Camorra, Gomorra und die Medien
Im November 2005 gingen tausende von Jugendlichen im calabresischen Locri gegen die Mafia auf die Strasse. „Für den Frieden, für die Legalität und für die Hoffnungen“ lautete der Slogan auf dieser Demonstration des verzweifelten Widerstands gegen die kriminelle Gewalt. Nichts erfuhr man davon in den deutschen Medien. Es gab eben kein Blut und keine Schüsse. Wen interessieren schon Hoffnungen? Von Carl Wilhelm Macke
Mal wieder die Mafia. Als „strage di Ferragosto“ wird inzwischen in den italienischen Medien die Ermordung von sechs Italienern vor einer Pizzeria in Duisburg bezeichnet. Mitten in den sommerlichen August hinein (der 15. August hat in Italien traditionell den Namen „Ferragosto“) platzte die Nachricht von der blutigen Mafia-Hinrichtung fern der italienischen Heimat. In einem Gespräch mit Roberto Savinio, dem derzeit viel gefragten Experten für süditalienische Mafia-Geschichte und Geschichten, beklagte Henning Kluever, der SZ-Italien-Korrespondent, die immer nur kurzfristige Aufmerksamkeit der Medien für das organisierte Verbrechen. Und in Deutschland, so sekundierte ihm Saviano, habe man überhaupt noch nicht begriffen, wie präsent die Clans inzwischen auch in deutschen Großstädten seien. Da Saviano seit Jahren mit hohem existenziellem Risiko über das Phänomen der Camorra und ähnlicher krimineller Netzwerke des Schweigens recherchiert hat, kann man seine diesbezüglichen Informationen nur mit Schrecken zur Kenntnis nehmen. Dass Saviniano auch deshalb in diesem Sommer so vielen Journalisten als Gesprächspartner über die Mafia zur Verfügung steht, dürfte auch den Verkauf seiner für Ende August angekündigten deutschen Edition seines Buches ‚Gomorra’ förderlich sein. Das aber sei nur am Rande erwähnt.
Auch andere italienische wie deutsche Journalisten haben viele Informationen aus der gesellschaftlichen Unterwelt zusammengetragen, die uns Lesern dieser Recherchen Angst, Schrecken und Alpträume verschafft. Naiv und weltfremd, wer diese kriminellen Szenarien nicht zur Kenntnis nimmt oder sie für zu drastisch überzeichnet ansieht.
Aber darf man sich als Journalist in der Berichterstattung und als neugieriger Leser der Recherchen mit diesen Einseitigkeiten zufrieden geben? Geschieht ein Verbrechen von der Dimension des Duisburger Blutbades, dann sind alle Scheinwerfer immer nur auf die Täter (und die Opfer) , ihre Hintermänner, ihre Auftragsclans, ihre ‚Familien’ gerichtet. Auch Saviano, so gut er diese Szene kennt – und deshalb auch von ihr mit dem Tode bedroht wird – berichtet nie über zivilgesellschaftliche Initiativen, den Jugendlichen andere Perspektiven als einen ‚Arbeitsplatz’ in den Netzwerken der organisierten Kriminalität anzubieten. Aber er wird in den vielen Interviews, die aus aktuellem Anlaß mit ihm geführt werden, auch nie nach Anti-Mafia-Initiativen gefragt.
„Blood sells“ und da haben es freie Theaterprojekte in den Hochburgen der Mafia, der Camorra oder ‚N’rangheta’ nun mal schwer, beachtet zu werden. Seit vielen Jahren etwa existiert in dem neapolitanischen Peripheriestadtteil Scampìa, einem der berüchtigsten ‚Camorra-Treibhäuser überhaupt, ein Kulturprojekt, mit dem Kinder und Jugendlichen nicht-kriminelle Lebensperspektiven gegeben werden sollen. Es existieren Zeitschriftenprojekte, die regelmäßig und mit großer Kompetenz über die gesellschaftlichen Hintergründe organisierter Gewaltkriminalität berichten. An der Basis der Gewerkschaften und auch der Katholischen Kirche bemühen sich seit Jahren Gruppen und Einzelne, der Mafia ein anderes Lebens- und Kulturmodell entgegenzustellen. Vergessen darf man auch nicht das couragierte Auftreten einzelner Bischöfe, die die oft tiefreligiös geprägten Familienclans mit einer Exkommunikation drohen. Lehrer versuchen auf eigene Faust – und oft mäßig unterstützt von staatlichen Stellen – ihre Schüler über die Ursachen der Mafia aufzuklären. Es gab in den letzten Jahren immer wieder große Anti-Mafia-Demonstrationen, an denen besonders Schüler und Studenten teilnahmen (etwa in Apulien oder auf Sizilien). Wer der italienischen Sprache nicht mächtig ist, hat von diesen ermutigenden Antworten der Zivilgesellschaft auf die blutigen Provokationen der ‚poteri occulti’, der ‚dunklen Mächte’ noch nie etwas gehört und gelesen. Gewiss, das ‚organisierte Verbrechen’ wird durch diese immer gut gemeinten, aber vielleicht auch hilflosen Aktionen des zivilen Protests nicht beseitigt. Aber ob „Blood sells“ da ein besseres Motto ist? Man mag damit vielleicht die Auflagen der Zeitungen und die Einschaltquoten der Fernsehstationen erhöhen. Politisch, gesellschaftlich, kulturell ändert sich durch diese Omertà des Widerstands, dieses vollkommene Verschweigen des Protestes gegen die Mafia aber auch nichts.
Im November 2005 gingen tausende von Jugendlichen im calabresischen Locri gegen die Mafia auf die Strasse. „Für den Frieden, für die Legalität und für die Hoffnungen“ lautete der Slogan auf dieser Demonstration des verzweifelten Widerstands gegen die kriminelle Gewalt. Nichts erfuhr man davon in den deutschen Medien. Es gab eben kein Blut und keine Schüsse. Wen interessieren schon Hoffnungen?
Carl Wilhelm Macke