Geschrieben am 12. März 2004 von für Bücher, Litmag

Zadie Smith: Zähne zeigen

Grandioses Debüt

Zadie Smith beweist einen langen Atem, hält über die gesamte Länge das Niveau aufrecht. Bis in die Nebenfiguren hinein stattet Smith ihre Charaktere mit liebevollen Biographien aus, schafft eine Welt, in die der Leser komplett abtauchen kann. Ich hoffe, dass die folgenden Romane von Zadie Smith halten, was dieser grandiose Erstling verspricht.

Eine junge, gut aussehende Autorin aus der Hauptstadt, die vom Feuilleton hofiert und vom Publikum gefeiert wird, deren Erstlingsroman sich in den Buchhandlungen eben dieser Hauptstadt stapelt und deren Konterfei so manches Verkaufsdisplay ziert – was ist von solch einem Buch zu erwarten?

Nein, es handelt sich nicht um eine weitere literarische Entdeckung aus Berlin. Es handelt sich nicht um ein weiteres Buch einer Autorin, die ihre eigene Generation thematisiert, sich in Selbstbespiegelung ergeht und sich im Taumel zwischen Sinnfreiheit und Bindungsangst auf der Oberfläche einer Ich-fixierten Szene gefällt

Nein, Zadie Smith ist Londonerin und sie hat ein beneidenswertes Talent, wirkliche Geschichten zu erzählen. Mit Zähne zeigen wagt sie sich weit über den eigenen Erfahrungshorizont hinaus, spannt eine Geschichte über mehrere Generationen zweier Familien – und gewinnt von der ersten Seite an die Herzen ihrer Leser. Bei einem Erstlingswerk möchte man nicht den Fehler machen und zu euphorisch klingen, dennoch komme ich nicht umhin, dieses Erzähltalent in einem Atemzug mit Lieblingsautoren wie John Irving, Peter Carey oder Mordecai Richler zu nennen. Allein die Eingangsszene wäre dieser Großmeister würdig: Ein Selbstmordversuch scheitert, weil der lebensmüde Archie Jones sich ausgerechnet das Halteverbot im Lieferbereich der Halal-Fleischerei Hussein-Ishmael aussucht, um mit Hilfe der eigenen Autoabgase aus dem Leben zu treten. Mit dem Hinweis „Wir haben hier keine Genehmigung für Selbstmorde. Der Ort hier ist halal. Koscher, kapiert? Falls Sie hier sterben wollen, mein Freund, müssen Sie leider vorher erst ordentlich ausgeblutet werden.“ bringt der dicke Metzger Archie zurück ins Leben. Schon hier zeigt sich Smiths Fähigkeit, mit psychologischer Feinfühligkeit schrullige – aber dennoch glaubwürdige – Charaktere zu entwerfen

Die Geschichte geht zurück bis zum Zweiten Weltkrieg (in einigen Erzählsträngen noch weiter in die Vergangenheit), in dem der Engländer Archibald Jones und der Bengale Samad Iqbal als junge Soldaten aufeinander treffen und durch ein gemeinsames Geheimnis zu Freunden werden. Beide Männer werden später bedeutend jüngere Frauen heiraten und mit ihren Kindern diverse Probleme erleben. Die Handlungsfäden geraten hierbei so vielfältig, die Schicksale sind so virtuos miteinander verwoben, dass eine kurze Inhaltsangabe von Zähne zeigen gar nicht möglich ist. Bis in die Nebenfiguren hinein stattet Smith ihre Charaktere mit liebevollen Biographien aus, schafft eine Welt, in die der Leser komplett abtauchen kann.

Tragik und Komik liegen dicht beieinander im multikulturellen Schmelztiegel von London-Willesden. Fragen nach Herkunft und Tradition, nach Religion und Hautfarbe, nach Integration und Identität werden aufgeworfen. Samad, der seine Zwillingssöhne schweren Herzens trennt, muss erkennen, dass der in Indien erzogene Magid englischer als ein Engländer nach London zurückkehrt, während der in London verbliebene Millat in den Einflussbereich einer militanten Moslemgruppe gerät. In diesem leichtfüßigen Umgang mit den inneren und äußeren Konflikten von Einwanderern bewegt sich Zadie Smith auf den Spuren von Salman Rushdie und Hanif Kureishi.

Ich habe Samad und Archie, ihre Frauen Alsana und Clara, ihre Kinder, die Chalfen-Familie und viele mehr in mein Herz geschlossen. Ich habe mitgefiebert, mitgelitten. Ich habe bei der Lektüre geweint und gelacht. Und ich habe mir gewünscht, dass das Buch niemals ende. Und Zadie Smith beweist einen langen Atem, hält über die gesamte Länge das Niveau aufrecht. Vielleicht ist das Ende ein wenig zu abgerundet, zu sehr durchkomponiert, doch was macht das schon? Ich hoffe, dass die folgenden Romane von Zadie Smith halten, was dieser grandiose Erstling verspricht.

Frank Schorneck

Zadie Smith: Zähne zeigen. Deutsch von Ulrike Wasel und Klaus Timmermann. Droemer TB, 643 Seiten. 9,90 Euro. ISBN: 3-426-62141-X