Geschrieben am 12. November 2011 von für Bücher, Crimemag

Bloody Chops

Bloody Chops

– heute schwingen das Beilchen Alf Mayer (AM), Kirsten Reimers (KR), Frank Rumpel (rum) und Joachim Feldmann (JF):

Cover des Buches "Der achte Zwerg" von Ross ThomasDie Welt im Jahre Null

(AM) Der Zweite Weltkrieg ist ein Jahr und ein paar Tage vorbei. Die Welt wird neu aufgeteilt. Ross Thomas zeigt sie uns in seinem Politthriller „Der achte Zwerg“ aus der Perspektive von Schwarzmarkthändlern, Geheimagenten, Überlebenskünstlern und Betrügern. Handlungsort ist weitgehend: das zerstörte Frankfurt. „Politisch korrekt“, das gibt es noch nicht, viele Allianzen sind noch offen.

Entsprechend wild sind Handlung und Plot des 1979 erstmals in den USA erschienenen Romans, der 1980 als Ullstein-Krimi Nr. 10060 unter dem Titel „Vierzig Riesen für den Zwerg“ herauskam, ordentlich übersetzt, aber textlich gestaucht und unvollständig. Der Berliner Alexander Verlag hat dem Buch jetzt alle notwendige Sorgfalt angedeihen lassen und innerhalb seiner vorzüglichen Ross-Thomas-Edition eine revidierte Ausgabe vorgelegt. Verlegerhandwerk ist das vom Feinsten, aller Ehren und Anerkennung wert, macht es doch einen Autor (weiterhin) zugänglich, der zu den besten seiner Art gehört.

Ross Thomas (1926–1995) war ein Meister des Unerwarteten, ein wirklicher Unterhalter. Seinen ersten Roman („Kälter als der Kalte Krieg“) schrieb er mit 40. „The Eight Dwarf“ war sein 16. Buch, ein „stand alone“, obwohl seine beiden Helden durchaus Fortsetzungsqualitäten hätten. Es sind dies der früh ergraute Mittdreißiger Minor Jackson, der im Krieg beim Office of Strategic Services (OSS) diente, einem Vorläufer der CIA, und der jetzt nur noch schnelles Geld machen will, sowie Nicolae Ploscaru, ein rumänischer Zwerg mit Adelstitel und Unterwelt- und Geheimdienstverbindungen.

Die beiden werden von einem in die USA emigrierten ehemaligen Reißverschluß-König engagiert, dessen verlorenen Sohn ausfindig zu machen. Den ließ der Krieg zum Killer werden – als Opfer sucht er sich Nazis, die sich falsche Identitäten verschaffen konnten. „Sieht aus, als würde er für uns aufräumen wollen“, sagt ein Geheimdienstler. Aber Russen, Briten und Amerikaner können bei diesem Nazi-Sortiergeschäft keine Amateure brauchen. Überhaupt Juden, die sich wehren, wo kommt die Nachkriegswelt da denn hin? Ross Thomas führt uns quer durch die Besatzungszonen, in Kaschemmen und Keller, durch den Untergrund einer gerade neu entstehenden Weltordnung – das alles erzählt mit staubtrockenem Witz und mit Dialogen, aus denen die Funken stieben. Habe ich erwähnt, dass „Der achte Zwerg“ eines meiner Lieblingsbücher von Ross Thomas ist?

Ross Thomas: Der achte Zwerg. (The Eighth Dwarf, 1979). Roman. Deutsch von Edith Massmann. Bearbeitet von Stella Diedrich und Gisbert Haefs. Berlin: Alexander Verlag 2011. 351 Seiten. 14,99 Euro. Verlagsinformationen zum Buch.

Schales hinter ehrwürdigen Fassaden

(KR) Der Brite John Harvey ist im Krimigeschäft ein alter Hase. Seit Jahrzehnten wird er der Krimielite des UK zugeschlagen. Über hundert Bücher hat er geschrieben, auch unter verschiedenen Pseudonymen. Viele gute Krimis sind dabei: solide und stimmig aufgebaut, ausgefeilte Figuren, durchdachte Plots, alles eingebettet in eine realistische Szenerie. Nach den mittelprächtigen Kriminalromanen um den Privatdetektiv Scott Mitchell, den richtig guten um DI Charlie Resnick oder den noch besseren mit Ex-Cop Frank Elder liegt mit „Splitterndes Glas“ nun der erste Band einer neuen Reihe übersetzt vor – auf Englisch erschien der Roman mit dem Originaltitel „Gone to Ground“ schon 2007.

Im Mittelpunkt steht das Ermittlerduo DI Will Grayson und DS Helen Walker von der Polizei in Cambridge. Die beiden gehen dem Mord an einem Unidozenten nach. Der wurde brutal in seinem Haus erschlagen – vielleicht von seinem Exfreund, vielleicht liegt aber auch Homophobie der Tat zugrunde. Eine dritte Spur ist das Buch, an dem der Mann gerade arbeitete: die Biografie einer Schauspielerin, die vor ein paar Jahren ums Leben kam. Ihr bekanntester Film trug den Titel „Splitterndes Glas“.

Der Roman lässt sich zunächst gut an: Die Figuren sind lebendig, das Setting wirkt glaubwürdig. Harvey zeigt das Cambridge hinter der beschaulichen Touristenfassade, jenseits der Klischees des ehrwürdigen Universitätsstädtchens – Arbeitslosigkeit, Rassenhass, Schwulenfeindlichkeit – und schafft ein komplexes Plotgeflecht, dessen Fäden er souverän in der Hand hält.

Zumindest bis kurz vor dem Ende. Denn da scheint es, als wäre ihm plötzlich aufgefallen, dass er schon über 400 Seiten zusammen hat und nun aber mal hurtig zum Ende kommen muss. Nach dem ganzen aufwendigen Aufbau wählt Harvey jetzt für den einen Strang die schnellstmögliche Lösung, und für den anderen greift er in die mottenzerfressene Motivkiste des Krimis. Das ganze schöne Gerüst, das er zuvor aufgebaut hat, klappt sang- und klanglos zusammen, das komplexe Geflecht zerfasert, Verschränkungen und Verbindungen, die er geschaffen hatte, gehen verloren. Zurück bleiben Enttäuschung und ein schaler Geschmack im Mund.

John Harvey: Splitterndes Glas (Gone to Ground, 2007). Roman. Deutsch von Sophie Kreutzfeldt. München: dtv 2011. 430 Seiten. 8,95 Euro. Verlagsinformationen zum Buch. Homepage des Autors.

Killer und Sensibelchen

(rum) Zu viel gewollt hat Helmut Wolkenwand in seinem Debüt „Der Müllmann“, einer wenig gelungenen Agentenposse, die erst nicht in die Gänge kommt, um dann reichlich dick aufzutragen. Hier tummelt sich alles, vom zwielichtigen BND-Mann bis zur oberen Kaste der Russenmafia, vom Superhacker bis zur Messerwerferin, die mal für den amerikanischen Geheimdienst gearbeitet hatte, vom vergewaltigenden Politsprößling bis zu stereotypen Nazischlägern. Und dazu gibt es einen, der für Ordnung in diesem Chaos sorgen soll.

Heinrich Schmitt, ein ehemaliger BND-Killer, der im Irak verwundet wurde und anschließend dort in Haft saß, ist, zurück in der deutschen Heimat, ins Müllgeschäft eingestiegen. Privat erledigt er nebenher gefälligkeitshalber den einen oder anderen Job in seiner alten Branche. Als er sich um einen Zuhälter kümmern soll, der einige seiner Kunden erpresst, kommt ihm ein anderer Killer zuvor und erschießt den Mann vor den Augen Schmitts in einem Café. Beim Versuch herauszufinden, wer der Konkurrent ist, wird er erst mal ausgebremst: Mit seiner pubertierenden Nichte, um die er sich seit dem Verschwinden seiner Schwester kümmert, läuft es nicht besonders. Seine alte Liebe taucht wieder auf und bearbeitet als Kommissarin just den Mord im Café.

Zudem hat er eine sachte Psychose: In seinem Kopf unterhält er sich gelegentlich mit einer Ratte, die er im irakischen Gefängnis kennenlernte. Die Geschichte verkompliziert sich, als seine Nichte vom verzogenen Sprössling eines Kommunalpolitikers vergewaltigt wird und der BND ihn nochmals engagieren will, um ebenjenen Killer aus dem Weg zu räumen. Der Geheimdienst freilich hat weitreichendere Pläne.

Eine wilde Geschichte also, die sich Wolkenwand da ausgedacht hat, die aber nicht so recht funktionieren will. Die Erzählung pendelt zwischen überdrehter Farce mit Tatort-Plot und Entwicklungsroman mit etlichen Längen. Wolkenwands Protagonist und Ich-Erzähler nimmt man seine Vergangenheit, so locker, wie er darüber plaudert, nicht ab: Er ist sensibler Ersatzvater und aufmerksamer Nachbar auf der einen, Killer und kaum traumatisierter Kriegsheimkehrer auf der anderen Seite. Und schließlich will der Autor alles perfekt auflösen, jeden Faden verbinden und muss dafür manche Figur ziemlich unnötig verbiegen.

Helmut Wolkenwand: Der Müllmann. Roman. München: Piper 2011. 400 Seiten. 9,95 Euro. Verlagsinformationen zum Buch.

Rotstiftmangel

(JF) Im Deutschland der Trümmerjahre spielt Jan Zweyers historischer Kriminalroman „Persilschein“, mit dem der im Ruhrgebiet lebende Autor seine Peter Goldstein-Trilogie abschließt. Ermittlungen in einem Mordfall führen den Kriminalkommissar, der die Nazizeit mithilfe einer gehörigen Portion Opportunismus scheinbar unbeschadet überstanden hat, auf die Spur einer Organisation, die NS-Verbrechern zur Flucht ins Ausland verhilft und sich dabei der Unterstützung höchster Stellen sicher sein kann. Dass Goldstein die Tat und ihre Hintergründe am Ende aufklärt, nutzt ihm allerdings wenig, denn seine aufrechte Haltung, die ihn Anweisungen seines Vorgesetzten eine Zeitlang souverän ignorieren lässt, erweist sich als druckempfindlich. Auch sein „Persilschein“ ist schließlich nicht ganz echt.

Jan Zweyer

Eigentlich möchte man nur Positives über diesen Kriminalroman sagen. Ein Ermittler, der alles andere als ein Held ist, der gewissenhaft recherchierte historische Hintergrund und ein gut ausgedachter Plot sprechen dafür. Doch leider scheint mir Zweyer eben doch nicht der geborene Erzähler zu sein, den andere Rezensenten (beispielsweise der Gießener Allgemeinen Zeitung) in ihm sehen. Er formuliert nicht selten umständlich und manchmal bürokratisch. Als ob er der Auffassungsgabe seiner Leser nicht traute, erklärt er fast immer mehr, als nötig wäre. Warum muss beispielsweise erwähnt werden, dass Goldstein etwas in „kurzen Sätzen“ aufschreibt, wenn man eben jene Sätze nur eine Zeile später lesen kann?

Textstellen dieser Art finden sich fast auf jeder Seite dieses Buches, sodass man sich wünscht, der Grafit Verlag würde einen auf narrative Redundanzen spezialisierten Lektor mit einem großen Vorrat an Rotstiften beschäftigen.

Jan Zweyer: Persilschein. Roman. Dortmund: Grafit 2011. 315 Seiten. 11,00 Euro. Verlagsinformationen zum Buch. Homepage des Autors. Bild: Thomas Willemsen