Geschrieben am 18. März 2010 von für Bücher, Litmag

Zygmunt Baumann: Wir Lebenskünstler

Der (solidarische) Weg zum Glück

Eigentlich wissen wir schon lange, was aktuelle Untersuchungen jetzt empirisch unter Beweis stellen: Mehr Geld bedeutet nicht mehr Zufriedenheit, geschweige denn Glück. Doch wo ist das Glück verborgen, wie können wie es erhaschen und vielleicht sogar festhalten? Karsten Herrmann geht dem nach.

Baumann konstatiert in unserer Gegenwart, die er „Flüchtige Moderne“ nennt,  einen „radikalen hedonistischen Individualismus“, der der „falschen Suggestion“ unserer Konsum-Gesellschaft aufsitze, das Glück durch mehr Geld und mehr Konsum zu erlangen. Doch „jeder Akt des Konsums führt nicht zu mehr Sicherheit und Zufriedenheit, sondern zu mehr Angst. Denn es kann nie genug sein.“

Die ruhelose Jagd nach dem Glück scheint damit in einer Endlos-Spirale des „immer mehr“ gelandet zu sein und steht, wie Baumann in einem Exkurs aufzeigt, den klassischen Ansätzen diametral entgegen. So ging Aristoteles noch davon aus, dass Glück ein dauerhaft und beständig zu erlangender Zustand sein könne, und Seneca riet ganz puristisch: „Halte dich von ausgetretenen Pfaden fern, meide Massenveranstaltungen, halte dich an dich selbst und höre auf deine innere Stimme, die Stimme deiner eigenen Weisheit und Philosophie.“

Und nun?

Einen Ausweg aus unserer postmodernen Sackgasse sieht Baumann in einem Rückbezug auf das moralische und solidarische Handeln, auf die Verantwortung gegenüber den Mitmenschen und der Umwelt: „Faktisch muss man die eigentliche Identität des menschlichen Ich von der Verantwortlichkeit her benennen.“ Für ihn führt dabei auch keine Brücke vom (hedonistischen) Egoismus zum Altruismus, denn jemand, der nur Gutes tut, um sich dadurch selber besser zu fühlen, handelt Baumann zufolge nicht moralisch. Moralisch sei eine Handlung nur dann, wenn sie „aus unkalkulierter, natürlicher, spontaner, gedankenloser Menschlichkeit rührt.“

Moralisches Handeln sei in diesem Sinne zweckfrei und setze immer eine freie und jeweils neu zu treffende Entscheidung voraus. Und diese unbedingte Entscheidungsfreiheit des einzelnen Menschen, die von der modernen Hirnforschung durchaus in Frage gestellt wird, ist für Baumann noch feste Grundlage für den moralischen Weg zum Glück: „Das Schicksal und seine Guerilleros, die Zufälle, entscheiden, vor welche Entscheidungen der Lebenskünstler gestellt wird. Aber es ist eine Persönlichkeit, die bestimmt, welche Entscheidung er trifft.“

Mit Wir Lebenskünstler geht Zygmunt Baumann, der in Polen geborene und heute in Israel lebende Soziologe, all diesen Fragen nach und legt dabei eine äußerst prägnante Kultur- und Kapitalismus-Kritik vor.

Karsten Herrmann

Zygmunt Baumann: Wir Lebenskünstler. Edition suhrkamp. 200 Seiten. 14 Euro.