Geschrieben am 15. Juni 2003 von für Kolumnen und Themen

In den Zeiten der Schwammhirnigkeit

Stotterndes Gestaune

Von Thomas Wörtche, 4.12.2000

So, jetzt ist er vorbei, der Rechtsextremismus. Er natürlich nicht – au contraire, vermutlich -, aber seine Dauerpräsenz im medialen Alltag. Die neue Sau, die durch’s Dorf getrieben wird, ist keine Sau, sondern eine Mad Cow. Vielleicht kann man sogar den Terminus technicus ändern, und die Mad-Cow-Disease grundsätzlich auf die Medienwelt beziehen. Der Vorteil dabei wäre, dass eine gewisse Schwammhirnigkeit keine besondere Kennzeichnung mehr braucht. Und davor platzen ja unsere Blätter resp. TV-Medien, die sich so gar nicht mehr unterscheiden. Jenny Elvers von irgendeinem Schwengel angeschwängert im „Spiegel“ und im Krawall-TV; Schlingensief, der Feuilletonsdarling mit freiem Unterleib vor den Queen Moms der Volksmusik – das passt: Von der „Zeit“ (als ironisches Event) bis zu RTL II (als Krachschote).

Nu – Demokratie hat sich durchgesetzt. Aber man kann die allgemeine Schwammhirnigkeit, für die BSE die eklige Metapher vorgegeben hat, am Beispiel ihres semantischen Spenders sehr schön beobachten: Stotterndes, allmediale Gestaune tritt prinzipiell immer auf, wenn unsere Gesellschaften mit der betrüblichen Tatsache konfrontiert werden, dass der Mensch sterblich ist und alles Leben zum Tode führt. Diesmal trifft es Tierfutterproduzenten, Fleischproduzenten und -distributoren, deren Lobbyisten und angeschlossene Politiker aller Parteien und Formationen sich einen Dreck für die Kundschaft, aber sehr wohl für die eigene Bilanz interessieren – wer hätte das gedacht ? Besonders schwammhirnig ist es diesmal, weil es maximal 5 % Prozent der Menschheit angeht. Die anderen 95 % kommen gar nicht auf die Idee, unsterblich zu sein, wg. Stress beim Überleben. Die besagten anderen 5%, die Fitness, Nicht-Rauchen, Cleaner-Sex (Intimspray !), Vegetarismus, kein Alkohol, keine Drogen, kein Cholesterol für einen festen Bestandteil der Conditio Humana halten und werden später als fitte, aber bittere Greise eine Lawine beim Snowboarden auslösen. Und tschüss miteinand! Die haben jetzt auch BSE. Zwar ist das Risiko an einem schlechten Rind zu verenden, bedeutend geringer als das, sagen wir, vor dreihundertsiebzig Jahren beim Raustreten aus dem Haus vom Schwed‘ massakriert zu werden, aber der zivilisatorische Fortschritt hat sich erfolgreich als Unsterblichkeits-Ideologie getarnt. Und Ideologien greifen umso besser, je normalsinniger und flächendeckender sie sich geben. Die Darreichungsform kann sich täglich nach den Bedürfnissen der Einschaltquote ändern, aber der Kern bleibt bestehen. Und deswegen sind Jenny Elvers, der Schlingensief und der Rinderwahn nix wie Personifikationen ein und derelben Schwammhirnigkeit. Zu Zeiten, als noch der Schwed‘ marodierte, nannte man solche Figuren Allegorie. Man konnte sie auslegen. Heutzutage kommen die Jenny, der Schlingensief und das blöde Rind in die Auslage.

Thomas Wörtche