

Eine halbe Stunde später war Daphne Caruana Galizia tot.

Ihr Blog steht „eingefroren“ im Netz, nach dem Willen der Familie für immer.

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