Taliban in Space
– „Dschiheads“ spielt zwar in ferner Zukunft auf einem abgelegenen Planeten, aber so weit weg vom Alltag ist der neueste Roman von Wolfgang Jeschke nicht.
Was macht man mit religiösen Fanatikern in Zukunft? Man schickt sie ins Exil auf eine unwirtliche Wüstenwelt. „Paradies“ nennen die eifrigen Gläubigen ihre Welt, und dort haben die hitzköpfigen Dschiheads ihren Gottesstaat errichtet. Jahrzehntelang von allem und jedem ungestört entwickelte dieser sich geradezu prächtig. Doch die Ruhe wird gestört, als zwei Wissenschaftler, Ailif und Maurya, eintreffen. Die Exobiologen haben den Auftrag, herauszufinden, ob es auf Hot Edge, wie Paradies von allen Nicht-Dschiheads genannt wird, intelligentes Leben gibt, das unter Umständen in der Lage ist, Kunst, genauer: Felsreliefs, zu erschaffen. Wissenschaft ist des Teufels, eine Ansicht, der nicht nur die Dschiheads, sondern auch das örtliche Flottenkommando, das der Sekte nahesteht, zustimmt. Die Begrüßung der Biologen ist alles andere als freundlich, die Unterstützung hält sich in Grenzen. Ailif versucht, mit den Dschiheads zu sprechen und sie über die Dongos, eine der Lebewesen, die als potenzielle Künstler infrage kommen, auszufragen. Ohne sein Wissen verstößt er jedoch gegen eines der Glaubensgesetze der Dschiheads und wird gefangen genommen. Vor der Hinrichtung bewahrt ihn Suk, ein intelligenter Junge, dem bereits aufgefallen ist, dass bei seinen Glaubensbrüdern nicht alles immer so ist, wie es sein sollte.
Welche aktuellen Bezüge Jeschke hier in seinen Romane einbaut, ist schon beim Titel mehr als deutlich. Religion und das, was Menschen bereit sind, im Namen ihres Gottes zu tun, sind eines der zentralen Themen in „Dschiheads“. Die Bigotterie des religiösen Systems wird haarscharf gezeichnet: Im Paradies hat jeder Dreck am Stecken, ganz so wie hier auf der Erde, seien das nun Katholiken, radikale Islamisten oder welche Glaubensgemeinschaft auch immer. Jeschke bevorzugt kein System, keine Glaubens-Variante, jeder kommt gewissermaßen gleich gut (oder schlecht) weg. Der Junge Suk, der das System, in dem er aufgewachsen ist, immer kritischer betrachtet, immer mehr über das, was ihm gepredigt wird, nachdenkt, und schließlich die Konsequenzen zieht, gibt Anlass zur Hoffnung, dass sich ähnliche Jungen (in wesentlich größerer Zahl) auch einmal, eines hoffentlich nicht allzu fernen Tages, auch hier auf der Erde zeigen werden. Seine Geschichte wird parallel zu der der beiden Wissenschaftler erzählt, beide Handlungsstränge überschneiden sich kurz, um dann wieder getrennte Wege zu gehen – erzähltechnisch elegante und solide Handwerkskunst.
Intelligenz vs. Gottesstaat
Neben den religiösen Themen steht die Frage im Mittelpunkt, was genau Intelligenz definiert und ab wann eine Spezies als intelligent bezeichnet werden kann. Leider kommt diese Frage für meinen Geschmack etwas zu kurz in dem Roman. Ob die Dongos intelligent sind oder nicht, wird nicht eindeutig klar. Unter’m Strich spielt das jedoch keine Rolle, denn die Dongos sind für Jeschke Werkzeug, um die Fanatiker mit etwas zu konfrontieren, das sie nicht kennen. Und natürlich, um den Wissenschaftlern die Möglichkeit zu geben, sich auf dem Planeten einzumischen. Die wiederum stoßen schnell, schon bei der ersten Begegnung mit dshiheadistischen Flottenmitarbeitern, an die Grenzen deren Dogmen, und daran ändert sich den ganzen Roman über nicht viel.
Schade ist, dass die Figuren selbst eher unscharf bleiben. Zu oft erscheinen sie mir wie Abbilder von Klischees, die zwar gekonnt in den Plot verkocht werden, allerdings im Vergleich zu Jeschkes früheren Romanen erstaunlich farblos bleiben. Zu oft hatte ich das Gefühl, die Figuren stehen hier nicht im Mittelpunkt, sondern dienen einzig der großen Allegorie, die Jeschke hier zeichnet.
Sprachlich lässt Wolfgang Jeschke, wie gewohnt, auch keine Wünsche offen: Allein das erste Kapitel, das einen Sonnenaufgang auf einem fremden Planeten beschreibt, ist wirklich mehr als gelungen.
Das Genre, in dem Wolfgang Jeschke sich bewegt, definierte er einmal so: „Science Fiction ist Ausdruck von Wünschen und Ängsten. Sie ist das Ausfabulieren von erhofften oder befürchteten Ereignissen, […] deren Eintreten zwar nicht notwendiger Weise zu erwarten, aber immerhin möglich war […].“[1] „Dschiheads“ ist gewissermaßen die Quintessenz dieses Definitionsversuchs: Welche Zukunft hat Religion? Und welche Zukunft können die Menschen haben, deren religiöse Ansichten so fanatisch sind, dass wir jetzt schon nicht wissen, wie wir damit umgehen sollen? Denn der Krieg gegen den Terror ist „nur“ Ausdruck unserer Hilflosigkeit, und terroristische Anschläge „nur“ der letzte Ausweg einer Handvoll Menschen, die einfach nicht dulden wollen, dass Dongos intelligent sind. In dieser Hinsicht geht Jeschkes Roman voll auf.
Wolfgang Jeschke: Dschiheads. Roman. München: Wilhelm Heyne Verlag, 2013. 367 Seite. 7,99 Euro. Verlagsinformationen zum Buch. Mehr über Elly Bösl: hier.
[1] Jeschke, Wolfgang u.a. (Hg.): Lexikon der Science Fiction Literatur, Bd. 1. München: Wilhelm Heyne Verlag, 1980. S. 25.