Friede meiner Masche
Zwei CD-Editionen bei Bear Family Records gedenken zu seinem 20. Todestag dem großen deutschen Kabarettisten und Satiriker Wolfgang Neuss. Von Tina Manske
Hört man heute das Wort „Kabarett“, möchte man ja schon aus lauter Verzweiflung davonrennen, so sehr ist die „Mariobarthisierung“ der deutschen Comedy-Szene schon fortgeschritten – gut, wenn man weiß, dass es auch schon mal anders war. Zu Zeiten des designierten Bundespräsidenten Weizsäcker zum Beispiel, als der sich Mitte der 80er in einer Talkshow (auch das war damals ein noch ziemlich neues Format) einem Zausel mit ohne Zähne gegenübersah, der behauptete, eigentlich sei ja der Bruder Claus der Begabtere in der BuPrä-Familie. Weizsäcker stimmte staatsmännisch zu: „Ich bin ja gar kein Intellektueller.“ Darauf der Zausel trocken: „Das weiß ich ja.“ Noch heute gilt dieses lockere An-die-Wand-Spielen eines scheinbar Überlegenen als eine Sternstunde des deutschen Fernsehens.
Den Marsch trommeln
Der Zausel, das war Wolfgang Neuss, der seine Karriere als Clown in Kriegsuniform begann, in einem Genesungsheim an der Ostfront. Nach einer Schlachterlehre wollte er eigentlich zum Zirkus, aber daraus wurde nichts. Stattdessen hielt er die Kameraden auf Trab, und nachdem er seinen Bühnenpartner Wolfgang Müller gefunden hatte, ging es steil bergauf mit der Karriere, und auch ein Markenzeichen hatte Neuss bald weg: die Pauke, auf der er den Deutschen den Marsch trommelte. Er trat in Filmen auf (wohl am bekanntesten: „Das Wirtshaus im Spessart“) und landete Hits mit Schlagern wie „Das könnte schön sein“.
Bald schon war er der erfolgreichste Kabarettist seiner Zeit. Selbst die Zensur lernte das deutsche Fernsehen erst mit Neuss: Während er 1955 eine gewohnt scharfzüngige Rede vor Bundestagsvertretern hielt, die live im SFB übertragen werden sollte, fielen wegen „technischer Störung“ plötzlich Bild und Ton aus. Doch irgendwann, auf dem Höhepunkt seiner Karriere in den 1960ern, arbeitet Neuss plötzlich daran, sich selbst wieder unbekannt zu machen. Er experimentiert mit Drogen, wird zum Sozialfall, spielt das Spiel der Gesellschaft nicht mehr mit, hält aber weiterhin Hof in seiner Charlottenburger Wohnung, empfängt pilgernde Studentenrevoluzzer, bleibt bis zu seinem Tod so etwas wie ein Maskottchen der Berliner.
Serenade in A
Der langjährige Begleiter und Freund Volker Kühn hat diesem enfant terrible des deutschen Kabaretts mit der Doppel-CD „Neuss total“ zum 20. Todestag ein Hörspiel-Denkmal gesetzt. Darüber hinaus sind mit „2x Neuss von gestern“ (ebenfalls bei Bear Family Records) zwei fulminante Auftritte des Mannes mit der Pauke noch einmal zu hören, unter anderem die Geschichte der Serenade in A für Angsthasen von Hase-Panier, gespielt vom Leutnant Schüttepo, der damit versucht, nach der Katastrophe 1945 wieder Fuß im Militär zu fassen – „Geigen für den Endsieg“. (Heutzutage spielt man „Rock The Casbah“ von The Clash, wenn’s eine Bombardierung sein soll und die Soldaten sediert werden müssen – der Unterschied ist winzig. Auch daran erkennt man die Aktualität dieses Komikers.)
Die deutsche Teilung war sein Thema, und es ist mehr als ein Treppenwitz der Geschichte, dass ausgerechnet er den Fall der Mauer nicht mehr erlebte. Im Mai 1989 starb Wolfgang Neuss, aber er wird immer einer der ganz Großen des deutschen Humors bleiben.
Tina Manske
Wolfgang Neuss: Neuss total. Der Mann mit der Pauke. 2 CD mit 48-seitigem Booklet. Bear Family Records.
Wolfgang Neuss: 2x Neuss von gestern. 2 CD mit 24-seitigem Booklet. Bear Family Records.