Geschrieben am 21. Mai 2014 von für Bücher, Litmag

Woody Guthrie: Haus aus Erde

Woody Guthrie_Haus aus ErdeEs gibt den Willen des Volkes

–Woody Guthries „Haus aus Erde“ ist fast 70 Jahre alt – und dennoch aktueller denn je. Von Andreas Pittler

Die Vereinigten Staaten Mitte der 30er Jahre. Das ganze Land ist fest in den Klauen der großen Depression, und wenn auch der neu gewählte Präsident Roosevelt versucht, mit ein paar Arbeitsprogrammen wenigstens einen Teil des Elends zu mildern, so spürt die Landbevölkerung von diesen kosmetischen Retuschen gar nichts. Kleinstbauern wie Tike Hamlin und seine Frau sind gezwungen, von der Hand in den Mund zu leben – doch die Hand ist nur allzu oft vollkommen leer.

Dazu kommen die Unbilden der Natur. In den staubigen Ebenen des Mittelwestens bedeutet jeder mittlere Wirbelsturm Gefahr für Leib und Leben, denn die – im wahrsten Sinne des Wortes – windschiefen Holzhütten halten nicht einmal den Regen ab, geschweige denn einen veritablen Sturm. Daher träumt Tike von einem Haus aus Lehm, wie es die Pueblo-Indianer seit Jahrhunderten erfolgreich vorleben. Doch bräuchten sie erst einmal genug Erde, um ein „Haus aus Erde“ daraufstellen zu können: „Oh ja. Wenn wir n Stück Land hätten, könnten wir uns n wunderschönes Haus aus Erde bauen. Aber na ja. Da beißt sich die Katze in den Schwanz.“

Doch dem trauten Glück im Kleinen steht die miese Gier der Großen entgegen: „Mein ganzes Leben hab ich nie auch nur n Fitzelchen mehr verlangt, als was ich brauchte. Nie hab ich mich nach was anderm gesehnt als nach ner anständigen Chance zu arbeiten, nem anständigen Ort zum Wohnen und nem anständigen, ehrlichen Leben. Warum gelingt uns das nicht?“

Tikes Frau weiß, warum: „Wir sind schuld, dass sie uns bestehlen. Einen Penny hier, einen Nickel da. Einen Dime. Einen Vierteldollar. Einen Dollar. Wir waren bequem. Wir waren gutmütig. Wir wussten Bescheid, wenn sie die Preise raufgesetzt haben. Wir wussten Bescheid, wenn sie den Lohn für unsere Arbeit gesenkt haben. Wir wussten es. Wir haben gewusst, dass sie uns bestehlen. Wir haben es zugelassen. Wir haben sie in dem Glauben gelassen, dass sie uns betrügen können, weil wir einfache, gewöhnliche Leute sind.“

Opfer kapitalistischer Gier

Was nach einem aktuellen Report über die Wirtschaftskrise unserer Tage klingt, ist ein Werk des bekannten Folk-Musikers Woody Guthrie (1912-1967), das dieser Mitte der 30er Jahre zu schreiben begonnen und schließlich 1947 beendet hatte. In einfachen, berührenden Sätzen beschreibt er, wie die Menschen unverschuldet ins Elend kommen, weil die kapitalistische Gier buchstäblich über Leichen geht. Tike und seine Frau Ella May wissen um die Ungerechtigkeit dieses Systems, doch sie ahnen nicht, wie sie sich effizient dagegen zur Wehr setzen könnten. Die geballte Kraft der vereinten Arbeiterklasse, sie ist nicht erkennbar in einer Gegend, wo es außer Staub nur ein paar Coyoten und ab und zu einen Kaktus gibt. Unter der sengenden Sonne von Texas gibt es nur das große Nichts, doch selbst das beanspruchen die Kapitalisten für sich. Und so erzählt „Haus aus Erde“ davon, wie einfache Leute nach Sinn in einer korrupten Welt suchen, in der die Herrschenden den moralischen Kompass verloren haben. Und genau dadurch ist dieser Roman allgemeingültig, denn sein Thema war 1935 genauso aktuell wie 2014.

„Ein Jahr Arbeit, das sind 365 oder 366 Tage Rennen, Hasten, Laufen, Hüpfen und Springen, Streitereien, Keilereien, Katerstimmung, Kopfweh und all so was. Zur Arbeit gehören alle Klimata, alle Dinge, alle Räume, alle Furchen, alle Straßen, alle Gehwege und alle Schuhe, die darauf stapfen. Nicht der Kreislauf der Planeten macht ein Jahr zum Jahr, n Jahr ist einfach ne neue Runde in unserem großen alten Kampf gegen die ganze Welt.“ Allerdings stellt sich – damals wie heute – die Frage, wogegen man kämpfen soll, wogegen man kämpfen kann: „Gegen den Wind oder gegen den Regen? Gegen den Mond und gegen die Sterne? Kämpfen gegen was? Gegen wen? Wann? Wo? Gegen die Leute kämpfen, die auf den Hof kommen, um alle möglichen blöden Schulden einzutreiben? Gegen die Regierung, das Rathaus?“ Eine Frage, die sich heute Hunderttausende Griechen, Portugiesen, Spanier, Ungarn, Slowenen etc. wahrscheinlich ebenfalls stellen. Und so spricht Tike wohl unzähligen Menschen aus der Seele, wenn er aufseufzt: „Ich wünsche mir, dass die Familien, die ihr Leben lang hochverschuldet in diesen Abfallkübeln von Häusern wohnen, sich zusammenschließen und kämpfen, um aus diesem elenden Gestank und Schlamassel herauszukommen.“

Stimme der sozial Schwachen und Unterprivilegierten

Ein alter Spruch aus der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg lautete: „Wer aus der Geschichte nicht lernt, ist gezwungen, sie zu wiederholen.“ Und „Haus aus Erde“ führt uns die Richtigkeit dieses Satzes dramatisch vor Augen. Bereits zweimal (1914, 1939) hat die unersättliche Gier unseres Wirtschaftssystems die Menschheit in die Katastrophe geführt. Beide Male war die folgende Generation klüger geworden, setzte auf Menschenrechte und Sozialstaat. Doch wie schon nach 1929 hat auch die aktuelle Politikerschicht die Lehren der Geschichte wieder vergessen, setzt auf Ausbeutung und Krieg, steuert uns ein weiteres Mal in Richtung Erebos.

Gerade in solchen Zeiten ist es doppelt verdienstvoll, wenn Werke wie jenes von Guthrie „ausgegraben“ werden. Und doppelt erfreulich ist es, wenn niemand Geringerer als Hollywood-Ikone Johnny Depp diese Aufgabe übernommen hat. Er gründete eigens einen Verlag, um Guthries einzigen Roman zu publizieren, der nun in der Übersetzung von Hans-Christian Oeser (nicht minder Ikone in seiner Zunft) auch auf Deutsch vorliegt.

Woody Guthrie, Bob Dylans großes Vorbild, wurde mit seinen Folksongs á la „This Land is your Land“ weltberühmt. Zu Lebzeiten blieb ihm eine Superstar-Karriere wohl nicht zuletzt deshalb verwehrt, weil er nie bereit war, seine entschlossene Haltung für die sozial Schwachen und Unterprivilegierten aufzugeben. Die amerikanische Realität ließ ihn zum entschlossenen Linken werden, und auf seine Gitarre brachte er den Slogan „This machine kills fascists“ an. Dasselbe kann man von seinem Roman behaupten. Denn wer „Haus aus Erde“ gelesen und moralisch nicht völlig verkommen ist, der muss automatisch zu dem Schluss gelangen, dass eine Änderung der gesellschaftlichen Verhältnisse unabdingbar ist.

Andreas Pittler

Woody Guthrie: Haus aus Erde (House of Earth, 2013). Übersetzt von Hans-Christian Oeser. Mit einem Vorwort von Johnny Depp. Eichborn-Verlag, Frankfurt 2013. 301 Seiten, 16,99 Euro.

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