Geschrieben am 21. Februar 2004 von für Bücher, Litmag

Wetterleuchten! Künstler-Manifeste

Die Revolten und Utopien der Avantgarden

Die „Kleine Bücherei für Hand und Kopf“ der Hamburger Edition Nautilus ist seit vielen Jahren eine Fundgrube für die Texte der Avantgarde, der Vergessenen und Verfemten. Mit einer – unkommentierten! – Sammlung von Künstler-Manifesten des 20. Jahrhunderts bietet sie nun einen exemplarischen Spaziergang durch die gesamteuropäischen Revolten und Utopien von den Futuristen über die Dadaisten, Surrealisten, Lettristen und Situationisten bis hin zu Joseph Beuys berühmten Diktum „Jeder ist ein Künstler“.

Mit einer gehörigen Portion Pathos werden in diesen Manifesten schallende „Ohrfeigen für den öffentlichen Geschmack“ verteilt, der große Bruch, der Bildersturm und die tabula rasa beschrien. Da wechseln sich Rede und Gegenrede, Provokation und Negation bis zur ultimativen dadaistischen Selbstaufhebung ab: „Gegen das Manifest zu sein, heißt Dadaist zu sein!“ Nahezu allen Manifesten gemeinsam ist der Anspruch, auf eine sich rasend verändernde Zeit – von den ersten Automobilen und Lichtreklamen über das Grauen des Ersten Weltkrieges bis zum Abwurf der ersten Atombombe – mit adäquaten künstlerischen Mitteln zu reagieren. Die Kunst sollte so – wie bei den Dadaisten – aus dem Elfenbeinturm gerissen und bedingungslos in das Leben gestürzt werden: „Die höchste Kunst wird diejenige sein, die in ihren Bewußtseinsinhalten die tausendfachen Probleme der Zeit präsentiert, der man anmerkt, daß sie sich von den Explosionen der letzten Woche werfen ließ, die ihre Glieder immer wieder unter dem Stoß des letzten Tages zusammensucht.“

In einer ironisch-abgeklärten Zeit, in der alles möglich zu sein scheint und doch so wenig geschieht, wirken diese Manifeste – trotz oder wegen ihres inbrünstigen Glaubens an das Neue & Revolutionäre – noch immer ungeheuer erfrischend. Doch schon in den 60er Jahren mußten dann die Situationisten die unaufhebbaren Aporien der Avantgarde konstatieren – hatten doch einerseits ihre Produkte „ästhetisch neutralisiert“ den Markt und die Museen erobert und waren doch andererseits ihre Programme zur „völligen Neugestaltung des Lebens“ verdrängt und vergessen. So deutet sich dann auch bei Sherri Levine 1982 das engültige Ende der Avantgarde und der Übergang in den postmodernen Wiederholungs-Kosmos an, in dem „jedes Wort, jedes Bild gepachtet und belehnt ist“: „Uns bleibt nur, eine Geste zu imitieren, die immer vorgängig, doch nie ursprünglich ist.“

Karsten Herrmann

Wetterleuchten! Künstlermanifeste. Ed. Nautilus, Hamburg,123 Seiten (2000), DM 18,00