Geschrieben am 2. März 2011 von für Bücher, Litmag

Wilfried Stroh: Die Macht der Rede. Eine kleine Geschichte der Rhetorik im Alten Griechenland und Rom

Reden ist Silber, brillant reden ist Gold

– Dieser Streifzug durch die Geschichte der antiken Rhetorik ist sehr aufschlussreich, auch hinsichtlich der rhetorischen Defizite unserer zeitgenössischen Redner. Von Peter Münder

Es ist peinlich und erschütternd, anrührend und extrem irritierend wie diese Panikattacke des stotternden Herzogs von York, „Bertie“, des späteren King George VI., einem zu Herzen geht: Man scheint beim Betrachten des grandiosen Films „The King’s Speech“ direkt in die Seele einer zutiefst verletzten, verunsicherten und verzweifelten Kreatur zu blicken – nur weil statt einer überzeugenden Rede vor den im Wembley-Stadion versammelten vielen tausend Untertanen nur ein verkrampftes Gestotter zustande kommt: „Ich habe eine Botschaft erhalten von meinem Vater, dem Kkkk…“ kann Bertie – von Colin Firth begeisternd gespielt – noch stammeln, bevor die Rede abgebrochen wird. Seine Misere findet erst ein Ende, als ein Sprachtherapeut ihm hilft, seine diversen Kindheitstraumata aufzuarbeiten und öffentliche Reden lockerer, selbstbewusster und ohne imaginierte Alptraumszenarios anzugehen.

Mit rhetorischen Glanzleistungen wollen sie ja alle überzeugen und sich dem großen Publikum obendrein noch als charismatische Führerfiguren darstellen: Der aristokratische Plagiator maximus von der CSU ebenso wie antike Feldherren, Kriegstreiber und Philosophen oder der Hollywoodstar, der sich tränenreich bei seinen Agenten, Familienmitgliedern, Haustieren und Kollegen für den Oscar bedankt. Bezeichnend ist ja auch, dass dem entscheidungsfreudigen Kanzler Helmut Schmidt das Etikett „Schmidt Schnauze“ als Auszeichnung für besondere Schlagfertigkeit und rhetorische Glanzleistungen zuerkannt wurde: Hier war das Charisma des großen Staatsmanns jedenfalls immer unverkennbar gewesen. Wer kennt aber die rhetorischen Tricks und die Techniken, mit denen sich schon im alten Rom Juristen und Diktatoren aus prekären Fällen lavierten oder an die Macht putschten? Und mutet die Sprachbehinderung eines Demosthenes, der dann doch ein begnadeter Redner wurde, nicht ganz aktuell an?

Spannend wie ein Krimi

Foto: © Thomas Plettenberg

Der emeritierte Münchener Altphilologe Wilfried Stroh, 72, hat sich für diese Aspekte rund um die klassische lateinisch-griechische Rhetorik schon seit Jahrzehnten interessiert und mit seinem rund 600 Seiten starken Band „Die Macht der Rede“ ein ebenso profundes wie locker und mitreißend geschriebenes Buch fabriziert. Wilfried Stroh ist der bunte Hund unter den meist mausgrauen Philologen-Existenzen im Elfenbeinturm. Er führt Talkshows in lateinischer Sprache durch, produzierte mit seinem 2007 veröffentlichten Buch „Latein ist tot, es lebe Latein“ einen veritablen Bestseller und führt sogar Theaterstücke in Latein auf. Seine Kunst besteht darin, den historischen Hintergrund der großen Debatten und Konflikte zur Zeit Cäsars, Ciceros und des Demosthenes anschaulich und präzise mit den brisanten Konflikten, Mordkomplotts und Intrigen der großen Rededuelle zu verknüpfen. Über weite Strecken liest sich diese Geschichte der Rhetorik daher wie ein spannender Krimi.

„Wann war Rhetorik mehr gefragt als heute“? fragt Stroh nach dem großen Wahlsieg Obamas. Dessen Integrität und glanzvolle Redekunst hatten die Wähler offenbar stärker überzeugt als irgendein dubioser Black-Power-Budenzauber. Und schon sind wir mittendrin in der Debatte, die Platon schon im „Phaidros“ anschnitt: Ist Rhetorik eine Kunst, ein Überzeugungstrick oder eine Wissenschaft? Wenn es nur darum geht, andere zu überzeugen, nicht aber darum, die Wahrheit zu erkennen, kann die Rhetorik dann nicht auch missbraucht werden für unlautere Zwecke? Wenn ein Arzt einen Patienten von einer dringend nötigen Operation überzeugen will, ihm dies jedoch trotz seiner Fachkompetenz nicht gelingt und er schließlich einen glänzenden Rhetoriker anstellt, der so erfolgreich ist, dass der Patient sich freudig unters Messer begibt – zählen dann statt triftiger Argumente vor allem die rhetorischen Glanzlichter und effekthaschenden Pointen?

Begnadete „Persuader“

So verfolgt Stroh die Argumente und unterschiedlichen Richtungen von den rednerischen Praktikern um Aristoteles in Athen bis zu den rhetorischen Theoretikern um Demosthenes, von Cicero in Rom bis zu den Bildungsdebatten unserer Tage und den inzwischen an etlichen Universitäten und Schulen etablierten Debattierclubs, die in England und den USA fast schon selbstverständlich sind. Überraschungsmomente und rhetorische Tricks wie Marc Antons scheinbar enthusiastisches Plädoyer für den Tyrannenmord, das sich als bittere Anklage gegen Cäsars Mörder entlarvt – in Shakespeares Drama „Julius Caesar“ so eindrucksvoll dargestellt –, illustrieren besonders wirkungsvolle Effekte großer Redner. Zu denen zählt Stroh übrigens auch Joschka Fischer, dessen Befürwortung des Kosovo-Einsatzes von den Grünen bei einer großen Debatte zuerst vehement ausgebuht, verdammt und verhöhnt und dann schließlich nach einer aufwühlenden Marathon-Rede doch begeistert akzeptiert wurde.

Für Stroh steht trotz aller Kontroversen um rhetorische Tricks und das wahre Erkenntnisinteresse begnadeter „Persuader“ jedenfalls fest: „An der Rhetorik führt kein Weg vorbei. Nachdem Platon sie verworfen hatte, hat sein Schüler Aristoteles sie trotz aller Bedenken unterrichtet; und just ein Platoniker, Cicero, wurde gar zum vielleicht größten Redner aller Zeiten. Solange es Menschen gibt, werden sie sich gegenseitig überreden; und der wird dies am überzeugendsten tun, der sich, wie eben Cicero, mit der feinsten Empfindung in die Seele seiner Mitmenschen einfühlen und zugleich das Gefühl vermitteln kann, dass er mit ganzem Herzen hinter dem steht, was er sagt.“

Wilfried Stroh, Lateiner aus Leidenschaft, gehört jedenfalls auch zu den begnadeten Überzeugern: Mit diesem ebenso spannenden wie amüsanten Buch dürfte er viele Menschen dazu bringen, sich mit den großen Rhetorikern der Antike zu beschäftigen. Und nebenher noch einzutauchen in historische Episoden und finstere Diadochenkämpfe, die dann in fulminanten Rededuellen aufgearbeitet wurden.

Peter Münder

Wilfried Stroh: Die Macht der Rede. Eine kleine Geschichte der Rhetorik im Alten Griechenland und Rom. Berlin: List Verlag 2011. 608 Seiten. Gebunden. 12,95 Euro. Zu einer Leseprobe des Buches geht es hier (PDF).

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